London 1939: Was Krieg ist, weiß Charles ganz genau. Das ist, wenn irgendwo weit weg Soldaten mit Gewehren und Kanonen aufeinander schießen. Sie schießen sich gegenseitig in Fetzen und anschließend flickt sie seine Mutter wieder zusammen. Deshalb muss sie auch im Krankenhaus wohnen.
Krieg bedeutet, dass alle ihre Fenster mit schwarzem Papier zukleben müssen, damit die Flugzeuge einen nicht sehen können. In der Schule hat Miss Wilson ihnen Bilder von diesen Flugzeugen gezeigt.
Charles sucht jeden Tag den Himmel ab, aber bisher ist noch kein Flugzeug hierhergekommen.
Krieg bedeutet, dass man immer seine Gasmaske in einem Beutel um den Hals mit sich herumtragen muss. Große Gasmasken für große Leute, kleine für Kinder, und Babys haben Gasmasken, mit denen sie aussehen wie Tiefseetaucher. Dann muss die Kinderfrau sie tragen, weil ihre Köpfe durch die Masken so groß werden, dass sie nicht mehr in den Kinderwagen passen.
Ansonsten geht das Leben seinen gewohnten Gang. Er geht in die Schule, nachmittags spielt er, sein Vater geht auf die Arbeit und Miss Davis hält das Haus in Ordnung.
Sonntags kommt seine Mutter in der Regel für einen Besuch vorbei. Miss Davis brät dann Fleisch mit Kartoffeln im Ofen, das nennt man einen Sunday roast. Miss Davis redet komisch und ist sehr streng, aber sie kann gut kochen. Montags kommt sie nie. Dann bringt sein Vater das Essen mit, so etwas wie fish ’n’ chips oder bangers ’n mash.
Die Freunde von Charles haben fast alle einen Vater, der Schießen lernt. Charles’ Vater sagt, dass er dableibt, wo er ist, schließlich muss er bei den Londoner Elektrizitätswerken dafür sorgen, dass der Strom fließt. Er ist froh, dass sein Vater nicht kämpfen gehen muss, sonst müsste er die ganze Zeit bei Miss Davis wohnen. Und das wäre mit Sicherheit kein Zuckerschlecken.
Nicht nur die Väter gehen weg, in der Schule sind eine ganze Menge Kinder ebenfalls verschwunden. Die sind natürlich nicht kämpfen gegangen, sie sind einfach weg. »Ich werde von jetzt an bei meiner Oma in Whitby wohnen«, verkündet Harry, der neben ihm die Schulbank drückt. »Weil die Krauts London bombardieren werden.«
Das ist erst recht keine gute Nachricht. »Werden die Deutschen London wirklich bombardieren?«, fragt Charles an diesem Abend seinen Vater.
Der bekommt das zunächst nicht mit, denn er sitzt gerade neben dem Radio und lauscht dem Sprecher aufmerksam. Als er noch kleiner war, hat Charles immer gedacht, dass dieser Mann mit der Kratzstimme dort wohnt, da in diesem Holzkasten, der vorn so gewölbt ist. Jetzt ist er schon groß und weiß, dass ein Radio genauso funktioniert wie ein Telefon und dass dieser Mann irgendwo weiter weg sitzt. Wenn sein Vater Radio hört, sieht er meistens ernst und besorgt aus. Charles versucht dann immer wieder einmal, ihn zum Lachen zu bringen, aber das gelingt ihm nie, sein Vater wird dann einfach nur böse. Dieses Mal hält Charles sich lieber mit seinen Albernheiten zurück, schließlich ist das keine Sache, über die man Witze machen sollte. »Werden die Deutschen …«
»Auf keinen Fall. Und jetzt sei still, ich will das hören.«
Das Radio sagt, dass die Deutschen ein Schiff torpediert haben, das auf dem Weg von Glasgow nach Kanada gewesen ist, und dass dabei hundertzwölf Menschen ums Leben gekommen sind. »Was heißt ›torpediert‹?«
»Mit einem Torpedo beschossen.«
»Oh. Und wo ist Glasgow?«
»In Schottland. Putz dir jetzt die Zähne, es ist schon spät.«
Immer wenn die großen Leute nicht wissen, was sie mit einem anfangen sollen, sagen sie einem, dass man sich die Zähne putzen soll.
