Glaube versteht sich nicht von selbst. Man kann jede Menge kritische Fragen stellen:
• Lässt sich Gott begründen? Oder ist er einfach Glaubenssache?
• Kann man gleichzeitig überzeugt und tolerant sein?
• Macht die Suche nach dem Sinn überhaupt Sinn?
Matthias Clausen zeigt, dass es auf skeptische Fragen auch gute Antworten gibt, dass sich Glaube zwar nicht beweisen, aber sehr gut begründen lässt. Und dass der Glaube uns hilft, das Leben und uns selbst besser zu verstehen.
Ein spiritueller Appetithappen für die Generation Facebook: unterhaltsam, kulturell aktuell, in unverbrauchter Sprache und zugleich theologisch durchdacht.
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Vorab
Ein etwas umständlicher Professor beginnt seinen Vortrag: „Wo soll ich anfangen?“ –
Ein Student aus der letzten Reihe ruft halblaut: „Am besten möglichst weit hinten.“
Also fasse ich mich gleich zu Beginn kurz: Ich verstehe dieses Buch als ein Gesprächsangebot, vorzugsweise an Menschen, die mit Gott und dem christlichen Glauben nicht so viel anfangen können, die zwar skeptisch oder abwartend sind, sich aber doch sagen: Wer weiß – man kann sich ja mal darüber informieren. Vielleicht ist ja doch mehr dran, als ich bisher dachte.
Das ist eine gesunde Einstellung, wie ich finde. Denn ich weiß selbst ganz gut, dass man dem christlichen Glauben viele kritische Fragen stellen kann. Glaube versteht sich nicht von selbst, Skepsis ist angebracht.
Aber ich bin darüber hinaus überzeugt, dass es auf skeptische Fragen auch gute Antworten gibt, dass Glaube Sinn macht und plausibel ist; nicht beweisbar, aber begründbar. Und dass Glaube uns hilft, unser Leben und uns selbst immer besser zu verstehen. Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben.
Die einzelnen Kapitel gehen auf Vorträge zurück, die ich auf Einladung von Gruppen der Hochschul-SMD in ganz Deutschland gehalten habe. Von daher finden sich manche meiner Lieblingsgedanken mehrmals, obwohl ich versucht habe, Doppelungen zu vermeiden. Und von daher erklärt sich auch der „mündliche Stil“. Ich verstehe auch meine Vorträge als Einladung zu einem Gespräch (auch wenn erst einmal nur ich selbst rede – es gibt allerdings hinterher die Möglichkeit für Rückfragen!), deswegen erlaube ich mir hin und wieder, den Zuhörer direkt anzusprechen. Das Gleiche tue ich auch in diesem Buch; ich hoffe, das ist in Ordnung für Sie als Leser.
Die Vorträge wurden ursprünglich frei gehalten, anhand von nur wenigen Notizen. Praktischerweise werden viele meiner Vorträge allerdings von den Veranstaltern aufgenommen und nette Menschen haben sich bereit erklärt, einige dieser Aufnahmen zu verschriftlichen. Vielen Dank an dieser Stelle an Anne Okolowitz, die mit großem Engagement aus zahllosen Tonkonserven lesbare Texte schuf. Da ich weiß, wie schnell ich manchmal spreche, leide ich noch nachträglich mit ihr ...
Für die Neuauflage des Buches habe ich alle Texte noch einmal durchgesehen und überarbeitet.
Danken möchte ich vor allem auch den Mitarbeitern der Hochschul-SMD und anderer christlicher Gruppen und Gemeinden, ohne deren Engagement solche Vorträge gar nicht gehalten werden könnten oder wenn, dann eher nur vor leeren Stuhlreihen … Ihnen ist dieses Buch gewidmet.
Matthias Clausen im August 2015
Stellen wir uns vor, ich bin ein Buch
Über Selbstwert und Sinnsuche
Ich hörte einmal von einem schottischen Gebet, das lautet:
„Oh Herr, mögest du uns schenken, dass wir immer recht behalten,
denn du weißt, dass wir unsere Meinung niemals ändern werden.“
So kann man ja leben – dass man sich eine Meinung aneignet, dann dabei bleibt und sie niemals ändert, niemals offen wird für das, was andere Sichtweisen zu bieten haben. So kann man leben, das ist einigermaßen bequem. Aber man verpasst natürlich etwas.
