Geschichten aus »Und doch lacht mir die Sonne« & »Meines Lebens bunte Blätter«.
1934 erblickt Lotte Bormuth in Bessarabien das Licht der Welt. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wird die Familie nach Polen umgesiedelt und flieht schließlich 1945 in den Westen. Der Neuanfang als Flüchtlingsfamilie ist nicht leicht. Auf einer christlichen Freizeit findet Lotte schließlich zum Glauben und lädt auch andere zum Glauben ein. Bis heute ist es ihr ein Anliegen, die Menschen in ihrem Umfeld für Gott zu gewinnen. Davon zeugen die vielen Erlebnisse in diesem Buch.
Wie Blätter in meiner Hand. Mein Leben
In der sengenden Mittagsglut sind die Straßen wie leer gefegt. Nur ein paar zottige Hunde trotten träge über das heiße Pflaster. Sie suchen Schutz vor der heißen Sonne im Schatten eines Baumes. Ich sitze im Gras.
Ein kleiner Bach plätschert vor mir dahin und fächelt mir etwas Kühle zu. In meiner Hand halte ich einen Strauß von Margeriten, Mohn- und Kornblumen. An einem Rain habe ich sie gepflückt. Ich liebe diese Feldblumen. Sie bringen wunderbare Farbtupfer in ein vom Wind bewegtes Getreidefeld. In tiefen, fast schwermütigen Gedanken versunken streicht mein Leben an mir vorüber. Dabei werfe ich, eigentlich ohne rechten Grund, eine Blume nach der anderen in den Bach. Seine Wasser überspülen und tragen die Blüten fort. Einige werden auch in die Tiefe gerissen und tauchen nicht mehr vor mir auf.
So ist mein Leben, muss ich denken. Wie die Blüten in der plätschernden Flut ist es dahingeflossen, manchmal ruhig, ja fast träge und dann wieder in wirbelndem Strudel sich fast überstürzend. Was ist aus meinen Träumen und Wünschen geworden? Wie viele Menschen haben mich in meinem Lauf begleitet, mich mit Liebe überschüttet, sind mir Mutmacher und Helfer geworden?
Aber gab es nicht auch die Menschen und Mächte, die sich so bedrohend, ja zerstörerisch in mein Dasein gedrängt und sich mir in den Weg gestellt haben? Wie habe ich es schaffen können, dass ich trotz dieser Gefahren das biblische Alter habe erreichen können?
Und dann taucht die noch viel bedeutsamere Frage in mir auf: Wird mein Leben Bestand haben, wenn ich dem eigentlichen Ziel, der Vollendung in Gottes Herrlichkeit, entgegengehe und vor meinem Richter stehe?
Was sagt der Psalmist über diese Zeitspanne hier auf Erden?
„Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist und wie eine Nachtwache. Du lässest die Menschenkinder dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, gleichwie Gras, das doch bald welk wird, das frühe blüht und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und verdorrt.“
Diese Wahrheit in der Tiefe ihrer Bedeutung zu erfassen, wäre zu schwer und bedrückend, gäbe es da nicht auch das andere Wort zu Beginn des Psalms 90:
„Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!
Denn tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag, der gestern vergangen ist und wie eine Nachtwache.“
Daran will ich mich halten und mich freuen. Welch eine wunderbare Zusage! Gott ist immer da. In ihm darf ich mich bergen und fröhlich sein in all meinem Tun. Es macht mir Lust, diesem Gedanken nachzugehen und meinen Lebenslauf zu betrachten. Ich will mein Dasein wie einen Blütenstrauß in meiner Hand behalten und es bestaunen. Ich will diesen Blütenzauber, so wie er mir bewusst wird, aufleuchten lassen. Dankbar will ich sagen: Ich gedenke der vorigen Zeiten und mein Herz ist fröhlich in meinem Gott.
Bessarabien – meine Heimat
Bessarabien, das heutige Moldawien, ist ein herrliches Land. Obwohl ich nur sechs Jahre meines Lebens dort zugebracht habe, empfinde ich es als meine eigentliche Heimat. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns sehr oft über unseren Ursprung unterhalten haben und in der Kindheit der Mensch seine tiefste Prägung erfährt.
