Jerusalem, Februar 1948: So hat sich David die Hochzeitsreise mit Ellie nicht vorgestellt. Von höchster Stelle erhält er den gefährlichen Auftrag, im Ausland ausrangierte, noch fahrtüchtige Flugzeuge zu kaufen und Piloten anzuheuern, um den lang ersehnten Staat Israel verteidigen zu können. Eine Mission, die Ellie und ihn einen hohen Preis kosten könnte!
Derweil werden die Lebensmittelvorräte in der Altstadt von Jerusalem immer knapper, weil die Briten kaum noch Hilfskonvois in die Stadt lassen. Gleichzeitig steigt die Angst der Bewohner vor einem Angriff der Araber, sobald sich die ungeliebten Besatzer aus Palästina zurückziehen. Mosche engagiert sich mit Leib und Seele im Kampf um die Altstadt. Doch wird sich Rachels Gebet »Dieses Jahr in Jerusalem« tatsächlich erfüllen?
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Prolog
Jerusalem - Tempelberg - Der neunte Tag des Ab, 70 n. Chr.
Anaias wusste genau, dass es keine Hoffnung mehr auf ein Entrinnen gab. Es war zwar noch Vormittag, aber der dichte Rauch, der den Himmel verdeckte, hüllte alles in Dunkelheit und verbarg die endgültige Zerstörung des Tempels vor den trauernden Augen des Himmels.
Der achtzehnjährige Anaias war, wie zahlreiche andere jüdische Pilger, die aus allen Teilen der Welt zusammengeströmt waren, nach Jerusalem gezogen, um in eben diesem Tempel das Passahfest zu feiern. Der junge Mann war zwar erst das zweite Mal in Jerusalem, aber er wusste, dass es das letzte Mal war. Es ging das Gerücht um, dass mehr als hunderttausend Menschen bei der Belagerung den Tod gefunden hätten.
Die Täler rings um die Stadt quollen über vor Toten und der Gestank, der von den in der Sommerhitze verwesenden Leichen aufstieg, war unerträglich geworden. Und nun war selbst der Tempelplatz, die letzte Zuflucht der Juden vor den Legionen des römischen Kaisers Titus, übersät von Toten und Menschen, die ebenfalls bald den Tod finden würden.
Anaias lehnte sich gegen eine Säule im Vorhof der Priester und dachte daran, mit welcher Begeisterung er vor sechs Monaten den Tempel betrachtet hatte. In Weiß und Gold glitzernd hatte er in der Morgendämmerung wie die Kuppe eines schneebedeckten Berges ausgesehen. Als ihn die Morgensonne dann in ihr erstes Licht getaucht hatte, da hatte Anaias seine Augen von der gleißenden Helligkeit dieses heiligen Gebäudes abwenden müssen. Mit geschorenem Kopf und beseelt von seinem Gelübde, war er mit klopfendem Herz durch die großen korinthischen Tore gegangen, um sein Dankopfer darzubringen und sich auf das Passahfest vorzubereiten. Aber all das schien in unvorstellbar fernen Zeiten gewesen zu sein.
Danach hatten sich die jüdischen Rebellen, von den Römern verfolgt, in die Stadt zurückgezogen und sich hinter den schweren Toren verbarrikadiert. Anaias schloss vor Grauen die Augen, als die Erinnerung daran in ihm wieder wach wurde. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, seinen Mantel zu holen, geschweige denn, sich in den umliegenden Hügeln zu verstecken. Dann war die Stadt langsam gestorben.
Die Kampfgruppen von Johannes und Simon waren nicht in der Lage gewesen, die tosende Flutwelle des römischen Zorns zurückzuhalten, und die Menschen, die aus der Stadt geflohen waren, um die Römer um Gnade zu bitten, waren gekreuzigt oder aufgeschlitzt worden, weil die Soldaten Goldstücke oder Juwelen in ihrem Inneren vermuteten.
Unter den Zurückgebliebenen hatte eine furchtbare Hungersnot gewütet und die Menschen solange zu Tausenden niedergemäht, bis schließlich die Stadtmauer der Wucht des feindlichen Ansturms nicht mehr standgehalten hatte. Und nun wusste Anaias, dass dies der letzte Tag war, dass nun auch der Tempel fallen würde. Vor sechs Tagen hatte er sich den letzten Überlebenden angeschlossen, die sich im Vorhof der Priester verschanzt hatten. Acht starke Männer waren nötig gewesen, um die hölzernen Tore zu schließen, die den Hof schützten. Aber nun leckte das von den römischen Legionären gelegte Feuer an dem Gold, das Anaias noch vor einem halben Jahr geblendet hatte. Geschmolzenes Metall rann an den Toren hinunter und entzündete das darunter liegende Holz zu roter Glut. Und der Wind wirbelte die Funken so hoch in die Luft, dass nun auch der Tempel selbst bedroht war.
Die jüdischen Soldaten, die noch die Kraft hatten, ein Schwert zu tragen, gingen zwischen den Überlebenden einher, um deren Leben ein Ende zu setzen, bevor die Tore zu Asche zerfielen und die Römer den Hof stürmten. Immer wieder winkte jemand mit kraftloser Hand einen Soldaten herbei und bat ihn um einen schnellen Tod. Denn nicht nur Anaias wusste, dass die Römer die wenigen, die das Gemetzel überlebten, verschleppen würden, um sie für ihre grausamen Spiele zu benutzen. Die letzten Überlebenden ganzer Familien von frohen Pilgern boten daher nun ihren Hals dem Schwert dar und legten sich Seite an Seite zum Sterben nieder.
Eine tödliche Stille hatte sich über den Tempel gelegt.