Deswegen möchte ich zu Beginn dieses Buches eine Einladung aussprechen: die Einladung mitzudenken.
Ein schlauer Mensch hat einmal gesagt: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Im Zuge meiner Ausbildung zum Theologen habe ich eine kurze Zeit lang Religionsunterricht in einer Berufsschule erteilt. Dort durfte ich unter anderem eine Klasse von Vermessungstechnikern unterrichten. Dabei habe ich auch einmal diesen Satz zitiert. Daraufhin sagte einer der Vermessungstechniker: „Und wenn der Kopf eckig ist, bleibt das Denken dann hängen?“ Das fand ich sehr gewitzt.
Vielleicht können wir uns also darauf einigen, dass es eine gute Sache ist, wenn man neuen Sichtweisen grundsätzlich mit Offenheit und Neugier begegnet. Das wünsche ich mir für mich selbst und dazu lade ich auch andere ein. In diesem Buch lade ich Sie zum Mitdenken ein. Und ich werde versuchen, dabei auch unliebsamen Fragen nicht auszuweichen.
(Das kann ich bei dieser Gelegenheit ja kurz erläutern: Wie man unliebsamen Fragen ausweicht. Schließlich kann das für ganz unterschiedliche Gelegenheiten hilfreich zu wissen sein. Wenn einem eine schwierige Frage gestellt wird, kann man zum Beispiel sagen: „Das ist eine sehr gute Frage und ich freue mich, dass Sie sie mir stellen.“
Und dann das Thema wechseln und hoffen, dass es nicht auffällt.
Man kann auch noch eleganter antworten, so wie der Nobelpreisträger Robert Koch. Der hat einmal zu einem Kollegen gesagt: „Ihre Frage ist so gut, dass ich sie nicht durch meine Antwort verderben möchte.“
Das kann man also ausprobieren, wenn man einer schwierigen Frage ausweichen möchte. Ich kann allerdings nicht garantieren, dass es funktioniert ...)
In diesem Buch werde ich mich bemühen, auch schweren Fragen nicht auszuweichen, auch wenn ich nicht versprechen kann, jede Frage beantworten zu können.
In diesem Kapitel möchte ich mich mit dem Thema Selbstwert und Sinnsuche beschäftigen. Aus meiner Sicht stecken darin die folgenden Fragen:
Woher kommt eigentlich unser Selbstwert?
Was macht unseren Selbstwert aus?
Was hat die Frage nach dem Sinn mit meinem Selbstwert zu tun?
Ich beginne mit einer Beobachtung: Selbstwert versteht sich nicht von selbst. Dass wir ein stabiles Selbstwertgefühl haben, versteht sich nicht von selbst. Wir wissen zwar, dass man sich von der Meinung anderer nicht allzu abhängig machen sollte. Vom Kopf her ist uns das klar und in aller Regel sind wir auch beeindruckt von Menschen, die innerlich unabhängig wirken. Mir geht es jedenfalls so. Wenn mir Menschen begegnen, die sich über die Meinung anderer nicht allzu viele Gedanken machen, beeindruckt mich das zunächst.
Ich erinnere mich an eine junge Frau, die zu den Treffen eines christlichen Gesprächskreises kam und ganz fröhlich und lebhaft und mit gleichbleibender Entschiedenheit sagte: „Wisst ihr was, ihr Christen? Was ihr glaubt, das ist alles Blödsinn. Das ist alles Einbildung. Das redet ihr euch nur ein, das ist alles purer Unsinn.“
Das sagte sie mit gleichbleibender Freundlichkeit. Wir verstanden uns persönlich gut, sie war erklärte Nicht-Glaubende und wir engagierte Christen. Zunächst einmal rückte sie von ihrer Meinung nicht ab. Aber die Geschichte ging noch weiter: Zwei Jahre später sah sie das alles ganz anders. Aber bis dahin blieb sie bei ihrer Position – mit großer Fröhlichkeit – und kam trotzdem immer wieder zu den Diskussionsrunden dieser Gruppe. Ich fand, das hatte irgendwie Format.
