Charleston, 2020: Die Kunstkuratorin Lucy Legare erbt von einem unbekannten Gönner ein denkmalgeschütztes Haus mit einem wunderschönen Garten. Im Inneren findet sie ein geheimnisvolles Schreiben und einen bezaubernden Ring. Während der Bauunternehmer Declan Pinckney versucht, sie zum Verkauf des kleinen Anwesens zu bewegen, beginnt sie, das Leben der früheren Bewohner zu erforschen. Was sie dabei zutage fördert, verbindet sie auf überraschende Weise mit Declan, lässt aber auch ein gut gehütetes, zerstörerisches Familiengeheimnis zu neuem Leben erwachen ...
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1929, Charleston, South Carolina
William war kein geborener Dieb. Er war nie jemand gewesen, der eine Kleinigkeit auf dem Markt mitgehen ließ oder der sich daran berauschte, etwas zu nehmen, das ihm nicht gehörte.
Aber waren Kopien wirklich Diebstahl?
Ach was. Lieber nicht zu lange über die Antwort nachdenken, sonst brachte ihn das schlechte Gewissen noch von seiner Entschlossenheit ab. Seine Schwester brauchte das Geld, das er für die Kopien bekam; und für alle anderen Gedanken hatte er in diesem Moment keine Zeit.
Jedenfalls könnte ein normaler Mensch sich fragen, wie es dazu gekommen war, dass er sich mit diesem Mann in diesem Zimmer befand. Na ja, der Gedanke war ihm erst vor Kurzem gekommen.
Seine Mutter würde einen Anfall bekommen, wenn sie wüsste, was er alles angestellt hatte.
Aber seine Mutter war ja der Grund für das alles. Sie hatte seine Schwester fortgeschickt. Wollte sich nicht eingestehen, dass Hannah in anderen Umständen war, und sprach nicht einmal von dem Baby, abgesehen von der Aussage, dass es Orte gab, an denen man solche Dinge diskret erledigte. Williams Schwester wollte auf gar keinen Fall zu so einem Ort gehen und das hatte ihn in die aktuelle Situation geführt.
Nämlich die, dass William jetzt mit diesem Mann in diesem Zimmer war.
Es genügte wohl zu sagen, dass William seine mangelnde kriminelle Erfahrung durch künstlerische Begabung wett machte. Er konnte einen Rembrandt nahezu genau kopieren und niemand würde es merken. Er hatte gewissenhaft daran gearbeitet, wie Gershwin Klavier zu spielen. Und er bildete sich ein, auch etwas Menschenkenntnis zu haben. Leider war nichts von alledem seiner Mutter wichtig und seinem Vater erst recht nicht.
Die schönen Künste waren etwas für Frauen, behauptete sein Vater steif und fest und seiner Meinung nach gehörte William ins Familienunternehmen. Aber William hatte kein Interesse daran, das Vermögen der Familie zu sichern und zu vermehren.
Deshalb blieb ihm nichts anderes mehr übrig.
Als er weiter in das Arbeitszimmer des berüchtigten Mr Cadigan ging, spürte er, wie ihn eine merkwürdige Ruhe überkam. Er sah den Raum voller Silber, die Gemälde, die an Möbeln und Wänden lehnten, als wären sie Menschen in einem Bahnhof, die auf ihr nächstes Reiseziel warteten. Eine Reihe der Stücke erkannte er aus der Zeitung.
Cadigan würde diese Schätze natürlich bei der ersten Gelegenheit aus Charleston wegbringen. In Boston oder New York würde niemand davon erfahren. Die Käufer würden annehmen, diese Kostbarkeiten aus dem Süden stammten aus im Bürgerkrieg geplünderten Häusern – und nicht ahnen, dass der Mann sie gerade erst erworben hatte.
»Sie wissen, warum Sie hier sind, Pinckney?« Cadigan tippte mit seiner Zigarette zwei Mal auf den Aschenbecher, während der Rauch sich aus seinen Nasenlöchern nach oben schlängelte. Im Büro war es schummrig. Nur zwei Tiffany-Lampen beleuchteten Mr Cadigans faltiges Gesicht und die mondsichelförmige Narbe über seiner Lippe. Ein Andenken an einen Auftrag, der schiefgegangen war. Jedenfalls war das seine Erklärung.