An diesem Sonntag wacht Charles mit Bauchschmerzen auf. Ihm ist auch ein bisschen schlecht.
Heute hat er keine Lust auf den leckeren roast von Miss Davis. Wenn doch bloß kein Sonntag wäre! Wenn es doch nur ein gewöhnlicher Schultag wäre!
Aber das ist es nicht. Es ist Sonntag und bald kommt seine Mutter zu Besuch.
In einer Ecke des Zimmers steht sein Koffer. Den hat Miss Davis gestern schon gepackt, wobei sie die ganze Zeit geschimpft hat: »Bei denen muss aber auch alles schon Tage vorher fertig sein, bei diesen reichen Stinkern.«
Ihm wäre es am liebsten, wenn seine Mutter auf dem Weg hierher eine Autopanne hätte. Und wenn die Züge und Straßenbahnen auch kaputt wären, sodass sie nicht kommen könnte. Vielleicht sollte er seinem Vater sagen, dass er sich nicht so wohlfühlt, und in seinem Zimmer bleiben. Das ist nicht gelogen, er hat schließlich richtige Bauchschmerzen. Ein bisschen jedenfalls.
Dass er jetzt auch wegmuss, findet er eigentlich nicht so schlimm. Das kann sogar ganz schön werden. Sein Vater hat gesagt, dass er zu einer sehr netten Frau kommt, die in einem kleinen Dorf wohnt, wo die Flugzeuge nie hinkommen werden. Und die Deutschen ebenfalls nicht. In der Umgebung gibt es Bauernhöfe mit Schafen und Kühen. Außerdem ist es ja auch nicht für lange, denn dieser Krieg wird bald vorbei sein.
Das Problem ist, dass seine Mutter noch nicht weiß, dass er weggeht. Sie wird wütend werden und dann werden sie einen furchtbaren Streit haben. Seine Bauchschmerzen werden immer schlimmer.
Von London nach Eaglesham, 1940: Der Bahnsteig ist vollgestopft mit schiebenden und drängelnden Menschen. Gepäckträger marschieren mit einer Kofferfracht nach der anderen zwischen ihnen hindurch und währenddessen bilden sich Dampfwolken neben den Rädern des Zuges.
Charles umklammert fest die Hand seines Vaters. Wenn er ihn hier verliert, findet er ihn nie wieder. Er sieht genauso aus wie alle anderen Kinder auf dem Bahnsteig: kurze, graue Hose, weißes Hemd, Schlips, Strümpfe und schwarze Schuhe. Er trägt eine Mütze auf dem Kopf und über dem Arm hängt seine graue Jacke. Um seinen Hals baumelt die Gasmaske, an seiner Brust steckt ein Kärtchen mit seinem Namen und der Adresse, zu der er hinfährt. Genau wie ein Päckchen von der Post. Sein Vater trägt das braune Lederköfferchen. Auf dem Deckel ist ein großes Stück Papier befestigt mit seinem Namen darauf und der Adresse von Tante Grace.
Charles bebt innerlich vor Aufregung. Sein Vater hat ihm alles erklärt. Tante Grace ist eine liebe, alte Dame und sie findet es ganz wunderbar, dass er sie besuchen kommt. Er wird mit dem Zug dorthin fahren, eine lange Reise, bis ganz nach Schottland. Dort wird er in einem kleinen Bauerndörfchen wohnen, wo er bestimmt eine ganze Menge von dem tun kann, was Bauern so machen. Vielleicht sogar auf einem Pferd reiten, genau wie John Wayne.
Auf dem Bahnsteig steht eine Frau, die Charles nicht kennt. An ihrem Gesicht kann man erkennen, dass es sich um eine Lehrerin handeln muss. Sein Vater sagt seinen Namen und sie schaut auf ihre Liste. »Waggon 12, Abteil 4. Vier Wagen in diese Richtung. Der Nächste!«
Am Abteil angekommen, fällt Charles auf einmal etwas ein. Sein Herz setzt vor Schreck für einen Schlag aus. »Ich habe Mr Bär vergessen!«
»Tja, daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern«, entgegnet sein Vater, während er das Köfferchen im hohen Gepäcknetz verstaut.