Wenn Menschen innerlich unabhängig sind, nötigt uns das fast immer Respekt ab. Da ist eine große festliche Veranstaltung, ein Ball oder Empfang oder Theaterabend.
Alle sind im feinsten Zwirn gekleidet, lange Abendkleider und Fräcke. Mittendrin ein stämmiger älterer Mann mit lichtem weißen Haar, kräftig und braun gebrannt. Er trägt einen knallroten Pullover. Der Mann heißt Pablo Picasso, und er trägt diesen Pullover mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass alle anderen im Raum sich schlecht angezogen fühlen.
Auch wenn ich ansonsten von Pablo Picasso und seinem Charakter nicht nur beeindruckt bin, finde ich: Das hat was.
Wir wissen zwar, dass es gut wäre, sich von der Meinung anderer Menschen nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. Aber so einfach ist das nicht, sich von dem, was andere Menschen in uns sehen, zu lösen.
Das hängt damit zusammen, wie unser Identitätsbewusstsein konstruiert ist, was also unsere Identität ausmacht. Zu unserer Identität gehört nämlich, dass wir in Beziehungen stehen. Was wir in Beziehung mit anderen erleben, wie andere uns wahrnehmen und mit uns umgehen, prägt unser Bewusstsein von uns selbst. Und schon die ersten Erfahrungen, die wir mit Beziehungen machen, prägen unser Selbstgefühl ein ganzes Leben lang.
Wir alle sind Menschen mit einer Geschichte. Auch ich bin nicht aus dem Nichts auf die Erde gefallen, sondern ich bin zum Beispiel Sohn meiner Eltern. Das macht mein Ich aus. Ich bin ich als Bruder meiner Brüder. Ich habe drei ältere Brüder. Früher spielten wir oft Fußball, ich mit dem ältesten gegen die beiden mittleren. In meiner Erinnerung haben wir immer gewonnen. Möglicherweise habe ich die Niederlagen einfach vergessen. Aber Erinnerung ist ja ein kreativer Prozess ...
Das, was wir in Beziehungen erleben, macht uns aus. Deswegen ist es nicht so leicht, sich davon zu lösen. Zumal wir in Beziehungen häufig erleben, dass wir von anderen in irgendeiner Weise bewertet und in Schubladen gesteckt werden. Menschen taxieren uns. Innerlich läuft dann ein Prozess ab, bei anderen genauso wie bei uns selbst. Wenn wir anderen begegnen, dann stellen die sich innerlich die Frage: „Was ist das denn für einer? Er sieht eigentlich ganz normal aus, aber ein bisschen merkwürdig ist er schon. Wo der wohl herkommen mag. Kann ich etwas mit ihm anfangen oder eher nicht? Wie sieht er aus, was denkt er, was arbeitet er, welche Musik hört er, welche Kleidung trägt er?“
Schon sind wir auf einer inneren Skala eingeordnet, und genauso gehen wir auch mit anderen um.
Wenn man oft genug erlebt hat, dass man in dieser Weise eingeordnet und bewertet wird, dann prägt das auch das Selbstgefühl. Es ist nicht so leicht, sich davon zu lösen. Denn wir erleben regelmäßig: Ja – wir bekommen unsere Zuwendung, unsere Anerkennung, die wir dringend brauchen. Aber wir bekommen sie häufig nur, „solange …“. Solange wir den Maßstäben genügen. Solange wir nett sind, attraktiv, adrett, kompetent, freundlich, annehmbar. Solange wir in ganzen Sätzen sprechen. Aber wehe, wir fallen irgendwann einmal durch das Raster. Dann merken wir: Hier sind wir wohl nicht ganz so gern gesehen.
Wir wissen zwar, dass es auf Dauer nicht gesund ist, innerlich von der Meinung anderer abhängig zu sein. Aber wir können uns davon, wie andere Menschen uns sehen, auch nicht so einfach lösen. Deswegen ist es nicht ohne Weiteres möglich, unseren Selbstwert eigenständig zu „beschließen“. Wer traut sich schon zu sagen: „Ich weiß doch selbst am besten, was ich wert bin“? Dazu sind wir mit anderen Menschen viel zu sehr vernetzt.
