Das unaufhörliche Klopfen an der Tür ihrer Wohnung entlockte Layla Karam ein Stöhnen, während sie die Bettdecke zurückschlug. Sie hatte keine Ahnung, wer da so hartnäckig war - vor allem um zwei Uhr morgens. Fünf Jahre im Dienst der CIA hatten sie gelehrt, vorsichtig zu sein, deshalb nahm sie ihre Pistole vom Nachttisch, bevor sie zur Tür ging, und bereitete sich auf alles vor.
Sie spähte durch den Spion in der Wohnungstür und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann schaltete sie die Alarmanlage aus und ließ Cassandra Ruiz herein.
»Was ist denn los, Cass?«
Die dunkelbraunen Augen der Agentin waren gerötet und sie zitterte. »Ich hätte ihn erschießen sollen.«
»Wen hättest du erschießen sollen?« Die Angst, die Layla verspürt hatte, als Cass an ihre Tür gehämmert hatte, kehrte zurück.
»Ein Mann war in meinem Haus. Ich habe gezögert, anstatt abzudrücken, und er konnte fliehen.«
»Hast du die Polizei gerufen?«
Cass schüttelte den Kopf. »Nein, weil ich glaube, dass er etwas mit unserem aktuellen Einsatz zu tun hat.«
Wie konnte das sein? »Komm und setz dich, dann reden wir darüber.«
Layla zog Cass ins Wohnzimmer und drückte sie aufs Sofa. Sie hatte noch nie erlebt, dass ihre Kollegin die Nerven verlor, aber jetzt war die Agentin fix und fertig.
»Und jetzt erzähl mal von vorne«, sagte Layla ruhig, aber bestimmt. »Die ganze Geschichte.«
Cass holte tief Luft. »Ich habe lange gearbeitet. Als ich nach Hause kam, habe ich sofort bemerkt, dass jemand mein Haus durchwühlt hatte. Und als ich mir einen Eindruck davon verschaffen wollte, was der Eindringling angerichtet hatte, hat ein Mann mich von hinten angegriffen. Ich konnte ihn abwehren und habe einen Warnschuss abgegeben, da ist er weggelaufen.«
»Hast du ihn erkannt?« Layla hatte ihre Schläfrigkeit inzwischen abgeschüttelt und war jetzt hellwach.
»Nein.« Cass Hände zitterten, als sie sie auf dem Schoß faltete. »Aber er hatte Mejía-Tattoos auf den Armen.«
Das Mejía-Kartell war das gefährlichste und brutalste Drogenkartell in Honduras. Die DEA - die Drogenvollzugsbehörde, für die Cass arbeitete - war seit einiger Zeit in Honduras im Einsatz. Layla war in das Team geholt worden, um mehr Praxiserfahrung zu bekommen - etwas, was ihrem Arbeitgeber sehr wichtig war. »Das kann unmöglich ein Zufall sein.«
»Genau. Es tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht überfalle, aber da du nur ein paar Minuten entfernt wohnst, dachte ich, ich sollte dich so schnell wie möglich warnen - nur für den Fall, dass der Typ beschließt, hier aufzutauchen.«
»Das hast du gut gemacht. Hast du schon früher irgendetwas bemerkt? Irgendwas Ungewöhnliches?« Layla hatte selbst etwas bemerkt, aber sie fand nicht, dass dies der geeignete Zeitpunkt war, um davon zu sprechen. Cass war nach den bedrohlichen Ereignissen dieser Nacht sowieso schon fix und fertig. »Ist es möglich, dass du dich irrst, was die Tätowierung betrifft? Könnte es einfach irgendein Dieb gewesen sein?«
»Nichts von meinem Schmuck fehlt.«
»Elektronische Geräte?«, fragte Layla.
»Er hat mein Tablet genommen, aber da ist nichts Dienstliches drauf. Bei dem Tattoo bin ich mir ziemlich sicher.«
»Hast du deinem Boss Bescheid gesagt?«
»Noch nicht, aber das mache ich natürlich. Ich wollte mich nur zuerst davon überzeugen, dass du in Sicherheit bist.«
»Wenn ich irgendwas für dich tun kann, brauchst du es nur zu sagen.«
»Kann ich ein paar Stunden auf deiner Couch schlafen? Ich will lieber nicht im Dunkeln nach Hause.«
»Natürlich.«
»Danke.« Cass zögerte. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir aus Honduras Ärger mitgebracht haben.«
Am nächsten Morgen war Layla früh aufgewacht und hatte eine Nachricht von Cass auf dem Tisch gefunden. Sie musste schon bei Tagesanbruch gegangen sein. Danach hatten sie ein paar Textnachrichten hin und her geschickt. Cass hatte beteuert, dass sie ihre Behörde anrufen würde, was Layla für richtig hielt.
