Ich setzte mich und ließ die Beine baumeln. Unter mir knisterte die Papierunterlage. Ich hatte mein Shirt ausgezogen und der junge Arzt hörte mich mit dem Stethoskop ab. Ein Großteil der Wand war von Abschlusszeugnissen und Zertifikaten bedeckt.
»Atmen.«
Ich tat es.
»Noch einmal.«
Ich atmete.
»Und noch einmal.« Er legte mir die Hand auf den Brustkorb und klopfte mit der anderen Hand dagegen. Meinen Rücken unterzog er derselben Untersuchung.
»Sind Sie in letzter Zeit kurzatmig?«
»Ein bisschen.«
»Ein bisschen oder ja?«
»Ich wohne auf eintausend Metern Höhe.«
»Ging es Ihnen auch schon so, als Sie dorthin gezogen sind?«
»Nein.«
»Wie lange wohnen Sie schon dort?«
»Zehn Jahre oder länger.«
»Und wie lange fühlen Sie sich schon so?«
»Ein paar Jahre.«
Er zeigte auf die Magensäuretabletten auf dem Tisch.
»Wie lange nehmen Sie die schon ein?«
»Lange.«
Er runzelte die Stirn. »Und dann kommen Sie erst jetzt zu mir?«
»Kam mir nicht so wichtig vor.«
Er verschränkte die Arme. »Sie waren einst so stark wie ein Bär, nicht wahr?«
Ich wiegte den Kopf hin und her. »Ich kann mein Körpergewicht ziehen.«
»Nicht mehr in letzter Zeit.«
Ich sagte nichts.
Er hängte sich das Stethoskop wieder um. »Eine Magenverstimmung haben Sie jedenfalls nicht.«
»Und was dann?«
»Wahrscheinlich brauchen Sie einige Stents. Aber das weiß ich erst, wenn ich mir die Sache genauer anschaue.«
»Hat das nicht Zeit?«
Er schien überrascht. »Das hängt davon ab.«
»Wovon?«
»Ob Sie weiterleben wollen.«
Ich nickte.
Er legte den Köder aus. »Sie wirken auf mich wie ein kluger Mann.«
»Hab nie die Highschool abgeschlossen.«
Er verschränkte wieder die Arme und sah mich skeptisch an.
Ich betrachtete seine Abschlusszeugnisse an der Wand. »Ich bin schon zur Schule gegangen ... nur nicht in einem konventionellen Klassenraum.«
Er warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »Sie sind sechzig ...«
»Zweiundsechzig.«
Er nickte. »Sie haben Verhärtungen. Möglicherweise sogar Arterienverstopfung. Der Diabetes trägt wahrscheinlich dazu bei. Ich weiß aber erst, womit wir es zu tun haben, wenn ich eine gezielte Untersuchung gemacht habe.«
»Und was wird das kosten?«
»Ist das wirklich wichtig?«, fragte er ungerührt zurück.
Ich zuckte die Achseln.
Er sah auf meinen Patientenbogen. »Sie könnten den Eingriff ganz ohne Kosten in der Kriegsveteranenklinik bekommen, aber das wissen Sie wahrscheinlich.«
»Die lasse ich noch nicht mal an meiner Leiche herumschnippeln.«
»Kann ich verstehen.« Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wieso machen wir nicht einen Termin für nächste Woche? Der Eingriff ist schmerzfrei und es wird Ihnen viel besser gehen.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Nun ... dann können zwei Dinge passieren. Sie werden irgendwann umkippen und sind dann entweder tot, bevor Sie auf dem Boden aufkommen, oder Sie leben noch und wir schneiden Ihren Brustkorb auf und brechen Ihnen den Großteil Ihrer Rippen, damit wir die Einzelteile Ihres Herzens wieder zusammennähen können.«
»Glaub nicht, dass die Medizin das kann«, murmelte ich.