Dort bin ich in dem stattlichen Dorf Sofiental geboren. Acht Kilometer lag es vom Schwarzen Meer entfernt. Deutsche Siedler hatten hier ihre Häuser und Höfe gebaut. Die Kirche mit ihrem Glockenturm bildete die Mitte des Dorfes. Schmuck sahen die Gehöfte aus. Zur Straßenseite waren sie mit einer weiß getünchten Mauer umgeben. Blühende, fruchtbare Gärten waren der Stolz der Bäuerin. Akazienbäume umsäumten die Dorfstraße. Schon von Weitem roch man ihren wunderbaren Duft. Kam man näher an sie heran, dann summte es vor lauter Bienen, die sich ihren Honig aus den Blüten holten. Zwischen den beiden Häuserreihen war ein breiter fruchtbarer Streifen Land mit Rizinusstauden bepflanzt. Das Haus meiner Großeltern lag gegenüber der Kirche, so ziemlich in der Dorfmitte, wo auch der Dorfbrunnen stand. Das Haus meiner Eltern stand am Dorfausgang und war noch recht neu, aus roten Ziegeln errichtet. Unser Hof war zu der Zeit verpachtet und Onkel Emil bewirtschaftete das Erbe meiner Eltern.
In der Kirche war auch zugleich das Schulhaus untergebracht. Sonntags riefen die Glocken zum Gottesdienst und an den Werktagen tummelten sich die Schüler im Gebäude und wurden im Lesen, Rechnen und Schreiben unterrichtet. So hatte beides seinen Platz im Leben der Bevölkerung: das Wort von Gott und die Erziehung der Jugend zu einem verantwortungsvollen Dasein.
In diesem schmucken, sauberen Dorf erblickte ich am 3. Januar 1934 das Licht der Welt. Meine Großeltern haben immer darauf bestanden, dass die Enkelkinder in ihrem Haus unter ihrer Obhut geboren wurden. So waren meine Eltern schon vor Weihnachten von ihrem Wohnort Purkari, wo die landwirtschaftliche Schule stand, nach Sofiental aufgebrochen, als der Geburtstermin näher rückte. Ich war das zweite Kind in der Familie und der Schrecken war groß, als ich geboren wurde und kaum lebensfähig war. Die Hebamme wickelte mich in ein Tuch und legte mich zur Seite. Sie versorgte erst meine Mutter, weil sie keine Hoffnung für mich hatte. Jedenfalls wurde mir dies später so erzählt. „Dies Kind ist zu schwach“, sagte sie zu meiner Großmutter, „es wird den Abend kaum erleben.“
Großvater wurde von der Hiobsbotschaft unterrichtet, eilte herbei, hob mich aus den Kissen, schlug mir kräftig auf den Rücken, rieb mir mit seinen großen warmen Händen den Körper, sah mir in die Augen und litt Not. Schnell wurde der Küstenlehrer geholt und ich wurde notgetauft.
So stand mein Eintritt in diese Welt unter keinem guten Stern. Aber Gott wollte, dass ich lebe. Er hat mich geschaffen, elend, aber doch wunderbar und hat mir aller Todesahnung zum Trotz neue Kräfte geschenkt. Ich war ein schwaches Kind und blieb es auch über viele Jahre, aber doch regte sich in mir Lebensfreude und Energie. Großmutter hat mich vom ersten Tag an aufgepäppelt und mit jedem neuen Tag ging es aufwärts mit mir.
Bald nach der Geburt ging es wieder nach Purkari. Im großen Schlitten, der von vier Pferden im hohen Schnee gezogen wurde, ging die Fahrt zurück nach Hause. In Bessarabien war es Sitte, dass eine Wöchnerin sehr gut versorgt wurde. Die Nachbarinnen sprachen sich miteinander ab und jeden Tag übernahm es eine Familie, die besten Speisen ins Haus der Wöchnerin zu bringen: Täubchensuppe, Hühnerschenkel, Reisbrei mit Zimt. Schnell sollte sich die junge Mutter erholen.