»Ja, Sir.« William verschränkte die Arme. Zum ersten Mal, seit er sich dem Haus genähert hatte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Ihm wurde bewusst, was er da tat. Er hoffte nur, dass seine Haltung selbstbewusst genug war, um sein Zögern zu überdecken, bevor Cadigan es bemerkte. »Die Aquarellmalerin.«
Eliza Jane war immer der Meinung gewesen, dass genügend Lippenstift jedes Problem lösen konnte. Aber wenn es darum ging, mit den Geschäftspartnern ihres Vaters Smalltalk zu halten, gab es auf der ganzen Welt nicht genügend Lippenstift.
Deshalb war sie angenehm überrascht, als ein Mann von einigermaßen stattlicher Größe mit einem angenehmen Lächeln und einem schicken Anzug durch ihr Gartentor geschlendert kam. Und noch erstaunter war sie, als sie entdeckte, dass er nicht so langweilig war wie all die anderen, denn er grinste sie an, als gäbe es nur sie beide im Garten.
Vielleicht war es das Dämmerlicht oder die Pastellfarbe der Kamelien, die vor dem Hintergrund des Himmels verschwamm. Aber er hatte etwas Interessantes an sich.
Er überließ es den Männern, mit denen er gekommen war, die Führung zu übernehmen und ihn verschiedenen Leuten vorzustellen. Ein Lehrling, vermutete sie nach einer kurzen Unterhaltung mit ihrem Vater. Keiner der anderen Männer sah Eliza in die Augen. Sie warfen ihr höchstens einen kurzen Blick zu und murmelten, wie hübsch sie war, wie stolz ihr Vater sein musste, bla bla bla.
Nein, sie wollte nicht gehässig sein. Doch diese Geschäftsleute waren manchmal einfach entsetzlich langweilig! Es war beinahe so, als hätten sie keine Augen, um die Farbe des Tages zu sehen, während die Nacht hereinbrach, oder die Farbe der Nacht, wenn der Morgen dämmerte.
Grandma Clara hatte immer gesagt, dass Eliza mit einem Pinsel in der Hand geboren worden war. Sie seufzte. Was würde Gran sagen, wenn sie jetzt hier wäre?
Jemand räusperte sich. Eliza blickte auf, aus ihren Gedanken gerissen, und bemerkte, dass der attraktive junge Mann sie ansah. Das schiefe Grinsen um seine Lippen schien anzudeuten, dass es ihn amüsierte, wie sie in Gedanken versunken war, und schon wegen dieser Reaktion mochte sie ihn.
»William, Ma’am.« Wie jeder anständige Südstaatenmann es tun würde, senkte er ein wenig den Kopf, als sie seine Hand ergriff, die er ihr entgegenstreckte.
Zu viele Männer hatten keinen Sinn mehr für Manieren. Man verbrannte ein paar Korsetts und schon warf man zusammen mit diesen Folterinstrumenten jeden Anstand aus dem Fenster. Nicht alle Frauen waren Feministinnen und ignorierten die Prohibition unten im Blind Tiger Pub. Manche von ihnen schätzten es immer noch, wenn ein Mann sich die Mühe machte, seine Fliege zu richten und einer Frau in die Augen zu schauen.
Kein Zweifel, es waren harte Zeiten. Während der Rest des Landes nur so durch das Jahrzehnt rauschte, spürte Charleston noch immer die Folgen seiner Zerstörung. In vielen Fällen, indem es sich selbst zerstörte. Aber das war typisch für sie, dass ihre Gedanken schon wieder abschweiften.
»Eliza Jane«, sagte sie schließlich. Sie hatte den Klang ihres eigenen Namens schon immer gemocht.
»Schön.« Williams Grinsen wurde breiter.