Er beugte sich vor. »Wie bitte?«
Ich zog mein Hemd wieder an. »Nächste Woche klingt gut.«
Sein Blick fiel auf meine Hemdtasche und die Schachtel Camels darin. »Die werden Sie sich abgewöhnen müssen.«
»Ich rauche nicht.«
Er lachte. »Nein, und Lunge schon gar nicht, richtig?«
Ich stand auf und steckte mir das Hemd in die Hose. Er war einige Zentimeter kleiner als ich. »Doc ... Ihr Verhalten einem Kranken gegenüber lässt zu wünschen übrig.«
Er zog die Brauen zusammen. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Dass Sie niemanden verurteilen sollten, ohne seine Geschichte zu kennen.«
Er war halb so alt wie ich. Jung genug, um mein Sohn zu sein. Vielleicht war es mein Tonfall, der ihn besänftigte. Er änderte den Kurs. »Warum tragen Sie sie mit sich herum?«
»Um mich zu erinnern.«
»Woran?«
»Daran, dass dieses verhärtete Herz, in dem Sie unbedingt herumstochern wollen, einst ganz weich war und wusste, wie man lacht und liebt und fühlt. Und das werden mir auch hundert Stents nicht zurückbringen.«
Die Kaffeemaschine hinter mir gluckerte und der vertraute aromatische Duft erfüllte das Innere der Hütte. Ich goss zwei Tassen voll und stellte eine vor mich, die andere mir gegenüber auf den Tisch. Dann steckte ich eine Camel ohne Filter an und legte sie neben die zweite Tasse, wo nun sowohl Kaffeedampf als auch Rauch aufstiegen. Ich ließ das abgenutzte Zippo zuschnappen, drehte es um und fuhr nachdenklich mit dem Finger über die Gravierung. Dann pikte ich mir in den Finger und maß meinen Nüchternblutzucker – 177 –, zog drei Einheiten Insulin auf und verabreichte sie mir ins Bauchfettgewebe. Ich schluckte vier Magensäuretabletten, murmelte etwas von dreisten Ärzten und schüttete ein Glas Kakao und einige Oreos hinterher.
Draußen heulte der Wind. Aus dem Schneeregen war ein Schneesturm geworden. Auf dem Tisch stand ein Einweckglas, halb voll mit Haifischzähnen. Ich kippte ein paar davon auf den Tisch und sortierte sie. In einer Hand die Zähne. In der anderen das Feuerzeug. Beides eine Erinnerung für sich. (…)
Einige Minuten später richtete ich die Antenne meines Radios aus und drehte am Einstellrädchen. Das Signal wurde stärker und ich konnte ihre Stimme hören. Während sie die Hörer willkommen hieß, trank ich meinen Kaffee aus. Dann schüttete ich die kalt gewordene Brühe in der zweiten Tasse weg und trat die Zigarette aus, die fast heruntergebrannt war. Ich füllte beide Tassen noch einmal auf, steckte eine zweite Zigarette an und ließ das Feuerzeug auf meiner Hüfte zuschnappen.
Nachdem ich meine Lesebrille aufgesetzt hatte, wählte ich die zehnstellige Nummer. Fünftausend Kilometer entfernt erkannte sie den eingehenden Anruf und nahm ihn entgegen. Die am häufigsten gehörte Abendsendung mit Hörerbeteiligung. Live on Air.
»Jo-Jo!«, begrüßte sie mich gewohnt beschwingt. »Wie geht es dir, Süßer?«
Jeder Anrufer war ihr Süßer. Ich schmunzelte. »Ich lebe noch.«
»Das klingt, als wärst du überrascht.«
»Suzy, Darling, jeder Tag hält etwas Unerwartetes bereit.«
»Ich liebe es, wenn du mich so nennst.«
Ich und die restlichen hunderttausend männlichen Hörer konnten hören, wie sie lächelte.