Unter seinem Umhang trug Anaias ein kleines silbernes Kästchen. Darin lag der Tallith, den ihm sein Vater vor der Reise geschenkt hatte. Ein bitterer Zug trat auf seine Lippen, als er an seine Eltern in Antiochia dachte. Würden auch sie durch die Hände der römischen Eroberer umkommen? Wie es auch kommen mag, dachte er schweren Herzens, wenn es so sein soll, dann werden wir zumindest gemeinsam vor unserem Heiland stehen. Und es geschieht hier nichts, was er nicht vorausgesagt hat. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich selbst bei der Zerstörung des Tempels dabei sein würde.
»Es brennt!«, schrie plötzlich ein Soldat vom Portikus her und deutete zum Dach des Tempels. »Der Tempel brennt!« Mit den Augen folgte Anaias dem ausgestreckten Schwert des Soldaten und sah winzige Flammen auf dem Dach der heiligen Stätte züngeln. Eine der noch lebenden Frauen stieß einen hohen, schrillen Klageschrei aus, dem sich auch die anderen Sterbenden anschlossen, sodass es schien, als steige ein einziger Schrei mit dem Rauch gen Himmel.
»Mein Gott!«, weinte Anaias, der das sichere Gefühl hatte, das Ende der Welt mitanzusehen. »Wir sind ja alle bereit zu sterben, aber lass unsere Heilige Stätte nicht untergehen! Komm und mach unserem Elend ein Ende, Herr!«, flehte er so laut, dass er die Schreie und Rufe der anderen übertönte. Tatsächlich richteten einige ihren Blick zum rauchgeschwärzten Himmel, als erwarteten sie von dort das Erscheinen des Messias. Aber der Himmel hüllte sich in Schweigen.
Das Inferno um sie herum loderte immer stärker und der dicke Qualm, der sich auf sie herabsenkte, nahm selbst den Kräftigsten die Luft. Anaias fühlte, wie ihm die Sinne vor der Unausweichlichkeit des Todes zu schwinden begannen. »Vater!«, rief er aus. »Ich habe noch nicht in meinem neuen Tallith gebetet. Er wird heute mein Leichentuch werden. Aber das wäre er auch geworden, wenn ich nach einem langen, erfüllten Leben gestorben wäre!« Das Kästchen fiel klappernd zu Boden, es sprang auf und das feine weiße Gebetstuch entfaltete sich zu seinen Füßen. Mühsam stützte sich Anaias an der Säule ab, hob es wieder auf und hielt es hoch über seinen Kopf, sodass es im Wind flatterte. Hier war das letzte Reine in der Stadt. Sein strahlendes Weiß hob sich wie ein Banner der Hoffnung von der rauchgeschwärzten Umgebung ab. Seine Borte in hellem Davidsblau erinnerte ihn daran, dass es trotz allem einen Himmel über ihnen gab und Gott auf seinem Thron regierte.
»Aber ich habe keinen Anteil daran!«, schrie er, von Zweifeln gequält. »Und heute stirbt das Haus Israel zusammen mit mir!« Heftig weinend barg er sein Gesicht im Geschenk seines Vaters. Das Stöhnen der Sterbenden nahm er nur wie aus weiter Ferne wahr. Sorgfältig legte er sich das Gebetstuch über die linke Schulter. »Höre, o Israel, der Ewige, unser Gott, ist einzig.« Dann schlang er es über seinen Rücken und verhüllte seinen Kopf mit dem Rest des Talliths. Die Augen fest auf die großen Tore gerichtet, die zum Allerheiligsten und zum Altar selbst führten, bahnte er sich Schritt für Schritt, mit wehendem Tallith, wie eine weiße Engelsgestalt, seinen Weg über die Leichen hinweg. Die Sterbenden schrien bei seinem Anblick auf. Als Anaias die vierzehn Stufen zu dem Tisch der Schaubrote und zu der goldenen Menorah hinaufstieg, rief ein Soldat mit einem blutigen Schwert in der Hand nach ihm und wollte ihn zur Rede stellen: »Halt! Wo willst du hin?«
Doch Anaias ging wortlos weiter, während hinter ihm die Flammen röhrend ihren Sieg über das korinthische Tor verkündeten. Dann fielen die riesigen Balken in sich zusammen, Funken stoben auf und wurden vom Wind davongetragen. Über die gepflasterten Straßen rannen Ströme flüssigen Metalls. Mühsam schleppte sich Anaias bis zur obersten Stufe. Dort sah er sich um. In der glühenden Hitze, die von dem brennenden Tor ausströmte, standen römische Soldaten - in Rüstung, mit Schwertern und stoßbereiten Lanzen - und warteten auf das letzte Gemetzel. »Wie schnell waren diese Tore geschlossen und die römischen Legionen haben sechs Monate gebraucht, um sie wieder zu öffnen«, murmelte Anaias vor sich hin.
Er starrte die Männer, die sein Schicksal besiegeln würden, noch einen Moment lang an. Dann ging er auf das Tor zum Allerheiligsten zu. Als er den Raum betrat, verriet sein Gang, dass er an innerer Sicherheit gewonnen hatte. Er sah die Gruppen goldener Trauben, die in Mannesgröße von der Decke hingen, und Vorhänge aus Gold, Purpur und Azurblau, deren miteinander verschmelzende Farben Himmel, Erde und Meer symbolisierten.
Anaias zog seinen Tallith enger um den Kopf und ging, während der Lärm der letzten Schlacht vom Hof hereinschallte, um den ersten Vorhang herum. Zu seiner Rechten befand sich der goldene Tisch, auf dem das Schaubrot gestanden hatte, nicht weit davon entfernt die riesige Menorah, der Leuchter, der vor dem Allerheiligsten brannte. Genau gegenüber stand ein Tisch, auf dem die Rauchopfer dargebracht worden waren. Anaias atmete tief den Zimtgeruch ein, der hier viele Jahre lang aufgestiegen war. Und vor ihm befand sich der Altar, der durch den purpurnen Vorhang vom Allerheiligsten getrennt war. Ein Gefühl der Ehrfurcht durchströmte Anaias. Er lächelte trotz der Schreie, die von draußen zu hören waren. Hier - im Herzen des Tempels - war Frieden. Anaias wusste allerdings sehr wohl, dass Gott nicht mehr an diesem Ort weilte, aber er wusste auch, dass er hier früher einmal seine Heimstatt gehabt hatte.
