Ein seltsames Phänomen schleicht sich nach und nach in unser Leben in der westlichen Welt. Im Prinzip geht es dabei um nichts Neues, denn die Fakten liegen eigentlich schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch, obwohl sie zwischendurch immer wieder erfolgreich verdrängt worden sind. Mit dem Klimawandel ist jedoch ein aus den Ölkrisen der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts bekanntes Gefühl mit Macht zurückgekehrt: Weil unsere Welt endlich ist, können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher. Überall regt sich daher das schlechte Gewissen; der Markt für Bioprodukte boomt; nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Energiekosten haben Wärmedämmung und alternative Energiequellen Hochkonjunktur. „Nachhaltigkeit“ ist zum neuen Modewort geworden.
Verbunden mit dem Stichwort der Globalisierung steigt zudem das Unbehagen mit den weltwirtschaftlichen Gegebenheiten.
Ohne dass wir es konkret bei den von uns erworbenen Waren belegen können, haben wir doch zumindest die Vermutung, dass vieles von dem, was wir kaufen, unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt worden ist. Lebensmittelskandale etwa offenbaren immer auch, welche Missstände sozusagen zum Normalbild einer ganzen Branche gehören. Wer wusste zum Beispiel vor dem Aufkommen von BSE, dass Rinder in unserem Landwirtschaftssystem zum Kannibalismus gezwungen werden, indem man Tiermehl an sie verfüttert? Wer ahnt die weltweiten Verflechtungen der Lebensmittelindustrie, wenn sie nicht dadurch ans Tageslicht kommen, dass „deutsche“ Sahnebonbons von giftigen Panschereien in der chinesischen Milchindustrie mitbetroffen sind?
Anderes schlummert eher unter der Oberfläche, erzeugt vielleicht ein diffuses schlechtes Gewissen, dem man allerdings nur schwer nachgehen kann. Mittlerweile schwant es jedem, dass in der Textil- und Schuhindustrie unter Arbeitsbedingungen produziert wird, die teilweise so erbärmlich sind, dass man eigentlich von Sklaverei reden müsste. Das Gleiche gilt für andere Branchen, die ihre Produktions-standorte in „Sonderwirtschaftszonen“ von Staaten haben, die man treffenderweise „Billiglohnländer“ nennt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird also entdecken, dass unser Lebensstil hohe Kosten verursacht – so hohe, dass wir nur hoffen können, der Rest der Welt werde vernünftiger sein und ihn nicht übernehmen.
Hiermit verbunden ist ein zunehmendes Entsetzen über die Tatsache, dass nicht wenige selbst mit unserem Lebensstil noch nicht zufrieden sind. Auch innerhalb der Wohlstandsgesellschaften wird deshalb nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich immer größer, es entsteht eine ganz neue Schicht von Superreichen, die anscheinend über jede Notlage oder wirtschaftliche Krise erhaben sind, während die Mittelschicht schon kleinere Konjunkturprobleme am eigenen Leib zu spüren bekommt. Die Kritik am System der Marktwirtschaft, am „Neoliberalismus“ und „Turbokapitalismus“ ist deshalb in aller Munde.
Damit sind wir freilich bei dem Punkt, an dem das Phänomen seltsam wird. Alle Analysen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir ein Problem mit dem Zuviel haben: zu viel Energie- und Ressourcenverbrauch, zu viel Umweltverschmutzung, zu viele Wegwerfprodukte. Die logische Konsequenz müsste also in der Abkehr vom Zuviel und damit im Weniger in allen Bereichen liegen. Konkret bedeutet das Verzicht. Wenn die Welt besser werden soll, müssen wir auf Wohlstand verzichten – und damit auf Einkommen, Autos, Urlaubsreisen, große Wohnungen, modische Kleidung, Fertigprodukte, Multimediaentertainment und vieles mehr.
Ein Horrorszenario? Genau. Vielleicht wagt es deshalb niemand, uns wirklich Verzicht zu predigen. Wir träumen lieber davon, dass man mit Hybridautos weiterhin genauso mobil bleiben kann wie bisher, dass man große Häuser CO2-neutral klimatisieren kann, dass Bio-Kiwis aus Neuseeland auch künftig zu jeder Jahreszeit möglich sind. Hollywood-Größen machen uns schließlich vor, wie man im Luxus schwelgen und gleichzeitig keinen „ökologischen Fingerabdruck“ auf unserem Planeten hinterlassen kann.