»Wie sieht es aus in den Bergen von North Carolina?«
»Weiß und ...« Ich sah aus dem Fenster. »Es wird schlimmer und schlimmer.«
»Schenkst du immer noch zwei Tassen Kaffee ein?«
Ich sah auf den Tisch vor mir. »Ja, Ma’am.«
»Seit wie vielen Jahren rufst du nun schon an?«
»Seit vielen.«
»Und egal, wie oft ich dich schon gefragt habe, du hast mir nie erklärt, warum du das mit dem Kaffee machst.«
»Ich weiß.«
»Irgendwann musst du mir das Geheimnis verraten.«
»Ich halte meine Versprechen.«
»Das unterscheidet dich von vielen, die eine Uniform tragen.« Ihre Stimme war zu einem leisen Raunen geworden. Als wären wir ein Liebespaar, das sich im Bett unterhält. Suzy wusste, was von ihr erwartet wurde. Sie war eine Fürsprecherin für die, die keine Stimme hatten, und manches Mal fachte sie dabei die Stimmung gegen die Regierung an, aber sie achtete auch darauf, es nie zu übertreiben, denn sie wusste, dass die Leute, die sie im Radio kritisierte, diejenigen waren, die sie nach ihrer Show anrufen musste.
Ich sagte nichts.
Sie ließ die Pause ungefiltert durch den Äther reisen. Nach etwa zehn Sekunden sagte sie: »Wenigstens warst du dort.«
»Wie gesagt: Ich halte meine Versprechen.«
Sie lachte. Nur Millimeter vom Mikrofon entfernt. Hinter ihrer Stimme hörte man das Quietschen ihres Stuhls. »Was bringt dich in dieser mondhellen Nacht an mein Ohr?«
»Haifischzähne.«
»Du bist so ein Romantiker. Träumst noch immer von diesem Strand, nicht wahr?«
»Man hat mir schon viele Namen gegeben, aber Romantiker war noch nicht dabei.«
»Warum Haifischzähne?«
Ich dachte nach. Dachte zurück. »Ich kannte einst ein Mädchen.«
»Bitte erzähl weiter.«
»In unserer Jugendzeit gingen dieses Mädchen und ich gern am Strand spazieren.«
»Hmm ...« Mein Bericht begann ihr offenbar zu gefallen – und wahrscheinlich auch ihren Hörern.
Ich fuhr fort. »Wir gingen Hand in Hand und durchkämmten den Strand nach allem, was angespült worden war.«
»Gab es dabei vielleicht einen besonderen Spaziergang, auf den du hinauswillst?«
Draußen fiel der Schnee in dichten Flocken und der Mond hinter den Wolken schien wie eine Taschenlampe durch Bettlaken. »Es war Oktober. Erntemond. So hell, dass man seinen Schatten sehen konnte. Als die Flut die Muscheln überspülte, glitzerten sie wie Diamanten. Wir sammelten einen ganzen Rucksack voll.«
»War das, bevor du ausrücken musstest?«
»Ein paar Monate davor.«
»Hört sich nach einer guten Erinnerung an.«
»Es war ganz und gar unschuldig.«
Suzy ließ in Gesprächen häufig irgendwann eine emotionale Bombe hochgehen, die die Hörer ins Taumeln brachte. Als würde man ein Pflaster vom Herzen abreißen. Ich wusste, dass sie meine jeden Moment zünden würde.
»Hast du sie geliebt?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an dieses Gefühl erinnere, aber da war auf jeden Fall etwas, was ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt hatte.«
Anrufer wie mich brachte Suzy gern bis an die innere Grenze, ließ uns darüber hinausschauen und den Erinnerungen freien Lauf lassen, um uns dann wieder zurück in Sicherheit zu bringen. So zwang sie uns, uns mit Dingen auseinanderzusetzen, denen wir aus dem Weg gingen. Aber sie war behutsam. Sie spürte, wann sie zu weit ging. Jeder hatte einen Ort, von dem er nicht so leicht zurückkehren konnte.
