Jeder Mensch hat seine Stacheln, die er ausfährt, wenn er sich in einer Beziehung unwohl fühlt. Diese Schutzmechanismen richten sich auch auf Gott. Sie sind Glaubenshindernisse und schränken die Nähe zu Gott ein.
Der Psychotherapeut Jörg Berger öffnet Ihnen einen ungewöhnlichen Blick auf Ihr Glaubensleben und Ihre Gottesbeziehung. Legen Sie Ihre Stacheln ab und lassen Sie sich tiefer auf die Gegenwart Gottes ein! Bringen Sie Ihre Leidenschaft in Einklang mit dem Leben, in das Sie der Glaube ruft! Finden Sie zu einem geerdeten und belastbaren Glaubensleben.
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Wenn Glaubende abwerten
Verschließen Sie Ihr Herz, wenn andere Sie enttäuschen?
Urteilen Sie manchmal härter, als Gott es vermutlich tut?
Übersehen Sie es, wenn Gott unscheinbar in Ihr Leben tritt? Oder wenn Gott im Leben unvollkommener Menschen gegenwärtig ist?
Dann könnte das Abwerten der Stachel Ihres Glaubens sein.
Der christliche Glaube schätzt das Kleine: Gott wählt ein unbedeutendes Volk aus und beginnt mit diesem eine Geschichte. „Denn du bist das kleinste unter allen Völkern“, betont Mose (5. Mo 7,7; L17), als er dem Volk erklärt, was Gott mit ihm vorhat.
Gott neigt sich zum Kleinen. Das setzt sich mit Jesus fort: Er kommt in einem Viehstall zur Welt.
Er wächst in einer einfachen Familie auf und arbeitet als Handwerker. Als er in die Öffentlichkeit tritt, überrascht er mit der Ankündigung, dass die Letzten die Ersten sein werden (Mt 19,30). Er lobt die kleine Spende einer Witwe (Mk 12,41-44), er lädt zu einem Glauben ein, der winzig ist wie ein Senfkorn (Mt 17,20).
Daher gerät in einen Gegensatz zum Glauben, wer über andere urteilt, als seien sie nicht gut genug. Auch wo wir die Gegenwart Gottes nicht gelten lassen, nur weil sie sich klein und unscheinbar zeigt, da setzen wir sie herab. Stattdessen machen wir unsere Ideale zu unserem Gott, verehren sie und bringen ihnen unsere Liebe entgegen. Dabei verlieren wir aus dem Auge, was im Zentrum von Gottes Aufmerksamkeit liegt: der irrende, stolpernde und mit Schuld beladene Mensch. An diesen Merkmalen erkennen Sie den Stachel Abwerten. Die folgenden Geschichten zeigen Ihnen, wie sich ein überkritischer Glaube auswirkt.
Sich über Gott und andere stellen
Unvollkommenes missachten. Musste Magnus 50 Jahre alt werden, um die Spuren richtig zu deuten, die Gott in seinem Leben hinterlassen hat? Wie überheblich war er in jüngeren Jahren gewesen. Damals war ihm sein Pastor gefühlsduselig vorgekommen. „Gott liebt deinen Nächsten“, war dessen Botschaft. „Liebe du ihn auch. Lass deine Vorurteile hinter dir und mach dich zum andern auf. Dann ist Gott mit dir.“
Wäre der Pastor anders aufgetreten, hätte Magnus vielleicht auf seine Botschaft gehört. Der kleine Mann mit krausem Haar und dicker Brille trat unsicher und manchmal tollpatschig auf. Es fiel Magnus schwer, diesen Pastor für voll zu nehmen. Doch heute denkt Magnus: „Seine Botschaft war genau die Botschaft, die ich damals gebraucht habe. Ich habe mich niemandem richtig geöffnet, selbst den Menschen nicht, die mir wichtig waren. Ich war so selbstgerecht und habe mich auf meinem beruflichen Erfolg ausgeruht. An meiner Seite ist meine Frau wohl emotional verhungert. Das habe ich mit der schweren Ehekrise gebüßt. In dieser Zeit habe ich keinen einzigen Freund gewonnen. Gott war das sicher nicht gleichgültig. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie viele Menschen ich vor den Kopf gestoßen habe. Gott hat Sonntag für Sonntag an mein Herz geklopft. Aber ich habe ihn nicht gehört, nur weil der Pastor meinen Vorstellungen nicht entsprochen hat.“
Richten. Petra hat sich in ihre Gebetsecke gesetzt und versucht, innerlich ruhig zu werden. Sie spürt, dass sie etwas bereinigen muss, das wie ein Hindernis zwischen ihr und Gott steht. Sie hat Dennis vorhin sicher entmutigt. Als Mutter muss sie sich die frechen Antworten ihres Teenagers nicht bieten lassen. Aber sie hat ihn gerade verurteilt. Sie hat seinen Charakter und seine ganze Lebenseinstellung kritisiert. Dennis hatte Tränen in den Augen. Er wollte aber nicht zeigen, wie verletzt er war. Stattdessen hat er sich umgedreht und wütend die Tür zugeschlagen.