»Aber Mr Bär muss doch auch mit! Ich kann doch nicht ohne …«
»Benimm dich, Charles. Das sähe doch auch komisch aus, so ein großer Junge wie du mit einem Bären in den Armen.«
Das Herz sinkt Charles in die Hose. Wenn sein Vater mit so einer Stimme spricht – kühl und entschlossen –, dann ist er unerbittlich. Er reckt die Schultern und beißt die Zähne zusammen.
Um sie herum nehmen die Menschen voneinander Abschied. Kinder weinen, manche Mütter ebenfalls, während sie ihren Töchtern einen Kuss geben.
»Iss immer schön dein Essen auf und vergiss nicht, dich ordentlich zu bedanken«, erteilt eine von ihnen die letzten Anweisungen. »Es ist ja nur für ein Weilchen. Ihr seid sicher bald wieder zu Hause.«
»Vergiss nicht, dir jeden Tag eine frische Unterhose anzuziehen«, befiehlt eine zweite. »Und ein frisches Unterhemd.«
Alle reden durcheinander. »Lies jeden Abend in deiner Bibel …«, »Wasch dir die Hände …«, »Gib in der Schule dein Bestes …«
Die Stimme seines Vaters übertönt das ganze Durcheinander. »Vergiss nicht, Tante Grace diesen Umschlag zu geben. Und benimm dich. Du führst dich auf, wie es sich gehört, verstanden?«
Charles nickt nur. Er traut seiner Stimme nicht so sehr. Wenn er jetzt versucht, etwas zu sagen, muss er ganz bestimmt weinen. Mr Bär …
»Auf Wiedersehen, Charles.«
Sie geben einander die Hand und dann verlässt sein Vater das Abteil.
Der Zug schnauft und pufft, ein schriller Pfiff ertönt und anschließend setzt er sich in Bewegung. Charles schiebt seinen Kopf aus dem Fenster. Überall stehen Menschen mit Taschentüchern und winken. Der Zug wird immer schneller, der Abstand größer und größer. Die wehenden Taschentücher in der Ferne sehen aus wie weiße Tauben. Oder Schmetterlinge, die im Wind flattern.
Aber sein Vater steht nicht mehr da. Er ist schon weggegangen.
Endlich fährt der Zug in den Bahnhof von Glasgow ein.
»Beeilung, Beeilung!«, ruft die Lehrerin durch den Gang. »Nehmt euer Gepäck und stellt euch in den Gang. Sobald der Zug steht, steigt ihr einer nach dem anderen aus und stellt euch auf dem Bahnsteig in einer ordentlichen Reihe auf.«
Charles bereitet es etwas Mühe, mit seiner Tasche, seiner Jacke über dem Arm und seiner Gasmaske um den Hals das kleine Treppchen zum Bahnsteig hinunterzusteigen. Er hat keine Angst – er hat nie Angst; Angst ist etwas für Schisser – die Aufregung von heute Morgen ist allerdings verschwunden. Er ist sich unsicher. Der Bahnsteig steht voller fremder Leute. Wie sieht Tante Grace eigentlich aus? Und woher soll sie wissen, wie er aussieht?
Die Lehrerin mit der Liste in der Hand liest die Namen der Kinder einen nach dem anderen vor. Bei jedem Namen treten Erwachsene nach vorn, die das Gepäck des Kindes nehmen. Manche Kinder gehen mit Bekannten mit, die meisten Kinder werden jedoch bei fremden Leuten untergebracht, bis der Krieg vorbei ist. Nirgendwo in der Menge entdeckt Charles eine alte Dame, die Tante Grace sein könnte.
Endlich sind alle Kinder untergekommen, nur Charles und ein anderes Mädchen stehen noch da. Die Lehrerin schaut sich suchend nach den Erwachsenen um, die noch übrig sind. »Mrs McGregor? Ist Mrs McGregor auch hier?«
Niemand antwortet ihr.
In diesem Augenblick hört Charles, wie sich auf dem Zementboden hastige Schritte nähern. Alle schauen sich um.
»Ist das der Bahnsteig, auf dem die evakuierten Kinder angekommen sind?«, ruft eine Frauenstimme aus der Ferne.