Sie bot mir einen Ausweg an: »Ist schon lange her.«
Ich wagte mich vor. »Ich kann noch immer die salzige Luft und ihr Shampoo riechen.«
Suzy wich aus. »Hattet ihr ein Lieblingslied?«
»Wir mochten beide Creedence.«
»Einen bestimmten Song?«
»Fortunate Son. Im Gegensatz zum Ich-Sprecher im Lied habe ich mich allerdings wirklich wie jemand gefühlt, der das Glück auf seiner Seite hat.«
Suzy lachte. Noch ließ sie mich nicht vom Haken. »Eine letzte Frage.«
Ich wusste, was jetzt kam.
»Was ist aus dem Mädchen geworden?«
Die Erinnerung sprang mich an. Ich räusperte mich. »Hat einen anderen geheiratet.«
»Das tut mir leid.«
»War wohl das Beste so. Ich war in keiner guten Verfassung.«
»Kanntest du den Typen?«
»Ja.« Der Schnee stob seitwärts am Fenster vorüber. »Er war mein Bruder.«
Suzy verschlug so schnell kein Anrufer die Sprache, aber ich hatte es gerade geschafft.
Sie versuchte sich zu fangen. Ihr Stuhl quietschte und ich stellte mir vor, wie sie aufgestanden war, um dem Produzenten einen Hilfe suchenden Blick zuzuwerfen.
Wie eine Schauspielerin am Broadway blieb sie Abend für Abend in ihrer Rolle, egal, welche Geschichten ihr erzählt wurden. So schützte sie sich vor den Schmerzen, die sie in ihrer Sendung verursachte. Aber jetzt, wo sie mich entblößt hatte, nahm sie die Maske ab und redete mit mir. Nur mit mir. »Jo-Jo, tut mir leid. Ich hätte das nicht fragen dürfen.«
Ich machte es ihr nicht noch schwerer. »Wie du schon sagtest: Ist schon lange her. Außerdem ... der Junge, mit dem sie am Strand spazierte, war nicht der Mann, der heimkehrte.«
Suzy legte ihre Maske wieder an. »Sergeant?«
»Ja, Ma’am.«
Sie sprach zu uns allen. Deswegen hörten wir ihre Show. Sie sagte die Worte, die niemand gesagt hatte. »Vielen Dank.«
Ich betrachtete meine Hand und ballte sie immer wieder zur Faust. »Wenn du meine ganze Geschichte kennen würdest, würden dir diese Worte nicht so leicht über die Lippen kommen.«
Sie lachte leise. »Ich meine nicht, wer du warst und was du getan hast, als wir dich ans andere Ende der Welt schickten.«
Ich lachte mit. »Ich auch nicht.«
Suzys Stimme drang durchs Telefon und küsste das Ohr jedes Mannes, der eingeschaltet hatte. »Bleiben Sie trocken, Sergeant.«
Sie wechselte in ihre Radiostimme. »Das hier ist für alle Sergeants, die verliebt waren und trotzdem in den Krieg gezogen sind.«
Ich legte auf, während Creedence Clearwater Revival unsere Hymne von damals anstimmte. Die Töne brachten mich zurück an den Strand, unter die Sterne, zu dem Gefühl dieser zarten und vertrauensvollen Hand in meiner.
Heute konnte ich mich absolut mit dem Songtext identifizieren. Die Zeit, in der das Glück auf meiner Seite gewesen war, lag schon lange hinter mir.
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22.12.2020Marianne Joseph ist 62. Er lebt weit weg von allen, allein, in einer einfachen Hütte in den Bergen. Obwohl es schon so lange her ist, leidet er sehr unter dem, was er im Vietnamkrieg erlebt hat, darum zieht er die Einsamkeit vor.
Ein verzweifelter Schrei schreckt ihn eines Nachts auf. Er kann eine kleine Familie retten, und er stellt sich der
schweren Aufgabe für ihre Sicherheit zu sorgen. Die Gegner sind brutal und stark, aber Joseph ist ihnen gewachsen.
