Im Alter kann man sich leicht abgehängt fühlen: Unsere Kräfte lassen nach und wir bringen nicht mehr die gleiche Leistung wie früher. Unser Freundeskreis schrumpft und ein Gefühl der Einsamkeit macht sich breit.
Bei Gott aber sind wir niemals abgehängt, er verlässt uns nicht. Und er hat noch etwas mit uns vor – wenn wir uns darauf einlassen.
Als Zeugen für diese Wahrheit ruft Eckart zur Nieden elf biblische Personen auf. In humorvoll und treffend geschilderten Szenen aus ihrem langen Leben stellt er sie uns vor. Diese Schlaglichter machen Mut, werfen aber auch die Frage auf: Halten wir bis zum Ziel durch und gehen an Gottes Hand auch durch den letzten Lebensabschnitt?
Ein Buch voller kräftigender Gedanken und Impulse für diese wichtige Wegstrecke nach Hause.
€ 12,95
Preise inkl. MwSt., keine Versandkosten innerhalb Deutschlands ab € 10,00.
€ 10,99 inkl. MwSt.
Vorwort
Die Menschen sind wie Gras, dichtete Mose im 90. Psalm. Wie Gras, das am Morgen sprosst, das am Mittag blüht und wächst und am Abend welk wird und verdorrt.
Mose selbst ist allerdings kein gutes Beispiel dafür. Er sagte zwar: »Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre.« (Vers 10) Aber er selbst ist hundertzwanzig geworden und hat mit achtzig erst seine große Lebensaufgabe begonnen, das Volk Israel aus Ägypten zu führen. Aber da ist er eine Ausnahme.
Normal ist die Abfolge von drei Lebensphasen, ähnlich wie beim Gras, die man als Morgen, Mittag und Abend bezeichnen könnte.
Die Jugend ist die Zeit des Wachsens. Der Mensch wird größer und stärker, eignet sich Wissen und Fähigkeiten an und kann es kaum erwarten, eine wichtige Rolle im Leben einzunehmen. Er lebt auf die Zukunft hin.
Im mittleren Alter – meistens der längste Abschnitt – beweist man seine Fähigkeiten, sichert sich und evtl. auch einer eigenen Familie den Lebensunterhalt, erringt einen Platz in der Gesellschaft und gewinnt, wenn alles gut geht, außer dem äußeren Gut auch Anerkennung und Selbstbestätigung.
Und dann das höhere und hohe Alter. Wir leben in einer Zeit, wo diese Lebensphase später einsetzt als noch vor einigen Jahrhunderten. Damals war man mit sechzig alt und mit siebzig ein Greis. Heute haben wir uns den Zahlen, die Mose im 90. Psalm nennt, nicht nur wieder angenähert, sondern sie sogar übertroffen. Dank der guten Gesundheitsfürsorge sind die Hundertjährigen heute keine absolute Ausnahme mehr.
Aber das ändert nichts daran, dass irgendwann der »Abend« kommt, wo der Mensch wie Gras »verwelkt«. Er hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, unter Umständen lässt auch die geistige Frische und Beweglichkeit nach, die Lebenskurve geht abwärts.
Das ist in Gottes Schöpfungsordnung so vorgesehen. Es hat keinen Sinn, sich dagegen aufzulehnen oder damit zu hadern. Aber etwas anderes hat Sinn: zu fragen, wie wir die letzte Lebensphase füllen können. Wenn wir keine völlig neuen Initiativen mehr ergreifen – was machen wir stattdessen? Wenn wir keine Firma mehr gründen, kein Haus mehr bauen, keine neue Familie bilden, keine langfristigen Zukunftspläne mehr schmieden – was tun wir dann? Noch leben wir ja, und es kann auch noch eine Weile dabei bleiben. Wir sind noch viel zu lebendig, um nur dazusitzen und auf den Tod zu warten.
