Schmerz – in physischer und psychischer Form – wird oft tabuisiert. Doch das muss nicht so bleiben.
Debora Sommer, Bestsellerautorin, Theologin und gefragte Referentin, sieht sich seit etlichen Jahren mit einer chronischen Schmerzsituation konfrontiert. In 52 Lektionen, von denen eine von ihrem Mann stammt, teilt sie nun ungeschönt und ehrlich Erlebnissplitter eines ganzen Jahrzehnts. Sehr persönlich gewährt sie Einblick in ihre mitunter verzweifelte Suche nach Hoffnung – bei der ihr der Glaube und Gottes Wort als Quelle der Lebenskraft und des Trostes noch einmal ganz neu kostbar wurden.
Mit 52 Hoffnungsschimmern möchte die Autorin all diejenigen ermutigen, die sich nach neuer Hoffnung sehnen und darüber hinaus zu mehr Transparenz im Umgang mit verborgenen Leiden anregen.
Selbst für einen Agnostiker wie mich sind die religiösen Einordnungen der Autorin – sie ist ja promovierte Theologin – durchaus inspirierend. In jedem Falle dienen sie wohl als gutes Beispiel dafür, dass aus dem Glauben gespeiste Hoffnung und Vertrauen sehr wertvolle Ressourcen darstellen können. Glücklich darf sich schätzen, wer darauf zurückgreifen kann!
(aus dem Vorwort des behandelnden Arztes)
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Einführung
Noch nie ist es mir so schwergefallen, ein Buch zu beginnen. Noch nie habe ich so lange gezögert. Noch nie habe ich so viele Anfänge verworfen und nochmals von vorne begonnen. Zu viele Stolpersteine bremsten mich aus, bevor ich überhaupt angefangen hatte: der große Respekt vor dem Thema. Die Unzulänglichkeit meiner Worte.
Das Ringen mit meiner eigenen Schmerzsituation. Die Dunkelheit, die meinen Blick zeitweilig trübte. Herausforderungen privater Natur. Der Blick auf Menschen, deren Not unbeschreiblich viel größer ist. Die Sorge, dass meine Worte angesichts individueller und globaler Tragödien leer und kraftlos wirken könnten und die Last der Leidenden noch schwerer drückt.
Der tragische Suizid einer wundervollen jungen Studentin wurde zum letzten Anstoß, mein Zögern zu überwinden und ehrlich in Worte zu kleiden, was viel zu oft unausgesprochen bleibt. Sie stand kurz vor ihrem Abschluss am Theologischen Seminar, an dem ich unterrichte. Wunderschön, begabt, intelligent, geliebt, mit hoffnungsvollen Zukunftsaussichten. Dass sie entschied, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, war ein Schock für alle, die sie kannten. Zurück bleiben Trauer, offene Fragen und die Erkenntnis: Es braucht mehr Transparenz im Umgang mit verborgenen Leiden, die auch vor Christen nicht haltmachen.
Zum Inhalt dieses Buches
In diesem Buch geht es um chronische und seelische Schmerzen. Beides ist für Außenstehende meist unsichtbar, was das Gefühl der Einsamkeit bei Betroffenen verschärft.
Dieses Buch ist weder eine fachliche Abhandlung noch eine theologische Erörterung der Themen »Leid« und »Schmerz«. Es geht vielmehr um meine persönlichen Erfahrungen und Lektionen aus den vergangenen zehn Jahren mit chronischen Schmerzen. Dabei handelt es sich nicht um fertige Wahrheiten, sondern um Gedankenanstöße, die gerne weitergedacht und in vergleichbare Situationen übertragen werden dürfen.
Dem Umstand, dass es sich um ein so persönliches und sensibles Thema handelt, möchte ich Rechnung tragen, indem ich die Leser meines Buches mit »Du« anspreche.
Meine Worte richten sich an Betroffene, aber auch an Menschen aus deren Umfeld. Betroffenen möchte ich eine Stimme geben, ihnen die Hand reichen und sagen: »Du bist nicht allein, auch wenn es sich für dich vielleicht oft so anfühlt.« Menschen aus deren Umfeld möchte ich die Möglichkeit geben, sich besser in die Situation von Schmerzpatienten oder Leidenden hineinzuversetzen. Aber auch enge Bezugspersonen von Betroffenen (Eltern, Kinder, Ehepartner, Freunde etc.) brauchen mehr Verständnis und Barmherzigkeit, da sie in dem Ganzen oft vergessen werden.
