In den letzten Jahren haben viele Christinnen und Christen in zunehmendem Maße (wieder)entdeckt, dass ihr Glaube keine Privatsache ist, sondern eine öffentliche Dimension besitzt. Eine solche Entwicklung zur Ganzheitlichkeit, d.h. zu einem Glauben, der für alle Bereiche des (post-)modernen Lebens von Bedeutung ist, ist aus unserer Sicht sehr zu begrüßen. Gleichzeitig stellen aber auch nicht wenige fest, dass es gar nicht so einfach ist, in der Öffentlichkeit angemessen und verständlich über den eigenen Glauben zu kommunizieren. In unserer postmodernen und postsäkularen Gesellschaft existieren ein neu erwachtes Interesse sowie neue Anschluss- und Verständnismöglichkeiten für Glauben und Religion.
Zugleich aber kommen auch neue Ebenen der Kritik an ihnen auf, wie z. B. die häufige Unterstellung, dass, wer der Religion im öffentlichen Raum Platz gewährt, zugleich auch zwangsläufig Gewalt, Fundamentalismus und letztlich dem Terror Tür und Tor öffne. Zudem passen angesichts der tiefen gesellschaftlichen Umbrüche viele vertraute Weisen, den Glauben zu kommunizieren, nicht mehr. Das gilt für traditionell-konservative Glaubensvarianten ebenso wie für viele modern-liberale. Die sich daraus ergebenden Sprach- und Verständigungsprobleme führen zu Unsicherheiten bei vielen Christinnen und Christen. Besonders die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass vieles, was in den vergangenen zwei Jahrzehnten über Pluralismus in der Theorie reflektiert wurde, in der komplexen Realität der Praxis nur schwer umzusetzen ist. Ereignisse wie das Auftauchen von Pegida, die Anschläge in Paris im Januar 2015 oder Debatten über sexuelle Vielfalt stehen für unzählige Talkshowdebatten, unwürdige Facebookeinträge und unsichere Diskussionen an der Basis. Sollen oder müssen wir als Christinnen und Christen zu all diesen Themen Stellung beziehen? Wie vertreten wir dabei unseren Glauben? Wo müssen wir Anstoß erregen und prophetisch in unsere Gesellschaft hineinreden und wo stoßen wir an Grenzen, weil wir nicht verstanden werden, da sich die gesellschaftlichen Bedingungen längst zu stark von unserer durch den Glauben geprägten Sicht wegbewegt haben?
Diese Veränderungen werden an der Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten deutlich. Die heutige Jugendgeneration versteht religiöse Begriffe zumeist nicht mehr vor dem Hintergrund einer christlichen Tradition. Für viele ihrer Angehörigen sind Vokabeln wie Gnade, Sünde oder auch Gott kaum verstehbar oder völlig sinnentleert. Forscher sprechen daher auch von einer „semantischen Leerstelle“ im Sprechen der Jugendlichen über Glaube und Gott. Und wenn diese Begriffe für Jugendliche noch mit einem Sinn verbunden sind, dann haben sie häufig aus ihrer Lebenswelt heraus eine ganz eigene Deutung entwickelt. So erzählte mir (Tobias Faix) ein 17-Jähriger, dass für ihn das „Kreuz“ ein wichtiger Begriff in seinem Leben sei. Als ich nachfragte, was das Kreuz für ihn bedeute, antwortete er mir: „Gesundheit“. Da der Zusammenhang für mich nicht nachvollziehbar war, fragte ich nach und er erklärte mir, dass er Fan von Juventus Turin sei und sein Lieblingsspieler Del Piero sich beim Einlaufen aufs Fußballfeld immer bekreuzige, damit er sich nicht verletzt. Deshalb stehe das Kreuz für Gesundheit und er mache dies übrigens auch so.
Auch weiß man durch diverse Jugendstudien, dass zwar nach wie vor ein guter Teil der Jugendlichen an einen Gott glaubt, dieser Gottesglaube zugleich aber immer diffuser wird, wobei Gott immer weniger als Person gesehen wird. Diese Sinnverschiebungen in der Sprache sind nicht die einzige Herausforderung. Nach Hunderten von Jahren eines vermeintlich „christlichen Abendlandes“ verändert sich die Stellung des christlichen Glaubens in der Gesellschaft substanziell, institutionell und strukturell, denn Religion und Spiritualität zeigen sich heute ebenso wie unsere Gesellschaft ausdifferenzierter als jemals zuvor. Dies bedeutet unter anderem, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Plausibilitätsstruktur des christlichen Glaubens zunehmend schwindet. Der Religionssoziologe Peter L. Berger behandelte schon vor über 30 Jahren in seinem wichtigen Buch „Der Zwang zur Häresie“ die Frage nach dem Glauben in einer sich wandelnden modernen Gesellschaft.
Pressestimmen
04.09.2017Neukirchener Kalender 2018 Christlicher Glaube ist keine Privatsache, davon ist Prof. Volf überzeugt: Das Evangelium hat höchste Relevanz für alle Aspekte und Dimensionen menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Christen sollten sich nicht ängstlich in die Privatsphäre zurückziehen, sondern sich in die pluralistische Gesellschaft einmischen.
24.10.2016in: "Bist du es?" Arbeitsbuch zur Ökumen. Bibelwoche 16/17 Wie vertragen sich ein liberaler Staat und eine pluralistische Gesellschaft mit öffentlich gelebtem und zur Sprache gebrachtem Glauben verschiedener Religionen? Dieser aktuellen Fragestellung begegnet Volf in seinem engagierten und lesenswerten Buch. Zunächst nimmt er die gesellschaftlichen Bedenken auf, dass öffentliche Religion totalitäre Tendenzen habe und Konflikte fördere. Er zeigt die Ursachen dafür, widerspricht aber entschieden der Folgerung, man solle
Glauben ausschließlich in die Privatsphäre verbannen. Volf entwickelt theologisch fundiert und anschaulich praxisnah einen Gegenentwurf vonseiten des christlichen Glaubens. Volf entlarvt aber auch Fehlentwicklungen im christlichen Glaubenskontext: Dabei wendet er sich zuerst dem inneren Raum des Glaubens zu, wo man entweder nur bei Gott bleiben und die Menschen vergessen will oder andersherum. Dann stellt er die Gefahren nach außen heraus, wo der Glaube sich den gesellschaftlichen Prozessen entweder anpasst oder sich von ihnen absondert. Dagegen wirbt er für einen Glauben, der um seine Quellen weiß, aus ihnen handelt und darum seine Identität bezeugt und den Menschen - auch öffentlich - dient. (...)
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09.03.2016Annelene Neumann / DRAN NEXT 2.16 Die Terroranschläge von Paris haben nicht nur Europa ins Nachdenken über Religion und Staat gebracht. Bedeutet es allerdings, dass Religion am besten nur noch privat gelebt werden sollte? Volf befasst sich mit der Frage nach der öffentlichen Wirkung des Glaubens in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich eben nicht nur aus vielen verschiedenen religiösen, sondern auch aus unterschiedlichen säkularen Anschauungen
zusammensetzt. Sein Buch hätte zeitlich nicht besser erscheinen können. Volf bearbeitet diese Thematik sehr differenziert und fachlich fundiert. Ein Buch für all jene, die mit ihrer eigenen christlichen Überzeugung nicht beim privaten Glaubensleben stehen bleiben möchten. Denn nur weil ein paar Menschen den Glauben als Rechtfertigung für ihre Gewalttaten benutzen, heisst es nicht, dass Religion aus dem öffentlichen Leben gestrichen werden sollte.
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