Sicher, wir »blühen« nicht mehr. Aber der Mensch gleicht nach Gottes Schöpfungsabsicht nicht einer Gartenblume, deren Hochphase eben die Blütezeit ist, sondern eher einem Baum, dessen Hochzeit nicht die Blüte im Mai ist, sondern der Herbst, wo er Früchte bringt. Der Mensch ist nicht nur dazu da, »schön« zu sein, sondern Frucht zu bringen.
Für den, der sein Leben in der Verantwortung vor Gott führt, gilt das ganz besonders. Man kann nicht sein Leben lang Gott zur Verfügung stehen und dann seinen Glauben in Rente schicken, so wie man sein Arbeitsleben beendet. Im Gegenteil – wenn die natürlichen Begrenzungen des Alters sichtbar werden, gilt es, umso mehr zu fragen: Was ist jetzt dran? Was kann geschehen? Was kann ich dafür tun, dass – wenn auch manche Anzeichen von körperlichem Verwelken sichtbar und spürbar werden – meine Verbundenheit mit Gott nicht verwelkt? Oder, um es mit Worten von Paulus zu sagen: dass, auch wenn der äußere Mensch verdirbt, der innere von Tag zu Tag erneuert wird? Wie können wir zwar nicht jünger werden, aber Jünger werden und bleiben?
Um diese Fragen zu beantworten, tun wir gut daran, in die Bibel zu schauen. Da werden uns sehr viele sehr verschiedene Alte vorgestellt und ihre letzte Lebensphase, ihr »Abend« geschildert. Von ihnen sollten wir lernen. Von den positiven Vorbildern, wie wir es halten sollen, und von den negativen, was wir vermeiden müssen. An Beispielen lernen wir immer besser als durch abstrakte Ratschläge, auch wenn sie sich natürlich in vielen Einzelheiten von unserer Situation unterscheiden mögen.
Einige dieser Gestalten wollen wir uns ansehen anhand von »Momentaufnahmen« – kurzen Szenen aus ihrem Leben, von mir etwas ausgemalt –, damit man sich besser hineindenken kann. Wir schauen uns ihre Hochphasen an und sehen dann, wie sie ihre letzte Lebensphase gestalten. Wir staunen über ihre »Blüte« und ihr »Sprießen« am Morgen und am Mittag – auch da schon mit Früchten – und freuen uns darüber. Und wir lernen dann von ihrem Abend. Wir sehen, ob mit der abnehmenden Lebenskraft auch die Kraft des Glaubens nachlässt oder ob im Gegenteil die geistliche Gesundheit zunimmt, je näher sie dem Ziel des Lebens kommen.
Vielleicht können uns die Lebensphasen des hohen Alters bei den unterschiedlichen biblischen Personen eine Warnung oder eine Ermutigung sein. Denn auch dafür stehen ihre Geschichten in der Bibel.
1. Abgestürzt: Noah
»Und jetzt?«, fragt Jafet. »Jetzt sitzen wir hier in dem riesigen Kasten mit all dem Viehzeug und … ja, was?«
»Wir warten«, knurrt Ham.
Sem, der älteste der Brüder, sagt: »Es wird alles so kommen, wie Gott es unserem Vater angekündigt hat!«
»Wo ist er überhaupt?«, fragt Ham und schaut hinaus auf die Leute, die am Fuß der Rampe stehen und heraufgrinsen. Eine Frau ruft: »Gute Reise mit eurem Schiff auf dem Trocknen!« Und die Kinder schreien: »Winke! Winke!«
Anfangs haben mehr Leute gespottet, aber im Lauf der jahrelangen Arbeit an der Arche wurde es ihnen langweilig, weil dieser fromme Spinner Noah sich nicht beirren ließ. Jetzt aber, wo alles fertig zu sein scheint und sogar eine Menge Tiere in den großen hölzernen Kasten gebracht wurden, sind wieder einige da.