»Ja«, ruft die Lehrerin zurück.
»Ich komme ein Kind abholen. Charles Smith. Ich bin spät dran, glaube ich. Sorry, sorry. Mrs McGregor hat vergessen, sich die Zeit aufzuschreiben. Erst als ich zur Sicherheit noch einmal in den Brief geschaut habe, habe ich gesehen, dass sie schon heute Nachmittag angekommen sind. Und Sie wissen ja, mit dem Benzin auf Bezugsschein …«
Erst jetzt kann Charles die Frau gut sehen. Sie ist groß und schlank und redet ohne Punkt und Komma, aber sie scheint nett zu sein.
»Ah, du bist also Charles? Och, mah goodness, ich verstehe nicht, wie Mrs McGregor ihre Einwilligung geben konnte, ein Kind ins Haus zu holen.« Sie wirft der Lehrerin einen Blick zu. »Sie ist alt, sehr alt, eigentlich braucht sie selbst Hilfe. Aber das scheint ein Verwandter zu sein. Wir werden sehen, was wir tun können, um zu helfen. Zum Glück stehen die Leute in Eaglesham immer füreinander ein. Komm jetzt«, fordert die geschwätzige Frau Charles auf und nimmt ihn an der Hand.
(...) »So, hier wohnt deine Tante. Und äh … Charles … Mrs McGregor ist schon alt. Du musst ihr bei allem ein bisschen helfen. Ich sehe ja, dass du schon ein großer Junge bist.«
Zum ersten Mal fühlt Charles sich ein klein wenig erleichtert. Nicht mehr so aufgeregt wie heute Morgen, allerdings auch ein ganzes Stück besser als im Zug. »Das mache ich. Ich werde ihr helfen.«
Die Frau, die ihn abgeholt hat, nimmt seinen Koffer aus dem Auto, klopft an die Eingangstür und schiebt sie auf. »Mrs McGregor! Hier ist Charles!«, ruft sie ins Haus hinein. »Ich muss gleich wieder weg! Mrs McGregor?«
Stille.
Sie stellt den Koffer von Charles auf den Boden und sagt: »Deine Tante ist sicher kurz hinten. Ich muss zu Hause sein, bevor es ganz dunkel ist. Auf Wiedersehen, Charles.«
Sie zieht die Tür hinter sich zu und lässt ihn allein mitten im Zimmer stehen.
Vorsichtig schaut er sich um. Das Zimmer ist ziemlich klein und dunkel, mit Wänden aus Backsteinen, einem hölzernen Fußboden und einer niedrigen Zimmerdecke. Es riecht ein bisschen muffig, nach feuchtem Laub, Essen und Rauch. Ihr Haus in London riecht nach Bohnerwachs.
Jetzt wird die Hintertür knarzend geöffnet und eine gebeugte, grauhaarige Frau humpelt ins Zimmer, auf einen Stock gestützt. Sie hat ein langes, schwarzes Kleid an und ihre Haare sind in einem Zopf um den Kopf gewickelt.
Charles hat keine Ahnung, was er jetzt machen soll. Sie ist wirklich alt.
Als sie aufschaut, sehen ihre blauen Augen ziemlich lebendig aus.
»Aha, Charles! Kom ’s hier, laddy.« Sie lehnt ihren Stock an die Wand und breitet die Arme aus.
Nun weiß Charles überhaupt nicht mehr, was er machen soll. Zum einen sieht Tante Grace auf einmal wie eine Fledermaus aus, mit ihrem langen, schwarzen Kleid und den weiten, schwarzen Ärmeln. Noch viel gewichtiger ist allerdings, dass ihn wirklich noch nie jemand so – mit weit geöffneten Armen – begrüßt hat.
»Willkommen in meinem Haus, Charles. Ye ur most welcome.«
Kundenstimmen
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17.01.2023Hopeandlive 
Dieser Satz in der Überschrift ist so aktuell wie nie, hat jedoch seine Wurzeln in England zur Zeit des 2. Weltkrieges. Wir werden mit hineingenommen in eine der dunkelsten Seiten von Europa und erleben die Geschichte aus zwei völlig verschiedenen Sichtweisen, erleben zwei ganz verschiedene Schicksale, fühlen mit jedem auf eine gewisse Art und Weise mit und dürfen am
Ende lesen, wie und wo sich die Wege dieser beiden unterschiedlichen Menschen kreuzen.