Jetzt schob Layla sich durch die Menschenmenge, die sich an diesem Samstag zum herbstlichen Straßenfest in der Altstadt von Alexandria eingefunden hatte. Vielleicht war sie paranoid, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass jemand ihr folgte. Nicht zum ersten Mal.
Diese Tatsache hatte sie am Abend zuvor für sich behalten. Cass war zu erschüttert gewesen. Aber Layla fragte sich, ob die Ereignisse wirklich mit ihrem jüngsten Einsatz zu tun hatten. Konnte es tatsächlich sein, dass die Person, die ihr zu folgen schien, mit Cass Einbrecher von gestern in Zusammenhang stand?
Layla warf einen Blick über die Schulter nach hinten, sah aber niemanden. Trotzdem bewegte sie sich vorwärts, so schnell sie konnte, ohne zu rennen. Hatte ihre Arbeit für die CIA sie so schreckhaft gemacht?
Als sie schließlich das lächelnde Gesicht von Vivian Steele, einer ihrer besten Freundinnen, sah, seufzte sie erleichtert.
»Warum bist du so außer Atem?«, fragte Viv.
»Komm, wir gehen weiter.« Layla zog ihre Freundin am Arm.
»Was ist denn?«
»Ich habe das Gefühl, dass mir jemand folgt.«
Viv runzelte die Stirn. »Bist du gerade im Dienst?«
Layla schüttelte den Kopf. »Kann sein, dass ich grundlos nervös bin, aber alle meine Instinkte sagen mir etwas anderes.«
Viv war einer der wenigen Menschen, die wussten, dass Layla CIA-Agentin war. Für den Rest der Welt arbeitete Layla als Analystin im Außenministerium.
Layla seufzte. »Tut mir leid. Vergiss einfach, was ich gesagt habe. Essen wir was. Izzy wollte auch noch zu uns stoßen, aber sie kommt etwas später. Sie hat gesagt, wir sollen schon mal für sie mitbestellen.« Wenn ihr Kalender es zuließ, trafen sie sich samstags zum Mittagessen in ihrem Lieblingsrestaurant, dem Old Town Grille - Layla, Vivian und die Dritte im Bunde, die FBI-Agentin Bailey Ryan. Vor einiger Zeit hatten die drei Freundinnen zudem noch Izzy Cole, eine Agentin beim NCIS, kennengelernt und sie in ihre Runde aufgenommen.
»Du weißt doch, dass du dich bei mir nicht entschuldigen musst«, sagte Viv. »Wenn man bedenkt, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst, hast du allen Grund, dir Sorgen zu machen. Hast du bei der Arbeit jemandem davon erzählt?«
»Nein.« Und das würde sie auch nicht. Sie wollte sich nicht in die Karten schauen lassen. Viv kannte einen Teil von Laylas Arbeit, weil sie gemeinsam in einer Taskforce gewesen waren, aber es gab vieles, von dem Viv keine Ahnung hatte.
Sie betraten das Lokal und winkten Ginny zu, der freundlichen Inhaberin des Restaurants, die sie jede Woche begrüßte. Die ältere, untersetzte Frau mit den braunen Haaren lächelte ihnen zu. »Tut mir leid, Mädels, ich weiß, dass ihr am liebsten ganz hinten am Fenster sitzt, doch eine Gruppe Touristen hat darauf bestanden, sich an den Tisch zu setzen. Aber ich habe einen schönen Tisch auf der anderen Seite für euch, wenn das okay ist?«
Nachdem sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten, sah Viv Layla an. »Ich kenne dich zu gut. Irgendwas stimmt ganz eindeutig nicht. Erzählst du mir, was wirklich los ist?«
»Das ist es ja, Viv. Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich habe nur das mulmige Gefühl, dass jemand mir folgt.«
»Vielleicht ist das für dich ja völlig klar, aber kann es sein, dass es was mit der Arbeit zu tun hat, die du gerade machst?«
Layla hatte sich dasselbe gefragt. »Ich bin mir nicht sicher.«
»Du kannst mir keine Einzelheiten erzählen, das weiß ich, aber gibt es etwas, worüber du reden kannst?«
Layla überlegte. Viv war als Anwältin für das Außenministerium tätig und sie hatten in der Vergangenheit schon an extrem geheimen Fällen zusammengearbeitet. Sie wusste, dass sie Viv sogar ihr Leben anvertrauen konnte, also beschloss sie, ungewöhnlich offen zu sein. »Letzten Monat habe ich für die DEA an einem Einsatz mitgewirkt. Eine Kollegin von dort kam gestern mitten in der Nacht zu mir. Ein Mann hat ihr Haus durchwühlt.«
Viv drehte den Strohhalm in ihrer Limonade. »Das heißt, es könnte sein, dass die beiden Dinge zusammenhängen.«
Layla nickte. »Genau. Aber es kann auch genauso gut sein, dass ich unter Verfolgungswahn leide oder dass es zwei voneinander unabhängige Dinge sind.«
»Auf jeden Fall musst du vorsichtig sein.« Viv klang ernst.