Später, als ich selbst Mutter wurde, habe ich einmal sehr schmunzeln müssen. Unser Sohn Gottfried war geboren. Ich lag auf der Entbindungsstation des Bad Arolser Krankenhauses. Am dritten Tag besuchte mich mein Vater. Er war von Bebra über eine Strecke von hundert Kilometern im Zug angereist und hatte dreimal umsteigen müssen. In seiner Hand trug er eine Drei-Liter-Milchkanne und ein Hühnerbein guckte oben heraus. „Papa“, lachte ich schallend, „meinst du, ich müsste hier verhungern?“ Dabei wurde es mir warm ums Herz. Wie viel Liebe verbarg sich in diesem Essen. Meine Mutter musste schon sehr früh aufgestanden sein, um das Huhn zu schlachten und die Nudeln so fein zu schneiden. Niemals mehr habe ich so fein geschnittene Nudeln gesehen. Gesund sollte ich werden und mich gut nach den Strapazen der Geburt erholen. So scheuten meine Eltern keine Mühe. Und wie ich meinen Vater kenne, wird er allen Mitreisenden von seiner großen Freude erzählt haben, dass er schon wieder Großvater geworden sei. Zum vierten Mal sei ihm ein Enkelkind geschenkt worden und diesmal noch ein Junge dazu, wo er selbst nur fünf Töchter hatte.
Aber zurück zu den Umständen meiner Geburt. Wir lebten in Purkari, einem kleinen Ort, der von Rumänen und Russen besiedelt war. Mehrere Tausend Morgen Land gehörten zum landwirtschaftlichen Institut. Es war ein Staatsgut, auf dem junge Bauernsöhne zu tüchtigen Landwirten herangebildet wurden. Der rumänische Königshof bezog seinen Wein, sein Getreide, sein Schlachtvieh, seine Butter und seine Milch von diesem hervorragend geleiteten Landgut. Hochwertige Weinsorten wurden angebaut und in Bezug auf die Schafzucht wurden Versuche unternommen, besondere Tiere zu züchten, die widerstandsfähig waren und gute Felle lieferten. Es waren die Karakulschafe. Für mich verbinden sich mit der Landwirtschaftsschule wunderschöne, frohe Erinnerungen.
Oft kamen vom Königshaus aus Bukarest Delegationen angereist, die das Gut besichtigen wollten. Dann durfte ich auf dem Kutschersitz mitfahren, wenn mein Vater seinen Gästen die Felder zeigte. Unser Kutscher Nasari gab mir dann die Leine und die Peitsche in die Hand und stolz lenkte ich die Kutsche. Manchmal musste ich die Pferde anhalten, die Besucher stiegen ab und mein Vater erklärte ihnen die verschiedenen Versuchsfelder mit Weizen und anderen Getreidesorten oder führte seine Gäste zu den Schafherden. Auch die kühlen Weinkeller, die unter der Erde angelegt waren, wurden besichtigt. Manche Fässer waren größer als ein Mensch.
Ich hatte auch immer viele Spielkameraden. Die Kinder der Lehrer und Arbeiter waren meine Freunde. Sie sprachen russisch oder rumänisch und so bin ich mehrsprachig aufgewachsen. Wir waren die einzigen Deutschen auf dem Gut, wenn ich von unserer Köchin und dem Kindermädchen absehe. Ich konnte besser rumänisch als deutsch reden und flocht oft auch russische Worte in mein Reden mit ein. Jeden Sommer fuhren wir in einem Vierspänner zu den Großeltern nach Sofiental und dann nach Budaki, einem Badeort am Schwarzen Meer, wo unsere Familie die Sommermonate verbrachte. Die landwirtschaftliche Schule, an der mein Vater Professor war, hatte ihre Pforten geschlossen, denn die jungen Männer wurden dringend auf ihren Höfen bei der Ernte gebraucht. Während wir Kinder uns am Strand tummelten, hatte sich mein Vater ins Sommerhaus zurückgezogen, um wissenschaftlich zu arbeiten. Nur am Spätnachmittag erschien er am Meer und dann war die Freude groß. Keiner konnte sich so gut mit uns in den Fluten vergnügen wie Vater. Am Strand spielten wir Fangen oder bauten Burgen, die wir mit großen und kleinen Muscheln verzierten. Am schönsten aber war es, wenn wir nach dem Baden auf einer bunten Decke lagen, uns in der Sonne rekelten und Vater Geschichten aus seinem Leben erzählte.
