Es ist also kein Wettbewerb, was sehr befreiend ist! Wichtig ist, dass alle Läufer früher oder später das Ziel erreichen. Dort erwartet sie alle ein Siegeskranz.
Wir – Sie und ich – sind die Läufer. Es liegt eine Strecke vor uns, für die wir einen langen Atem brauchen. Das Wort »Wettlauf« in Vers 1 heißt im griechischen Text agon; hiervon ist das deutsche Wort »Agonie« abgeleitet. Das lässt tief blicken! Wir bekommen bei unserer Bekehrung kein Erste-Klasse-Ticket für eine luxuriöse Kreuzfahrt. Es ist nicht so, dass wir das Leben von einem komfortablen Sessel aus an uns vorbeiziehen sehen und uns alles, was wir meinen, nötig zu haben, direkt geliefert wird. Im Gegenteil, unsere Lebensreise erfordert Einsatz und Ausdauer und kostet uns oft Schweiß und Tränen. Manchmal gehen wir eine angenehme Wegstrecke, dann wieder stolpern wir über allerlei Hindernisse, gelegentlich auch über unsere eigenen Füße. Es gibt Zeiten, in denen wir gut vorankommen und voller Zuversicht sind, dann wieder ist es mühsam und wir sind nahe daran, den Mut zu verlieren. Dies ist der Kontext, in dem der Schreiber des Hebräerbriefes betont, dass wir beim Wettlauf des Lebens »jede Bürde und die uns so leicht umstrickende Sünde ablegen« sollen.
Bürde (Ballast)
Das griechische Wort ogkon für Bürde bezeichnet etwas, das zu viel wiegt und eine Last oder auch ein Hindernis darstellt. Damals bezeichnete ogkon zu viel Fleisch oder Fett, das durch das richtige Training abgebaut werden musste. Das Wort ablegen (apothemenoi) lässt an etwas denken, das man ausziehen kann, wie etwa ein Kleidungsstück, das bei einem Wettlauf hinderlich wäre.
Es soll beim Wettlauf des Lebens also einiges abgelegt werden. Wie finden wir aber heraus, was eigentlich Ballast ist? Nun, anders als beim Urlaubsgepäck, wo es sich um ein Zuviel an Kleidung, Spielsachen, Büchern oder Lebensmitteln handeln kann, geht es hier nicht um ein neutrales Zuviel, sondern um Dinge, die wir loswerden müssen, weil sie nicht gut für uns sind. Es ist unsichtbares Gepäck, das sich dadurch bemerkbar macht, dass es uns niederdrückt und belastet. Oft weisen uns negative Gefühle darauf hin, dass es in unserem Leben irgendwelchen Ballast gibt. Dass David nach seinem Ehebruch mit Batseba von Unruhe zerrissen wurde und sogar körperliche Beschwerden bekam, lag daran, dass er seine Sünde nicht vor Gott bekannt hatte und den Ballast der Schuld mit sich herumschleppte. Mirjams Kraft und ihr Dienst für Gott wurden beeinträchtigt, weil sie Unzufriedenheit und Kritik in ihrem Gepäck hatte. Petrus muss nach seinem Verrat an Jesus einen Rucksack voller Selbstvorwürfe auf den Schultern getragen haben, während die Samariterin aus Johannes 4 von Scham niedergedrückt wurde. Der reiche Jüngling schleppte einen Götzen mit sich herum: sein Geld. Dass es eine Bürde – Ballast – für ihn war, sehen wir an seinem Kummer. Noomi trug die Last der Bitterkeit, die aus altem, unverarbeitetem Schmerz resultierte. Marta war gereizt und unter Druck wegen des Stresses, den sie hatte. Ihr Ballast war der Druck der vielen Verpflichtungen. Rahels Ballast war ihr Kinderwunsch, der zu einem Anspruch geworden war, der sie beherrschte. Ich werde in den folgenden Kapiteln auf einige dieser Beispiele zurückkommen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass solcher Ballast eine perfekte Plattform ist, auf der Gottes Widersacher landen kann. Das tut er mit Begeisterung, denn er ist darauf aus, unseren Glauben zu untergraben und uns zugrunde zu richten (1. Petrus 5,8). Über die zusammengekrümmte Frau in Lukas 13 sagt Jesus, dass sie vom Satan gebunden war. Offenbar hatte er in ihrem Leben Fuß fassen können; sie wurde von ihm gequält und niedergedrückt. Das ging schon achtzehn Jahre lang so, aber dann griff Jesus ein. Er befreite sie und richtete sie auf. Als der Synagogenvorsteher etwas dagegen einzubringen hatte, widersprach Jesus seiner Kritik mit den Worten: »Sollte sie nicht von dieser Fessel gelöst (oder: befreit) werden?« (Vers 16).
Das Wunder, das an diesem Tag geschah, dieses Eingreifen von oben, brauchen wir heute noch genauso dringend wie die Menschen damals. Am Kreuz können wir unseren Ballast ablegen, dort können wir uns von unseren negativen Denkmustern und Verhaltensweisen abwenden, indem wir mit ihnen brechen, aber das können wir nicht mit unserer Willensanstrengung allein. Dazu brauchen wir die Hilfe unseres Herrn.
Sünde
Dass in Hebräer 12,1 beim Ablegen von Ballast die Sünde explizit genannt wird, ist nicht verwunderlich. Ich denke bei diesem Text oft an den Langlaufsport, den ich in den Jahren, in denen ich in Österreich gelebt habe, lieben lernte. Langlauf ist eine Sportart, die einem viel abverlangt und bei der alle Muskeln beansprucht werden. Bergauf, bergab und auf ebener Strecke trägt man sein eigenes Gewicht und sein Gepäck. Jeder Lang- läufer weiß: je weniger Gepäck, desto besser. Mit einem leichten Rucksack ist man besser im Gleichgewicht und hält länger durch. Man ist wendiger.