»Das werde ich, versprochen, aber jetzt lass uns von was anderem reden und unser Essen genießen. Wie war deine Woche?«
Bevor Viv antworten konnte, erschütterte eine laute Explosion das Restaurant und warf Layla rücklings zu Boden. Sie holte tief Luft, aber plötzlich war überall beißender Rauch und dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Als Layla erwachte, fühlte ihr Kopf sich an, als wäre er in einen Schraubstock gezwängt. Ihr Mund war staubtrocken und sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Sie holte Luft, aber das tiefe Einatmen tat weh.
»Du bist wach«, sagte eine leise Stimme.
Laylas Blick war zunächst getrübt, aber nach einem Moment konnte sie wieder scharf sehen. Izzy stand an ihrem Bett. Wo war sie? Sie hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Was ist passiert?«, krächzte sie.
Izzy nahm ihre Hand. »Es gab eine Explosion im Restaurant. Du hast das Bewusstsein verloren.«
Layla sog scharf die Luft ein, was erneut einen stechenden Schmerz unter ihren Rippen verursachte, während die Erinnerung wie ein Güterzug auf sie zugerast kam. »Wo ist Viv?«
»Sie ist in Ordnung. Sie hat einen Schock, aber sonst ist alles gut. Bailey ist gerade bei ihr.«
Layla schloss einen Moment lang die Augen, aber schon jetzt hatte sie unendlich viele Fragen. »Was hat denn die Explosion verursacht, weiß man das schon?«
»Die Polizisten hatten erst auf ein Gasleck getippt, aber das Bombenentschärfungskommando hat tatsächlich einen Sprengsatz gefunden. Jetzt suchen sie nach einem Motiv. Die Besitzer und Angestellten werden gerade überprüft.«
Layla fiel sofort eine viel ernstere Erklärung ein, aber Izzy wusste nicht, dass Layla in Wirklichkeit für die CIA arbeitete. Und sie durfte es ihr nicht sagen. Also hielt sie den Mund.
In diesem Moment kam Bailey Ryan hereingestürzt. »Du bist wach!«
»Ich werde nach Viv sehen, dann könnt ihr ungestört reden.« Izzy ließ Layla und Bailey zu zweit zurück.
»Bin ich froh, dich zu sehen«, sagte Layla. »Bevor Izzy zurückkommt, muss ich dir was sagen.«
»Was denn?« Bailey warf einen Blick in Richtung Tür.
»Ich glaube, die Explosion könnte mir gegolten haben.«
Bailey riss ihre Augen erschrocken auf. »Was Dienstliches?«
»Ja. In letzter Zeit hatte ich häufig das Gefühl, dass jemand mich beobachtet.«
Bailey zog einen Stuhl näher und setzte sich. »Du glaubst also, du wurdest beschattet, und dann fliegt das Restaurant in die Luft. Das klingt nicht gut.«
Layla nickte und bei dieser Bewegung strahlte der Schmerz bis in den Rücken aus. »Ich wollte, dass du von meinem Verdacht weißt - nur für den Fall, dass mir irgendwas zustößt. Du solltest auch wissen, dass wir heute nicht an unserem üblichen Tisch gesessen haben.«
Bailey drückte ihre Hand. »Wir werden die Sache aufklären. Aber im Moment bestehe ich darauf, dass du dich ausruhst. In der Zwischenzeit werde ich so viel wie möglich über dieses Bombenattentat herausfinden.«
»Wir gehen jede Woche dort essen.«
»Ich weiß«, sagte Bailey leise. »Dadurch sind wir ein leichtes Ziel.« Sie stand auf. »Aber im Moment kannst du nichts tun. Versuch, ein bisschen zu schlafen, und wir klären die Angelegenheit auf. Versprochen.«
Layla schloss die Augen, aber sie fand keine Ruhe. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass jemand sie ausschalten wollte.