Endlich Sommerferien! Paula und Ruben stürzen sich begeistert in den Bau ihres eigenen Baumhauses. Zwei Stockwerke soll es haben und eine Dachterrasse! Gut, dass ihr Vater Schreiner ist. Schlecht, dass er den neuen Nachbarsjungen kurzerhand einlädt, mit an dem Baumhaus zu bauen. Sie kennen diesen Marc doch gar nicht! Und jetzt sollen sie ihr Baumhaus mit ihm teilen?
Zum Glück stellt sich schnell heraus, dass der neue Nachbar gar nicht so übel ist. Er kann zwar ohne Implantate nichts hören, aber dafür perfekt von den Lippen lesen. Und das ist ziemlich praktisch, wenn man überraschend einem Juwelendieb auf die Spur kommt ...
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Das verlassene Haus
„Hurra, endlich Ferien!“ Paula streckte sich und gähnte laut, als sie gut gelaunt am ersten Sommerferientag erwachte. War das ein schönes Gefühl: sechs Wochen ohne Prüfungen, Hausaufgaben und Mathe! Sie sprang fröhlich aus dem Bett und zog die Gardinen zurück. Draußen begrüßte sie ein regnerischer Julimorgen. Doch das trübte ihre gute Stimmung kein bisschen. Die Regentropfen prasselten gleichmäßig an ihr Fenster und schlossen sich zusammen, bis sie immer größer und schwerer wurden, um dann gemeinsam die Scheibe hinunterzurutschen.
Fasziniert verfolgte Paula das Schauspiel, bis es ihr irgendwann zu langweilig wurde. Sie drehte sich um und suchte sich ihre Kleider zusammen. Das T-Shirt lag auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch, die Hose auf ihrem Nachttisch! (Wie war die bloß dahin gekommen?) Und die Socken …?
Paula blickte sich in ihrem Zimmer um. Da lagen Heftchen, eine Haarbürste und jede Menge Spielsachen wild durchei-
nander. Doch wo waren nur ihre Socken? Sie konnte sie in dem ganzen Durcheinander nicht finden. Aber es war ja Sommer. Wer brauchte da schon Socken! Paula schlüpfte in die Kleidung, die sie gefunden hatte, und huschte barfuß aus ihrem Zimmer in den Gang hinaus.
Auf dem Weg zur Küche stieg dem Mädchen ein frischer Kaffeeduft in die Nase, der ein wohliges Gefühl in ihr hervorrief. Natürlich trank sie keinen Kaffee. Ehrlich gesagt konnte sie sich auch nicht wirklich vorstellen, wie irgendjemand das schwarze Getränk trinken, geschweige denn genießen konnte. Doch in ihr weckte es ein Gefühl von „zu Hause sein“. Denn wo Kaffeeduft in der Luft lag, da waren auch ihre Eltern nicht weit.
Und tatsächlich saßen Paulas Eltern am gedeckten Tisch, als sie die Küche betrat. Von ihrem Bruder Ruben war noch keine Spur zu sehen. Aber das war auch kein Wunder, denn im Gegensatz zu Paula war Ruben ein Langschläfer und ein Morgenmuffel. Eine Unterhaltung mit ihm am Frühstückstisch war nahezu unmöglich.
Paula hatte gerade die warme Milch in ihre Tasse geleert, als sie plötzlich etwas poltern hörte. Ruben? Um diese Uhrzeit? In den Ferien? Besorgt sprang Paula auf, rannte in den Flur und spähte vorsichtig durch das Schlüsselloch von Rubens Zimmertür.
„Mist!“ Ruben lag am Boden und rieb sich seinen Ellbogen. Er war aus dem Schlaf hochgeschossen und vor Schreck aus dem Bett gefallen, als er gesehen hatte, wie spät es war. Doch dann dämmerte es ihm. Mit einem lauten Seufzer der Erleichterung zog er sich an seinem Bett hoch und kroch wieder unter seine Bettdecke. Es waren Sommerferien! Keine Schule! Er hatte nicht verschlafen! Erleichtert drehte er sich auf die Seite und war schon fast wieder eingeschlafen, als es an seiner Zimmertür klopfte.
„Ist alles in Ordnung bei dir?“ Die Stimme seiner Schwester hörte sich hinter der Tür dumpf, aber gleichzeitig so frisch an, als wäre sie schon seit Stunden wach.