Selbst unseren Selbstwert „beschließen“, geht auch deswegen nicht, weil wir ja auch manchmal selbst mit uns unzufrieden sind. Ich denke, damit sind wir vertraut: dass wir Ansprüche an unser eigenes Leben haben und – wenn wir ehrlich sind – merken: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht hin und wieder ein Unterschied.
Mein Kronzeuge an dieser Stelle ist „der große Philosoph“ Charlie Brown aus der Comicserie Peanuts. Er sagte einmal: „Manchmal liege ich nachts wach und frage mich: Was habe ich nur falsch gemacht? Und dann höre ich eine leise Stimme, die sagt: ‚Das wird jetzt länger dauern als nur eine Nacht.‘“
Vielleicht merken auch wir: „Ich wollte mal so viel von meinem Leben. Ich wollte konsequent sein, ehrlich und nett, erfolgreich, kreativ, spannend, interessant … Wenn ich mein Leben betrachte, sehe ich, dass ich manches erreicht habe. Aber ehrlich gesagt, bleibe ich an manchen Stellen hinter meinen eigenen Erwartungen zurück.“ Wir sind manchmal auch selbst mit uns unzufrieden. Deswegen ist ein gesundes Selbstwertgefühl alles andere als selbstverständlich.
Woher kommt also mein Selbstwert, wenn weder andere Menschen noch ich selbst dafür eine verlässliche Grundlage bieten?
An dieser Stelle möchte ich eine These formulieren. Sie lautet: Mein Selbstwert kommt auch auf Umwegen zustande.
Natürlich hängt mein Selbstwert daran, dass ich irgendwann erlebt habe: Andere mögen mich, meine Eltern heißen mich willkommen, die Menschen in meiner Umgebung sagen: „Es ist gut, dass du da bist.“ Das ist entwicklungspsychologisch eindeutig wichtig.
Aber zugleich wird mein Selbstwert oft von ganz anderen Faktoren bestimmt, kommt sozusagen auf Umwegen zustande. Wir können ihn nicht einfach mit einem Willensakt verändern, indem wir uns vornehmen: „Ab heute habe ich ein starkes Selbstwertgefühl!“ Darin gleicht er einer ganzen Reihe von Dingen, die sich auch nur dann ergeben, wenn etwas völlig anderes gewährleistet ist. Das möchte ich erklären: Es gibt eine Reihe von Dingen im Leben, die man nicht selbst „beschließen“ kann. Sie stellen sich nur dann ein, wenn bestimmte andere Dinge gegeben sind. Dazu gehört beispielsweise Spontaneität.
Spontaneität kann man nicht beschließen. Wenn man zu jemandem sagt: „Sei doch mal spontan. Entspann dich, schnell!“, dann ist das eine ziemlich sichere Methode, ihn eher unentspannt zu machen. Spontan bin ich, wenn ich entspannt bin oder einfach den Dingen ihren Lauf lasse.
Ein anderes Beispiel ist das Einschlafen. Das kann man auch nicht auf Kommando. (Vielleicht kennen Sie das: Es ist der Abend vor einem wichtigen Ereignis, das man auf keinen Fall verschlafen darf – ein Bewerbungsgespräch oder eine Prüfung. Dann kommt einem plötzlich der philosophische Gedanke: „Was wäre eigentlich, wenn ich heute Nacht nicht einschliefe?“
Dann ist die Nacht gelaufen. Ein Uhr nachts, zwei Uhr nachts – „Einschlafen, schnell! Sonst ist es Morgen …“)
Ein weiteres Beispiel ist die Freude, man kann sie nicht auf Kommando empfinden.
Wenn man zu jemandem sagt: „Freu dich!“, dann muss man ihm schon einen Grund geben, dass er sich freuen kann. Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt nur eine einzige Volksgruppe, die sich auf Kommando freuen kann, und das sind die Rheinländer. Ursprünglich komme ich aus der Nähe von Düsseldorf. Allerdings muss man zugeben, dass diese Freude auf Kommando ein bisschen oberflächlich ist. Echte Freude stellt sich ein, wenn ich einen Grund habe, mich zu freuen.