Nicht möglich erscheint dagegen Verzicht. Kein Globalisierungsgegner fordert eine allgemeine Einkommenssenkung in den Wohlstandsländern, im Gegenteil. Gerade die Kritiker des „Neoliberalismus“ wollen steigende Löhne, damit die Binnennachfrage angekurbelt wird. Alte, wenig umweltfreundliche Produkte sollen durch neue, „bessere“ ersetzt werden – obwohl längst klar ist, dass es weitaus sinnvoller für die Umwelt wäre, ein funktionierendes Gerät noch eine Weile zu gebrauchen anstatt es zu entsorgen und durch ein frisch hergestelltes zu ersetzen. Rechnet man den Energie- und Ressourcenverbrauch zum Beispiel bei der Produktion eines Autos, kann das alte ruhig ein wenig mehr Sprit fressen, die Energiebilanz wird immer noch besser sein als wenn wir das alte verschrotten und durch ein neues ersetzen. Doch diese Logik ist unserem Denken fremd. Wir reagieren statt dessen auf die Krise des Zuviels mit dem Allheilmittel des Nochmehr. Damit allerdings marschieren wir sehenden Auges in die Katastrophe, wobei es wenig hilft, dabei auch noch ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ebenso wenig hilft es jedoch, flammende Reden gegen den Materialismus und die „Gier“ zu halten, die angeblich unsere Zeit prägen. Denn so materialistisch und gierig, wie es auf den ersten Blick scheint, sind wir doch eigentlich gar nicht. Betrachten wir einmal die Comicfigur Dagobert Duck als Urbild des Geizkragens, der für Geld alles tut, selbst aber nahezu bedürfnislos lebt: Solche Menschen sind im Alltag ebenso selten wie ein Franz von Assisi, der all seinen Besitz den Armen gibt und fortan bettelnd durch die Lande zieht. Kennzeichnend für unsere Welt ist vielmehr der Schnäppchenjäger und Ratenkäufer, der heute schon den Lebensstandard erreichen möchte, den er sich eigentlich erst morgen leisten kann (und dann auch nur vielleicht).
In unserer von Internet-Auktionshäusern geprägten Einkaufskultur zeigt sich zudem ein weiteres Phänomen: Wir sind längst nicht mehr nur Kunden und Verbraucher, wir werden zunehmend auch zu Anbietern und Verkäufern. Damit jedoch fällt uns der erste Teil von Jesu Forderung an den reichen Jüngling immer weniger schwer: „Verkaufe, was du hast!“ (Matthäus 19,21).
Gerade in einer Wegwerf- und Verkäufergesellschaft kann man daher nicht davon ausgehen, dass ihre Mitglieder zu den von ihnen erworbenen Waren eine besondere Bindung entwickeln, sonst könnten sie sich nicht so mühelos von ihnen trennen. Im Gegenteil, es liegt sogar die Annahme nahe, dass wir in vielem ein ähnlich distanziertes Verhältnis zu den materiellen Gütern haben wie die altkirchlichen Asketen. Wir gebrauchen sie, aber wir hängen nicht an ihnen und können deshalb jederzeit von ihnen Abschied nehmen – vor allem dann, wenn wir sie durch andere ersetzen. Damit jedoch könnte auch ein Weg zum Verzicht möglich sein.
Um ihn wirklich frohen Herzens gehen zu können, müssen wir allerdings zuvor einen tieferen Einblick in die spirituellen Grundlagen unseres Wirtschaftssystems bekommen. Diese Grundlagen sind es schließlich, die es uns nicht nur schwer machen, uns von unserer Art zu leben zu verabschieden. Weil es sich um spirituelle Grundlagen handelt, prägen sie zudem unsere Denkweise – und damit auch unser Verständnis von Christentum, Gemeinde und Kirche. Betrachten wir Letztere nämlich ausschließlich in dem von unserem System vorgegebenen Rahmen, hören sie auf, kritisches Gegenüber der Gesellschaft und Kultur zu sein, sondern gehen in ihnen auf, werden ein Teil von ihnen. Entsprechend wenig können sie zur Lösung unseres tiefgreifenden Dilemmas beitragen, es sei denn, sie werden von Grund auf anders gedacht und gelebt. Deshalb werden wir uns auch mit den sich daraus ergebenden Fragen und Problemen beschäftigen.