Ihr Vater Noah tritt zu ihnen. »Kümmert euch nicht darum, dass sie uns auslachen«, sagt er. »Das Lachen wird ihnen vergehen.«
»Wir kümmern uns auch nicht darum«, antwortet Jafet. »Aber was sollen wir sonst tun, statt hinauszusehen? Alle Arbeit ist ja getan.«
»Dann betet! Wir erleben eine heilige Stunde.«
Ham murmelt leise, sodass kein anderer es versteht: »Wüsste nicht, was an dieser Stunde heilig sein soll.«
Auf einmal merken sie, wie die Tiere unruhig werden. Vorher hat man sie kaum gehört, aber jetzt trampeln sie polternd auf den Holzböden und die Luft ist plötzlich voll von Wiehern und Bellen, Zischen und Brüllen, Jaulen und Blöken.
Einer Frau draußen fliegt das Tuch von den Schultern. Sie rennt hinterher, um es zurückzuholen. Plötzliche Windböen lassen Kleider wehen, bewegen Büsche und wirbeln den Staub zu gelben Wolken auf.
»Ein plötzlicher heftiger Sturm«, wundert sich Sem. »Seltsam!«
»Das ist gar nicht seltsam«, sagt Noah. »Vor einem Gewitter gibt es doch oft solch einen Wind.«
»Vor einem Gewitter?«
Die Gaffer draußen schauen ängstlich zu dem auf einmal sehr schwarz gewordenen Himmel hinauf. Sie rennen fort, um sich in Sicherheit zu bringen.
Das schwere Tor der Arche bewegt sich ächzend im Sturm hin und her. Dann schlägt es mit lautem Krachen zu.
Im Nu ist es stockdunkel.
Nach einer Schrecksekunde murmelt Jafet: »Dass der Wind dieses schwere Tor …«
»Es war nicht der Wind«, sagt Noah. »Es war Gott.«
Und dann hören sie trotz des Lärms der Tiere plötzlich aufdringlich laut, wie es rauscht. Sehen können sie nichts, aber dem Geräusch nach zu urteilen müssen es Unmengen von Wasser sein, die auf das Dach der Arche prasseln.
Alle vier Männer schweigen – betroffen, ängstlich, ergeben.
Nach einer Weile sagt Sem, nur um das Schweigen zu unterbrechen: »Es gießt wie aus Kübeln!«
»Das müssen aber viele Kübel sein! Ein Meer stürzt auf uns herunter!«
Sie müssen jetzt fast schreien, um sich in dem Brausen und Donnern verständlich zu machen. Selbst das Geräusch der Tiere geht in dem Lärm fast unter. Sie hören darum auch nicht, was ihr Vater murmelt. Nur Noah selbst hört es, und sein Gott. »Ich preise dich, Allmächtiger, Schöpfer von Himmel und Erde. Du hast die Macht über Wind und Wasser, über Mensch und Tier, über Leben und Tod. Was ist der Mensch gegen deine Größe! Ein Nichts ist er! Es sei denn, du erweist ihm deine Gnade …«
»Was sagtest du, Vater?«, fragt Sem.
»Siehst du, wie Gott handelt?«, stellt Noah die Gegenfrage.
»Du hattest tatsächlich recht, Vater! Und alle Zweifler haben unrecht. Auch wir …«
»Nicht ich hatte recht, sondern Gott«, korrigiert Noah. »Er hat immer recht.« Seine Stimme klingt nicht beklommen wie die seiner Söhne in dieser beängstigenden Situation. Es scheint eher, als würde er lächeln.
(nach 1. Mose 7,1-16)
Die Geschichte von Noah und der großen Wasserflut wird in der Bibel berichtet. Forscher haben sich schon viele Gedanken darüber gemacht, von welchem historisch und geoarchäologisch nachweisbaren Ereignis hier die Rede ist und ob eine Verbindung besteht zu Flutberichten in anderen alten Überlieferungen. Das soll aber hier nicht das Thema sein.
Wir richten unseren Blick auf den Mann, von dem es heißt, dass er »ein frommer Mann war und ohne Tadel« und dass er »mit Gott wandelte« (1. Mose 6,9).