Seine Reise mit dieser Kleinfamilie führt ihn zurück zu den Orten seiner Kindheit, einer Kindheit, die auf tragische Weise endete. Er kommt gerade rechtzeitig, um seiner früheren Freundin in einer schweren Zeit beizustehen. Auch seinen einzigen Bruder trifft er, und nach vielen Jahren beginnen sie wieder miteinander zu sprechen.
Im Laufe der Geschichte wird deutlich, welche schwere Verletzungen vorgefallen sind. Joseph stellt sich immer wieder die Frage, wie er mit dem Bösen umgehen soll. Im Krieg hat er Schreckliches erlebt und auch getan, darum ist er voller Selbstzweifel. Wie kann er das Böse, das auch in ihm lebt, überwinden" Wie kann er sich eines großen Opfers als würdig erweisen" Das sind einige der Fragen, die ihn bewegen.
Dieses Buch fesselt den Leser von der ersten Seite an. Das liegt nicht in erster Linie an den spannenden Ereignissen, sondern an den eigenwilligen Charakteren, die dem Leser schnell ans Herz wachsen. Ein gebrochener Held und eine Frau, die viele falsche Entscheidungen getroffen hat, stehen im Mittelpunkt. Aber dann gibt es noch die liebenswerten mexikanischen Einwanderer, mit ihren Eigenheiten und Stärken. Und selbst der treue Hund hat eine ganz eigene Persönlichkeit, die die Persönlichkeit seines Besitzers widerspiegelt.
In dieser Geschichte lernt der Leser viel über Liebe und Hass. Was es bedeutet sich und seine eigenen Wünsche für einen anderen zu opfern wird beispielhaft gezeugt. Der Glaube steht auf dem ersten Blick nicht im Mittelpunkt, aber am Ende zeigt sich, dass wichtige Gedanken des christlichen Glaubens tragende Themen sind. Auch die Liebe kommt nicht zu kurz, sie wächst wie eine zarte Pflanze, und ist weder stürmisch noch rücksichtslos. Falsche Entscheidungen, Suchtprobleme, traumatische Kindheitserlebnisse; es werden viele Themen angesprochen, von denen Leser lernen können.
Fazit: Spannend, gefühlvoll, und gefüllt mit liebenswürdigen Menschen, ist dieses Buch ein besonderes Leseerlebnis. Die Gedanken über Liebe, Hass und Opfer klingen lange nach dem Lesen nach. Gerade Leser, die gerne Romane lesen, die tiefgründiger sind, werden von diesem Buch begeistert sein. Sehr empfehlenswert!
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31.05.2020Nicole Inhalt in meinen Worten:
Stell dir vor dein Leben ist gar nicht dein Leben, du lebst ein Leben das eigentlich einem anderen gehört. Doch du darfst die Wahrheit nicht verraten, musst sogar jemanden deswegen belügen, würdest du dir das 50 Jahre deines Lebens vorstellen können"
Nun JoJo musste sich deutlich mehr vorstellen, denn er ging einen Weg, der aus Liebe gewählt
wurde und doch Schmerz in sich trug.
Was mit JoJo passierte und was ihn bewegte, das erfahrt ihr, wenn ihr in das Buch hinein seht.
Wie ich das Gelesene empfinde:
Ich musste mich in die Geschichte hinein fuchsen und war anfangs in der Tat leicht irritiert. Doch Irritation heißt nicht gleich schlecht, sondern das Buch forderte meine komplette Aufmerksamkeit. Denn immer wieder wenn ich dachte, jetzt blick ich die Geschichte formte sich etwas neues daraus und ich wurde wieder überrascht, was nicht immer direkt logisch war, aber im Nachgang viel Tiefgang hatte und genau das war auch der Clou. Dennoch hätte ich mir gerade am Anfang die Verwirrung etwas leichter gewünscht. Denn so wurde ich in ein eiskaltes Wasser geschubst.