Elizas Wangen wurden warm und sie merkte, dass sie errötete. Das passierte ihr sonst nie. Sie wollte William fragen, ob er ihren Namen meinte oder sie selbst, aber ihr Vater und ihre Tante standen gleich gegenüber und in Hörweite und Eliza war so schlau, nicht in diese Falle zu tappen.
Also lächelte sie einfach nur zurück, sicher, dass er sie verstehen würde.
Im Garten – nur ein kleines Stück weiter, wo die Gäste sich zwischen den Springbrunnen unterhielten – spielte das Grammofon eine Jazz-Melodie.
»Darf ich?«, fragte William. Er hielt Elizas Hand immer noch in seiner.
Jetzt war sie es, die den Kopf ein wenig senkte. Und während sie sich langsam von diesem Fremden – William – zum Tanz führen ließ, gab sie sich einige köstliche Augenblicke lang der zauberhaften Atmosphäre hin, die durch die Kameliensträucher geschaffen wurde.
Sie atmete seinen Kaffeeduft ein und roch dann etwas anderes, das sie kannte. Farbe? War er etwa auch Künstler?
Eliza beobachtete einen Hüttensänger mit seinem strahlendblauen Gefieder und seiner orangebraunen Brust, der in dem blühenden Baum über ihr sang. Und dann schloss sie die Augen, wie sie es immer tat, wenn sie sich einen Augenblick einprägte, den sie später malen würde.
2020, Charleston, South Carolina
Vor drei Tagen hatte Lucy bei der Verlobungsparty ihrer Schwester den attraktiven Declan kennengelernt.
Und vor zwei Tagen hatte er sie angerufen, um sie zu einem Date einzuladen.
Gestern Abend hatte sie die Stunde vor Mitternacht damit zugebracht, mit ihm Textnachrichten auszutauschen, in denen sie über Lieblings-Eissorten, alte Filme und die schönsten Ecken von Charleston geschrieben hatten.
Und in drei Minuten würde Declan hier sein, um sie abzuholen.
Lucys Herz stockte schon, wenn sie nur an ihn dachte. Ihre Unterhaltung war wie von selbst gelaufen und sie war ganz aufgeregt bei dem Gedanken, wohin das heutige Date führen könnte.
Noch eine Minute.
Es klingelte.
Lucy atmete langsam aus. Er war also pünktlich. Das war kein Minuspunkt.
Sie griff nach der Türklinke und dann stand er da, eine Hand lässig in der Tasche seiner Jeans, in der anderen einen kleinen Strauß Blumen, den er ihr entgegenstreckte.
War dieser Typ echt?
»Hallo, Lucy.« Seine Stimme war klangvoll.
Sie nahm den Blumenstrauß entgegen. »Hallo, Declan.«
Lucy zögerte einen Moment lang und atmete den Duft der Blumen ein, um das Geschenk richtig zu würdigen. »Ich versorge die hier nur kurz und bin gleich wieder da.«
Als sie zurückkam, hielt er ihr die Tür auf. Sie trat unter seinem Arm hindurch nach draußen. »Danke«, sagte sie, zufrieden mit ihrer eleganten Bewegung. Allerdings schätzte sie die Entfernung falsch ein und kam Declan näher, als sie beabsichtigt hatte, sodass sie ihn ungeschickt anstieß.
Lucy biss sich auf die Unterlippe. »Sorry.« Sie grinste schief und versuchte, ihren Fehler herunterzuspielen.
Sein Blick wanderte von ihren Augen zu ihrer Nase und ihren Lippen, wo er ruhte, bis sie blinzelte. »Kein Problem.«
Lucy wich schnell einen halben Meter zurück und schloss die Tür ab.
Das Herz hämmerte in ihrer Brust und ihr Nacken kribbelte. Sie holte tief Luft. Sie musste einen kühlen Kopf behalten. Wenn sie diesen Typen besser kennenlernen wollte, konnte sie das nicht, indem sie über ihn stolperte oder nervös plapperte.