Beim Selbstwert ist das ähnlich, auch er kommt nicht ohne einen Grund zustande, und deshalb wage ich die These:
Selbstwert hängt mit Sinn zusammen, damit, dass ich einen Sinn in meinem Leben empfinde.
Meine Beobachtung ist nämlich: Wirklich selbstsicher sind häufig Menschen, die herzlich wenig über ihren Selbstwert nachdenken. Die gar keine Zeit haben, sich über ihren Selbstwert Gedanken zu machen, weil sie viel zu sehr mit irgendeinem wichtigen Projekt oder mit einer großen Vision beschäftigt sind. Selbstwert kommt auch auf Umwegen zustande, nämlich dadurch, dass ich einen Sinn in meinem Leben sehe und danach lebe.
„Find out who you are and do it on purpose.“ – Diesen Satz habe ich einmal auf einem T-Shirt gesehen: „Finde heraus, wer du bist, und tue es mit Absicht.“ – „Finde heraus, wozu du lebst, und lebe bewusst danach.“
Auf solchen Wegen kommt Selbstwert zustande. Denn ich bin überzeugt: Wir als Menschen sind geschaffen für mehr. Wir sind dafür geschaffen, mehr an Sinn und an Tiefe zu erleben, als uns unser Alltag zu geben in der Lage ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf einen Sinn angelegt sind, der tiefer ist als alles, was wir in dieser Welt tagtäglich erleben.
Nichts in der Welt bringt in uns die Frage nach dem Sinn zum Schweigen.
Das hängt mit dem zusammen, was ich gerne das „Gesetz von der Erhaltung der Unzufriedenheit“ nenne. Und nicht jeder, aber doch viele Menschen bestätigen mir, dass sie es aus eigener Erfahrung kennen.
Dieses Gesetz funktioniert folgendermaßen: Ich bin in der Schule und denke mir: Die Schule ist ja ganz nett, aber manchmal auch nervig. Wenn ich endlich die Schule hinter mir habe und zum Beispiel einen Ausbildungsplatz habe oder an der Universität bin –, also in den Augen der Gesellschaft ein „Mensch“ bin – dann geht es mir gut.
Aber während meiner Ausbildung oder meines Studiums denke ich dann: Wenn ich erst einmal die Prüfungen bestanden und mein Abschlusszeugnis in der Tasche habe, dann …
Wenn ich erst die Zeit der immerwährenden Praktika hinter mir habe und fest angestellt bin und für meine Arbeit tatsächlich bezahlt werde, dann …
Wenn ich endlich die Partnerin oder den Partner fürs Leben gefunden habe, dann …
Wenn wir erst einmal Kinder haben …
Wenn die Kinder erst einmal durchschlafen ...
Wenn die Kinder endlich die Pubertät hinter sich haben ...
Wenn ich die Midlife-Crisis überwunden und mir einen Geländewagen angeschafft habe … (Anscheinend ist das für viele Menschen wichtig, ebene deutsche Autobahnen mit großen Geländewagen zu befahren.)
Zuletzt heißt es: Wenn ich erst einmal in Rente bin, dann geht’s mir gut.
Und dann trifft man Rentner, die sagen: „Ach ja … man müsste noch mal zwanzig sein …“
Ich finde es durchaus in Ordnung, dass man sich Ziele setzt oder Wünsche ausspricht und dass man sich vom Erreichen dieser Ziele oder vom Eintreten dieser Wünsche Glück verspricht. Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung: Die Frau meines Lebens sagt Ja. Eine wichtige Prüfung liegt hinter mir. Ein Kind wird geboren. All das sind einschneidende, wichtige, großartige Erlebnisse.
Und doch wird mir trotz alledem durch das Erreichen solcher Etappenziele nicht die Frage nach dem tieferen Sinn meines Lebens beantwortet, so erfüllend und elektrisierend diese Erfahrungen auch sein mögen. Wir überfrachten sie, wenn wir uns von ihnen erhoffen, dass sie uns den Sinn unseres Lebens liefern. Denn die grundlegende, tiefer liegende Frage nach dem, was mein Leben wirklich sinnvoll macht, wird auf diese Weise nur verschoben. Sie wird nicht beantwortet. Das ist meine Überzeugung.