Da ist Charles, ein Junge 1933 in England geboren, der bei seinem Vater in London aufwächst, während seine Mutter Medizin studiert und in diesem Beruf ihre Berufung findet, nicht im Mutter sein.
Zur gleichen Zeit sind wir auch in Berlin mit Oswald von Stein, 26 Jahre, dem Spross einer stolzen preußischen Familie, der sich der Partei angeschlossen hat, die Deutschland erfolgsversprechend an die Spitze bringen will. Eine dieser "erfolgsversprechenden" Handlungen ist die Bücherverbrennung in Berlin.
Dann gibt es einen Zeitsprung in das Jahr 1939. Der 2. Weltkrieg beginnt und für Deutschland sieht es "erfolgsversprechend" aus. Der Krieg wird uns jeweils aus der Sicht eines Kindes und aus der Sicht des ehrgeizigen jungen Nationalsozialisten geschildert und die Autorin versteht es auf eine sehr geschickte und einfühlsame Weise die Ereignisse zu beschreiben.
Für Charles wird es gefährlich, denn er hat jüdische deutsche Wurzeln, was der Vater der Mutter verschwiegen hat, und er sieht die einzige Möglichkeit ihn in Sicherheit zu bringen, Charles zu seiner schon recht betagten Tante Grace ins schottische Hochland zu bringen. Für Charles beginnt ein neues Leben. Durch Grace lernt er bedingungslose Liebe und Annahme kennen und die Arbeit auf dem Hof gefällt dem Jungen so gut, dass er beschließt später selbst Landwirt zu werden. Wir Leser bekommen auch eine wahre historische Begebenheit, nämlich den Absturz von Rudolf Hess, geschildert.
Oswald von Stein kann es kaum erwarten endlich in den Krieg zu ziehen. Sobald er seine Offiziersausbildung abgeschlossen hat, geht es los. Auch der frühe Tod seines jüngeren Bruders in einer der ersten Schlachten hält ihn nicht davon ab und sein Siegeswille und seine Überzeugung wachsen bis er in der Hölle von Stalingrad eingekesselt wird und in die Gefangenschaft kommt. Die Russen gehen aus gutem Grund nicht zimperlich mit den gefangenen deutschen Soldaten um. Er geht auf einen schrecklich anstrengenden Marsch nach Sibirien, die Beschreibungen sind so anschaulich, dass es schwer auszuhalten ist, hält weiter an seiner Überzeugung fest, doch er entwickelt auch menschliche Züge, indem er den Soldaten hilft, die schwächer sind als er.
Nachdem der Krieg geendet hat, beginnt für Charles sowie für Oswald eine neue Zeit, die jedoch alles andere als leicht ist. Beide werden wieder entwurzelt und müssen auf einem fremden Kontinent, in Südwest-Afrika, ihren Weg finden. Für Charles gibt es keine andere Möglichkeit, nachdem seine Eltern gestorben sind und seine Tante nicht mehr lange zu leben hat. Er muss mit ihrem Enkel Greg nach Afrika.
Oswald von Stein kommt als gebrochener Mann aus der Gefangenschaft in das zerstörte Berlin. Seine Familie ist tot und das Familienanwesen wurde fremden Leuten übergeben. Er weiß nicht mehr weiter. Seine Stiefmutter ist in Afrika neu verheiratet und lädt ihn zu sich ein. Werden sie es schaffen, das Trauma des Krieges, des Verlusts der Familie, der Heimat zu überwinden"
Und werden sie sich dem mehr und mehr öffnen, der seine Hand an ihren schönsten und an ihrem schlimmsten Tagen immer über sie hält"
Irma Joubert ist ein wirklich einfühlsamer und historisch sehr gut recherchierter Familienroman gelungen. Sehr detailliert beschreibt sie die Geschehnisse dieser dunklen Zeit und wie die Menschen auch in ihrem Glauben herausgefordert waren. Die verschiedenen Perspektiven mitzuerleben war sehr interessant und haben ein authentisches Bild der damaligen Zeit wiedergegeben.
