Hinein in dieses volle Jahr, in diese Reise, auf der ich mich befinde, in unsere gestresste Welt, die so oft das Leben aus uns herauszusaugen scheint.
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Das ist eine ziemlich steile Aussage – damals, als David sie aufschrieb, während er das harte Leben eines Schafhirten führte, mit all seinen Herausforderungen und der Verantwortung für eine sture Schafherde. Und dennoch glaubte er das.
Es ist aber auch eine schier unmögliche Aussage – für mich heute, die ich scheinbar verlernt habe, die Fülle um mich herum zu entdecken. Ich bin von ihr umgeben und sehe doch oft nur Mangel und Defizit. Statt Wachstum im Kleinen achte ich auf Zerstörung und Tod. Und das macht es mir oft schwer, Gott in all dem zu finden und zu begegnen.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines
Namens willen.
Als Teenager wurde David gesagt, er würde eines Tages König sein, die Schafe zurücklassen und stattdessen Menschen leiten. Doch zunächst musste er warten. Statt grüner Wiesen und Erfrischung musste er Demütigung und Verfolgung aushalten – dennoch blieb er hoffnungsvoll und vertraute auf seinen guten Hirten. Beeindruckend.
Als jungen Erwachsenen steht uns die Welt offen, alles scheint möglich zu sein. Und damit fangen die Probleme an. Ich habe so viele Wahlmöglichkeiten, dass ich nicht mehr weiß, wo ich anfangen soll. Bloß keine falsche Entscheidung treffen. So viele Fragen, so viel Ungewissheit. Ich bin mehr verwirrt als entschlossen, mehr überwältigt als überzeugt, mehr zurückhaltend als energisch. Ich scheine festzustecken und werde des Wartens überdrüssig. Und in dieser Ungewissheit schleicht sich so oft dieser Zweifel ein, ob es diese grüne Aue wirklich gibt. Und ob dieser Hirte auch mich gut führen wird.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
David konnte viele Geschichten über das Leid und den Tod erzählen. Geschichten von Flucht und Verstecken. Von Angst und Ungewissheit. Von Zeiten, in denen er mehr Fragen als Antworten hatte. David kannte sich mit Leid aus. Und dennoch hielt er an Gottes Gegenwart mitten im finsteren Tal fest.
Meine Geschichte mit Gott scheint ein wilder Mix aus Schwarz und Weiß zu sein. Es gibt viele helle Momente. Zeiten, in denen ich Gott klar erlebt und seine Stimme deutlich gehört habe. Erlebnisse, die meine Beziehung zu ihm gefestigt haben. Menschen, die mir Gott nähergebracht haben und mit mir gemeinsam unterwegs waren. So viel habe ich gelernt, so sehr wurde mein Leben dadurch bereichert.
Doch dazwischen mischen sich immer wieder dunkle Schatten.
Zeiten des Verlusts und des Schmerzes, des Abschiednehmens und des Weitergehens. Abschied von Lebensabschnitten, in denen ich gerne noch etwas verweilen würde, aber das Leben treibt mich erbarmungslos vor sich her. Abschied von Menschen, die nun ohne mich weitergehen, sodass Freundschaften zum Ende kommen. Abschied von Denkmustern und Glaubensüberzeugungen, die nicht mehr zu tragen scheinen.
Zeiten, in denen ich Freunde leiden sehe und wie sie scheinbar am Leben zerbrechen. Ich will etwas sagen, etwas tun, kann es aber nicht. Meine Worte klingen aufgesetzt, mein Glaube plötzlich so bodenlos. Fragen und Zweifel, was denn wirklich trägt.
Momente, in denen mich die Dunkelheit dieser Welt zu überwältigen droht und ich Angst habe, dass sie mich völlig einnimmt. Momente der Erschöpfung, Enttäuschung und Sinnlosigkeit.
Diese Schatten lassen mich an Gott zweifeln, seine Gegenwart mitten im Tal ist für mich oft nicht erkennbar. Ich beginne zu hinterfragen, was und wie ich glaube. Ich kämpfe innerlich gegen bloße Formen, die oft so inhaltslos scheinen und mir große Mühe bereiten, Gott in ihnen zu finden. Ich probiere und teste aus und scheitere doch immer wieder. Ich stehe im finstern Tal und wünsche mir doch nichts sehnlicher, als endlich ins Licht zu finden.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Egal, wie viele Erfolge David erzielt hat oder wie sehr andere ihn gelobt haben – er hatte auch eine Menge Feinde. Menschen, die ihm das Leben schwer machten oder ihn aus dem Weg räumen wollten. Dinge und Umstände, die ihn ablenken und verwirren wollten. David war das durchaus bewusst, aber er setzte sich trotzdem hin und aß. Er legte seinen Fokus nicht auf all die Leute, die gegen ihn waren, sondern entschied sich dafür, die Fülle um ihn herum zu sehen und zu genießen. Eine außergewöhnliche Einstellung, die mich zum Nachdenken bringt.
Wer sind meine Feinde? Mein Feind ist so oft die Zeit, von der es nie genug zu geben scheint. Mein Terminkalender ist bis oben hin voll und so manches Mal frage ich mich, wie ich das alles schaffen soll. Ich wünsche mir echte Beziehungen und habe doch nicht die Zeit, jedem und allem gerecht zu werden. Ich mühe mich ab, haste an so vielem Schönen vorbei und bleibe am Ende leer zurück. Ich scheine nie wirklich Zeit zu haben.
Aber es gibt genug Zeit – wenn ich genau hinsehe. Wenn ich mich wie David dafür entscheide, meinen Blick auf die wichtigen Dinge zu lenken – dann sehe ich den Tisch, den Gott für mich gedeckt hat.