Das Buch besteht aus drei Hauptteilen:
Teil I beschreibt, wie real die Erfahrung von Dunkelheit und Einsamkeit im »dunklen Tal« chronischer und seelischer Schmerzen sein kann. Hier greife ich vor allem schmerzliche Erlebnissplitter heraus, die das Gefühl der Einsamkeit, der Ohnmacht und des Unverstandenseins verstärkt haben; dies oft auch in der Interaktion mit anderen Menschen. Ausgehend von meinem Hintergrund spielt der christliche Glaube auch in diesem Teil eine tragende Rolle. Doch im dunklen Tal wird das Vertrauen auf Jesus Christus zu einer völlig neuen Herausforderung.
Teil II enthält Impulse, wie der christliche Glaube an den dreieinigen Gott (Gott Vater, Jesus Christus, Heiliger Geist) zu einer aktiven Ressource bei der Schmerzbewältigung werden kann.
Teil III thematisiert Schwierigkeiten und Chancen, die der Umgang mit Leid und Schmerz an eine Gemeinschaft stellt. Sei es im kleineren Rahmen von Angehörigen, Freunden oder Bekannten oder im größeren Rahmen einer christlichen Gemeinschaft. Hier erkenne ich dringenden Handlungsbedarf. Welcherart soll das Miteinander sein, damit Betroffene in der Gemeinschaft Halt finden, Menschen in deren Umfeld jedoch nicht an der Situation zerbrechen, sondern daran wachsen? So, dass Schmerzliches bestenfalls sogar zur Chance für ein verändertes Miteinander wird?
Die drei Teile bestehen aus insgesamt 52 Kurztexten, was dieses Buch zu einem potenziellen Jahresbegleiter macht. Pro Woche ein neuer Impuls.
Die Kurztexte beschreiben nicht meinen Status quo, sondern Momentaufnahmen, Erlebnis- und Gefühlssplitter eines ganzen Jahrzehnts. Obwohl biografisch und in der Ichform geschrieben, wünsche ich mir, dass die Texte auch stellvertretend für das Erleben von anderen Schmerzpatienten und Leidenden stehen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sprechen. Stets im Bewusstsein, dass Erfahrungen so individuell sind wie wir Menschen und jeder anders mit dem Erlebten umgeht.
In allem Schweren und Dunklen soll immer wieder Hoffnung durchschimmern. Daher endet jeder Eintrag mit einem Bibelvers und einem Hoffnungsschimmer. Letzteres in Form eines Gebets, das du gerne mitbeten darfst, wenn du magst. Es geht um Hoffnung, die im Vertrauen auf den dreieinigen Gott gründet. Wenn alle Stricke reißen und wir den Halt verlieren, ist der Lebendige und Allmächtige immer noch da; sind wir liebevoll von ihm gehalten - selbst wenn wir es nicht fühlen. Hoffnung klammert dunkle Erfahrungen nicht aus, sondern kämpft sich durch den Zerbruch. Es bleibt ein schmerzliches Ringen, sich mitten in der Dunkelheit an den zu klammern, der Halt verspricht und unsere Fragen und Zweifel aushält.
Über mich
Einige kennen mich als Theologin (z. B. durch meine Arbeit am Theologischen Seminar St. Chrischona), andere als Autorin, Event-Sprecherin oder Menschenbegleiterin. Für Weitere bin ich eine Unbekannte. Mehr über mich und meine Tätigkeit erfährt man hier: www.deborasommer.com. Zudem bin ich seit 25 Jahren mit Rolf verheiratet und Mama von zwei wundervollen jungen Erwachsenen. Doch letztlich sind dies nur oberflächliche Angaben, die nicht viel über mich und mein Wesen aussagen.