Ebenso wenig, wie wir die Flut wissenschaftlich einordnen wollen, können wir das Handeln Gottes verstehen. Kann er wirklich alles vernichten, was er geschaffen hat? All das, was er am siebten Tag der Schöpfung als »sehr gut« ansieht? Und wenn er wegen der Sünde der Menschen noch einmal ganz neu anfangen will: Muss er nicht damit rechnen, dass der Keim des Bösen in allen steckt – wenn schon vielleicht nicht in Noah, dann doch in seinen Söhnen und in deren Frauen – und sich das Böse wieder ausbreitet? Hätte er dann die Sintflut nicht ganz umsonst geschickt?
Diese Frage werden wir nicht beantworten können. Schon Noah konnte sie nicht beantworten. Aber er gehorchte. Was wir nicht wissen, können wir getrost im Dunkeln lassen. Oder sagen wir besser: Das können wir Gott überlassen. Aber was wir wissen, weil Gott redet, das gilt es zu tun.
Wir wissen auch nicht, wie wir uns das Reden Gottes zu Noah vorstellen müssen. War es akustisch wahrnehmbar? Solche Erfahrungen, dass Menschen das Reden Gottes mit den Ohren hören, gibt es zwar, aber sie sind selten. Darauf muss niemand warten, um Gottes Willen zu erkennen. Was er will, hat er nämlich in der Bibel schwarz auf weiß niedergelegt. Und er hat den Heiligen Geist gegeben, der uns das, was da steht, als Gottes Wort erkennen lässt. Gott kann auch durch Visionen oder Träume reden, aber die sind normalerweise nicht nötig. Wer für ihn offen ist, wer Gottes manchmal sehr leises Reden nicht mit lauten eigenen Gedanken und Aktivitäten übertönt, wer um seinen Geist bittet und vor ihm still wird, der hört Gottes Reden.
Noah hörte es und gehorchte. Im Neuen Testament wird das Glauben genannt. (z. B. in Hebräer 11,7). In dem Bericht selbst heißt es: Er wandelte mit Gott. Also: Was immer er dachte, sagte oder tat, tat er im Bewusstsein der Gegenwart seines Schöpfers und Herrn und in der Verantwortung vor ihm. Ein vorbildlicher Gottesmann also, den Gott für die unvorstellbar große Aufgabe ausgewählt hat, der Urahn aller kommenden Generationen zu sein. Ein Mann nach dem Herzen Gottes.
Vierzig Tage regnete es, berichtet die Bibel, und hundertfünfzig Tage stand das Wasser auf der Erde und ertränkte alles Leben. Alles außer dem, das in der Arche war.
Sehr plastisch wird erzählt, wie Noah, der in seiner Arche nur ein Fenster nach oben hatte, sich Informationen verschaffte über die Welt außerhalb. Als er spürte, dass der Kasten nicht mehr auf den Wellen schaukelte, weil er auf dem Berg Ararat aufgesetzt hatte, ließ er einen Raben fliegen, später eine Taube, die zurückkam, weil sie keine trockene Stelle gefunden hatte. Nach einer weiteren Woche schickte er die Taube erneut auf Erkundungsflug. Diesmal kam sie mit einem Olivenzweig im Schnabel zurück. Der dritte Flug der Taube brachte, weil sie fortblieb, die Gewissheit, dass das meiste Wasser sich verlaufen haben musste.
Noah öffnete das Dach seiner Arche. Er wartete noch fast zwei Monate, dann stiegen die acht Menschen aus und ließen die Tiere frei.
»Endlich!«, sagt Ham. »Endlich frische Luft und raus aus diesem Kasten! Mir stinkt’s! Im wahrsten Sinn des Wortes!«
»Rede nicht so!«, mahnt ihn Sem. »Immerhin hast du diesem stinkenden Kasten dein Leben zu verdanken.«
Noah steigt als Erster hinaus. Jafet hilft ihm, die Bretter vom aufgebrochenen Dach an der Steuerbordseite anzustellen, sodass sie darauf hinuntersteigen können. Aber noch steigt keiner hinunter. Alle acht stehen oben, atmen tief durch und schauen sich um.