Ich fühle Freiheit; dass ich nichts tun muss, aber ausprobieren darf. Ich lerne, ehrlich mit Gott zu sein, auch wenn dabei keine schönen Worte herauskommen. Ich finde Gott in wohlvertrauten Bibelversen, alten Kirchenmelodien oder Liedern aus dem Radio wieder. Ich höre seine Stimme in den Worten anderer oder tief in meinem Herzen. Ich bin erstaunt über Gottes Treue, die er in so vielen kleinen Dingen beweist. Ich bin unendlich dankbar für seine vielen kleinen Geschenke im Alltag.
Gottes Gegenwart ist überall und wartet darauf, dass ich sie wahrnehme. Sie spornt mich an, weiterzusuchen und Neues zu finden. Und so mache ich mich auf die Reise, Gott in meinem Alltag zu finden und ihn in meinen scheinbar gewöhnlichen Lebensgeschichten zu entdecken.
Egal, ob du in der Kirche zu Hause bist oder dich dort etwas verloren fühlst. Egal, ob du Jesus schon lange kennst oder gerade erst am Anfang stehst – ich lade dich ein, mit mir auf die Reise zu gehen. Mutig auszubrechen, wo Formen dich zurückhalten, und aufs ungewisse Meer hinauszutreten. Deinen Blick zu weiten, wo Gott dir im Alltag begegnen möchte. Durch Dinge, die dir auf den ersten Blick vielleicht zu gewöhnlich erscheinen mögen. Dein Herz dafür zu sensibilisieren, Gottes Stimme auch im Chaos wahrzunehmen.
Dieses Buch ist eine Reise mit verschiedenen Abschnitten. Es beginnt mit dem Aufbruch zur Freiheit und der Einladung, tiefer zu blicken und auszugraben, woher du kommst. Es bietet viel Raum zum Nachdenken, wo auch Zweifel willkommen sind. Gott ist größer als unsere Fragen und lässt uns auch in den Tälern nicht allein. Es fordert dich heraus, deinen Blick zu schärfen und dich auf neue Wege einzulassen. Gottes gedeckter Tisch ist überall, wenn du danach Ausschau hältst.
Du kannst diese Reise chronologisch lesen und dich jede Woche mit einem Impuls beschäftigen. Du kannst aber auch thematisch lesen; je nachdem, was dich anspricht. Die Texte sind Einblicke in meine Reise, aber das ist nur der Anfang. Ich wünsche dir, dass es deine Reise wird.
Die Fragen und Impulse laden dich ein, tiefer zu graben, Neues auszuprobieren und Gott in deinen Alltag einzuladen. Deswegen ist viel Platz für dich – für deine Fragen, Notizen, Beobachtungen, Zeichnungen ... dieses Buch ist ein Logbuch für deine Reise und es lohnt sich immer, einen Stift dabeizuhaben und den Alltag mit Gott festzuhalten.
Am Ende des Jahres kannst du zurückblättern und staunen, wie reich gedeckt der Tisch Gottes in deinem Leben ist!
Woche 1
Willkommen
Ich betrete einen großen Raum voller unbekannter Gesichter. Voller Menschen, die ich erst noch kennenlernen muss. Wer von ihnen nicht nur Kollege, sondern auch Freund sein wird, wird sich im Laufe des Jahres erst herausstellen. Es ist ein langsamer Entdeckungsprozess. Es fühlt sich an wie der erste Schultag. Und das ist es tatsächlich, denn ich habe gerade meine erste Stelle als Lehrerin angenommen.
Das neue Jahr ist also tatsächlich neu für mich. Eine neue Lebensphase, neue Situationen, neue Herausforderungen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich all das willkommen heißen möchte.
Ich weiß nicht, wie dein Jahr aussah, das gerade erst zu Ende gegangen ist. Ich kann dir auch nicht sagen, was das neue Jahr für dich bereithält. Sind neue Menschen in deinem Haus und deinem Leben willkommen? Wartest du auf Veränderungen in diesem Jahr oder hältst du dich lieber von neuen Dingen fern? Hast du Angst vor der Zukunft oder lässt du dich einfach drauf ein?
Das Leben und seine Menschen überwältigen uns manchmal. Sie überraschen uns.
Nach der ersten Schulwoche merke ich, dass unbekannte Gesichter schnell vertraut werden. Menschen, die ich vorher nicht kannte, sind wirklich nett und es ergeben sich gute Gespräche. Obwohl ich Respekt vor all den neuen Aufgaben habe und erst mal zurückhaltend bin, entdecke ich auch langsam ein verloren geglaubtes Gefühl wieder: die Leidenschaft und Begeisterung für all die Möglichkeiten, die vor mir liegen.
Wenn wir also nun dieses neue Jahr beginnen – jeder von uns mit seinen eigenen Freuden und Herausforderungen – lasst uns die Vergangenheit und alle Zurückhaltung hinter uns lassen. Lasst uns neue Menschen in unserem Leben mit offenen Armen empfangen und alten Freunden erlauben, uns zu überraschen. Lasst uns Unterbrechungen und versteckten Segensgeschenken gespannt entgegensehen. Lasst uns manchmal vom Leben überwältigt sein und Ruhemomente dafür umso mehr genießen. Lasst uns das Leben willkommen heißen.
Weiterdenken
» Welche Dinge heißt du ungern in deinem Leben willkommen?
» Worauf freust du dich in diesem neuen Jahr, was macht dir eher Angst?
» Heiße an jedem Tag dieser Woche eine neue Sache willkommen.