Was habe ich nun als ein glaubender Mensch dazu zu sagen?
Ich möchte das mit einem Bild beschreiben und dieses Bild hat, wie alle Bilder, seine Grenzen. Es erfordert ein bisschen Fantasie:
Ich stelle mir vor, ich bin ein Buch. Ein relativ voluminöses, vorzugsweise philosophisches Buch. Und ich liege unter einem Beamer. Manchmal stehen Beamer ja auf Büchern, damit sie hoch genug projizieren. Nun braucht man Fantasie: Wäre ich dieses Buch, dann hätte ich ein Pro-blem. Ich würde mir nämlich viele Fragen stellen. Ich würde mich fragen: Warum bin ich aus Papier? Warum bestehe ich aus vielen verschiedenen papierenen Seiten, auf denen Punkte und Striche sind, die Buchstaben ergeben? Warum ergeben die Buchstaben Worte und die Worte Sätze und die Sätze wiederum Sinnzusammenhänge?
Brauche ich das alles, um einen Beamer abzustützen?
Nein.
Ich hätte als dieses Buch, das unter dem Beamer liegt, eine Identitätskrise und würde mich fragen: Was tue ich hier eigentlich? Wozu bin ich eigentlich da? Ich erfülle zwar einen Zweck, aber es scheint nicht der Zweck zu sein, zu dem ich gemacht bin. Irgendetwas fehlt.
Der christliche Glaube sagt: Genauso kann es Menschen gehen, die in dieser Welt leben, ohne eine Beziehung zu ihrem Schöpfer zu haben. Denn wir Menschen sind für die Beziehung zu Gott geschaffen. Es ist die Beziehung, die uns zutiefst entspricht, und solange wir diesen Kontakt mit unserem Schöpfer nicht leben, ahnen viele von uns, dass etwas fehlt. Wir wissen vielleicht nicht, was ist, sondern spüren nur, dass da etwas fehlt. Es war vor rund 1600 Jahren, als der große Philosoph und Theologe Augustinus sagte:
„Du, Gott, hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
Was wäre, wenn diese innere Unruhe und Leere ein Hinweis darauf sind, dass wir wirklich für mehr geschaffen wurden?
Was wäre, wenn diese Sehnsucht „Das kann doch nicht alles gewesen sein“ gar nicht eine Überfunktion unseres Gehirns ist?
Was wäre, wenn diese „Sehnsucht nach mehr“ berechtigt wäre – und wir bisher nur an der falschen Stelle gesucht hätten?
Der christliche Glaube sagt, dass diese Sehnsucht auf Gott zeigt.
An dieser Stelle möchte ich auch gleich eine mögliche Sorge nehmen – nämlich, dass auf grundlegende existenzielle Fragen allzu vorhersehbare und simple Antworten gegeben werden. So wie etwa in der berüchtigten Kinderbibelstunde, in der die Leiterin zu den Kindern sagt: „Liebe Kinder, ich stelle euch jetzt ein Rätsel. Was ist das? Es ist klein, braun, springt von Ast und zu Ast und holt Nüsse?“ Alle Kinder schweigen. Dann meldet sich zaghaft ein kleiner Junge und sagt: „Also, es hört sich für mich wie ein Eichhörnchen an. Aber so wie ich den Laden hier kenne, ist es wahrscheinlich doch wieder Jesus.“ Es kommt ja durchaus vor, dass grundlegende Fragen aufgeworfen werden und man am Ende doch immer mit den gleichen, allzu einfachen Antworten abgespeist wird.
Nun hat das, was ich zu der Frage denke, tatsächlich zentral mit der Person von Jesus zu tun. Es ist aber nicht ganz so simpel. Ich werde mich daher bemühen, tiefer zu graben; der christliche Glaube hat es verdient, dass man sich differenziert mit ihm beschäftigt. Schließlich ist auch das Leben, das wir führen, ziemlich differenziert. Zu viele Missverständnisse im Blick auf den Glauben rühren daher, dass Menschen über Glaubensfragen zu oft nur Teilwahrheiten hören, kleine Ausschnitte und Bruchstücke, und ihnen vermittelt wird, das sei es nun. Dabei kann ein falscher Eindruck erweckt werden.