Es waren immer wahre Geschichten und wir Kinder haben gelacht und geweint, waren gespannt und aufgeregt, haben gehofft und gebangt. Mein Vater war ein Meister im Erzählen. Was hat er alles mit seinem Hund Rappka erlebt! Dieses treue Tier wurde uns zu einem guten Freund. Es war oft so, als finge er die Hasen vor unseren Augen oder vertriebe die Viehräuber und wir waren mitten unter den Herden. Stolz war ich auf meinen Vater, wenn er Rappka im Kampf mit einem Wolfshund aus seiner bedrohlichen Lage befreite und ihm dann seine Bisswunden verband. Ich litt mit diesem treuen Tier, bis Vater den befreienden Satz sagte: „Aber bis zur nächsten Hasenjagd waren alle seine Blessuren abgeheilt und Rappka konnte noch schneller springen als zuvor.“
Oder ich denke an die Geschichte von den siebenundzwanzig zerschlagenen Tellern. Vater entstammte einer großen Familie. Sechs Jungen und sechs Mädchen hatte seine Mutter geboren. Hinzu kamen noch Knechte und Mägde. Wie viele an der Zahl, das weiß ich nicht zu sagen. Im Sommer, wenn er von Sarata, wo er das Gymnasium besuchte, nach Hause kam, musste er seiner Mutter im Haushalt helfen und die jüngeren Geschwister betreuen. Seine Brüder aber waren beim Ernten und Dreschen eingesetzt. So gehörte es zu seinen Pflichten, die Milch zu entrahmen, die Butter im Fass zu stoßen, den Brotteig zu kneten, den Backofen mit Stroh und ausgedroschenen Maiskolben zu schüren, das Wasser aus dem Dorfbrunnen zu holen, die Petroleumlampen zu putzen, die Sommerküche zu fegen, Enten und Gänse zu füttern, die Eier aus den Nestern zu holen und nach den Glucken zu schauen. Nach dem Essen stand immer ein Berg von Geschirr auf dem Tisch, das gespült und abgetrocknet werden musste. Einmal passierte ihm bei der Arbeit ein Missgeschick. Während Vater einen Teller nach dem anderen abtrocknete und auf die etwas schräge Fensterbank stellte, sagte er das Gedicht vom Erlkönig auf:
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind.
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Immer höher stapelte er das Geschirr. Bei der siebten Strophe deklamierte er:
„Ich liebe dich.
Mich reizt deine schöne Gestalt.
Und bist du nicht willig,
so brauch’ ich Gewalt.“
Plötzlich gab es einen lauten Krach. Der hohe Stapel mit Tellern geriet auf der schrägen Fensterbank ins Rutschen, fiel auf den Boden und die Teller zersprangen in tausend Stücke. Sein Schrecken war groß. Seine Mutter – sie war eine resolute Frau – hatte das Klirren und den dumpfen Schlag gehört und erschien sofort in der Küche, einen Besenstiel in der Hand. Sein Vater war auf dem Hof und hatte das Malheur auch wahrgenommen. Er kam schnell herbeigerannt und rief laut: „Albert, komm sofort auf den Dreschplatz, du musst mir beim Ölen der Maschine helfen!“ Kein Befehl war ihm lieber als dieser. Mit einem Satz entwischte er durch die Hintertür. Noch auf dem Hof hörte er das Schimpfen seiner Mutter: „Wozu hat man die Kinder großgezogen, wenn sie noch nicht einmal das Geschirr abtrocknen können? 27 Teller, welch ein Schaden!“ Bis zum Abend ließ sich Vater wohlweislich nicht mehr in der Küche sehen. Bis zum Abendbrot aber hatte seine Mutter das Malheur vergessen. Neue Teller wurden gekauft.
So haben wir Kinder am Strand des Schwarzen Meeres viele fröhliche und ernste Geschichten gehört. Wenn er mit dem Erzählen aufhören wollte, bettelten wir wie aus einem Mund: „Papa, erzähl weiter, immer weiter!“ Sein Schatz an Geschichten war unergründlich. Es waren meist Alltagserlebnisse.