Während der junge Mann sich langsam um sich selbst drehte und die Schönheit des verbotenen Raumes in sich aufnahm, vernahm er klirrende Schritte auf der Außentreppe und raue fremdländische Stimmen im Vestibül auf der anderen Seite des Vorhangs. Er atmete heftig. Sein junges Herz schrie danach zu leben, obwohl schon so lange keine Hoffnung mehr bestand.
Er umklammerte heftig den Rand seines Talliths und wünschte, dass er noch seine Gebetsriemen besäße, die er sonst immer zum Beten um Arme und Stirn gewunden hatte. Aber schon vor Monaten hatte er sie verkauft, um sich Lebensmittel zu beschaffen. Er trat an den Altar und legte seine Hände darauf. »Oh, Herr!«, schrie er. »Ich kann dir kein anderes Opfer darbringen als den Dank für den Einen, den du für mich hingegeben hast! Nimm mein Leben! Nimm meine Seele! Ich flehe dich an!«
»Wer ist dahinten?«, rief eine harte Stimme. »Da ist ein Jude! Los, den holen wir uns!«
Anaias neigte den Kopf und sank vor dem Altar auf die Knie, während sich der Vorhang hinter ihm teilte und römische Schwerter sichtbar wurden. Er war nach Zion gekommen, um zu beten und zu danken. Zu guter Letzt war seine Reise also doch nicht vergeblich gewesen. Während er die Kühle des Altars und die Weichheit seines Talliths spürte, wurde dieser ihm zum Leichentuch.
1. Kontrollpunkt
3. Februar 1948
Ein strahlend blauer Himmel wölbte sich über Jerusalem. Vor zwei Tagen hatte der Wind auf Südost gedreht und warme Luft aus der riesigen Negev-Wüste mitgebracht. Sie hatte den gefrorenen Boden aufgetaut und den frierenden Wachtposten der Haganah Erleichterung gebracht. Heute, am dritten Februar, standen sie sogar in Hemdsärmeln an den Kontrollpunkten, die die Jewish Agency sicherten. Sie streckten sich wohlig in der spätnachmittäglichen Sonne und unterbrachen ihre heiteren Gespräche nur ab und zu, um Pässe und Papiere zu kontrollieren oder die klapprigen Wagen der Agency mit einem Handzeichen an den Wällen aus Sandsäcken und Stacheldrahtverhauen vorbeizuwinken.
Obwohl zumindest theoretisch die gesamte King George Avenue zum jüdischen Teil Jerusalems gehörte, war es jedoch praktisch so, dass es in der ganzen Stadt kein Fleckchen gab, das vor den arabischen Terroristen und Bombenlegern sicher war. Diese hatten sich raffinierte Wege ausgedacht, um die jüdischen Sperren zu überwinden und ihren selbst gemachten Sprengstoff als Visitenkarte zu hinterlassen. Daher waren jetzt nur noch Diplomaten von einer gewissenhaften Durchsuchung durch die jüdischen Wachtposten befreit, von denen viele noch vor Kurzem Ladenbesitzer, Taxifahrer oder Studenten der Hebräischen Universität gewesen waren. Ganz Jerusalem war in ein Schlachtfeld verwandelt und jeder Jude – ob Mann, Frau oder Kind - hatte den Auftrag, die heilige Stadt gegen die überlegenen muslimischen Kampftruppen Haj Amin Husseinis zu verteidigen.
Vor einem der Kontrollpunkte standen zwei olivgrüne Wagen der Jewish Agency, die einen ramponierten Eindruck machten, das Ergebnis zehnjährigen Gebrauchs unter widrigen Bedingungen. Vor dem Krieg zur privaten Nutzung durch einen britischen Offizier nach Palästina gebracht, hatte man sie dann auch während der Verdunkelungszeiten eingesetzt, die angeordnet worden waren, als die deutschen Truppen Palästina bedrohten. Die Kotflügel der Wagen hatten dabei Kratzer und Schäden von engen Begegnungen in der Schlucht von Bab el Wad davongetragen. Die Bremsen quietschten wie ungebärdige Kinder und die Gänge kratzten und krachten bei jedem Schalten. Zu guter Letzt waren die Wagen von den Engländern abgestoßen und für einen Schrottplatz in der Nähe des Bahnhofs bestimmt worden, wo alle ausgemusterten britischen Armeebestände aus dem Hafen von Haifa abgeladen wurden. Von zwei erfinderischen jüdischen Mechanikern gerettet, wurden die Autoruinen schließlich zu den beiden wichtigsten Fahrzeugen im Wagenpark der Jewish Agency.
Nun schützten Panzerplatten die Karosserie und so wirkten sie wie Käfer aus der Urzeit, wenn sie über die Hügel Jerusalems krochen. An diesem Tag heizte die Sonne das Innere so stark auf, dass sich die Fahrer den Schweiß von der Stirn wischten und ihre Hemdkragen aufknöpften. Beide Männer warteten voller Ungeduld darauf, dass die vor ihnen stehenden Wagen endlich die Reihe der Zivilgardisten passieren konnten, die ausgiebig mit den Reisenden und den Fahrern schwatzten.
Das Ziel der beiden Wagen war der jüdische Stadtteil Rehavia, der gleich hinter der King George Avenue und der Ramban Street begann. Die Strecke war also kaum mehr als anderthalb Kilometer lang, würde aber wahrscheinlich mindestens eine halbe Stunde in Anspruch nehmen.
