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21.03.2017Mario Kunze Der deutsche Rob Bell (1) - oder die Neudefinition der christlichen Lehre
"Das Geheimnis der Hoffnung - Einführung in den christlichen Glauben" ist der Titel eines dogmatischen Werkes des Autors Dr. Thomas Weißenborn, in welchem er sich bemüht, den christlichen Glauben für den Menschen der Postmoderne verständlich darzulegen. Dabei plädiert er für eine Erneuerung des Glaubens anhand der ursprünglichen Wurzeln,
welche der Autor vor allem durch eine Neuentdeckung der integrierten antiken Weltsicht für möglich hält.
Der Autor ist Dozent für Systematische Theologie und Neues Testament am Marburger Bibelseminar und ist theologisch der Emergenten Kirche und der missionalen Gemeindebe-wegung nahestehend. Daher ist es nachvollziehbar, dass der in deutschen Kreisen prominenteste "Transformationstheologe" Tobias Faix das Buch uneingeschränkt empfiehlt und der nicht minder bekannte Theologe Guido Baltes besonders lobt, dass der Autor auf dem Boden bekannter Dogmatik "souverän eigene Wege wählt".
Inhaltlich gibt der Autor einen kompakten Überblick über verschiedene zentrale Aspekte des christlichen Glaubens, wobei er sich immer wieder bemüht, einen Abriss der historischen Entwicklungen darzustellen. Zentraler hermeneutischer Schlüssel ist für den Autor die integrierte antike Weltsicht, welche er als Korrekturhilfe für alle geschichtlich bedingten Engführungen und Verkürzungen der biblischen Botschaft sieht. Dies bleibt dabei allerdings keineswegs der einzige Ansatz, um eine neue Sicht auf die biblische Botschaft zu begründen. Der Autor arbeitet stark mit philosophischen Ansätzen und scheut sich auch nicht, die fiktive Sicht eines Nichtchristen zum Maßstab der Beurteilung biblischer Lehre heranzuziehen.
Bezeichnend für den neuen Ansatz ist bereits das Schriftverständnis. Ähnlich wie Rob Bell sieht der Autor die Bibel als interpretationsbedürftig. Anders als der amerikanische Autor sieht Weißenborn allerdings die Notwendigkeit, die biblische Botschaft in ihrem ursprünglichen Kontext zu verstehen.
"Wer ["] ernst nimmt, dass die Bibel zunächst in ihrer Zeit verstanden werden muss und erst in einem zweiten Schritt die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf die aktuelle Situation übertragen werden können, der kann sich nicht mehr so sicher sein. Selbst bei sorgfältigster Auslegung bleiben oft mehrere Möglichkeiten ["]. Damit müssen wir schließlich demütig bekennen, dass wir die letztgültige Antwort nicht wissen, sondern bestenfalls vorletzte Entscheidungen treffen können." (Weißenborn 2008:66"67)
Ein solches Schriftverständnis klingt zunächst absolut richtig und scheint die Lösung für jegliche Form von Sektiererei zu sein, welche auf "ihrer" Auslegung der Schrift beharrt. Bei näherer Betrachtung beraubt es die Bibel allerdings ihrer letztgültigen Autorität. Der Ausleger entscheidet und der Wahrheitsgehalt dieser Entscheidung muss offen bleiben. Damit sind keine normativen Aussagen aus der Bibel mehr ableitbar und es wäre anmaßend, einem anderen Menschen die eigene fehlbare Einschätzung einer biblischen Aussage aufzubürden. Weiterhin stellt der Autor fest, dass jede Generation wieder neu nach den Türen in Gottes Wirklichkeit suchen muss. Damit impliziert er eben auch, dass es möglich ist, dass jede Generation andere Wege beschreitet, um diese Türen zu finden.
Ein entscheidender Punkt ist das Sündenverständnis des Autors. In einer Untersuchung der verschiedenen Wörter, welche im biblischen Kontext für Sünde stehen, zeigt der Autor korrekterweise die große Bandbreite der Bedeutungen von Zielverfehlung bis Rechtsbruch auf. Allerdings definiert Weißenborn Sünde in der Folge ausschließlich als Beziehungslosigkeit und wendet sich vehement gegen deren moralische und rechtliche Dimension. Damit macht sich der Autor eben jener Engführung schuldig, welche er im Laufe seines Werkes in jeder anderen dogmatischen Tradition sehen will. Ist Beziehungslosigkeit jedoch die einzige Dimension der Sünde, hat dies enorme Auswirkungen auf die Fragen der Errettung und des Gerichtes Gottes. Dies zeigt sich auch konsequent in der weiteren Entwicklung der Dogmatik des Autors.
Wir müssen uns jedoch zunächst noch einem weiteren Punkt zuwenden - dem Verständnis des Autors zu den sogenannten Mächten. Unter Verwendung der integrierten Weltsicht der Antike als maßgeblichen hermeneutischen Schlüssel kommt der Autor zu dem Schluss, dass es vor allem gottesfeindliche Strukturen wie der Staat und der Mammon sind, welche im biblischen Sinne als Mächte beschrieben sind, da diesen im integrierten antiken Weltbild ein personaler Kern zugeschrieben werde. Satan und Dämonen seien zwar auch Mächte, aber bestenfalls auf dem selben Level wie die bösen Strukturen dieser Welt.