Friedrich war sein ältester Bruder. Er kam vom Militärdienst im Urlaub nach Hause. Etwas großspurig und selbstbewusst zündete er sich vor den Augen seiner Mutter eine Zigarette an. Sie aber konnte das Rauchen nicht ausstehen. Ihr war es schon zu viel, dass ihr Mann ein starker Raucher war. Er brauchte fast keine Streichhölzer, weil er sich immer eine Zigarette an der anderen anzündete. Mutter sah Friedrich bei seiner Hantierung zu. Er hatte noch nicht einmal den Glimmstängel zwischen den Lippen, da holte sie mit ihrer kräftigen Hand aus und die Zigarette landete auf dem Fußboden. „Hast du bei den Soldaten sonst nichts gelernt als nur das Rauchen?“ Das war alles, was sie zu diesem Vorfall zu sagen hatte. Die jüngeren Brüder kicherten hinter vorgehaltener Hand. Die Schadenfreude war auf ihrer Seite. „Unser Soldat, unser Friedrich, hat sicher zum ersten und zum letzten Mal zu Hause geraucht“, flüsterten sie sich zu. Friedrich aber ging wortlos aus der Küche. Nie mehr in seinem Leben hat er eine Zigarette angefasst. Von ihren sechs Söhnen hat keiner geraucht oder sich betrunken. Dafür hat meine Großmutter mit ihrem strengen Regiment gesorgt.
Und noch ein Erlebnis will ich erzählen: Ein sichtliches Vergnügen bereitete es den Brüdern, die oft zu sechst in einem überdimensionalen Bett – drei am Kopfende und drei am Fußende – schliefen, wenn sie ihre Kräfte zu messen begannen. Sie stemmten die Fußsohlen gegeneinander und drückten so lange, bis der Stärkere von beiden ermittelt war. Einmal barst bei diesem Kampf das rote Inlett. Die Federn wirbelten nur so durch die Luft. Dann trat vor lauter Schreck bei den Buben Ruhe ein. Das war nun wiederum für Großmutter sehr verdächtig. Mit ihrer ganzen Breite – sie wog über zwei Zentner und war von kleiner Statur – stand sie im Türrahmen. Sie sah das Malheur, fragte nicht lange, wer denn der Schuldige sei, sondern verteilte die Tracht Prügel gerecht. In der Schlafkammer kehrte danach Ruhe ein.
Lotte Bormuth
Lotte Bormuth wurde als Lotte Hannemann im Jahr 1934 in Sophiental in Bessarabien (heutige Ukraine) geboren. Im Krieg wurde die Familie von dort nach Polen umgesiedelt. 1945 machte sie die große Flucht nach Westen mit, auf der eine ihrer Schwestern verhungerte. In Marburg lernte sie beim Theologiestudium Karl-Heinz Bormuth kennen und lieben. 1957 haben sie geheiratet, fünf Kinder wurden geboren.
Neben dem Haushalt arbeitete sie in der Telefonseelsorge mit und übersetzte über 50 Bücher aus dem Englischen ins Deutsche. Das Erfahren und Verarbeiten großen Leides im engsten Familienkreis war ein starker Impuls für sie, mit dem Schreiben zu beginnen. Zuerst entstanden Artikel und Erzählungen für verschiedene Zeitschriften. Seit 1981 veröffentlicht sie ihre Bücher im Francke-Buch Verlag. Ihren letzten öffentlichen Auftritt hatte sie 2018 zum 100. Jubiläums ihres Verlags.
Sie ist eine der erfolgreichsten christlichen Autorinnen des deutschsprachigen Raumes. Viele tausend Exemplare ihres bald 100 Titel umfassenden Werkes haben mit Lebensbildern, Berichten und selbst erlebten Begebenheiten unzähligen Menschen Trost, Mut und Freude am Glauben vermittelt.
Seit 2020 ist sie verwitwet. Sie hat 15 Enkelkinder und 7 Urenkel und lebt in einem Pflegeheim in Marburg/Lahn.