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30.11.2022Gudrun Ermes 
Dieses Buch beschreibt die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Menschen, beginnend mit dem zweiten Weltkrieg. Da ist einmal der Junge Charles ,der 1940 von seinen Eltern von London aus aufs Land zu einer alten Tante geschickt wird. Dort erlebt er seine glücklichsten Jahre bis er wegen der schlechten gesundheitlichen Verfassung der Tante nach Afrika zu ihrem Sohn reisen muss. Und
dann ist da der Major Oswald von Stein , ein überzeugter Nazi, der jahrelang in Sibirien in einem Gefangenenlager ums Überleben kämpfen muss.
Dieser historische Roman beleuchtet wechselseitig aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven die Geschehnisse während und nach dem zweiten Weltkrieg. Der Schreibstil der Autorin ist von Beginn an sehr fesselnd, spannend und emotional. Die schwierigen Lebensverhältnisse in Charles Familie , seine Schulprobleme und die nationalsozialistische Überzeugung des von Stein werden sehr anschaulich dargelegt. Der Leser kann sich bald ein gutes Bild von den Lebensverhältnissen dieser beiden Menschen machen. Historische Ereignisse werden gekonnt mit fiktiven Handlungen verbunden. Die Hölle von Stalingrad, der Zug der Kriegsgefangenen nach Sibirien, die vollkommene Zerstörung Deutschlands und die Konfrontation mit einer vollkommen anderen Welt in Afrika werden zu einer in sich stimmigen Geschichte verbunden.
Ich kenne nicht alle Bücher der Autorin, die in Afrika spielen. Aber doch einige und es ist toll immer wieder auf bekannte Charaktere aus anderen Büchern zu treffen. Das Ende des Buches zeigt für alle Charaktere des Buches eine Perspektive für den weiteren Lebensweg auf.
Das Buch unterhält den Leser und läßt ihn gleichzeitig in die Geschichte der damaligen Zeit eintauchen.
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24.11.2022annislesewelt 
Dieses Buch erzählt die Geschichte von Charles, einem Kind in England, und Oswald, einem Major in Deutschland.
Beide Erzählstränge, die parallel erzählt werden, sind spannend und interessant geschrieben.
Ich konnte mich gut hineinfühlen und fand es angenehm zu lesen wenn es auch zeitweise eher zäh voran ging. Dazu kam das am Ende noch einige Fragen für mich unbeantwortet geblieben sind.
Charles war
mir sympathisch, sein Leben, seine Not, seine Schwäche und daraus folgenden Schwierigkeiten waren sehr gefühlvoll erzählt.
Die Sicht eines Kindes auf den Krieg hat mich fasziniert und manchmal erschreckt.
Oswalds Gedanken und seine Einstellung zum Krieg waren mir da bekannter, diese Sicht auf den Krieg ist ja in vielen Romanen beschrieben worden.
Irma Joubert hat es hier verstanden zwei so gegensätzliche Persönlichkeiten zu beschreiben, ihr Denken, ihr Leben und ihre Entwicklung sind authentisch aufgezeigt.
"Ein Zuhause in Afrika" ist der dritte Band der Kriegstrilogie nach "Sehnsuchtsland" und dem "Kind im versteckten Dorf" aber wunderbar auch einzeln zu lesen.
Dieses Buch erzählt von Einsamkeit, Veränderungen, Neuanfängen, Freundschaft und Vergebung, Verlusten, Trauer, Schmerz und Hoffnung.
Auch wenn mich das Buch insgesamt nicht überzeugt hat ist es ein guter Roman der zum Teil auf wahren Begebenheiten beruht.
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23.11.2022mabuerele 
"...Wenn ich im letzten Weltkrieg eins gelernt habe, dann ist das, dass sich jeder nach Frieden sehnt, aber keiner den Krieg verlieren will..."
Dieser Satz fällt während des Zweiten Weltkrieges in Großbritannien. Zwei Schicksale in dieser Zeit werden im Buch nebeneinander erzählt. Die beiden Lebenswege kreuzen sich erst kurz vor Schluss.
Im Jahre 1933 ist Oswald von Stein 26 Jahre
alt, als er mit Begeisterung der Bücherverbrennung in Berlin folgt. Wenige Monat später wird in London Charles Wilhelm Schmidt geboren, der bei seinem Vater aufwächst, während die Mutter Medizin studiert.