Was viele nicht wissen und worüber ich in der Öffentlichkeit bis jetzt selten gesprochen habe: Ich bin auch Schmerzpatientin. Zum Zeitpunkt der Bucherscheinung ist der Schmerz seit exakt einem Jahrzehnt mein täglicher Begleiter. Auch wenn es in meinem Leben schon einige Hürden zu bewältigen gab, nichts ist vergleichbar mit der Erfahrung von Schmerz. Nichts so zermürbend. Nichts so herausfordernd. Nichts so überfordernd.
Zwei Persönlichkeitsmerkmale prägen meinen Umgang mit Schmerz besonders stark: Meine Introversion und meine Hochsensibilität. Über beide Veranlagungen habe ich Bücher geschrieben.
Als Introvertierte bin ich stark nach innen orientiert (introvertiert kommt von Lateinisch intro vertere = nach innen wenden). Das heißt, dass ich Dinge tief in meinem Inneren bewege und oft Mühe damit habe, anderen Anteil an dem zu geben, was mich zutiefst umtreibt. Introvertierte sind Meister darin, sich vor anderen zu verstellen. Stark Introvertierte können ihre private Innenwelt derart hermetisch abriegeln, dass nach außen hin niemand mitkriegt, wie dunkel und hoffnungslos es in ihnen aussieht. Mit einem Lächeln auf den Lippen überspielen sie ihre Verzweiflung und Einsamkeit. Genau dies beschreibt meine Situation in gewissen Phasen meines Schmerzerlebens und wird auch in einigen Texten zum Ausdruck kommen.
Dass ich zusätzlich hochsensibel bin, wirkt in Verbindung mit meiner Introversion wie eine Verstärkung. Es sei erwähnt, dass es Hochsensibilität auch in einer extravertierten Ausprägung gibt. Schon länger fällt mir auf, dass die Erfahrung von Schmerz bei auffallend vielen Hochsensiblen (sowohl introvertierten als auch extravertierten) ein Thema ist. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Aufgrund ihres empfindsameren Nervensystems nehmen Hochsensible - beziehungsweise erhöht Neurosensitive - äußere und innere Reize sehr viel intensiver wahr als Nichthochsensible und verarbeiten die Reize entsprechend tiefer. So nehmen Hochsensible auch Schmerzen intensiver wahr. Darüber hinaus reagieren sie oft stärker auf Medikamente, was sich in allerlei unangenehmen Reaktionen und Nebenwirkungen äußern kann. Der Mensch ist eine untrennbare Einheit von Körper, Seele und Geist. Wenn es einem Bereich schlecht geht, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die anderen Bereiche. Mir scheint, dass die »Zwischenwände« zwischen Körper, Seele und Geist bei Hochsensiblen besonders dünn, zerbrechlich und angreifbar sind. Umgekehrt kann es auch bedeutsam und hilfreich sein, dass Hochsensible schon kleinste Signale des Körpers wahrnehmen.
Es kostet mich viel Mut, dieses Buch zu schreiben. Denn darin öffne ich mein Herz in einer Weise, wie ich es noch nie zuvor gewagt habe. Damit mache ich mich angreifbar und verletzlich. Doch ich habe mich dafür entschieden, weil man einem existenziellen Thema wie diesem in der Theorie kaum gerecht wird.
Über den Schmerz
Wer an chronischen Schmerzen leidet, ist nicht allein. Eine Studie aus dem Jahr 2017 über chronische Schmerzen in siebzehn europäischen Ländern ergab, dass einer von fünf Europäern an chronischen Schmerzen leidet. In den siebzehn untersuchten EU-Ländern leiden 95 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen; insgesamt 20 % der gesamten Bevölkerung. Eine erschreckend hohe Zahl.
Es gibt zahlreiche Bücher, die erläutern, was Schmerz ist und Aufschluss geben über verschiedene Schmerzarten und den Umgang damit. Schmerzen sind wichtige Warnsignale. Akute Schmerzen zeigen oft, dass im Körper etwas nicht in Ordnung ist. Dementsprechend verstehe ich auch seelische Schmerzen als Warnsignale, die wir dringend ernst nehmen sollten. Sie zeugen von einem inneren Leiden, das nach Aufmerksamkeit verlangt. Bei einer Chronifizierung kann sich der Schmerz verselbstständigen und zu einem eigenen Krankheitsbild werden, das höchst komplex und nicht leicht zu behandeln ist.