Pressestimmen
08.02.2018Matthias Riedel in Theologische Orientierung Jan. 2018 Weißenborn erkennt im ständig wachsenden Konsum eine unheilvolle Ersatzreligion unserer Überflussgesellschaft ("Spiritualität des Konsums"). Zugleich stellt er die Frage, ob nicht auch unser Verhalten als Gemeindeglieder längst vom Konsumdenken gefangen ist ("Konsum der Spiritualität") Ein wunder Punkt! Der dritte Buchteil zeigt einen Ausweg: vom Haben zum Sein, vom Konsum zum Verzicht, vom Ich zur Gemeinschaft. Ein Buch, das nicht
(nur) ein schlechtes Gewissen machen möchte, sondern zu einem konsequenten Lebensstil der Nachfolge ermutigt.
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07.02.2014Jörg Schellenberger, oora, 2/2012 Die Konsumgesellschaft vereinnahmt unser Denken und prägt dadurch auch unser Christsein. Dieses Buch zeigt auf, wie das Konsumdenken, dem es in erster Linie um die Befriedigung eigener Bedürfnisse geht, christliche Werke, Gemeinden und Personen beeinflusst(...). Mit guter theologischer Argumentation zeigt der Autor Wege aus dem Konsumdenken und ermutigt, in der Gesellschaft Gegenkultur zu leben. Er motiviert zu einer Nachfolge,
die von Hingabe durchdrungen ist und auch Leiden wertschätzt. Das letzte Kapitel lässt das Gedachte praktisch werden. Es beschreibt schnell umsetzbare Schritte, wie auch solche, die tiefer ansetzen und auf eine Veränderung der eigenen Sichtweise abzielen(...).
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01.03.2011Aufatmen / Christel Eggers "Nachdenken über eine alltägliche Herausforderung" heißt es im Untertitel - und das macht dieses Buch auf sympathisch unideologische Weise. (...) Bemerkenswert nach-denkenswert für jeden und auch für Gruppen! Mich beschäftigt schon allein dieser eine Satz: "Weil unsere Welt endlich ist, können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher." Weil unsere Welt endlich ist...
02.06.2010Christian Döring / www.jesus.de Thomas Weißenborn, stellvertretender Direktor des Marburger Bibelseminars, mutet dem Leser mit diesem Buch einiges zu. Er kratzt das Thema „Christsein im Alltag“ nicht nur an, nein, er geht ans Eingemachte. Er kitzelt nicht mal so für eine Stunde unser schlechtes Gewissen frei, nein, er wirft uns vor, dass wir als Teil der Konsumgesellschaft am Wohlstand kleben und nicht bereit
dazu sind, umzudenken, und diesem Umdenken auch praktische Schritte folgen zu lassen.
Leicht gesagt, werden Sie denken, aber Thomas Weißenborn geht an manchen Stellen sehr ins Detail und entwaffnet damit diejenigen, die sagen wollen: „Was kann schon ein Einzelner bewirken!“
Nachdem der Autor unser schlechtes Gewissen freigelegt hat, sagt er uns, wie wir im Alltag leben können. Und zwar so, dass es Gott, den Menschen und vor allem auch uns gut dabei geht. Denn dass etwas faul in der Gesellschaft ist, das ahnt wohl jeder von uns. Weißenborn rät dazu, sich beim Kauf von Konsumgütern zunächst zu informieren: "Es ist erstaunlich, was Suchmaschinen zu Tage fördern, wenn man den Namen eines Labels in Verbindung mit Stichworten wie ‚Umweltstandards', ‚Ausbeutung', ‚Kinderarbeit' oder Ähnlichem eingibt." Oft landet man bei solch einer Suche auf Homepages kirchlicher oder auch gewerkschaftlicher Initiativen, die genaue Informationen zur Herstellung von Artikeln liefern. Weißenborn rät auch, von Herstellern direkt per Post oder per Mail Informationen zu verlangen.
All das ist jedoch erst der Anfang seiner praktischen Tipps und Aufforderungen. Da wird mir schon ziemlich ungemütlich in meinem bislang so gemütlichen Lesesessel - und wo kommt der eigentlich her? Diese kleine Broschüre besitzt Sprengkraft, wenn wir sie und uns selbst ernst nehmen!