Sie sind auf einem hohen Berg. Der Blick geht weit ins Tal. Die Wassermassen sind fort, nur hier und da ist noch ein Tümpel zu sehen, in dem sich das Sonnenlicht spiegelt. Aber das Land bietet einen trostlosen Anblick. Nichts Grünes ist zu sehen. Bäume waren hier oben ohnehin nicht gewachsen, aber auch das niedrige Strauchwerk trägt kein Grün, weil es verschlammt ist. Überall hat sich Dreck abgelagert, den das Wasser von irgendwoher angeschwemmt hat. Auch Tierkadaver.
»Ich muss sagen«, murmelt Jafets Frau, »nach der langen Zeit im Dunkeln habe ich mir die Freiheit schöner vorgestellt.« Sie spricht leise, um Schwiegervater Noah nicht zu stören, der auf den Knien betet.
Ihr Mann meint: »Kein Holz zu sehen. Wenn wir uns eine Unterkunft bauen wollen, werden wir das Holz der Arche nehmen müssen.«
»Wir können ihr wohl nicht so schnell entfliehen«, knurrt Ham. »Oder wir nehmen Steine. Die scheint es hier reichlich zu geben. Auf, lasst uns Steine sammeln!«
Noah steht auf. »Die ersten Steine sammelt nicht für ein Haus!«
Die sieben anderen schauen ihn fragend an, bis er fortfährt: »Mit den ersten Steinen bauen wir einen Altar. Gott zu danken und ihn anzubeten, ist jetzt das Wichtigste und darum das Erste.«
»Da hast du sicher recht«, sagt Sem. »Aber vorher dürfen wir bestimmt die Tiere rauslassen. Die werden sich ebenso nach Freiheit und frischer Luft sehnen wie wir.«
Ham und Jafet beginnen die Planken hinunterzuklettern, um die große Klappe von außen zu öffnen.
»Schaut mal da hinüber!«, sagt Noah und zeigt nach Osten.
Was sie da sehen, verschlägt ihnen die Sprache. Die beiden jüngeren Männer kommen wieder hoch, um auch zu sehen, was es da zu bewundern gibt.
»Oh!«, »Ah!«, »Was ist denn das?«
Über den ganzen Himmel spannt sich ein halbkreisförmiger Bogen wie eine riesige Brücke. Er leuchtet in vielen Farben. Farben, die es am Boden auf der öden und verdreckten Landschaft gar nicht gibt.
»Das ist ein Zeichen Gottes«, sagt Noah.
»Ein Zeichen?« »Was für ein Zeichen?« »Wofür denn?«
Noah schaut lange zum Himmel und lächelt. Dann sagt er: »Gott verspricht, dass er ein solches Gericht nicht noch einmal auf die Erde schicken will, obwohl die Menschen auch weiterhin böse sein werden. Solange die Erde besteht, soll der Rhythmus von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören.«
Ham hat schon wieder eine lässige Bemerkung auf den Lippen, etwa: »Wie tröstlich!« Doch er schluckt die Worte herunter. In diesem Augenblick scheint es ihm unpassend. So schweigen alle acht und schauen staunend auf das Farbenspiel am Himmel in Form einer riesigen Brücke. Auf das Zeichen Gottes, der eine Brücke schlägt von jener Welt in diese. Von jener bunten, herrlichen Welt in diese böse und trostlose.
Das Lärmen der Tiere, die immer unruhiger werden, reißt sie aus ihren Gedanken. Und sie machen sich an die Arbeit.
(nach 1. Mose 8)
Da steht also der alte Patriarch Noah von seinen Knien auf, nachdem er tief bewegt und voller Dank gegen Gott auf dem neuen Altar ein Opfer gebracht hat. Der Mann ist zutiefst gottesfürchtig und weiß, wem er seine Rettung zu verdanken hat. Was für großartige Erfahrungen hat er gemacht!