Dann wechselt die Autorin ins Jahr 1939. Die folgende Ereignisse werden einmal aus der Sicht eines Kindes, einmal von einem überzeugten Nationalsozialisten geschildert. Der Schriftstil passt sich dem gekonnt an.
"...Was Krieg ist, weiß Charles ganz genau. Das ist, wenn irgendwo weit weg Soldaten mit Gewehren und Kanonen aufeinander schießen..."
Doch der Krieg kommt näher. Deshalb beschließen die Eltern, Charles zu einer Tante nach Schottland zu schicken. Tante Grace ist zwar schon betagt, aber für Charles beginnt eine unbeschwerte Zeit. Mit Freunden erlebt er manch Abenteuer. Der Absturz von Rudolf Hess wird gekonnt in die Handlung einbezogen. Auf einer nahegelegenen Farm arbeitet Charles mit Begeisterung. Er möchte später in der Landwirtschaft tätig sein.
Währenddessen sehnt Oswald von Stein das Ende seiner Ausbildung herbei. Er will an die Front, so schnell wie möglich. Selbst der Tod seines jüngeren Bruders sorgt für kein Umdenken. Doch im Kessel von Stalingrad bleibt ihm nur der Gang in die Gefangenschaft. Es fühlt sich wie eine persönliche Niederlage an. Das Grauen in der Stadt wird genauso detailliert beschrieben, wie der Marsch der Gefangenen nach Sibirien. Auf dem aber zeigt sich die andere Seite des Oswald von Stein. Er kümmert sich um die, die schwächer sind als er.
"...Wir haben es bis hierher geschafft. Denk daran: Wir haben uns zwar ergeben, aber das ist etwas anderes als aufgeben. Unsere Selbstachtung können sie uns nicht nehmen"."
Das Kriegsende bringt für beide einen erneuten Einschnitt. Charles` Eltern sind tot. Die Tante weiß, dass der Junge bei ihr keine Zukunft hat. Ihr Leben wird nur noch kurz währen. Sie schickt ihn mit ihrem Enkel Greg nach Afrika.
Oswald von Stein steht nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft vor dem Nichts. Sein Elternhaus wurde anderen Leuten zugesprochen. Der Vater ist tot, die Stiefmutter lebt inzwischen in Afrika, Sie ist bereit, ihm ein Heim zu bieten.
Wieder wird ausführlich geschildert, wie sich die Lebensverhältnisse der beiden dort entwickeln. Für sie geht es durch ein tiefes Tal, bis sich endlich eine Zukunft absehen lässt.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin versteht es, Stimmungen lebendig zu machen und Geschichte anschaulich zu erzählen.
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14.11.2022TochterAlice 
Der kleine Charles - er ist zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erst fünf Jahre alt und zum Zeitpunkt seiner Verschickung zu einer Großtante in Schottland sechs Jahre alt - wird auf tragische Weise blitzschnell erwachsen. Denn er muss schnell lernen, sich selbständig neu zu orientieren, in einer vollkommen fremden Umgebung einzuleben - was ihm tatsächlich gut gelingt. Mehr
noch - er verliebt sich richtiggehend in seine alte Tante Grace, die so viel mehr Zeit für ihn hat als sein Vater in London - und fast noch mehr in das kleine schottische Dorf, in das es ihn nun verschlagen hat. Hier findet der kleine Junge, dem das Lernen in manchen Fächern so schwer fällt, seine Erfüllung - das Leben und Arbeiten auf dem Bauernhof. Dessen ist er sich schon in jungen Jahren ganz sicher. Dennoch verschlägt es ihn ganz gegen seinen Willen nach Südafrika - wieder muss er sich neu orientieren. Ebenso wie Oswald, der enthusiastische Nationalsozialist, der in sowjetischer Gefangenschaft noch mal sein ganzes Leben überdenkt und in ein Deutschland ohne Hoffnung, in dem er nicht bleiben kann, zurückkehrt.