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb ich lange zurückhaltend war, wenn es um die Thematisierung meiner chronischen Schmerzerkrankung ging. Zweifellos spielt Selbstschutz eine nicht unerhebliche Rolle. Durch meine Schmerzsituation wurde ich noch dünnhäutiger. Umso verletzter war ich, wenn Menschen unbedacht, oberflächlich oder lieblos mit mir und meinem Erleben umgingen. Tragischerweise geschah dies besonders oft im christlichen Kontext. Sei es durch Menschen, die behaupteten, wenn ich nur richtig glauben würde, dann wäre ich längst geheilt, oder solche, die nicht in der Lage waren, hilfreich mit meiner Schmerzsituation umzugehen.
Meine chronischen Schmerzen sind darauf zurückzuführen, dass es im Frühling 2013 (wie sich erst viel später herausstellte) vor oder während einer Bandscheibenoperation zu Nervenschäden an drei Nervenwurzeln im Lendenbereich gekommen sein muss (Post-Laminektomie-Syndrom). Die Folge davon waren neuropathische Schmerzen; Nervenschmerzen, die vom Lendenbereich über das Gesäß ins linke Bein bis in den Fuß ausstrahlen. Ich bin von Herzen dankbar für Ärzte, die mich in den vergangenen Jahren begleitet haben. Allen voran Dr. med. Ulrich Kallenbach und Dr. med. Reto J. D. Keller. Ohne ihre Unterstützung wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Seit rund zwei Jahren erfahre ich dank wiederholter Behandlungen mit gepulster Radiofrequenz einige Wochen am Stück Schmerzlinderung, was ein großes Geschenk ist und eine Reduktion meiner Schmerzmedikamente möglich machte.
Ich suche kein Mitleid für mich, sondern möchte ganz grundsätzlich für chronische und seelische Erkrankungen und damit verbundene Herausforderungen sensibilisieren. Es ist mir bewusst, dass es Menschen gibt, die weit Schlimmeres durchmachen und ertragen als ich, was mich lange davon abgehalten hat, mich zu diesem Thema zu äußern. Habe ich denn überhaupt das Recht, etwas zu sagen? Ganz zu schweigen von Zuständen in anderen Ländern dieser Erde. Doch solche Gedanken sind ebenfalls Teil der Problematik. Vergleiche bringen uns nicht weiter. Ob eine Situation sehr schlimm, schlimm oder weniger schlimm ist - der Schmerz für Betroffene ist real. Wie überwältigend der Schmerz und das Leid anderer auch sein mögen, es ändert nichts an dem Umstand, dass ich mich meiner eigenen Lebenssituation und meinem eigenen Schmerz stellen muss.
Wenn es zum Thema Schmerz kommt, ist die Bibel ein weiser Ratgeber und kraftvoller Trostspender. Daher werde ich auch immer wieder auf sie zurückgreifen. Nicht weil sich dies für eine Theologin so gehört, sondern weil es meiner persönlichen Erfahrung entspricht.
Überraschende Resonanz
Lange Zeit war ich überzeugt, dass ich allein auf weiter Flur bin mit meinem Erleben.
Zwei Beiträge in den sozialen Netzwerken haben mich eines Besseren belehrt. Zwei Mal in zehn Jahren hatte ich den Impuls, öffentlich etwas zu meiner Schmerzsituation zu schreiben. Das erste Mal in einem Facebook-Beitrag im Juni 2018, kurz nachdem mein Blühe-Buch erschienen war und ich freudig von der Buchveröffentlichung und einer Einladung zum Autorenfestival in Marburg berichtet hatte. Doch das war bloß die eine Seite der Medaille. Die andere war, dass die Anreise und der Aufenthalt im Grunde genommen über meine verfügbaren Kräfte gingen und ich in der Nacht vor meiner Lesung vor Schmerzen kein Auge zutat. Also lag mir auf dem Herzen, über das Spannungsfeld zu schreiben, in dem ich steckte. Einerseits wunderbare Highlights (neue Bücher, Einsätze als Rednerin und vieles mehr), für die ich von Herzen dankbar war. Andererseits ein Wäschekorb voller leerer Medikamentenschachteln, symbolisch für die Medikamente, die ich im Jahr zuvor eingenommen hatte. Die Resonanz auf diesen Beitrag war eine Überraschung. Nie hätte ich mit so vielen dankbaren Echos gerechnet. Mehrheitlich von Menschen, von denen ich es nie erwartet hätte.