Aber nun ist das große Abenteuer vorbei. Die Flut und seine Rettung aus dem Untergang alles Lebens waren der Höhepunkt seines bisherigen Weges. Sein Glaube hat sich großartig bewährt. Nun aber läuft das Leben in ruhigeren Bahnen. Dramatische Rettungen und ähnliche Wunder sind nicht mehr nötig. Und jetzt?
Eine Situation, die auch heute noch – wenngleich unter völlig anderen äußeren Umständen – manchen älteren Menschen umtreibt und die uns auch bei anderen Gestalten der Bibel begegnen wird. Die Hochphase ist vorbei. Was nun?
Noah pflanzt einen Weinberg, lesen wir. Er keltert Wein und betrinkt sich. Und als er völlig die Kontrolle über sich verloren hat, liegt er nackt in seinem Zelt. Ham findet ihn so und hat nichts Eiligeres zu tun, als den Brüdern davon zu berichten, statt die würdelose Situation des Vaters für sich zu behalten.
Die Brüder gehen in Noahs Zelt, rückwärts, ohne hinzusehen, und decken ihn wenigstens zu. Als Noah das alles später erfährt, nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen hat, spricht er einen Segen aus über Sem und Jafet und einen Fluch über Hams Sohn Kanaan.
Das ist das Ende des Berichtes über Noah. Und es macht deutlich: Das Böse ist mit der Sintflut nicht ausgerottet. Wobei das in Bezug auf Ham noch nicht einmal das Schrecklichste ist, sondern in Bezug auf Noah selbst.
Abgestürzt.
Ein Mensch hat einen großen Sieg errungen, eine Gefahr überwunden, eine bedrückende Angst hinter sich gelassen. Er atmet auf. Der gewaltige Adrenalinschub, der geholfen hat, die Krise zu überwinden, klingt ab. Und jetzt?
Es kann nicht nur im positiven Sinn beruhigend sein, wenn die Aufregung und Anspannung abflachen. Es kann auch als Verlust empfunden werden, wenn uns kein Adrenalin mehr aufputscht. Wir fallen emotional in ein tiefes Loch. Die großartige Idee, die wir hatten, bleibt zwar großartig, aber das Triumphgefühl bleibt nicht. Die Goldmedaille, die unter Musikklängen umgehängt wurde, landet in der Schrankschublade. Jeder Beifall, sei er noch so anhaltend und gar stehend, endet irgendwann.
Versetzen wir uns in die Lage dieses Mannes Noah. Die Krise, die er überstanden hat, konnte kaum größer sein. Im wahrsten Sinn des Wortes weltbewegend waren die Ereignisse. Die Menschheit geht unter, nur er mit seiner Sippe überlebt.
Dann fließt das Wasser ab so wie das Adrenalin in seinem Blut. Die Erde ist verwüstet, aber bald blüht wieder neues Leben. Zur Beruhigung trägt bei, dass ihm Gott sogar mit dem Zeichen des Regenbogens zusichert: Eine solche Katastrophe soll sich nicht wiederholen. In seinem ganzen Leben nicht.
Und dieses Leben soll noch dreihundertfünfzig Jahre dauern, so steht es am Ende von Kapitel neun.
Was soll er tun in dieser langen Zeit? Die Hochphase ist vorbei und nun beginnt die Endphase.
Es ist vermutlich keine Langeweile, die ihn quält, denn zu tun gibt es ja noch viel. Und er hat auch noch die Kraft, etwas zu tun, im Gegensatz zu manchem heutigen Rentner. Nein, Langeweile ist es nicht, aber eine gefühlsmäßige Leere. Keine Dramatik mehr, keine bewegenden Abenteuer, sondern nur Arbeit. Auch keine Herausforderungen mehr zu besonderem Gottvertrauen. Saat und Ernte und der ganze natürliche Rhythmus des Lebens sind ja fest zugesagt. Jeder Regenbogen erinnert ihn daran. Statt Glaubenswagnis ist »nur« noch Glaubenstreue gefragt. Vor ihm gähnt ein emotionales Loch.
Was tut er also? Was tun viele Männer in so einer Situation? Sie stürzen sich entweder in Arbeit oder in Alkohol.