Sprache:
Durch dass das diese Geschichte so verwirrend am Anfang ist und immer wieder auch neue Verwirrungen dazu kamen, war es nicht ganz so leicht zu lesen, aber dafür ganz klar mit mehr Tiefgang als manch anderes Buch. Ich fand gerade als ich am Ende der Geschichte war, vieles logisch und deutlich und deswegen fand ich gerade die Verwirrungen am Anfang cool, aber wie gesagt auch nicht ganz so einfach. Dennoch kann ich sagen, empfehlenswert.
Christlicher Glaube:
Obwohl das Buch werte vermittelt die auch mit dem christlichen Glauben in Einklang gebracht werden, hat es nicht diese christliche tiefe Botschaft in sich getragen, wie ich es erwartet hätte, was es aber nicht schlechter macht. Im Gegenteil. Die Botschaft kann so jeder lesen und verstehen, egal ob er im Glauben steht oder nicht. Für mich war ein Eckdetail ganz klar die Botschaft: Gibst du dein Leben für jemanden anderen hin" Gar nicht so einfach. Dennoch lohnenswert darüber nachzudenken. Dann geht es um Versöhnung, und das man eben nicht bitter wird, aber auch das man Träume nicht aufgibt, sondern lebt. Wenn vielleicht auch versteckter, und der Lohn der wartet auf einen. Oftmals erst Jahre später kann man sagen, es hat sich gelohnt, deswegen durchhalten, auch wenn es schwer ist.
Charaktere:
Für mich war JoJo der Hauptakteur, dann noch Allie, und der Bruder von JoJo, zum Schluss noch die Familie die auf JoJo stößt, weil diese flieht. Denn Drogen sind niemals eine Lösung, sondern können zerstören. JoJo kann man nicht leicht hinter die Fassade schauen, sondern ich musste ihn kennenlernen und immer dann wenn ich dachte jetzt kann ich ihn mir gut vorstellen, entwickelte er wieder ein ganz anderes Gesicht, das so nicht ganz logisch war am Anfang doch gerade am Ende hab ich ihn und seine Geschichte viel mehr verstanden und war berührt, was er auf sich genommen hat und was er aus seinem Leben gemacht hat. Mutig.
Die Charaktere sind ansonsten leichter zu fassen und zu verstehen, als es bei JoJo der Fall war und ist. Dennoch auch nicht ganz einfach, denn jeder Charakter hat so seine ganz eigene Stärke, aber auch sein Paket das er mit sich herum tragen muss und musste. Kantig und doch auch abgerundet in sich.
Spannung:
Ich war ja anfangs erst einmal mächtig irritiert vom Start der Geschichte, doch als ich endlich in der Geschichte angekommen war, JoJo immer intensiver erleben durfte und verstand, das die Geschichte eigentlich aus seinem Blickwinkel geschrieben ist, war ich hin und weg und wollte einfach nur erfahren, was er erlebte und warum er so wie er ist, ist. Das gelang dann wirklich gut. Deswegen das Buch hat eine sehr hohe Spannungskurve die manchmal ganz schnell abflacht um nur noch mehr Fahrt aufzunehmen, deswegen ja das Buch ist spannend.
Empfehlung:
Wer schon viel liest und sich in der Romanwelt auskennt, der wird sich hier leichter zurechtfinden, wer wenig liest, oder gerade erst anfängt könnte sich etwas schwer tun, und deswegen vielleicht auch erst einmal das Buch wieder auf die Seite legen, doch es lohnt sich die Geschichte von JoJo kennenzulernen und dabei sich selbst berühren zu lassen. Gerade das Thema Hass das auch noch eine ganz besondere Rolle einnimmt hat mich berührt, deswegen ja lest es, aber erwartet keine leichte Kost der Sprache und der Geschichte.
Bewertung:
Mir hat die Geschichte an sich gut gefallen, die Verwirrung die immer wieder auftauchte und auch die manchmal verwirrende Art war schon speziell. Dennoch am Ende war für mich die Geschichte rund und logisch. Dennoch hätte ich mir die Einfachheit manchmal schon eher gewünscht. Deswegen gibt es vier Sterne, die aber wirklich ganz nah an den fünf Sternen liegt.