„Ja, ja, alles in Ordnung“, brummte er und zog sich die Decke bis unter die Nasenspitze hoch. Er hörte ein „Okay“ von der anderen Seite der Tür und dann nichts mehr. Paula musste wieder abgezogen sein. Zufrieden schloss er die Augen. Ferien waren einfach herrlich!
* * *
Am späten Vormittag saßen Papa, Ruben und Paula am Wohnzimmertisch und grübelten über ihrem Sommerferien-Projekt, das vor ihnen ausgebreitet lag. Sie hatten sich dazu entschieden, endlich den lang ersehnten Traum der Kinder zu verwirklichen: ein Baumhaus mit zwei Stockwerken! Daher würden sie die Sommerferien im Garten verbringen und nicht wie viele ihrer Klassenkameraden am Meer.
Ruben hatte gerade seine neueste Idee erläutert und zeigte seinen Entwurf seinem Vater, der ihn genau studierte.
„Hm, auf der einen Seite hast du recht, doch schau mal hier …“ Papa zeigte mit dem Finger auf eine Stelle auf Rubens Skizze. Die beiden beugten ihre Köpfe dicht über die Pläne und tauschten ihre Ideen aus. Gelangweilt stand Paula auf und trat ans Fenster. Am Rand ihres Grundstückes stand eine uralte, fünfzehn Meter hohe Eiche – die Eiche, auf der sie das Baumhaus bauen wollten. Die Blätter bewegten sich leicht im Wind und unter dem Gewicht der Regentropfen, die unermüdlich auf sie niederprasselten. Paulas Blick schweifte über den Gemüsegarten und weiter zum Gartenhäuschen, wo ihr Kater Mogli Schutz vor dem starken Regen gesucht hatte.
Auf der anderen Seite des Gartenzaunes befand sich ein altes Haus, das schon viele Jahre leer stand. Heute, an diesem trüben Tag, sah es alt und verkommen aus. Sogar etwas gespenstisch, ging es Paula durch den Kopf. Sie konnte sich nur noch vage an die früheren Besitzer erinnern. Ein seltsames Ehepaar hatte darin gewohnt. Irgendetwas hatte der Mann verbrochen, doch sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, was es gewesen war. Einzelne, unzusammenhängende Szenen schwirrten durch ihren Kopf. Ein Polizeiauto, das mit Blaulicht vor dem Haus gestanden hatte; die Fensterscheibe, hinter der sie das Geschehen beobachtet hatte; und ein Mann, der in Begleitung eines Polizisten aus dem Haus geführt worden war und den Kopf plötzlich in ihre Richtung gedreht hatte. Paula erschauderte, als sie sich an diesen Blick erinnerte. Doch gleichzeitig atmete sie erleichtert auf, denn sie wusste, dass der Mann im Gefängnis saß.
Sie drehte sich vom Fenster weg und bemerkte seufzend, dass die beiden anderen immer noch über den Plänen brüteten. Paula überlegte kurz, ging dann zum Telefon und verabredete sich mit ihrer Freundin Johanna zum Plaudern und Kartenspielen. Da Paula und ihre Familie etwas außerhalb des Dorfes wohnten, brauchte Johanna eine Weile, bis sie bei ihrer Freundin ankam. Doch nach einer halben Stunde klingelte es. Paula rannte zum Eingang und sah ihre Freundin, die ihre Nase an die Scheibe der Eingangstüre gedrückt hatte und dabei ihr Gesicht zu einer lustigen Grimasse verzog.
Paula kicherte, öffnete mit einem Schwung die Türe und drückte Johanna kurz.
„Iih, du bist ja ganz nass!“
„Und du jetzt auch!“, grinste Johanna und drückte sich an ihrer Freundin vorbei in den Flur. Sie hatte ihre nasse Regenkleidung gerade auf die Sitzbank geworfen, als Paulas Mama aus der Küche trat, um Johanna zu begrüßen. „Hallo, Johanna, na, alles klar?“
Dem Mädchen entgingen ihre hochgezogenen Augenbrauen nicht. Schnell nahm sie ihre Regensachen wieder auf und hängte sie an die Garderobe. „Hallo Susanne, ja, alles bestens!“
„Schön. Dann will ich euch nicht länger aufhalten.“
Das ließen sich die beiden Mädchen nicht zweimal sagen und stürmten an Paulas Mama vorbei die Treppe hoch. Paulas Zimmer war schön groß und beherbergte außer einem Schrank, einem Schreibtisch mit Stuhl, einem Nachttisch und einem Playmobil-Prinzessinnenschloss (mit dem Paula nicht mehr wirklich spielte, was sie aber auch nicht weggeben wollte) noch allerhand andere Sachen, die wild durcheinander auf dem Teppich verstreut lagen. Doch das Bett war glücklicherweise leer. Die Mädchen sprangen mit einem Satz auf die Matratze. Lachend lagen sie sich in den Armen und streckten sich dann gemütlich auf dem Bett aus. Paula war glücklich. Johanna war die allerbeste Freundin, die sie sich vorstellen konnte. Sie war witzig, unternehmungslustig und zu allen Menschen freundlich. Doch manchmal musste Paula ein wenig mit Eifersucht kämpfen, da Johanna auch bei allen anderen Kindern beliebt war. Aber zum Glück war sie Johannas beste Freundin, worauf Paula mächtig stolz war. Obwohl sich die beiden erst gestern in der Schule gesehen hatten, wussten sich die Mädchen viel zu erzählen. Nach einer Weile setzte sich Paula wieder auf und nahm ein Kartenspiel aus der Nachttischschublade.