Noah tut beides. Er legt einen Weinberg an und betrinkt sich. Der Alkohol ist ein Ausweg – oder besser: ein scheinbarer Ausweg aus emotionalen Löchern, den seitdem viele versucht haben.
Ach Noah, möchte man ihm zurufen, hast du nichts Sinnvolleres zu tun als dies? Gibt es nicht wichtigere Aufgaben in einer zerstörten Welt, als die Voraussetzungen für einen Rausch zu schaffen, der dir helfen soll, dich aus dieser Welt zurückzuziehen? Glaubst du, frommer Noah, der »mit Gott wandelte«, dass Gott auch mit dir in den Rausch wandelt?
Die Hochphase seines Schicksals war auch die Hochphase seines Glaubens. Und nachdem das Schicksal in ruhigere Bahnen gelenkt ist, »beruhigt« sich auch sein Glaube. Noah ist nicht mehr heiß, allerdings auch nicht kalt, sondern lau, wie es im Neuen Testament im Buch der Offenbarung heißt. Und ein lauer Glaube reicht nicht, um die innere Leere zu füllen.
Darum flüchtet er in den Rausch, da merkt er die Leere nicht. Der Alkohol hat die Eigenschaft, Gefühle, Enttäuschungen oder Versagensängste zu betäuben.
Und er hat die Eigenschaft, die ganze Persönlichkeit zu verändern.
Als Ham seinen Vater so würdelos vorfindet, den sonst so unbestritten anerkannten und geehrten Patriarchen, erzählt er es gleich weiter. Wie befriedigend es doch manchmal ist, wenn wir über andere etwas Schlechtes zu erzählen haben! Die Brüder versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen. Aber das gelingt kaum. Denn ihr Vater ist ja aus jeder Ordnung gefallen. Statt sich zu schämen, verflucht er Hams Sohn Kanaan. Statt seine eigene Schuld einzugestehen, sieht er nur die Schuld seines Sohnes. Ham wird bestraft, wo doch Noahs Schuld viel größer ist.
Ja, der Zorn Noahs ist so unbeherrscht, dass er sogar Hams Nachkommen unter Fluch stellt, die doch gar nichts dafür können. Das ist, als würde ein Mörder die Schuld an seiner Tat dem Polizisten aufbürden, der sie aufklärt und ihn festnimmt, und sich an dessen Familie rächen. Was für eine Wut beherrscht den alten Noah! Was für ein Egoismus, dass er andere bestraft für etwas, das mit seinem eigenen Fehlverhalten zu tun hat!
Hier hat die Loslösung von Gott, mit dem er früher so treu »gewandelt« war, eine Veränderung seiner Persönlichkeit bewirkt. Er fühlt sich in seiner Ehre gekränkt, die er doch selbst weggeworfen hat. Seine Wut wird unbeherrschbar. Er ärgert sich über andere, damit er sich nicht über sich selbst ärgern muss.
Was ist aus dem Mann geworden, den Gott ausgewählt hatte, das Gericht zu überleben, weil er eben nicht zu den vielen gehörte, deren »Dichten und Trachten böse war immerdar« (Kap. 6,5)? Was ist passiert, dass aus diesem vorbildlichen Mann so ein Egoist geworden ist? Dass er so abgestürzt ist?
Ist die Antwort auf diese Frage vielleicht: Noah hat eine Katastrophe überlebt und weiß nun nicht, wie er die Folgejahre, die letzte Lebensphase, emotional füllen soll? Ja, aber nicht nur.
Man kann auch eine solche Situation bewältigen, ohne den Halt zu verlieren. Den Anfang hat Noah ja gemacht. Er baute dem Herrn einen Altar und opferte und dankte. Dabei hätte er bleiben sollen. Dass er abstürzte – in seinem Verhalten und in seinem Wesen –, das war nur die Folge davon, dass er in seinem Glauben abstürzte.