Zwar habe ich selbst meine Langlaufskier längst an den Nagel gehängt, ich möchte aber trotzdem beim Text im Hebräerbrief den Vergleich zum Langlauf ziehen. Die Sünde würde dem eigenen Übergewicht entsprechen. Es war mein Eigen-sinn, mein Eigen-dünkel, meine Eigen-mächtigkeit, kurz: mein eigenes Ich, das mich während meiner Touren oft in Schwierigkeiten gebracht hat. In diesem Licht betrachtet ist es auch bemerkenswert, dass das oben erwähnte griechische Wort ogkon (Gewicht oder Last) auch im übertragenen Sinn für Stolz gebraucht wird.
Beim Langlaufen meinte ich immer wieder, dass es viel reizvoller wäre, meine eigene Spur zu ziehen, als der Spur zu folgen, die für Langläufer präpariert worden war. Dass die Menschen, die diese Spuren vorbereitet hatten, die Gegend kannten wie ihre Westentasche und außerdem selbst geübte Skifahrer und Langläufer waren, diese Tatsache schob ich achtlos beiseite. Als die Spur in einen dunklen Wald führte, beschloss ich, lieber den sonnigen Abhang zu nehmen, und ich bog nonchalant von der markierten Loipe ab. Ich zog lieber meine eigene Spur, wobei ich früher oder später erkennen musste, dass ich mich entweder hoffnungslos verirrt hatte oder auf einem Terrain gelandet war, wo ich auf meinen schmalen Brettern die größten Schwierigkeiten hatte. Mehr als einmal bin ich stecken geblieben und mir blieb nichts anderes übrig, als auf meiner eigenen Spur umzukehren und den abgesteckten Weg zu nehmen, der mich durch Wälder hindurch, aber auch an frischen Bächen vorbei und sogar an einer Berghütte entlangführte, in der ich kurz einkehren und aufatmen konnte. So führt uns auch Gott; er fordert uns heraus, ohne uns zu überfordern, und schenkt uns Erquickung, Stärkung und Trost, wenn wir sie brauchen (vgl. Psalm 23,1-3). Wenn wir unser eigener Anführer sind und eine eigene Spur ziehen, gehen wir nicht selten in die Irre. Wenn wir im Gehorsam Gottes Spur folgen, kommen wir ans Ziel.
Rat für Läufer
Wenn wir die ersten drei Verse in Hebräer 12 betrachten, entdecken wir drei goldene Regeln, an die wir uns halten sollten, wenn wir beim Wettlauf des Lebens am Ziel ankommen wollen. Die ersten zwei sind: (1) Wir sollen darauf achten, dass wir »mit leichtem Gepäck laufen«. Ein vollgestopfter Rucksack wird uns nur aufhalten, darum sollen wir sortieren und alles Belastende ablegen. (2) Wir sollen darauf achten, dass wir die Sünde konsequent aus unserem Leben entfernen. Bei einem Wettlauf muss man in der Spur bleiben. Sünde bedeutet, dass wir die richtige Spur verlassen und das Ziel verfehlen. (3) Das Dritte, wozu wir aufgefordert werden, ist, dass wir hinschauen auf Jesus, »den Anfänger und Vollender des Glaubens«. Beachten wir diese Regeln nicht, dann gehen wir das Risiko ein zu erlahmen. Hebräer 12,3 spricht von einer seelischen Ermattung, Vers 12 spricht von »erschlafften Händen« und »gelähmten Knien«.
Jesus hat seinen Lauf auf dieser Erde nicht für sich, sondern für uns absolviert. Er hat keine Ehre für sich genommen, sondern sich kreuzigen lassen, womit er den höchsten Preis für unsere Freiheit bezahlt hat. Nun erwartet er von uns, dass wir treu und gehorsam in seiner Spur gehen. Dass wir sein Joch auf uns nehmen, so sagte er es seinen Jüngern (Matthäus 11,29). Mit diesem Joch-Bild sagte Jesus einerseits, dass Nachfolge Arbeit beinhaltet. Er sagte seinen Jüngern aber auch, dass sie nicht sich selbst überlassen waren. Ein Joch ist ja für zwei gemeint, es erleichtert die Arbeit und es gibt eine gewisse Zielsicherheit. Solange wir unter dem Joch Jesu bleiben, werden wir korrigiert und immer wieder in die richtige Richtung gelenkt. Die Sorgen, die uns unterwegs belasten, dürfen wir auf Jesus werfen (1. Petrus 5,7). .
Im Wandel mit Jesus werden wir hineingenommen in einen Prozess fortschreitender Befreiung. Wenn wir zu ihm kommen, werden wir Ruhe finden. Ein Zuhause für unser unruhiges oder rastloses Herz, Heilung für unsere Gebrechlichkeit und Niedergeschlagenheit. Vergebung für unsere Sünden, Kraft und Mut anstelle von Unsicherheit und Angst. Jesus will uns aufrichten und beflügeln. Er will uns »leichtfüßig« machen. Er will uns Frieden und Freude schenken. Das … ist LEBEN!
Lasst uns mit Ausdauer den Wettlauf laufen und alles, was uns dabei beschwert und hindert, ablegen. Lasst uns mit Glauben und Vertrauen den Wettlauf laufen und vor Augen halten, dass nicht die Zeit gestoppt wird, wenn wir – früher oder später – ans Ziel kommen. Kinder Gottes werden im Ziel mit Freude begrüßt und in Empfang genommen.
»Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein« (Johannes 8,36).