Wir Christen glauben, dass Menschen für die Beziehung mit Gott geschaffen sind, und im Zentrum dieses Glaubens steht tatsächlich Jesus. Denn wir glauben: Gott ist nicht einfach ein Gegenstand unserer Spekulation, sondern Gott begegnet uns an einer ganz bestimmten Stelle: in der Person Jesus Christus. Wenn wir Jesus anschauen, dann sehen wir Gott mitten ins Herz.
„Aber wie kommt man zu solch einer Überzeugung?“, kann man nun sogleich fragen. „Es gibt doch genügend andere Versionen von ,Gott‘. Wa-rum sollte man Gott ausgerechnet in der Person Jesus suchen?“
Das sind alles völlig berechtigte Fragen, auf die ich später ausführlich eingehen werde, vor allem in den Kapiteln drei und fünf. An dieser Stelle geht es mir allerdings zunächst um etwas anderes: Was würde es für uns bedeuten, wenn das stimmte? Wenn Gott so ist wie Jesus, wie würde sich das auf unsere Frage nach Selbstwert und Sinnsuche auswirken? Darüber möchte ich kurz nachdenken.
Wenn es tatsächlich stimmt, dass uns in Jesus Gott selbst begegnet, dann begegnet uns in Jesus ein Gott, der nach uns sucht. Ein Gott, der nicht irgendwo fernab von der Welt sitzt und seine Transzendenz feiert, distanziert und von allem, was wir tun, völlig unbeeindruckt. Der hin und wieder auf die Erde schaut, ein paar kritische Kommentare abgibt oder vielleicht eine Beileids-E-Mail schreibt. Nein. Wir Christen glauben, dass dieser Gott Sehnsucht empfindet. Sehnsucht nach seinen Geschöpfen.
Da geht Jesus mit seinen Leuten am Ufer eines Sees entlang, und ich stelle mir vor, sie scherzen und reden munter durcheinander. Auf einmal werden sie schweigsam, weil am Horizont ein Haus in Sicht kommt, an dem sie ungern vorbeigehen. In dem Haus sitzt ein Mann in einem Raum voller Geld. Geld in Säcken, Geld auf dem Tisch, Mitarbeiter, die Zahlen in Bücher schreiben. Der Mann wohnt an einer wichtigen Handelsstraße und nimmt den kleinen Händlern, die dort vorbeifahren, den Wegezoll, die Maut, ab. Er nimmt ihnen viel mehr ab, als sie sich leisten können, und auch mehr, als ihm zusteht. Aber sie können nichts dagegen machen, weil er mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeitet. Wie ein Kollaborateur, ein Inoffizieller Mitarbeiter. Diesen Mann mögen die Jünger nicht. Wir würden ihn auch nicht mögen. Da sitzt dieser Mensch in einem Raum voller Geld. Und Jesus sagt zu seinen Leuten: „Bleibt mal stehen“, und geht auf das Haus zu.
Seine Leute sagen: „Was hat er denn jetzt schon wieder vor? Immer macht er irgendetwas, womit wir nicht gerechnet haben.“
Der Mann schaut aus dem Haus, sieht eine Gestalt – Jesus – auf sich zukommen, immer näher, blickt seine Mitarbeiter an, seine Bücher, sein Geld.
Jesus kommt immer näher, die Leute von Jesus sehen ihn an, wie er auf das Haus zugeht.
Jesus steht auf der Schwelle des Hauses, sieht diesen Mann an.
Der Mann erhebt sich und schaut Jesus an.
Jesus sieht den Mann an und sagt: „Komm mit. Lebe mit mir. Lass alles stehen und liegen, lass dein altes Leben hinter dir und fang noch einmal ganz von vorne an. Ich nehme dich so, wie du bist.“
Der Mann sieht sich um: Das Geld, seine Mitarbeiter, die ihn alle anschauen …
… und steht auf und geht mit. Etwas an Jesus muss ihn ungeheuer fasziniert haben.