„Tut mir leid, Herr“, beginnt Petra zu beten und es ist, als ob ein wärmender Lichtstrahl ihre Brust trifft. Wo vorhin nur Zorn auf Dennis war, steht er vor ihrem inneren Auge mit seinem blonden Haar, seinen Sommersprossen und seiner schlaksigen Gestalt. Petra spürt nur noch Liebe. „Lass mich eine Mutter nach deinem Herzen sein. Mit liebevoller Autorität“, betet Petra weinend weiter.
Herzenshärte. „Sag mal, hast du ein Problem mit Christel?“, fragt Jan. Benjamin ist außer ihm der einzige Christ in der Abteilung, soweit Jan weiß.
„Nein“, antwortet Benjamin, „ich gehe ihr nur aus dem Weg.“
„Darf ich dir mal etwas dazu sagen?“, fragt Jan weiter.
Benjamin zieht die Augenbrauen hoch und sieht Jan überrascht an.
„Naja. Es fällt einfach auf, wie distanziert du gegenüber Christel bist. Sie fragt sich, was sie falsch gemacht hat, und ist, glaube ich, auch etwas sauer auf dich. Außerdem nimmt es dir doch etwas an Glaubwürdigkeit, ich sage vielleicht besser: Ausstrahlung als Christ, wenn du … Wie soll ich sagen? So hart rüberkommst.“
Benjamin wirkt betroffen.
„Klar“, versucht Jan zu entlasten. „Christel ist ja wirklich nicht einfach …“
„Das ist ziemlich untertrieben“, platzt Benjamin heraus. „Sie ist ein Quälgeist. Ich habe mich noch keine fünf Minuten wohlgefühlt mit ihr. Heute sitzt sie dir fast auf dem Schoß und morgen geht sie dich feindselig an. Sie ist so fordernd in allem, was sie von einem will. Sie zieht Besprechungen ins Unendliche mit ihrem ‚Da stimmt etwas für mich noch nicht‘. Ich frage mich, wie die anderen das ertragen.“
„Wahrscheinlich sind andere etwas toleranter als du. Christel ist ja manchmal auch wirklich nett und tüchtig.“
Benjamin geht beschämt aus dem Gespräch. Jan hat wohl recht. Bei manchen Menschen braucht es nur fünf Minuten und sie sind bei ihm unten durch. Benjamins Bauchgefühl trügt zwar selten: die Leute, die er innerlich abhakt, sind wirklich Nervensägen. Vielleicht, denkt sich Benjamin, wäre es trotzdem besser, das nicht so zu zeigen und irgendwie zu einer liebevollen Haltung zu finden.
Die Geschichten von Magnus, Petra und Benjamin zeigen den Stachel Abwerten in Aktion. Wie jeder Schutzmechanismus hat auch dieser Stachel seine Geschichte. Mit ihm schützen sich Kinder, wenn sie dem Unvermögen ihrer Eltern oder anderer Bezugspersonen ausgesetzt sind. Manchmal fehlt es Eltern tatsächlich an Lebenstüchtigkeit oder Beziehungsfähigkeit. Das spüren schon kleine Kinder. Sie kritisieren und korrigieren ihre Eltern dann und drücken auf drastische Weise aus, was ihnen fehlt, damit die Eltern auf ihre Irrtümer und Mängel aufmerksam werden. Unzureichende Eltern lassen sich tatsächlich von ihren Kindern erziehen, ein verhängnisvoller Rollentausch.