Johann Pelz, der Chauffeur des ersten Fahrzeugs, starrte mürrisch und gelangweilt vom langen Warten bei der Abfertigung auf das Lenkrad seines Wagens. Da wo eigentlich die Hupe sein sollte, waren aufgrund der langen und wechselhaften Geschichte nur noch zwei Drahtenden zu sehen. Ärgerlich schnaufend hupte er, indem er die beiden Drahtenden mehrmals kurz aneinanderhielt, und stellte dann mit zufriedenem Lächeln fest, dass er die Aufmerksamkeit der Gardisten an der Barrikade auf sich gelenkt hatte. Doch nach einem erstaunten, gereizten Blick in seine Richtung nahmen diese ihre Unterhaltung mit der stattlichen Dame wieder auf, die am Steuer des ersten der drei Wagen vor ihm saß. Johann machte seiner Wut über das hartnäckige Hindernis Luft, indem er die beiden Drahtenden ein zweites Mal aneinanderhielt. Wenn er nur morsen könnte, dann würde er denen da vorn schon was erzählen!
Nun waren die Männer an der Barrikade erst recht nicht gewillt, ihm Beachtung zu schenken. Sie ließen zwar den ersten Wagen durch, jedoch nur, um den Fahrer des nächsten Wagens in aller Ruhe um eine Zigarette und Feuer zu bitten.
Erbost nahm Johann unter dem Ächzen des Getriebes den Gang heraus und zog die wenig vertrauenswürdige Handbremse an. Dann sprang er aus dem Wagen, schüttelte drohend die Faust in der Luft und rief: »Es geht um die Agency, ihr Schmucks! Ihr Schlimel! Ihr idiotischen Mamzer! Eine offizielle Angelegenheit der Jewish Agency! Lasst uns durch!«
Nun bekamen die Wachtposten rote Köpfe, kontrollierten dienstbeflissen die Papiere der Wagen vor ihm und knieten sich eilig hin, um deren Unterboden zu inspizieren. Als Johann die Drahtenden noch einmal aneinanderhielt, eilten zwei hagere, gewissenhaft aussehende junge Männer von der anderen Seite der Sandsackbarrikade herbei, um Johanns Wagen zu überprüfen.
»Papiere!«, meinte der größere der beiden kurz angebunden.
Mürrisch zeigte Johann seinen Ausweis, doch nur so lange, dass der junge Mann ihn eben überfliegen konnte. »Offizielle Angelegenheit«, wiederholte er.
»Wollen Sie durch arabisches Gebiet fahren? Dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass dort wieder Gewalttaten verübt werden. Habe gerade vor einer Stunde einen Bericht erhalten. Das Wetter gefällt nicht nur den Schmetterlingen, sondern auch den Hornissen, nicht wahr?«
»Wir fahren nur bis Rehavia und wieder zurück. Und wir sind in Eile. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht ...«
Der zweite Wachtposten schaute unter den Wagen und auf den Rücksitz. Autobomben waren inzwischen ein bevorzugtes Mittel der Spießgesellen des Muftis geworden und Papiere konnte man fälschen. Dieser Bursche hatte es den Wachtposten etwas zu eilig.
»Rehavia!«, rief der Posten aus. »Eine offizielle Angelegenheit, sagen Sie? Das sind ja nur ein paar Hundert Meter. Da hätten Sie auch zu Fuß gehen können. Schön genug ist der Tag dafür.«
»Was geht Sie das an?«, schrie Johann.
»Ihre Schlüssel, bitte!« Der Posten blieb unerbittlich und war ernst geworden. Plötzlicher Argwohn hatte ihn ergriffen.
»Verdammt! Verdammt noch mal!«, kochte Johann. Er ergriff den abgenutzten Lederbeutel, der neben ihm lag, und wedelte dem Wächter damit unter der Nase herum. »Ich sagte, eine offizielle Angelegenheit! Eine Nachricht vom Chef! Von Ben-Gurion persönlich!«
»Wir haben Befehl, den Kofferraum eines jeden verdächtigen Wagens zu durchsuchen - auf Sprengstoff«, beharrte der Wachtposten und hielt Johann unbeirrt seine offene Hand hin.
Im Rückspiegel sah Johann, wie sein Kumpan Dan hinter dem Steuer des zweiten Wagens der Agency hervorkletterte. Sein Gesicht spiegelte deutlich seine Verdrossenheit über das bürokratische Verhalten dieser Halbtagsmiliz wider.
»Was ist denn los?« Er zündete sich betont gelassen eine Zigarette an und schlenderte gemächlich zu dem blockierten Fahrzeug.
»Dieser Mamzer will meine Schlüssel!«, rief ihm Johann entgegen. »Dann gib dem Mamzer doch deine Schlüssel«, erwiderte Dan lakonisch, während er sich an das Auto lehnte.
Zwei Wächter, die mit dem Wagen vor Johann beschäftigt waren, sahen auf und kamen mit düsterer Miene auf ihn zu.
Dieser zog den Zündschlüssel ab, warf ihn einem der jungen Männer vor die Füße und rief: »Wer hat hier das Kommando? Wir haben eine dringende Nachricht für Professor Howard Moniger von der Amerikanischen Schule für Orientforschung! Von Ben-Gurion persönlich! Diese Verzögerung ist - ist -« in seiner Erregung fing er an zu stottern, »ich verlange, dass Sie mir Ihre Namen nennen! Wir haben hier zwanzig Minuten gestanden und mitansehen müssen, wie Sie sich in der Sonne aalen und quatschen! Ich verlange, dass Sie mir Ihre Namen nennen!«
»Die Papiere, bitte!«, meinte seufzend einer der jungen Wachtposten, der allem Anschein nach den Oberbefehl hatte. »Also los, Philip! Du durchsuchst das Wageninnere!«, wies er seinen jungen Kameraden an. »So lautet der Tagesbefehl, egal, wie rot dieser Bursche im Gesicht ist.« Dann wandte er seinen Blick dem erregten Fahrer zu. »Was haben Sie bitte in Rehavia zu tun?«
»Wir sollen dort jemanden abholen«, unterbrach Dan mit ruhiger Stimme. »Auf Befehl Ben-Gurions. Ich finde es gut, dass ihr eure Pflicht tut, aber wir hinken schon ein bisschen hinter unserem Zeitplan her. Hier«, er übergab dem Kommandeur der Gruppe seine Schlüssel -, »aber beeilen Sie sich ein bisschen, ja?« Er lächelte und tat noch einen langen Zug an seiner Zigarette, bevor er sie auf den Boden warf und mit dem Fuß zertrat.