Ich habe bereits einige Bücher der südafrikanischen Autorin Irma Joubert gelesen und bin mittlerweile zum Fan geworden. Denn sie eröffnet neue Perspektiven, Blickwinkel und Aspekte auf Historisches und zwar nicht nur durch akribische Recherchen. Nein, auch der Glaube und sein Einfluss auf die Menschen spielt stets eine Rolle, wobei er in diesem dreiteiligen Romanzyklus um Hildegard, Mentje und in vorliegendem Band vor allem um den kleinen Charles ganz besondere Bedeutung erlangt - hier geht es sowohl um den christlichen Glauben als auch um das Judentum. Ich habe viel gelernt durch dieses Buch, bin Irma Joubert mit Begeisterung nach Ostpreußen zu Hildegard, in die Niederlande zu Mentje, mit Charles nach Schottland und schließlich allen Protagonisten nach Südafrika gefolgt. Auch wenn die Geschichte in großen Teilen eine traurige ist, entbehrt sie doch nie der Hoffnung. Mitreißend, aufwühlend, ab und an auch überraschend: jedes ist ein eindringlicher Roman über zwei Lebenswege (wobei der zweite etwas weniger im Vordergrund steht) die sich in schweren Zeiten kreuzen und der ausgesprochen lesenswert ist!
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10.11.2022Marianne 
Der kleine Charles wächst zwar behütet aber mit wenig Liebe in London auf. Als die Lage in der Stadt immer bedrohlicher wird, schickt sein Vater ihn zu seiner Großtante nach Schottland. Das ist für den 6jährigen Jungen zuerst einmal schrecklich. Die Verwandte ist sehr alt, er versteht die Sprache nicht, und in der Schule hat er große Schwierigkeiten. Doch
er lebt sich schnell ein und genießt dann das Leben auf dem Land. Schon bald hängt er mit ganzem Herzen an seine liebevolle Großtante. Sie hat stets ein ermutigendes Wort für ihn. Bei ihr fühlt er sich geborgen.
Der adlige Deutsche Oswald ist überzeugt, dass sein Volk die Welt erobern wird, und er ist gewiss, dass er als Offizier zu diesem großen Erfolg beitragen wird. Damit wird er auch endlich seinem Vater beweisen, dass er etwas taugt. Doch dann geschieht das Unglaubliche: Stalingrad. Und danach verzweifelte Jahre der Kriegsgefangenschaft.
Charles und Oswald haben viel gemeinsam, trotz dem Altersunterschied und der Tatsache, dass sie im Krieg auf verschiedenen Seiten stehen. Beide verlieren im Krieg fast alle Familienangehörige, beide verlassen Europa und finden auf dem afrikanischen Kontinent ein neues Zuhause, beide lieben die Landwirtschaft, und beide sehnen sich nach Liebe und Geborgenheit.
Dieser ruhige Familienroman zeichnet den Weg dieser zwei jungen Männer nach. Als in der zweiten Hälfte des Buchs von ihrem neuen Leben in Südafrika berichtet wird, tauchen liebgewordene Figuren aus anderen Romanen der Autoren auf. Doch obwohl dieses Buch das dritte Teil einer Trilogie ist, steht die Geschichte für sich allein da.
Dieses Buch ist ein Buch, in dem man sich verlieren, sich als Teil dieser zusammengeflickten südafrikanischen Familie fühlen kann. Wichtige Themen sind Familie und Zusammenhalt, Geborgenheit und Krieg. Es wird deutlich, wie sinnlos und zerstörerisch Krieg ist. Auch wenn Oswald in seinem Kriegseifer zu Beginn der Geschichte unsympathisch ist, ist es interessant durch Charles und Oswald die beiden Seiten des Kriegs in einer Geschichte nebeneinander zu sehen; Opfer und Befürworter des Kriegs, oder Opfer der Streitereien und Opfer der Ideologie. Das Tragische am Krieg drückt ein Lehrer von Charles so aus, "Wenn ich im letzten Weltkrieg eins gelernt habe, dann ist das, dass sich jeder nach dem Frieden sehnt, aber keiner den Krieg verlieren will."
Fazit: Ein gefühlvoller und ruhiger historischer Roman, der den Weg einzelner heimatlosen Menschen nachgeht und zeigt, wie sie füreinander Familie werden. Sehr empfehlenswert, vor allem für Menschen, die gern historische Familiengeschichten lesen.
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