Keiner von uns heutigen Menschen wird wohl etwas so Dramatisches erleben wie Noah. Seine Lage wäre heute allenfalls mit dem Überleben eines Atomkrieges zu vergleichen. Aber es muss nicht unbedingt etwas so Schreckliches sein, dass es uns gelingt, uns in Noahs Absturz wiederzufinden. Es geht auch »kleiner«. Kann einen erfolgreichen Menschen, der ein ereignisreiches Leben hinter sich hat und nun im Ruhestand ist, nicht auch so ein Gefühl der Leere überfallen? Ständig hat er unter Strom gestanden, aber der ist auf einmal abgeschaltet. Da kann man schon mal in sich zusammenfallen wie ein Luftballon, in den eine Nadel gestochen wird. Man hatte immer Ziele, die man zum Teil auch wirklich erreichen konnte, sodass man sich neue gesteckt hat. Aber nun hat man keine Ziele mehr. Da droht der Absturz.
Zumindest der emotionale. Aber wir wollen ja nicht nur von Gefühlen reden, sondern vom Glauben. Der hat zwar auch mit Gefühlen zu tun, aber bei Weitem nicht nur. Es geht um unsere Treue zu Gott, die sich nicht nur in Krisen bewähren soll, sondern auch und erst recht nach den Krisen in Ruhezeiten. Wir wollen nicht mit Wehmut zurückblicken, weil das Triumphgefühl der Siege fehlt, sondern mit Dank, weil Gott bewahrt hat.
Und es geht auch um den Blick nach vorn. Wir haben als Glaubende immer noch ein Ziel. Ja, wir sind ihm in der letzten Lebensphase näher als in der Hochphase unseres irdischen Lebens.
Noah hat vermutlich nichts von dem großartigen Ziel geahnt, das Gott für seine Leute vorgesehen hat, die ewige Gemeinschaft mit ihm, das nie endende »Wandeln mit Gott« in seiner Welt. Jedenfalls lesen wir am Anfang des Alten Testaments nichts davon. Wir wissen erst nach dem Kommen Jesu und durch das Evangelium des Neuen Testaments davon in einer Klarheit, die den alttestamentlichen Propheten noch unbekannt war.
So ist es verständlich, dass für Noah der Segen Gottes womöglich nur im Gelingen des Lebens auf dieser Erde bestand. Wenn es endete, sollte es ein erfülltes Leben gewesen sein – was wir durchaus verstehen können. Wer möchte nicht positive Spuren auf dieser Erde hinterlassen! Noahs Ende sollte das Erreichen eines Zieles sein.
Und wie war Noahs Ende?
Er starb. Punkt. Kein Fazit seines Lebens steht da. Keine Würdigung seiner Erfolge, seines dramatischen Weges. Er starb einfach irgendwann. Er war abgestürzt.
Gott bewahre uns vor solch einem Absturz! Vor dem Verlust des Glaubens nach dem Erfolg des Glaubens. Im Gegenteil, er lasse unseren Glauben wachsen und immer fester werden, je näher wir dem Ende kommen!
Immerhin ist Gott so gnädig, dass Noah im Neuen Testament (Hebr 11,7) wegen seines Glaubens gerühmt wird. Das ist bei Gott nicht vergessen.
Zu Petrus hat Jesus gesagt: »Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre« (Lk 22,32). Das können wir auch als ein Versprechen an uns nehmen, die wir ebenfalls Jesu Jünger und Gottes Kinder sind. Und seinen Regenbogen dürfen wir als Zeichen verstehen. Nicht nur dafür, dass er die Erde erhalten will, sondern auch für den Fortbestand unseres Glaubens.
Eckart zur Nieden
Eckart zur Nieden arbeitete nach seiner theologischen Ausbildung in einem Missionswerk und dann 35 Jahre beim Evangeliums-Rundfunk (ERF) in Wetzlar. Er schrieb viele Bücher für Kinder und Erwachsene.
Eine Echtheits-Überprüfung der Bewertungen hat vor deren Veröffentlichung nicht stattgefunden. Die Bewertungen könnten von Verbrauchern stammen, die die Ware oder Dienstleistung gar nicht erworben oder genutzt haben.