»Tun nur unsere Pflicht. Es ist nämlich in letzter Zeit zu viel durchgeschmuggelt worden«, meinte der Wachtposten entschuldigend, während er die Schlüssel an den rangniedrigeren Soldaten weitergab.
Dan lächelte wohlwollend. »Natürlich.« Er tätschelte den immer noch erregten Johann beruhigend durch das Wagenfenster. »Ruhig Blut, Johann. Sie tun ja nur ihre Pflicht. Genauso wie wir, nicht wahr?«
»Wir werden zu spät kommen und Ärger mit dem Chef kriegen. Nur weil die sich in der Sonne fläzen, kommen wir zu spät!«
»Es lässt sich nun mal nicht leugnen, dass wir Krieg haben«, meinte der junge Kommandeur mit unverkennbar britischem Akzent. »Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.«
»Sie sagen, man kann nicht vorsichtig genug sein?«, ereiferte sich Johann, während auf der anderen Seite der Barrikade majestätisch die lange, schnittige Limousine des amerikanischen Konsulats vorfuhr. Die kleinen amerikanischen Standarten flatterten lebhaft auf den Kotflügeln. »Und was ist mit denen da?«, fuhr Johann mit einer ausholenden Armbewegung zu der Limousine fort, während der arabische Chauffeur nur kurz die Bremsen antippte und der amerikanische Diplomat auf dem Rücksitz lächelte.
»Die sind auf dem Weg zur Agency«, erklärte der Wachtposten in einem Tonfall, als ob jeder weitere Kommentar lächerlich sei.
»Ach ja? Aber wir fahren sogar Fahrzeuge der Agency! Wir kommen von der Agency, du Schmuck! Und uns haltet ihr auf, während ihr einen amerikanischen Wagen mit einem arabischen Chauffeur einfach durchfahren lasst!« Er bekam vor Staunen große Augen, als der Wagen unter dem heiteren Winken des amerikanischen Diplomaten tatsächlich unbehelligt davonglitt.
»Wir führen nur Befehle aus!«, meinte der junge Wachtposten barsch. »Wenn Sie daran etwas auszusetzen haben, machen Sie das mit Ben-Gurion aus! Uns ist bereits heute Morgen ein Besuch von der amerikanischen Botschaft angekündigt worden. Es heißt, der Chauffeur arbeitet schon so lange für die Amerikaner, dass er praktisch Amerikaner ist! Sie dagegen - von Ihnen hat uns niemand etwas mitgeteilt. Und meiner Meinung nach benehmen Sie sich außerdem ziemlich auffällig.«
Johann schlug sich ernüchtert mit der Hand gegen die Stirn. »Seit acht Jahren bin ich nun bei der Agency!«, erklärte er. »Aber Sie habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Oj, Gewalt! Wie lange sind Sie schon als Wachtposten eingesetzt?«
»Seit letztem Schabbat! Und wir führen nur Befehle aus.«
»Nun, das erklärt vieles. Ich bin diesen Weg seit vier Tagen nicht mehr gefahren.«
»Reg’ dich jetzt bitte nicht auf, Johann«, ermahnte ihn Dan, bevor er zu seinem Wagen zurückging.
Johann nickte grollend und schwieg, während einer der Wächter die Kofferraumklappe zuschlug und ihm die Schlüssel in den Schoß warf. »Für meine Begriffe übertreiben die’s einfach«, murmelte Johann, während er den Motor anließ. »Auch unsere eigenen Leute.«
Dann winkten die vier Soldaten sie vorbei, als sei einer allein dafür nicht ausreichend. »Schalom, Leute!«
Noch zweimal wurden die klapprigen Fahrzeuge angehalten. Johann nahm sich den Rat seines Kameraden zu Herzen, schaltete nun gleich den Motor aus, hielt die Schlüssel baumelnd aus dem Fenster und hüllte sich in Schweigen, bis der Wagen von den unbewaffneten Leuten an den Barrikaden inspiziert worden war. Das Kinn auf die Hände gestützt, starrte er untröstlich auf den Lederbeutel, der auf dem Sitz neben ihm lag. Es ist dringend! hatte Ben-Gurion gesagt. Sehen Sie zu, dass Sie das dem Professor möglichst schnell und persönlich übergeben! Dann laden Sie alle in den Wagen: Rabbi Lebowitz, seinen Enkel Jakov, David Meyer und die Journalistin Ellie Warne. Sie kann etwas für die amerikanische Presse daraus machen! Johann schaute auf seine Armbanduhr und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad, während der Kofferraum zum dritten Mal geöffnet wurde. Er konnte sich kaum enthalten, die Drahtenden noch einmal aneinanderzuhalten, aber er beherrschte sich. In dieser Zeit waren alle gereizt. Es hatte keinen Sinn, sich von seinen strapazierten Nerven unterkriegen zu lassen und so die Sache noch mehr zu verzögern. Immer ruhig bleiben, Johann, sagte er zu sich selbst.