Während sie die Karten ausgab, sagte Johanna: „Ich war total verblüfft, als uns Frau Wagner gestern erzählte, dass nach den Sommerferien ein gehörloser Junge in unsere Klasse kommt.“ Sie tippte sich dabei mit dem Finger ans Ohr, als ob sie sichergehen wollte, dass Paula wusste, wovon sie sprach.
Paula nickte und hielt beim Austeilen der Karten inne, während sie laut überlegte: „Geht das denn?“
Johanna sah ihre Freundin verständnislos an. „Was geht?“
„Na, ein gehörloser Junge in einer Klasse mit lauter hörenden Kindern!“, erklärte Paula.
Johanna zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ob das geht.“
„Na, da bin ich ja mal gespannt“, sagte Paula mehr zu sich selbst und sortierte ihre Karten.
„Ich auch.“ Johanna legte eine Karte auf das Bett.
Die Zeit bis zum Mittagessen verging wie im Flug. Die beiden Mädchen plauderten, lachten und spielten mit Ruben Verstecken. Als es für Johanna Zeit war zu gehen, winkte Paula ihrer Freundin aus dem Küchenfenster nach, bis sie um die Ecke verschwunden war.
Es folgten noch weitere Regentage, doch am vierten Ferientag schien endlich die Sonne. Nur vereinzelte weiße Schäfchenwolken waren noch am Himmel zu sehen. Ruben und Paula hatten sich einen Fußball aus der Garage geholt und kickten ihn sich nun gegenseitig zu. Zur Birkenallee, in der Paula, Ruben und ihre Eltern wohnten, gehörten genau drei Häuser. Ihr eigenes, dann das alte, verlassene Nachbarhaus und einige Meter entfernt das Anwesen von Herrn Strohmann. Das konnte man allerdings nicht erreichen, denn ein großes Eisentor versperrte die Zufahrt.
Nach einer Weile spielte nur noch Ruben mit dem Ball. Paula hatte sich in die Einfahrt des verlassenen Hauses gesetzt und streichelte ihren Kater. Dabei musterte sie das Haus. Jetzt im Sonnenschein sah es gar nicht mehr so gespenstisch aus. Dafür erkannte man jetzt deutlicher, wie alt und heruntergekommen es war. Überall blätterte die Farbe ab, ein Fensterladen hing schief und der Garten war völlig verwildert. Das Schild über der Haustür mit der Nummer 5 hing nach unten. Offenbar fehlte eine Schraube.
„Hier wird bestimmt nie wieder jemand einziehen wollen! Wer weiß, ob das Haus nach dem nächsten Sturm überhaupt noch steht!“, sagte Paula.
Ruben blickte auf und gab ihr recht. „Wir werden wohl nie andere Nachbarn haben als den griesgrämigen Herrn Strohmann.“
Paula nickte. „Ja, echt schade. Ich hätte so gerne noch andere Nachbarn. Aber nur nette, mit denen man auch was anfangen kann.“
* * *
Und dann ging es endlich los. Ein Stapel Bretter und jede Menge Schrauben lagen unter der Eiche bereit. Daneben hatte Papa ein großes Brett über zwei Klappböcke gelegt, das als Tisch dienen sollte. Es schien, als ob er seine ganze Werkzeugsammlung aus der Garage nach draußen verlegt hatte, denn der halbe Tisch war damit belegt. Die Kinder waren sehr aufgeregt. Endlich würden sie mit dem Bau ihres lang ersehnten Traumes beginnen!
„Mensch, Papa, jetzt geht’s wirklich los! Ich kann’s kaum glauben!“, strahlte Ruben.