"Falsch wäre es aus diesem Grund auch, hinter den Mächten die einer großen Macht (etwa des Teufels) zu vermuten, die ihren "Kampf" mit Gott und den Menschen in irgendeiner Weise koordiniert. [Das Böse äußert sich] in der Zerstörung von Beziehungen, womit jede Form einer Gemeinschaft der Bösen schwierig wird, weil sie genau die Beziehungsfähigkeit voraussetzt, deren Fehlen das Böse überhaupt erst ausmacht. Die Mächte sind demnach Chaosmächte, die ["] genauso miteinander streiten, wie sie gegen alle anderen kämpfen." (:154)
Die konsequente Deutung der Sünde und des Bösen als Beziehungslosigkeit fordert seinen Preis. So stehen die Aussagen des Autors z.B. in direktem Widerspruch zu den Worten Jesu, der deutlich macht, dass der oberste Dämon niemals niedere Dämonen austreiben wird, da sonst Satans Reich nicht bestehen könne (Mt 12,25-29; Lk 11,17-20). Letztlich sieht der Autor in den Strukturen des Staates und des Mammons die Hauptantagonisten Gottes, da diese den Menschen auf der Erde am stärksten in die Beziehungslosigkeit verstricken würden. Dabei geht er so weit, dass er postuliert, dass eben diese Mächte ursächlich für die Kreuzigung Jesu waren und auch wie Satan aus dem Himmel gestürzt wurden. (:255) Auch das eschatologische Verständnis verändert sich unter diesem Blickwinkel. Es ist nun ein endzeitlicher Staat, welcher den Antichristen verkörpert und mit dem Mammon, welche als Hure Babylon gedeutet wird, den letzten Aufstand gegen Gott unternimmt.
Ausgehend von diesem Verständnis betont der Autor den Sieg Jesu über die Mächte als kosmisches Ereignis, wobei er sich stark auf Kol 2,15 stützt. Er ignoriert dabei völlig Kol 2,14, der deutlich macht, dass Jesu Sieg am Kreuz auch unseren (persönlichen) Schuldschein am Kreuz löschte, der uns auf Grund des Gesetzes anklagte. Dies ist aber nur konsequent, da sich der Autor vom Begriff der Schuld als Rechtsproblematik komplett löst. So versucht er die Opfersymbolik des Kreuzes dahingehend zu deuten, dass es beim Opfer ja überwiegend um Gemeinschaft mit Gott und den Menschen ginge und die Sündenopferthematik eher eine untergeordnete Rolle spiele. Somit sei das Kreuz ein Zeichen für die Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott und weniger die Bezahlung einer wie auch immer gearteten Schuld. Damit ist der Weg allerdings auch frei für eine Neudefinition der Voraussetzungen für die Erlösung des Menschen. (2)
"Im Zentrum der biblischen Verkündigung steht freilich niemals die Frage nach der persönlichen, privaten Erlösung ("Wie komme ich in den Himmel""), vielmehr geht es um die Aufrichtung der Macht Gottes, um sein Reich und damit verbunden eine Welt, in der Gerechtigkeit herrscht." (:229)
Weißenborn postuliert nun einen Tun-Ergehens-Zusammenhang, welchen er durch Jesus auf die Ewigkeit ausgeweitet sieht. Demnach war Jesus diesem göttlichen Prinzip auch unterworfen. Nur durch seine absolute Erniedrigung am Kreuz konnte er letztlich über alles erhöht werden. Dieser Tun-Ergehens-Zusammenhang ist für Weißenborn der maßgebliche Schlüssel zur Rettung eines Menschen. Zwar bejaht er die Schuld aller Menschen im Sinne einer Beziehungslosigkeit, verneint jedoch gleichzeitig, dass deshalb für alle die ewige Verdammnis als Strafe zwingend folgt. (:443)
"Egal wie man es dreht oder wendet, der Gedanke, dass Menschen für die in ihrer begrenzten Lebenszeit begangenen Verfehlungen mit ewiger Qual bestraft werden sollen, ist mit der Vorstellung eines liebenden und barmherzigen Gottes schlichtweg nicht vereinbar." (:444)
Ausgehend von der Endzeitrede Jesu von den Schafen und Böcken in Mt 25 sieht der Autor daher die Scheidung in Gerettete und Verlorene anhand ihrer Beziehungsfähigkeit, welche sich in den Taten der Nächstenliebe zeigt. Der Autor stellt die berechtigte Anfrage, weshalb Christen, welche das richtige Bekenntnis formulieren, aber ihr Leben nicht in die Nachfolge Jesu stellen, gerettet sein sollen, während Menschen, welche sich ihr Leben lang ohne dieses Bekenntnis redlich bemüht haben, auf ewig verloren gehen. (3) Dies führt ihn letztlich zu dem tragischen Schluss, dass es auf ein Leben ankommt, welches sich um Beziehungsfähigkeit bemüht, ohne dabei jedoch den göttlichen Maßstäben genügen zu können. Dies muss es jedoch auch nicht, sondern es kommt allein auf die Bemühung an.