* * *
Ein Mobile aus gebrochenen Keramikstücken klapperte geräuschvoll an die Fensterscheibe von Ellies Zimmer. Dazu erklang, ernst und unregelmäßig, das Ticken ihres alten grünen Weckers, als wolle er sie daran erinnern, dass es beinahe schon vier Uhr nachmittags war und sie immer noch kein vernünftiges Wort zu Papier gebracht hatte.
Das Kinn in die Hand gestützt saß Ellie über die altersschwache Schreibmaschine gebeugt und starrte trübsinnig mal auf das Blatt Papier, das in der Maschine eingespannt war, und dann wieder auf die warme, ungeöffnete Flasche Coca-Cola, die danebenstand.
Nachdem die Hausgemeinschaft wochenlang von Linsensuppe und dünnem Tee gelebt hatte, hatte Ellie einmal erwähnt, sie sehne sich nach einem Hamburger mit Zwiebeln und Pommes und einem Sechserpaket Coca-Cola ganz für sich allein. Als David dann letzte Nacht um drei Uhr von einem Noteinsatz nach Haifa wieder in Jerusalem gelandet war, hatte er die Cola triumphierend aus seinemRucksack geholt und gerufen: »Hamburger mit Zwiebeln und Pommes und eine Cola! Hier sind die Pommes. Hier die Zwiebeln. Und da der Hamburger. Du musst dich leider mit der letzten Cola in ganz Palästina begnügen, Schatz!« Dann war er ins Bett gefallen, um drei Nächte Schlaf nachzuholen.
Nun betrachtete Ellie schuldbewusst ihren Schatz. Auf dem arabischen Schwarzmarkt bekäme sie dafür zwei Hähnchen und ein halbes Dutzend Eier. Aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sich vielleicht einer von Leuten des Mufti über ihre Cola hermachen würde. Nicht einmal um den Preis, dass sie auf diese Weise zwei Hühnchen in den Kochtopf bekämen.
Die Flasche stand immer noch genauso unberührt da wie die Schreibmaschine. Denn Ellie wollte die Cola erst trinken, wenn sie den Artikel beendet hatte, der zusammen mit ihren Aufnahmen vom Überlebenskampf der Juden in die Redaktion des LIFE-Magazins in den Staaten geschickt werden sollte. Die einzige Schwierigkeit war, dass sie keinen Einstieg fand, um die Ereignisse hier in Jerusalem zu schildern.
An der Uni in Los Angeles hatte sie nur so viele Vorlesungen über Journalismus belegt, wie zur Ausbildung als Fotojournalistin nötig war. Und Schreiben war nicht gerade ihre Stärke. Ihre fotografischen Fähigkeiten dagegen waren inzwischen allgemein anerkannt und erfreuten sich einer regen Nachfrage. So waren ihre Aufnahmen von den Kämpfen zwischen Juden und Arabern hier in Palästina in den letzten zwei Monaten groß im LIFE-Magazin herausgebracht worden.
Die sommersprossige junge Studentin, die vorher für ihren Onkel an archäologischen Ausgrabungsstellen Aufnahmen von alten Tontöpfen gemacht hatte, gehörte seit zwei Monaten zum Fototeam dieser Zeitschrift. Vor drei Tagen war dann plötzlich die Nachricht eingetroffen, dass der Korrespondent der Zeitschrift in der Nähe von Tel Aviv verwundet worden war.
»Bitte Lücke füllen bis Ersatz eintrifft STOP Erbitten Text, ungefähr 1.500 Wörter, mit Fotos STOP Stu Mebane Redakteur STOP.«
Seitdem war sie immer wieder auf und ab gegangen und hatte grübelnd aus dem Fenster auf die kahlen, windgebeugten jungen Bäume gestarrt, die die Straße säumten. Zweimal war sie mit David über das belagerte jüdische Viertel der Altstadt geflogen, um medizinisches Versorgungsmaterial abzuwerfen. Einmal hatte sie flüchtig gesehen, wie Rachel und Mosche ihnen zuwinkten.
Die beiden lebten nur ein paar Hundert Meter von der Stelle entfernt, an der sie jetzt saß, und doch waren sie so weit weg, als wären sie in einem anderen Jahrhundert oder in einer anderen Welt. – »Womit soll ich nur anfangen?«, fragte sich Ellie laut, um ihre Gedanken in Schwung zu bringen. Sie seufzte schwer, denn sie hatte das Gefühl, dass die Cola-Flasche wohl nie geöffnet werden würde.
Sie nahm ein Bündel Fotografien zur Hand, die am nächsten Morgen in die Vereinigten Staaten geschickt werden sollten. Auf den Luftaufnahmen war deutlich das isolierte jüdische Viertel hinter den wuchtigen, zerklüfteten Mauern der Jerusalemer Altstadt zu erkennen. Um die winzige Ansammlung von Synagogen und kuppelförmigen Dächern erhoben sich nach Norden hin die hohen Türme der muslimischen Minarette. Im Osten stand auf dem Berg Moriah das riesige Heiligtum der Moslems. Dort hatte sich einst der große hebräische Tempel befunden, und dort hatte auch Jesus von der Liebe Gottes zu den Menschen gepredigt; an dieser Stelle hatte er vorausgesagt, dass der Tempel eines Tages dem Erdboden gleichgemacht werden würde. Östlich vom Felsendom war der Ölberg. Westlich des jüdischen Viertels lag das armenische Viertel und in dessen Norden die Kirchen und die heiligen Stätten der Christen.