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18.01.2014Susanne Riderer „Christsein in der Konsumgesellschaft“, dieses Buch von Thomas Weißenborn (Marburg) hätten wir uns wahrscheinlich nicht selber gekauft, auf den ersten Blick kommt es eher trocken und anstrengend daher. Der Untertitel „Nachdenken über eine alltägliche Herausforderung“ hilft auch nicht gerade. Wer liest schon freiwillig ein Buch, bei dem er nachdenken soll – und deutlich ahnt, dass das Nachdenken dazu führen
soll, dass sich etwas ändert.
Tja, unsere Neffen haben uns dieses Buch also zu Weihnachten geschenkt. (Man könnte sich fragen: Haben sie es selbst gelesen? Zumindest einer von ihnen? Haben sie es uns absichtlich geschenkt? Mit einem Ziel? Oder war es in Wirklichkeit eine Verlegenheitslösung? Ein gedankenfreier Spontangriff?)
Doch stellen wir uns den Fragen, um die es Dr. Thomas Weißenborn, stellvertretender Direktor des Marburger Bibelseminars, geht: Unterscheidet sich unser Christsein in irgendeiner Weise von der Konsumgesellschaft um uns herum? Ist es nicht eher so, dass unsere Gemeinden wie Supermärkte funktionieren und wir Einzelnen sind die Konsumenten? Angebote und persönliche Bedürfnisse regeln den Markt, wobei Individualität und Freiheit die Grundpfeiler des Marktgeschehens sind. Der Begriff „Freiheit“ wird dabei völlig neu und anders definiert als bisher in der Kirchengeschichte: Freiheit im heutigen Sinn bedeutet eine abstruse Überhöhung des eigenen Ichs: Ich suche mir aus, was zu mir passt. Dazu die Fußnote auf Seite 47: Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, wie mit den verschiedenen Frömmigkeitstraditionen umgegangen wird. Gehörte etwa Fasten, Beten, Meditation und das Studium der Heiligen Schrift lange Jahrhunderte zum unaufgebbaren Kern jeglicher Form des Christentums, sind daraus heute Optionen geworden. Ganz selbstverständlich gehen wir heute davon aus, dass die Menschen unterschiedlich sind (Individualismus) und deshalb jeder selbst die Frömmigkeit wählen muss, die zu ihm passt (Freiheit). Dass dabei die „anstrengenden“ Frömmigkeitsformen wie Fasten und Schriftstudium wenig Konjunktur, leichter konsumierbare wie das Hören christlicher Lieder (...) dagegen regen Zuspruch finden, liegt sicher eher in der Natur der Sache als daran, dass die Christen heute andere Persönlichkeiten haben als früher.
Ich finde es schade, dass sich bisherige Rezensionen zu Thomas Weißenborns Buch vor allem auf die Konsequenzen für unser Einkaufsverhalten konzentrieren: Sich informieren, wo Produkte herkommen und wie sie produziert werden, weniger kaufen, intelligenter kaufen usw. Alles richtig, alles wichtig. Die besondere Stärke des Buchs ist aus meiner Sicht aber die sorgfältig und überzeugend hergeleitete Begründung, warum wir als Christen so anders leben und handeln sollen. Es geht doch nicht nur um eine Veränderung des Einkaufsverhaltens, sondern vielmehr darum, dass wir neu begreifen, wer wir sind (Identität); „Dann können wir den engen Raum unserer eigenen Befindlichkeit verlassen und das große Ganze in den Blick nehmen“ (Seite 86 ff). Erst wenn wir Christen neu von Gottes Größe ergriffen werden und zu einem biblischen Verständnis von Freiheit, Heiligkeit und Hingabe zurückkehren, verändert sich alles: Werte, Maßstäbe, Verhalten.
Im Grund geht es innerhalb der Gemeinden nicht anders zu als außerhalb: Erfolg wird in Zahlen gemessen, Wertschätzung durch Geld ausgedrückt ... (Seite 118). Jesus dagegen fordert eine grundlegende Andersartigkeit, und die hat einen hohen Preis: Wer sein Geld behalten will, muss es abgeben. Wer sein Leben behalten will, muss es verlieren ... Und wer neu von Gottes Größe und seiner Sicht auf diese Welt ergriffen werden will, kann sich dieses Buch von Thomas Weißenborn vornehmen.
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