Häufiger sind Eltern jedoch nicht unfähig, sondern ihnen fehlt nur das Einfühlungsvermögen, um richtig auf die Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen. Im Ergebnis führt das zu ganz ähnlichen Erfahrungen für ihr Kind: Was die Eltern tun, beantwortet die Bedürfnisse und die Nöte des Kindes nicht angemessen. Ein Kind lernt auch dann, einen kritischen Abstand einzunehmen. Es versucht, seine Eltern zu bessern. In manchen Familiensituationen ist dies das Beste, was ein Kind für sich tun kann.
Wenn Menschen mit dieser Prägung zu glauben beginnen, stellen sie sich Gott nicht unfähig vor. Im Gegenteil, sie freuen sich an der Vollkommenheit Gottes, wie sie sich zum Beispiel in der Natur zeigt. Doch unbewusst übertragen sie die Gefühle ihrer Kindheit auch auf Gott: „Geht Gott wirklich auf das ein, was ich brauche? In dem, was Gott von mir will, und in den Wegen, die er mich führt: Wird er meiner Persönlichkeit und meinen Sehnsüchten wirklich gerecht? Und wenn Gott mich in eine Glaubensgemeinschaft stellt, liefert er mich damit nicht dem Unvermögen anderer Menschen aus?“
Wo kritisch Glaubende auf ihrem Weg mit Gott enttäuscht werden, da gehen sie innerlich auf Abstand. Es gibt Momente, da würden Glaubende am liebsten mit Gott ins Gericht gehen. Weil ihnen das unpassend vorkommt, richten sie die Abwertung manchmal gegen sich selbst: „Wenn ich meinen Glauben nur konsequenter leben würde/mich Gott mehr öffnen würde/mehr Opfer bringen würde … – dann könnte Gott auch besser für mich sorgen und sich mir so zuwenden, wie es mir entspricht.“ Die gegen sich selbst gewendete Abwertung schließt manchmal die Kirchengemeinde ein, was dann so klingt: „Wenn wir mehr beten/uns mehr an der Bibel orientieren/den Willen Gottes konsequenter verwirklichen würden … – dann würden wir Gott ganz anders in unserem Leben erfahren.“ Doch wenn Glaubende so negativ über sich und ihre Kirche urteilen, dann übersehen sie die Versorgung, Heilung und Beauftragung, die Gott in ihrem Leben und ihrer Gemeinde längst schenkt und die sie im Glauben weiterführen würden.
Kritisch Glaubende sehnen sich nach Vollkommenheit. Inwieweit sie dieser begegnen, bestimmt die Höhen und Tiefen ihres Glaubensweges.
Auf der Suche nach Vollkommenheit
Früher fühlte Axel sich inspiriert, wenn er Zeit mit Frederic verbrachte. Es ging viel Gutes von ihrer Freundschaft aus. Sie ermutigten sich gegenseitig und brachten sich auf ihrem Weg mit Gott voran. Heute ist Axel ausgelaugt, wenn er sich mit Frederic getroffen hat. Er hat das Gefühl, dass Frederic nichts mehr von dem schätzt, woran beide lange Zeit geglaubt haben.
Frederics Liebesbeziehung ist zerbrochen. Damit hat er auch seine Gemeinde verloren, weil er Abstand von seiner ehemaligen Freundin gesucht hat. Frederic muss sehr enttäuscht vom Leben sein und vermutlich auch von Gott. Doch das überspielt er mit einem überlegenen Auftreten.