Aus Furcht vor dem Mufti Haj Amin Husseini und seinen fanatischen Anhängern waren armenische und christliche Araber zu Tausenden aus ihren Häusern geflohen. Gleich danach waren die muslimischen Krieger in die Viertel hineingeströmt, hatten die Tore in die Altstadt vor den jüdischen Verteidigern verschlossen und in der letzten Zeit sogar Lebensmittelkonvois den Einlass verweigert. Obwohl hier und da ein einsamer britischer Vorposten auf einem Dach Wache hielt und die Briten erst im Mai abziehen sollten, hatte Ellie den Eindruck, dass es ihr Ziel war, die Aggressivität der Araber, die die engen Grenzen Jerusalems bedrängten, möglichst zu ignorieren. »Die möchten gerne lebend nach Hause kommen«, hatte David ihr einmal erklärt und hinzugefügt: »Ich kenne das Gefühl und ich kann nicht sagen, dass ich ihnen daraus einen Vorwurf mache.«
Außerhalb der Altstadtmauern erstreckte sich die Neustadt von Jerusalem, eine merkwürdige Mischung aus arabischen und jüdischen Vierteln. In einigen Blocks waren die beiden Völker sogar direkte Nachbarn gewesen.
Ellies Fotografien zeigten deutlich die Punkte, die zur Zielscheibe der Leute des Muftis geworden waren. Der rauchgeschwärzte Schutt auf der Ben Yehuda Street kennzeichnete die Stelle, an der das King David gestanden hatte, das Hotel, das kürzlich in die Luft gesprengt worden war. Und wenige Blocks davon entfernt lagen die Überreste des jüdischen Geschäftsviertels.
Noch immer empfand Ellie Erstaunen über die unglaubliche Standhaftigkeit dieses Volkes, das sie lieben und bewundern gelernt hatte. Kein Wunder, dachte sie, dass man diese Menschen Gottes auserwähltes Volk, seinen Augapfel, nennt. Es ist etwas Besonderes an ihnen, das sie in die Lage versetzt, all das durchstehen zu können.
Von Norden nach Süden zogen sich, deutlich erkennbar, arabische Viertel wie ein Kranz von kleinen Bastionen an der Altstadtmauer entlang. Die Araber, die sich Haj Amins Politik der starken Hand widersetzt hatten, waren von eben den Männern aus ihren Häusern vertrieben worden, die zuvor lauthals verkündet hatten, für sie kämpfen zu wollen. So war auf den stadtauswärts führenden Straßen ein Strom von arabischen Palästinensern zu sehen. Sie waren nun Flüchtlinge, Opfer ihrer eigenen politischen Anführer. Ihren Platz nahmen Bauern und Kämpfer ein, die in der Schuld des Hauses Husseini standen und mit ihm verbündet waren. Sie hatten es nicht versäumt, bereits auf ihrem Weg in die Stadt die Wasserleitungen zu sprengen, die in jüdische Viertel führten. Und jetzt plünderten sie sogar die Häuser christlicher und armenischer Araber, die vor dem fanatischen Schrei »Jihad! Jihad! Jihad!«, geflohen waren.
Was Ellie schreiben wollte, stand also eigentlich klar und deutlich vor ihrem geistigen Auge. Doch sie war einfach nicht in der Lage, es in Worte zu fassen. Wie konnte sie dem amerikanischen Volk mitteilen, dass in diesem Teil der Welt immer noch nationalsozialistische Ideen regierten? Wie konnte sie ihm sagen, dass ohne die Hilfe des amerikanischen Volkes kein Jude in Palästina überleben würde? Dass die Bedrohung durch den Holocaust noch bei Weitem nicht vorüber war?
Draußen hatte der Wind unvermittelt aufgehört. Ellie sah verärgert auf ihren Wecker. Gleich schon halb fünf. David hatte 24 Stunden am Stück geschlafen und Onkel Howard war mit Rabbi Lebowitz und Jakov schon seit drei Stunden außer Haus. Sie hatte gehofft, den Artikel bei ihrer Rückkehr fertig zu haben, und nun hatte sie nicht einmal einen einzigen Buchstaben zu Papier gebracht. »Lieber Gott«, seufzte sie in einem verzweifelten Bittgebet. Aber sie war auch jetzt nicht in der Lage, die richtigen Worte zu finden, um ihr Gebet zu beenden.
Da ertönte ein lautes Klopfen an der Haustür.
»David!«, rief Ellie, die keine Lust hatte aufzustehen, um ihre frustrierende Tätigkeit zu unterbrechen.
Erneutes Klopfen. Das ist sicher Onkel Howard. Hat wahrscheinlich den Schlüssel vergessen. »David!«, rief sie noch einmal. »Steh auf! Es ist halb fünf! Geh bitte an die Tür!«
Sie hörte weder Davids Antwort aus seinem Zimmer noch seine Schritte auf dem Flur.
»Mist!«, brummte sie und strich sich ihr langes rotes Haar aus dem Gesicht. Als das Klopfen noch drängender wurde, zog sie sich schnell ihren Morgenmantel über und warf im Spiegel noch kurz einen prüfenden Blick auf ihr Gesicht. »Ziemlich verschlafen«, murmelte sie. »Halb fünf und immer noch nicht angezogen. Rabbi Lebowitz wird nicht entzückt sein.«
»Ist ja schon gut!«, rief sie. »Nur keine Eile, Onkel Howard! Ich komme ja schon!« Auf dem Weg durch den Flur klopfte sie kräftig an Davids Tür. »Steh auf, David! Onkel Howard ist da!« Sie entriegelte die Haustür und öffnete sie schwungvoll.
»Es wird aber auch Zeit …«, begann sie und brach ab, als sie die Gesichter zweier fremder Männer vor sich sah, die auf der obersten Stufe standen und sie verwirrt ansahen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich gegenseitig gemustert hatten: Ellie in Socken, Jeans und einem Frotteemorgenmantel; die beiden Männer in grünen Cordhosen und weißen kurzärmligen Hemden. Dann sah Ellie entgeistert an ihnen vorbei zu den unförmigen Klapperkisten, die am Bordstein parkten. »Sie sind nicht Onkel Howard«, war das Einzige, was sie schließlich herausbrachte.