Damit muss der Autor natürlich auch das Endgericht Gottes umdeuten, um seiner dogmatischen Linie treu bleiben zu können. Dieses definiert er dann auch als "Abschlussprüfung" des Lebens, bei welcher der Maßstab das Bemühen um Beziehungsfähigkeit zu Lebzeiten sei, ohne einen Perfektheitsanspruch zu erheben. Konsequenterweise muss dann jedoch auch über die Möglichkeit einer Wiederholungsprüfung nachgedacht werden, weshalb sich der Autor auch offen für Allversöhnungsgedanken oder zumindest für die "Vernichtungstheorie" (4) zeigt. (:449"450)
Schlussendlich sieht der Autor auch keinen Grund für einen neuen Himmel und eine neue Erde. Vielmehr stelle Gott seine Schöpfung in der Beziehung zu sich wieder her, was in einer heilgewordenen Welt resultiere.
Im Ergebnis präsentiert der Autor ein theologisches Gesamtverständnis, welches sich völlig vom biblischen Befund gelöst hat. In dem Bemühen vermeintliche Engführungen und Verkürzungen des christlichen Glaubens zu korrigieren macht sich der Autor eben jener Engführungen und Verkürzungen schuldig. Maßstab für die Erlösung des Menschen ist demnach das Bemühen des Menschen um Beziehungsfähigkeit, nicht der gelebte Glaube an den Herrn Jesus Christus. Damit wird die Erlösung ultimativ das Werk des Menschen, welcher sich durch Abstand zu den Mächten Staat und Mammon und mit Taten der Nächstenliebe für die "Abschlussprüfung" des Gerichts qualifizieren kann. Das eine so umfassende Umdeutung nicht leicht fällt, zeigt sich immer wieder im Detail, wenn der Autor doch in alte, wohlbekannte Formulierungen fällt, welche zu der umfassenden Neudefinition des christlichen Glaubens nicht so recht passen wollen. Zahlreiche inhaltliche Ungenauigkeiten und Rechtschreibfehler tun ihr Übriges, um die Qualität des Werkes mehr als in Frage zu stellen. Wer hier die erfrischenden Ansätze des christlichen Glaubens für die Herausforderungen des postmodernen 21. Jahrhunderts sucht, wird ultimativ enttäuscht werden. Es findet sich die Philosophie eines Thomas Weißenborn, aber nicht der lebendige Christus. Ähnlich wie sein amerikanisches Pendant Rob Bell, dessen Buch "Velvet Elvis" eine der Inspirationsquellen des vorliegenden Werkes ist, führt die Engführung des christlichen Glaubens auf das alleinige Prinzip der Beziehungsfähigkeit (bei Rob Bell die Liebe) zu einer Lehre, welche sich bestenfalls als verfehlte theologische Sicht und schlimmstenfalls als ausgewachsene Irrlehre beschreiben lässt.
(1) Rob Bell, amerikanischer Theologe und ehemaliger Pastor der Mars Hill Bible Church, hat eine Reihe kontrovers diskutierter Bücher verfasst und sich öffentlich in einer positiven Weise zur Allversöhnung (Love wins), zur Wahrheit in anderen Religionen und zu anderen kontroversen Standpunkten geäußert.
(2) Der Autor muss hier die Offenbarung radikal neu deuten, da er schließlich Satan als den Strippenzieher hinter dem Antichristen und seinem Propheten verneint. Weiterhin übersieht er, dass ein endzeitlicher Antichrist gerade als Person auftreten muss, um ein wahrhafter Widerchristus zu sein. Aus der Offenbarung lässt sich entnehmen, dass dazu Zeichen und Wunder wie eine (vermeintliche) Totenauferstehung gehören. Weder Christus noch der Antichrist lassen sich zur Gallionsfigur einer dahinterstehenden strukturellen Macht wie ei-nem Staat machen. Vielmehr ist Christus der Gesandte des Vaters und der Antichrist der Gesandte des Teufels.
(3) Die Bibel lehrt deutlich, dass ein Bekenntnis ohne die entsprechende Tat Selbstbetrug ist. Jedoch kann daraus nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die richtige Tat ohne ein Bekenntnis ebenfalls rettet. Vielmehr gibt es keine guten Werke ohne den entsprechenden Glauben. Die Tatsache, dass der Autor diese Problematik so stark thematisiert, hat ihm und den ihm nahestehenden Theologen den Spitznamen "frustrierte Kinder aus den Häusern evangelikaler Eltern" eingebracht.
(4) Diese lehrt, dass die verlorenen Menschen von Gott in ihrer Existenz ausgelöscht werden. Damit bleiben ihnen die ewigen Leiden der Hölle erspart und es existiert in der Ewigkeit kein von Gott getrennter Raum. So kann "Gott alles in allem sein" (1 Kor 15,23-28).
Literaturverzeichnis
Weißenborn, Thomas 2008. Das Geheimnis der Hoffnung: Einführung in den christlichen Glauben. Marburg an der Lahn: Francke.