„Ich kämpfe ja oft, um etwas Zeit zum Gebet zu finden“, wagt sich Axel vor. „Aber gerade finde ich meine Stille Zeit echt spannend. Ich habe das Gefühl, Gott ermutigt mich, meine Liebe manchmal auch dadurch auszudrücken, dass ich andere herausfordere und mich mal querstelle, wenn etwas nicht gut läuft.“
„Du unterscheidest noch zwischen deinem Glauben und deinem übrigen Leben, oder?“, fragt Frederic.
„Wie?“
„Hier deine Stille Zeit, da dein Alltag. Auf der einen Seite dein Gebet, auf der anderen Seite … Ja, was eigentlich? Sollte nicht unser ganzes Dasein Gebet sein?“
Nach solchen Gesprächen fühlt sich Axel, als sei er auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe zurückgeblieben. Axel sehnt sich nach den guten Zeiten ihrer Freundschaft zurück. Es war ein Stück Himmel auf Erden. Auch Frederic stand in der Mitte ihres Aufbruchs im Glauben, den sie in ihrem Jugendkreis erlebten. Sie erlebten Wunder mit Gott: Einer wurde von einer langjährigen Allergie geheilt, ein anderer fand einen Umschlag im Briefkasten, der exakt die Summe Geld enthielt, die ihm für eine Reise fehlte und deren Höhe niemand kennen konnte. Damals sagte Frederic: „Wer so etwas mit Gott erlebt, der ist auch bereit, für ihn zu leiden, wenn es darauf ankommt.“ Aber er hat wohl ein anderes Leid gemeint als das, das ihm heute begegnet ist. Ob Axel ihn einmal an diese Zeit erinnern sollte? Aber vielleicht ist Frederic noch zu enttäuscht, als dass er sich für die Erfahrungen von damals öffnen könnte.
Die Sehnsucht nach Vollkommenheit motiviert Glaubende. In guten Phasen geben sie alles, um ein ideales Gemeindeleben zu schaffen, inspirierende Beziehungen zu leben und gemeinsam mit anderen Gutes zu tun. Doch diese Sehnsucht macht auch verwundbar. Dann nämlich, wenn Menschen enttäuschen und das Leben alles andere als vollkommen ist. Jesus hat hier seinen Beistand versprochen. Er hat aber nie in Aussicht gestellt, dass uns leidvolle und enttäuschende Erfahrungen erspart bleiben. Hier neu zu vertrauen, ist eine geistliche Herausforderung, die sich besonders Glaubenden stellt, die sich mit dem Stachel Abwerten schützen.
Die Sehnsucht nach Vollkommenheit bringt manche auch dazu, ihre Gemeinde und andere Glaubende an Idealvorstellungen zu messen. Das kann verhängnisvolle Folgen haben.
Die Söhne von Ingo und Verena haben sich vom Glauben abgewandt. Sie haben als Teenager zwar keine Argumente gegen den Glauben entdeckt und sie sind auch nicht von Glaubenszweifeln geplagt. Aber sie finden einfach alles doof, was mit Glaube und Kirche zu tun hatte. Den Jugendkreis ihrer Gemeinde haben sie verlassen und nehmen nicht mehr an christlichen Freizeiten teil. Sie haben sich sogar von Freunden aus der Gemeinde gelöst, mit denen sie über Jahre verbunden waren. Stattdessen ziehen sie mit einer Clique he-
rum, die sich um einige Teenager aus reichen Elternhäusern gebildet hat. Die Ersparnisse der Jungs schrumpfen, ihre Welt scheint sich nur noch um Markenkleidung, Cocktailbars und amerikanische Serien zu drehen. Sogar ihre Berufswünsche haben sich auf Studienfächer verschoben, die vor allem ein hohes Einkommen verheißen.