Johann blinzelte zunächst erstaunt und lächelte dann. »Nein. Ich glaube nicht. Bist du Onkel Howard, Dan?«, fragte er seinen Kameraden. Dieser zuckte die Achseln. »Jedenfalls nicht, als ich zuletzt nachgesehen habe.« Er streckte Ellie die Hand entgegen. »Dan Schellen. Jewish Agency. Und dies ist Johann Pelz. Ebenfalls Jewish Agency.«
»Ellie Warne. Entschuldigen Sie, ich hatte meinen Onkel erwartet.«
»Sie sollten darauf achten, wem Sie die Tür öffnen, junge Dame«, wies Johann sie zurecht. »Man weiß nie, ob es nicht vielleicht die Jihad-Moqhaden sind, die anklopfen.«
»Da haben Sie recht. Natürlich«, pflichtete Ellie erschrocken bei und trat zur Seite, um die beiden Männer eintreten zu lassen. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ihr Onkel, Howard Moniger, ist nicht da?«, fragte Johann, während er sich in der Eingangshalle umsah und einen Blick nach rechts ins Wohnzimmer warf. Er klopfte nervös auf den Lederbeutel.
»Nein, leider nicht. Er hat zwei unserer Gäste zur Untersuchung ins Hadassah Krankenhaus gebracht. Aber ich erwarte ihn jeden Augenblick zurück. Möchten Sie vielleicht warten?«
»Wir haben eine Nachricht für ihn. Eigentlich für Sie alle. Der Chef, Ben-Gurion, möchte Sie alle sehen. Ist David Meyer im Hause?«, fragte Dan.
»Ja, aber er schläft.«
»Ah, ja. Das war aber auch eine Nacht für ihn!«, warf Johann ein. »Er ist beinahe schon ein Held.« Er senkte seine Stimme, als er das Wohnzimmer betrat. »Nur schade, dass die Gewehre, die er über einem Kibbuz abgeworfen hat, durch ein Dach in die einzige Badewanne dort gefallen sind und sie zertrümmert haben.«
»Aber es hat zu der Zeit zumindest niemand ein Bad genommen«, ergänzte Dan rasch mit einem liebenswürdigen Lächeln.
»Sind Sie gekommen, um uns das zu erzählen?«, fragte Ellie, die im Türrahmen stehen geblieben war.
»Es tut mir leid, aber die Nachricht, die ich habe, soll zuerst Ihr Onkel lesen, Miss Warne. Obwohl Sie und die anderen auch mitkommen sollen.« Dan sah betont auf ihre Socken, die unter ihren Jeans hervorschauten. »Vielleicht wollen Sie sich ...« Er lächelte beinahe entschuldigend.
»... umziehen, ja?«, beendete Johann den Satz hilflos.
»Nun, ich glaube, dass keiner von uns irgendwohin fahren wird, bevor wir nicht wissen, was los ist! Jewish Agency hin oder her!« Ellies Stimme hatte nun einen gereizten Tonfall angenommen. Sie hatte es nicht gern, in dieser Weise an der Haustür überrascht zu werden, erst recht nicht, wenn der Abgabetermin für ihren Artikel bedrohlich näher rückte und ein schwerer Fall von geistiger Blockade vorlag.
»Wir haben Weisung, dem Herrn Professor den Brief persönlich zu übergeben, sobald er kommt«, meinte Dan entschuldigend. »So viel will ich Ihnen wenigstens verraten, wenn Sie das dazu bringt, sich umzuziehen ...«
»Halt den Mund!«, schnappte Johann.
»Es hat ein bisschen mit einigen Ihrer Freunde in der Altstadt zu tun«, fügte Dan hinzu, ohne Johanns zornigem Gesichtsausdruck Beachtung zu schenken.
»Rachel? Mosche? Was ist passiert?«
»Tja, das weiß ich leider selbst nicht«, seufzte Dan. »Es ist nur eine Nachricht über sie eingetroffen. Etwas Wichtiges. Der Chef schien ziemlich erregt. Sagte, Sie sollten Ihre Kamera mitbringen und …«
»Du hast ein Mundwerk wie Jonas Wal!«, meinte Johann vorwurfsvoll. Er sah auf seine Armbanduhr, dann in Ellies verwirrtes, besorgtes Gesicht. »Also ziehen Sie sich bitte um und beeilen Sie sich, sonst haben wir bald keine Zeit mehr.«
Ellie drehte sich der Magen um, und ihr wurde übel vor Angst und düsteren Vorahnungen. Sie eilte aus dem Zimmer über den Flur, hämmerte wieder laut gegen Davids Tür und öffnete sie einen Spaltbreit: »David! Steh auf! Wach doch auf! Es ist etwas mit Rachel und Mosche! Wir sollen zur Agency. David, beeil dich! Eine Nachricht von Ben-Gurion!«
Bodie & Brock Thoene
Ein Ehepaar - zahllose Bestseller. Fast 30 Bücher zum Thema ZION entwerfen das detaillierte Bild einer wichtigen Wegstrecke Gottes mit seinem Volk. Für diese beispiellose Leistung (6 Mio. verkaufte Bücher) wurden sie mit acht Goldmedaillen der Evangelical Christian Publishers ausgezeichnet.
Bodie und Brock Thoene (ausgesprochen: Täinie) haben vier erwachsene Kinder und (z.Zt.) fünf Enkel, wobei ihre Söhne Jake und Luke die Tradition des Bücherschreibens fortsetzen. Einen Teil des Jahres verbringen sie am Lake Tahoe in Nevada und den anderen in London.
Bodie Thoene hat mit ihren Zion Chroniken ein Millionenpublikum in der ganzen Welt erreicht. Sie war zunächst als Drehbuchautorin tätig, bevor sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane widmete. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann Brock am Lake Tahoe in Nevada. Das Paar hat vier erwachsene Kinder.
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