Mir wurde bewusst, wie viele Menschen leiden. Einige still und verborgen, andere lauter und öffentlicher. So viele Menschen fühlen sich zutiefst einsam und unverstanden. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich einen Teil dazu beitragen, dass diese oft übergangene und missverstandene Gruppe von Menschen sichtbarer und spürbarer wird - auch im christlichen Kontext. Denn früher oder später könnten wir alle mit körperlichem oder seelischem Schmerz konfrontiert werden, wenn auch nicht in derselben Intensität.
Noch größer war die Resonanz auf meinen zweiten Beitrag zu diesem Thema im August 2020. Es hat mich tief bewegt, wie viele Rückmeldungen und Hilferufe mich daraufhin erreichten. Aber auch Erleichterung darüber, dass andere ähnlich empfinden und man als betroffene Person nicht allein ist. Hier der erwähnte Beitrag in leicht angepasster Version:
12. August 2020
»Jede Person, die du triffst, kämpft einen Kampf, von dem du nichts weißt. Daher: Sei barmherzig!«
Heute wage ich wieder mal einen sehr persönlichen Beitrag. Ich wage es, weil in sozialen Netzwerken leicht ein einseitiger (und oberflächlicher) Eindruck eines Lebens entsteht. Daher dieser etwas andere Blick auf meine aktuelle Lebenssituation. Aber vor allem wage ich es für diejenigen, die Ähnliches erleben und still für sich leiden. Ich möchte, dass sie wissen, dass es da draußen Menschen gibt, die ihren Schmerz teilen.
Einige von euch sind in den vergangenen Jahren vielleicht durch ein Buch, ein Referat, ein Interview oder anderes auf mich gestoßen. Als introvertiert-hochsensible Person kostet es mich immer wieder viel Mut und Kraft, mich auf diese Weise sichtbar und verletzlich zu machen. Hinzu kommt ein Kampf, den ich nun schon bald acht Jahre kämpfe und von dem nur wenige wissen: der Kampf gegen chronische Schmerzen.
Es ist schwierig, in Worte zu fassen, was es mit einem Menschen macht, wenn man jeden Tag (und jede Nacht) einer Woche, eines Monats, eines Jahres … Schmerzen hat. Dazu kommt: Schmerzen sind unsichtbar. Und selbst wenn Nahestehende davon wissen, irgendwann gewöhnt man sich daran. Irgendwann fragt man nicht mehr nach, wenn man monatelang die Antwort erhalten hat »Nein, es ist noch nicht besser«. Damit wächst die Einsamkeit der Betroffenen. Es fühlt sich für sie an, als ob sie etwas durchstehen müssten, bei dem ihnen niemand helfen kann. Man sieht weder einen Arm im Gips noch eine sonstige sichtbare Einschränkung. Trotzdem kämpfen Betroffene gegen ein reales Leiden, das ihren Alltag auf unerbittliche Weise beeinträchtigt.
Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf die Umstände eingehen, die zu meiner chronischen Schmerzsituation geführt haben, oder die aktuellen Gegebenheiten. Ich bin nicht auf der Suche nach Ratschlägen, was man in meinem Fall besser oder anders machen sollte. Heute habe ich das große Privileg, in den Händen von ausgezeichneten Ärzten zu sein. In den vergangenen Wochen hat sich die Perspektive neuer Behandlungsmöglichkeiten eröffnet und ich wage es, mich nochmals auf einen Prozess mit unbestimmtem Ausgang einzulassen.
Natürlich haben wir auch oft gebetet! Ich glaube an einen Gott, der Wunder tut und heute noch sichtbar eingreift und Menschen auch körperlich heilen kann (das durften wir selbst schon eindrücklich erleben!). Aber ich glaube auch an das Wunder innerer Heilung und übernatürlicher Stärke, selbst wenn körperlich nicht das eintritt, wofür ich und andere beten. Es ist Ausdruck der Demut anzuerkennen, dass ER Gott ist und ich nicht. Aber auch Ausdruck der Überzeugung, dass dieser Schmerz nicht von IHM kommt, sondern dass mir der Lebendige höchstpersönlich in dieser gefallenen und gebrochenen Schöpfung nahe ist - und in meiner Einsamkeit mit mir weint.