Ingo wollte es eigentlich für sich behalten, aber als ihn die Gottesferne der Kinder besonders plagte, platzt es aus ihm heraus: „Müssen wir uns eigentlich wundern, Verena? Wir haben jahrelang schlecht über unsere Gemeinde gesprochen: über unseren Pastor, über den Gottesdienst, über die Naivität oder Gesetzlichkeit, mit der andere ihren Glauben leben. Wir haben uns sogar über andere lustig gemacht, wenn die überall Zeichen Gottes gesehen haben. Wie bitte sollen unsere Jungs dann eine Wertschätzung für den Glauben aufbauen?“
Ingos Worte versetzen Verena einen Stich. Sie weiß, dass sie gemeint ist, wenn er „wir“ sagt. Denn er hat die Gemeinde vor ihrem kritischen Urteil oft in Schutz genommen. So fragt sich Verena: „Haben die Jungs nie von mir gehört, dass ich trotz aller Unvollkommenheit dankbar für unsere Gemeinde bin? Wie viel ich unserem Pastor zu verdanken habe? Und wie viel mir meine persönliche Bibellektüre gibt? Habe ich meinen Jungs den Weg zum Glauben verbaut? Wird es nach ihrer Pubertät eine zweite Chance geben? Und wie sieht es Gott wohl, dass ich in einem so wichtigen Bereich meines Lebens versagt habe?“
Nun haben Sie vor Augen, wie der Stachel Abwerten auch Gott auf Abstand hält. Die Art und Weise, wie Gott sich im eigenen Leben, im Leben anderer und im Gemeindeleben zeigt, ist Glaubenden manchmal nicht gut genug. Sie halten eine kritische Distanz ein. Ihre Sehnsucht nach Vollkommenheit fühlt sich stärker zu Idealen hingezogen als zu Gott selbst. Ihre Höhepunkte erleben kritisch Glaubende, wo Gott ihre Bedürfnisse nach einer liebevollen Berührung, nach Heilung und einer befreienden Veränderung stillt. Ihre Tiefpunkte im Glauben liegen da, wo Gottes Liebe und Macht verborgen sind wie im Stall von Bethlehem. Glaubende stehen hier am Ausgangspunkt eines spirituellen Weges.
Was Gott gibt, das genügt
Sind Gottes Möglichkeiten nicht größer als das Unvermögen anderer Menschen? Kann deren Unfähigkeit oder Ignoranz so groß sein, dass Gott Ihnen nicht geben könnte, was Sie brauchen? Gott wendet sich Ihnen durch unvollkommene Menschen zu. Er ersetzt, was diese Ihnen vorenthalten, und erstattet Ihnen, was diese Ihnen verbauen. Wenn Sie sich in eine überlegene Distanz zurückziehen oder andere hart kritisieren, dann drückt sich darin auch ein Mangel an Vertrauen aus. In diesem Moment trauen Sie Gott nicht zu, Ihnen – dem Unvermögen anderer zum Trotz – zu geben, was Sie brauchen. Deshalb beginnt Ihr Weg mit einem Richtungswechsel Ihres Vertrauens.
Umkehren
Abwertungen geschehen aus einer überlegenen Distanz heraus und setzen andere herab. Glaubende verhärten sich dabei nicht nur gegenüber anderen Menschen. Sie verschließen sich auch gegenüber Gott. Das entlarvt Jesus mit einem Gleichnis: „Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“ (Lk 18,9-14; L17).
In der Gleichnisgeschichte, die Jesus erzählt, ist das Problem offensichtlich. Kaum einer würde ein Gefühl von Überlegenheit so dreist vor Gott ausbreiten. Aber steckt nicht schon in einer kritischen Sicht auf andere eine ganz ähnliche Überlegenheit? Verraten wir nicht selbst in unseren Gebeten für andere, dass wir uns für reifer oder besser halten?
Sachlich hat der Pharisäer übrigens recht: Sein Leben genügt höheren Maßstäben als das des Menschen, mit dem er sich vergleicht. Sein Problem ist die überlegene Distanz, auf die er sich zurückzieht. Er entfernt sich von Gott, der immer mit Liebe und Barmherzigkeit reagiert.
Was Jesus zur Bescheidenheit gelehrt hat, beherzigt sein Botschafter Paulus später, als er Gemeinden gründet und diese zu einem Jesus-gemäßen Leben anleitet. In einem Brief an eine Gemeinde in Korinth spricht er Menschen ins Gewissen, die sich auf einer höheren geistlichen Stufe fühlen: „Was bringt dich überhaupt dazu, so überheblich zu sein? Ist nicht alles, was du hast, ein Geschenk Gottes? Wenn es dir aber geschenkt wurde, warum prahlst du dann damit, als hättest du es dir selbst zu verdanken?“ (1. Kor 4,7; NGÜ).