Die Berichte über Jesus im Neuen Testament sind voll davon, dass Jesus mit einzelnen Menschen so umgeht. Das macht etwas mit einem Menschen, wenn ihm eine solche natürliche Autorität begegnet, verbunden mit vorbehaltloser Liebe.
In Europa kann man den Eindruck gewinnen, dass wir in einer nachchristlichen Gesellschaft leben, also in einer Gesellschaft, die größtenteils glaubt, sie hätte den christlichen Glauben hinter sich, auch wenn sie ihn vielleicht noch nie wirklich kennengelernt hat. In einer solchen Gesellschaft offen und engagiert vom Glauben – besonders über Jesus – zu reden, ist eher unüblich. Mir ist schon klar, dass ich meinen Gesprächspartnern damit einiges zumute.
Wer selbst überprüfen möchte, wie die gesellschaftliche Großwetterlage ist, kann z. B. folgendes Experiment durchführen: Bei der nächstbesten Feier oder Einladung zu einem Fest geht man auf einen wildfremden Menschen zu und sagt zu ihm: „Guten Tag, mein Name ist XY, und ich habe eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus.“ Dann wird der andere mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sein Bier- oder Bionade-Glas leeren, einen Vorwand murmeln und das Weite suchen.
Dieses Klima ist mir bewusst, und deswegen bitte ich auch um Nachsicht dafür, dass ich meine Überlegungen zum Thema Selbstwert und Glaube an Jesus so offen und etwas unvermittelt entfalte. Ich bin nämlich überzeugt davon, dass hier die Antwort auf die Frage nach dem Wert und dem Sinn unseres Lebens steckt. Deswegen möchte ich an dieser Stelle eine Bitte formulieren: Lassen Sie den Gedanken zumindest testweise zu: Was wäre, wenn die Sehnsucht nach „Mehr“ tatsächlich berechtigt ist und ich bisher möglicherweise nur an der falschen Stelle gesucht habe? Was wäre, wenn an der Antwort des christlichen Glaubens tatsächlich etwas dran ist?
Erinnern wir uns an das Buch, das unter dem Beamer liegt. Stellen wir uns vor, dieses Buch würde in einer Bibliothek stehen. Spätabends, kurz vor Schließung, rennt ein Philosophiestudent in diese Bibliothek, zerrt das Buch aus dem Regal und blättert mit fiebrigen Fingern darin. Wie ein nasser Schwamm saugt er die Informationen auf, weil er am nächsten Tag eine wichtige Prüfung hat. Wenn ich dieses Buch wäre, würde ich mir denken: „Ah!! Dafür bin ich gemacht. Das ist das, wofür ich da bin.“
Wenn wir als Menschen mit diesem Gott, der uns in Jesus begegnet, in Kontakt kommen, dann passiert etwas ganz Ähnliches. Dann begreifen wir: Ach so! Dafür bin ich gemacht. Ich bin geschaffen für einen Sinn, der viel tiefer reicht als alles, was ich in meinem Leben finden kann. Für einen Sinn, der unzerstörbar ist, auch wenn die äußeren Bedingungen meines Lebens noch so schwierig sind. Ich bin gemacht für eine Liebe, die alles übersteigt, was ich jemals erlebt habe, eine Liebe, die realistisch ist, die mich offen und unverstellt wahrnimmt und die zugleich bedingungslos ist. Die begeistert ist davon, dass ich da bin, und die mir gilt, egal, was ich tue oder lasse.
Dafür bin ich gemacht, für eine unendlich liebevolle, verlässliche und ewig dauernde Liebe.
Und ich bin gemacht für eine Hoffnung, die alles übersteigt, was ich bisher erlebt habe, eine Hoffnung, die sogar die Grenzen dieses Lebens übersteigt.
Um all das wird es in den folgenden Kapiteln gehen. Vielleicht haben Sie Lust bekommen weiterzulesen.
Matthias Clausen
Matthias Clausen Jg. 1972, ist Professor für Evangelisation und Apologetik an der Ev. Hochschule Tabor in Marburg. Darüber hinaus engagiert er sich als Hochschulevangelist und ist Teil des 5er-Redner-Teams von ProChrist. Matthias Clausen ist verheiratet und hat drei Kinder.
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