Was manchmal noch schlimmer ist als der körperliche Schmerz, ist die psychische Erschöpfung. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in den vergangenen Jahren an einen Punkt gelangt bin, an dem ich dachte: Ich kann nicht mehr. Ich schaffe das nicht länger. Gedanken, die ich oft nicht einmal meinem Ehemann anvertraut habe.
Das Kostbarste, was ich in den vergangenen Schmerzjahren erfahren durfte, ist die Gnade, mich mitten im Schmerz von Gott gehalten zu wissen und ihm auf unaussprechliche Weise näherzukommen, als ich es je für möglich gehalten hätte. Es geht um die Gnade, mitten im Schmerz und der Traurigkeit Schönheit zu finden - Ganzheit - und Frieden. Ich spreche bewusst von Gnade, weil dies nicht mein eigenes Verdienst ist. Ich habe Verständnis für Menschen, die sich - vom Schmerz überwältigt - von Gott abwenden oder auf ihre eigene Weise damit umgehen. Auch bei mir gibt es Phasen, in denen es mir schwerfällt, über den Rand der Dunkelheit hinaus etwas anderes zu erkennen. Doch selbst in solchen Momenten trägt mich heute die unerschütterliche Gewissheit, dass ich gehalten bin. Selbst dann, wenn nicht einmal mehr ein Gebet über meine Lippen kommt.
Falls du selbst von chronischen Schmerzen (oder anderen Formen von Schmerz) betroffen bist, möchte ich dich von Herzen ermutigen: Gib nicht auf, auch wenn es aussichtslos scheint. Du bist gehalten! Da ist Einer, der deinen Schmerz sieht und dir mitten in deiner Einsamkeit und Traurigkeit nahe sein möchte.
Falls du nicht weißt, wie sich chronische Schmerzen anfühlen, möchte ich dich bitten - sei nachsichtig und erinnere dich stets daran: »Jede Person, die du triffst, kämpft einen Kampf, von dem du nichts weißt. Daher: Sei barmherzig!« Und wenn du noch mehr tun möchtest, dann suche nach einem Weg (z. B. sorgsam gewählte Worte, eine ermutigende Nachricht, eine kleine Aufmerksamkeit etc.), um Betroffenen zu zeigen, dass dir ihr Leiden nicht egal ist.
Wunsch an den Leser, die Leserin
Falls du nicht persönlich betroffen bist und das Buch einfach aus Interesse liest oder weil jemand in deinem Umfeld leidet, wünsche ich dir wachsendes Verständnis und ein offenes Herz. Der Umgang mit Leidenden erfordert Geduld, Weisheit, Fingerspitzengefühl, Mitgefühl, Behutsamkeit und Nachsicht. Ich möchte dir meinen tiefen Dank aussprechen, dass du bereit bist, dich diesem Thema zu stellen. Das zeugt von Respekt und Großherzigkeit. Falls du als enge Bezugsperson müde und kraftlos geworden bist, wünsche ich dir neue Kraft und Perspektive.
Falls du selbst chronisch krank bist oder sonst an Schmerzen leidest, wünsche ich dir viel Trost und neuen Mut. Lass nicht zu, dass Bitterkeit oder Hoffnungslosigkeit dein Herz erobern und dein Innenleben vergiften. Ich bete dafür, dass die Hoffnungsschimmer zu dir durchdringen und du Halt findest bei dem, der dich behutsam und liebevoll in seinen Händen hält.
Dies wünscht von Herzen
Debora Sommer
Wilen am Sarnersee (Schweiz), 2. Juni 2022
Debora Sommer
Dr. Debora Sommer (1974) ist Dozentin am Theologischen Seminar St. Chrischona, Referentin, Autorin und Menschenbegleiterin. Sie ist verheiratet, Mutter von zwei jungen Erwachsenen und lebt in der Schweiz.
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