Declan blickte zu den langsam am Himmel erscheinenden Sternen hinauf, während die Straßenlaternen flackernd aufleuchteten. »Schönes Wetter heute Abend, wenn du Lust auf einen Spaziergang hast«, sagte er. »Oder wir könnten ein Stück mit meinem Wagen fahren.«
Lucy hängte sich ihre Handtasche um. »Laufen ist gut.« Sie nickte. Ja, so hatte sie wenigstens etwas zu tun und konnte ihre Nerven vielleicht in Schach halten.
»Das passt doch. Unser Tisch ist eh erst in einer halben Stunde reserviert.« Declan warf ihr einen Blick zu, während sie beide auf den Gehweg traten. Sie überlegte, ob er wohl versuchen würde, ihre Hand zu nehmen – und ob sie es ihm erlauben würde.
»Ich erinnere mich daran, dass du das Five Loaves erwähnt hast, als wir uns bei der Party deiner Schwester unterhalten haben.«
»Warte mal.« Ohne nachzudenken streckte Lucy eine Hand aus und berührte seinen Ellbogen. »Hast du es deshalb vorgeschlagen?«, fragte sie. Hut ab, weil er nicht nur gut zugehört, sondern sich auch noch daran erinnert hatte.
Seine Augen funkelten, während seine Schritte langsamer wurden. »Ist das ein Problem?«
»Nein.« Lucy zog das Wort in die Länge. »Es ist nur …« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin nur angenehm überrascht, dass du so aufmerksam bist, dir solche Details zu merken.«
Declan berührte sie leicht am Rücken, um sie um die Ecke zu geleiten. »Dann gewöhnst du dich besser daran, denn für den Rest des Abends ist dir meine ungeteilte Aufmerksamkeit sicher.«
Lucy lachte leise.
Ein kleiner Vogel flatterte neben ihnen von Baum zu Baum und sie bogen in Richtung King Street ab.
»Komisch, dass wir uns noch nie begegnet sind«, sagte Declan, »wenn man bedenkt, dass wir beide aus Charleston kommen.«
Sie nickte. »Bist du im Süden der Stadt aufgewachsen?«
»Ja. Genau genommen lebe ich immer noch dort. Meine Eltern wohnen in der Nähe der Battery, der befestigten Uferpromenade, und ich wohne einen Block entfernt von der Rainbow Row in einem dieser renovierten historischen Gebäude.«
»Wow.« Lucy starrte ihn mit offenem Mund an. »Das ist ein Traum. Ich wette, du kneifst dich jeden Morgen, wenn du wach wirst und aus dem Fenster siehst.«
Declan betrachtete sie eine Weile. »Weißt du was? Ich arbeite so viel, dass ich oft vergesse, den Ort zu genießen. Danke …«, er sah sie unverwandt an, »dass du mich daran erinnert hast.«
Lucys Grinsen wurde weicher, während hinter ihnen die Kirchenglocken ertönten. »Gern geschehen.«
Als Declans Handy plötzlich klingelte, erschrak sie.
»Tut mir schrecklich leid.« Er zog das Telefon aus der Hosentasche. »Das ist meine Mom. Da muss ich rangehen.«
»Klar.« Lucy machte eine Handbewegung, um ihm zu signalisieren, dass es kein Problem war.
Declan wischte über das Display seines Smartphones, um das Gespräch anzunehmen, während er zu dem alten, zweigeschossigen Gebäude neben ihnen hinaufblickte. »Hi, Mom – alles in Ordnung?« Er erstarrte. »Was? Wann?« Er schüttelte den Kopf. »Und ihr seid okay? Ist die Polizei schon da?« Lange Pause. »Ich komme.«
Declan steckte sein Handy ein und sah Lucy an. »Es tut mir wirklich leid. Wir werden unser Essen verschieben müssen. Meine Eltern wurden ausgeraubt.«
Ashley Clark
Ashley Clark lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn und zwei Cocker Spaniels nahe der Golfküste Floridas. Sie ist Literaturdozentin, gibt Kurse für Kreatives Schreiben und ist schon lange bei den American Christian Fiction Writers aktiv.
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