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24.02.2020Gisela und Wolfgang Fajta Beide haben wir das neue Buch von Charles Martin gelesen , es lässt sich leicht lesen ist flüssig geschrieben und spannend wie ein Krimi.
Was uns fehlt ist die klare deutliche christliche Botschaft die fehlt gänzlich , ganz am Schluss wird dezent darauf hingewiesen...klar Martins Sprache ist gewaltig....aber sollte nicht auch in einem Roman eines christlichen Verlages auch eine
klare deutliche Botschaft sein...dieser Titel könnte in einem säkularen Verlag genauso gut sein...daher nur drei Sterne. Gisela und Wolfgang Fajta
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11.02.2020dorli Charles Martin beginnt "Die Schleusen des Himmels" mit einem kurzen Prolog, ein Ausflug in das Jahr 1964 - Joseph und Bobby Brooks, 9 und 11 Jahre alt, wurden gerade von ihrem Vater verlassen und erleiden dadurch einen tiefen Schmerz, der sie noch jahrzehntelang begleiten wird"
Zeitsprung in die Gegenwart. Der Leser lernt Allie kennen, die am Telefon einen heftigen Streit
mit ihrem Mann Jake hat; kurz darauf stirbt Jake bei einem schrecklichen Unfall. Außerdem trifft man Catalina und ihre Kinder Diego und Gabriela; die drei befinden sich seit Jahren in den Fängen des brutalen Drogenschmugglers Juan Pedro.
Und man begegnet Joseph wieder. Er ist mittlerweile 62 Jahre alt und lebt allein in einer Hütte in den Bergen North Carolinas. In einer verschneiten Nacht landen Catalina und ihre Kinder bei ihm. Sie sind auf der Flucht vor Juan Pedro. Joseph hilft der kleinen Familie und bringt sie nach Florida in Sicherheit. Auf dem Rückweg lässt eine Rauchsäule nahe Cape San Blas, dem Ort seiner Kindheit, ihn anhalten. Er erfährt, dass bei dem Unfall, der sich hier vor kurzem ereignet hat, der Mann seiner Jugendliebe Allie ums Leben gekommen ist. Joseph zögert nicht, sondern besucht Allie und kümmert sich um sie. Und damit beginnt die Aufarbeitung des Schmerzes, der sich 53 Jahre zuvor tief in Josephs Brust gefressen hat"
Charles Martin hat einen sehr fesselnden Schreibstil. Er erzählt Josephs Lebensgeschichte so spannend und mitreißend, als wäre sie ein Krimi. Schon nach wenigen Seiten entwickelt sich das Buch zu dem grandiosen Pageturner, den der Klappentext verspricht.
In "Die Schleusen des Himmels" geht es um Liebe und Loyalität, um Opferbereitschaft und Vergebung und um die Hoffnung auf eine zweite Chance.
Joseph und Bobby entwickeln sich nach dem prägenden Ereignis in ihrer Kindheit ganz unterschiedlich. Obwohl sich ihre Wege als Jugendliche trennen, verbindet die Brüder ein Geheimnis, das Josephs Lebensweg nachhaltig bestimmt. Physisch und vor allen Dingen psychisch versehrt aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrt, hat er ganz unterschiedliche Phasen durchgemacht, aber nie in ein zufriedenstellendes Leben gefunden und sich deshalb schließlich in die Hütte in den Bergen zurückgezogen.
In geschickt eingeflochtenen Rückblenden kann der Leser an Josephs Werdegang teilhaben. Man erlebt die zahlreichen Höhen und Tiefen, die er über die Jahre hinweg durchgemacht hat, intensiv mit und erfährt so, wie er zu dem Mann wurde, der er heute ist.
Charles Martin wartet im Verlauf der Handlung mit einigen Wendungen und Überraschungen auf, die das Geschehen lebendig halten und die Sogwirkung bis zum Schluss nicht abreißen lassen.