Papa schmunzelte. „Ich muss gestehen, ich freue mich selbst wie ein Kind!“ Vergnügt drehte er sich um sich selbst, wobei er seine Hüften hin- und herbewegte. In der einen Hand hielt er die Akkubohrmaschine, die er im Takt an- und wieder ausstellte. In der anderen Hand hatte er einen Zollstock, mit dem er rhythmisch an sein Bein klopfte. Die Kinder prusteten los, drehten sich ebenfalls im Kreis und klatschten mit.
Plötzlich streckte Mama ihren Kopf aus einem der Fenster und rief: „Und wer baut jetzt das Baumhaus?“
„Du!“, riefen alle drei wie aus einem Munde.
Lachend schüttelte sie den Kopf und verschwand wieder im Haus. Als sich die drei wieder beruhigt hatten, erklärte Papa den Kindern, wie sie vorgehen würden. Das Baumhaus sollte zwei Zimmer bekommen, wobei sie mit dem ersten Boden beginnen würden.
Er hielt Paula den Zollstock und einen Bleistift hin. „Hier, Paula. Du kannst diese Bretter auf 3,20 Meter ausmessen und mit dem Bleistift einen Strich ziehen. Und dir, Ruben, zeige ich noch mal, wie du die Handkreissäge benutzen kannst, dann darfst du das erste Brett zuschneiden.“
Während Papa Ruben die Säge genau erklärte, machte sich Paula an ihre Arbeit. Hoffentlich vermesse ich mich nicht, dachte sie, nachdem sie den Zollstock aufgeklappt hatte. Sie kniete sich hin und legte ihn auf das Brett. Nach 2 Metern machte sie eine kleine Markierung auf der Latte und setzte den Zollstock wieder neu an. Nach 1,20 Metern setzte sie wieder ein Zeichen und wiederholte den Vorgang auf der anderen Seite der Latte. Danach zog sie einen Strich. Papa nickte anerkennend. Erleichtert machte sie sich an das nächste Brett.
Ruben setzte die Säge an Paulas Markierung an und schnitt das Brett unter der strengen Aufsicht seines Vaters durch. So arbeiteten sie Hand in Hand und freuten sich darüber, wie schnell sie vorwärtskamen.
* * *
In den letzten Tagen hatten die Kinder zusammen mit ihrem Vater fleißig am Baumhaus gearbeitet. Nun kletterten Ruben und Paula die alte Holzleiter hinauf, die sie von einem Bauern im Dorf bekommen hatten. Der Boden des einen Stockwerks und zwei Wände waren schon gebaut. Nun setzten sie sich
auf die Bretter und genossen die tolle Aussicht, die sie von hier oben hatten.
Nach einer Weile sagte Paula: „Komm, wir spielen das Wörterkette-Spiel.“
Ruben überlegte kurz. „Okay, ich fange an: Baum-Haus.“
„Haus-Arrest“, konterte Paula wie aus der Pistole geschossen.
„Arrest-Zelle“, meinte Ruben.
Nun musste Paula überlegen. „Och, keine Ahnung welches Wort mit Zelle anfängt. Bei dem Begriff fällt mir nur unser ehemaliger Nachbar ein!“ Paula warf einen Blick auf das alte Haus und wäre vor Schreck fast vom Baum gefallen. Was ist das?
„Da, da … steht jemand am Fenster!“, rief Paula.
Doch kaum hatte sie ihren Satz zu Ende gesprochen, war die Person auch schon wieder verschwunden.
Als Ruben zu dem Nachbarhaus hinüberblickte, war niemand mehr zu sehen. „Schwesterchen, hast du einen Geist gesehen? Du bist kreidebleich im Gesicht und … da ist niemand am Fenster.“
„Aber ich bin mir sicher, dass ich jemanden gesehen habe!“, meinte Paula energisch. Sie blickte nochmals hinüber. Es sah wirklich so aus, als hätte sie sich getäuscht. Konnte das sein? Alles sah so aus wie immer, nur ihr rasender Herzschlag sagte ihr, dass sie recht haben musste. Ratlos schüttelte sie leicht den Kopf. Doch nach einer Weile spielten sie weiter.
Andrea Bleiker
Andrea Bleiker ist verheiratet, Mutter von drei unternehmungslustigen Söhnen zwischen vier und sieben Jahren und lebt auf dem Lande im schweizerischen Toggenburg. Sie macht gerne
Ausflüge mit ihrer Familie, liebt christliche Romane, Gartenheftchen und den Frühling.
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