"Die Schleusen des Himmels" hat mich durchweg begeistert - ein abwechslungsreicher, tiefgründiger Roman, der mit ausdrucksstarken Charakteren und einer mitreißenden Handlung zu überzeugen weiß.
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06.02.2020peedee Ein intensives Leseerlebnis
Joseph Brooks lebt sehr zurückgezogen. Als er in der Nähe seiner Hütte Hilfeschreie hört, gibt es für ihn kein Halten: Er rettet ein Mädchen, das mit seiner Mutter und seinem Bruder auf der Flucht ist. Er hilft ihnen, doch zugleich ist es auch eine Hilfe für ihn selbst, ist es doch Anlass, seine selbstgewählte Isolation aufzugeben.
Sein Weg führt nach Cape San Blas, wo er aufgewachsen ist und seine Jugendliebe Allie immer noch lebt. Sie hat gerade ihren zweiten Ehemann verloren und ist finanziell ruiniert. Joseph will auch hier helfen, doch ein jahrzehntelang gehütetes Geheimnis scheint sich gewaltsam den Weg an die Oberfläche zu bahnen"
Erster Eindruck: Das Cover mit einer Person von hinten und einem Hund vor einer endlosen Weite; der Himmel ist sowohl bedrohlich als auch erhellend - gefällt mir sehr gut.
Nach dem Prolog, der ins Jahr 1964 zurückführt, zu einem neunjährigen Jungen und dessen elfjährigen Bruder Bobby, landet der Leser bereits in der Gegenwart bei verschiedenen Schauplätzen. Auf den ersten Blick scheinen diese überhaupt nichts miteinander zu tun zu haben, aber das Puzzle komplettiert sich mit jeder Seite ein bisschen mehr. Einerseits gibt es Joseph, der Diabetiker ist und noch andere gesundheitliche Beschwerden hat. Als der Arzt ihm sagt, dass er wohl einige Stents benötigte und Jo fragte "Hat das nicht Zeit"", antwortete dieser "Das hängt davon ab, ob Sie weiterleben wollen." Okay, klare Ansage. Andererseits wird von Jake und seiner Frau Allie und deren Telefongespräch berichtet. Sie ist wütend auf ihn, da er es nach seiner Fernfahrertour nicht mehr schafft, gleichentags nach Hause zu kommen. Und dann ist da noch Juan Pedro Perez, der im wahrsten Sinne über Leichen geht. Catalina und ihre Kinder haben mir so leidgetan. Schlimm, wenn jemand andere Menschen physisch und psychisch so unter Druck setzen kann, so dass diese ständig in Angst leben.
"Heilung steckt in beidem, im Erzählen und im Zuhören." Das ist eine schöne Aussage.
Der Autor hat es geschafft, dass sich mir kurzerhand sehr viele Fragen stellten: Wieso setzt sich Jo so für Catalina und ihre Kinder ein" Was hat Jo erlebt" Wieso will er Allie helfen" Warum wurde aus ihnen in der Jugendzeit kein Paar" Was ist dieses jahrzehntelang gehütete Geheimnis" Und wieso bestellt Jo immer zwei Tassen Kaffee, trinkt aber nur eine"
"Ich würde ihn bitten, mir zu vergeben. Dass ich ihn nicht nach Hause gebracht habe." Es bricht mir schier das Herz.
Es ist schwierig, etwas über das Buch zu erzählen, ohne zu viel darüber zu verraten. Loyalität, Glaube, Krieg, Familie, Suchtprobleme - dies sind nur ein paar der behandelten Stichworte. Die Vergangenheit muss verarbeitet werden, um zu heilen. Für mich war es das erste Werk des Autors, daher habe ich keine Vergleichsmöglichkeiten. Das Buch hat sich flüssig lesen lassen, war sehr intensiv, sehr emotional, und so gänzlich anders, als erwartet - 5 wohlverdiente Sterne! Ich freue mich auf weitere Lektüre von Charles Martin (doch vorerst suche ich mir eine etwas leichtere Lektüre).
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