Paulus verdirbt damit nicht die Freude, die Glaubende an ihren Einsichten und den Auswirkungen ihres Glaubens finden. Er korrigiert nur das Überlegenheitsgefühl und die Abwertung anderer, die zwangsläufig aus der Überlegenheit folgt.
Ganz ähnlich klingt Paulus in einem Brief an die Gemeinde in Rom, als er sich in einem anderen Zusammenhang gegen eine Abwertung wendet: „Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er wird aber stehen bleiben, denn der Herr kann ihn aufrecht halten“ (Röm 14,4; L17). Paulus führt uns vor Augen: Ich kann niemanden abwerten, ohne zugleich Gott herabzusetzen, der den anderen ja führt und an sein Ziel bringt – mag der andere auch noch so unvollkommen sein.
Vielleicht liegt Ihnen nach diesen Gedanken bereits ein Bußgebet wie eins der folgenden auf den Lippen:
„Herr, ich habe mich Menschen gegenüber verhärtet, weil ich ihre Schwächen nicht ertrage. Aber es sind Menschen, die du genauso liebst wie mich. Hilf mir, die anderen wieder zu schätzen und offen zu sein. Hilf mir auf deine Weise, dass ich mit ihren Schwächen zurechtkomme.“
„Gott, wenn ich ehrlich bin, bin ich sauer auf dich, weil du Menschen in unserer Gemeinde nicht zur Vernunft bringst. Aber wer bin ich, dir vorzuschreiben, wann du Geduld mit Menschen hast und wann du sie korrigierst. Ich habe selbst viel von deiner Geduld gebraucht. Hilf mir, in deine Geduld mit anderen einzuwilligen.“
„Guter Gott, du schenkst mir so viel Freude am Beten und hast schon so unglaublich auf manche meiner Bitten reagiert. Und was habe ich aus diesem Geschenk gemacht? Ich komme mir besser vor als andere und sehe auf die herab, die die Kraft des Gebetes nicht kennen. Verzeih mir!“
„Herr, und wenn ich selbst tausendmal im Recht sein sollte: Ich habe kein Recht, Robert so zu verurteilen. Vergib mir. Damit verachte ich auch den Weg, den du mit Robert gehst. Schenke mir eine Gelegenheit, bei der ich mich entschuldigen kann.“
Ihre Selbstkorrektur macht eine Glaubenserfahrung möglich, die besonders wichtig für Sie sein könnte: Was Gott gibt, das genügt.
Einen Zugang finden
Wie finden Glaubende zu der Erfahrung, dass Gott einen vollkommenen Weg mit ihnen geht – in einer unvollkommenen Welt, umgeben von unvollkommenen Menschen? Auch dies entdecken Glaubende auf ganz unterschiedliche Weise. Immer jedoch steht am Ende ein Vertrauen.
Berührt durch reife Menschen. Seine Ungeduld mit anderen Menschen war eindeutig Tims Schwachpunkt. „Nächstenliebe funktioniert bei mir nicht“, bekannte er selbstironisch. „Ich bin allergisch gegen Dummheit.“
Tim hat für eine Veränderung gebetet. Er hat versucht, sich zusammenzureißen und nachsichtig zu sein. Es waren besondere Menschen, die erste Steine aus der Mauer seiner inneren Härte brachen. Ein neuer Abteilungsleiter half Tim mit großem Einfühlungsvermögen, beruflich den nächsten Schritt zu finden. Bei einem neuen Freund fühlte sich Tim so verstanden wie noch nie. Schließlich lernte er eine Frau kennen, die so unglaublich gut zu ihm passte, als hätte Gott sie nur für ihn geschaffen. Weil Gott so gut für ihn sorgte, fühlte er sich der Unvollkommenheit anderer nicht mehr ausgeliefert. Er konnte großzügiger, liebevoller und wertschätzender sein. Musste Gott erst seine Bedürfnisse im Übermaß stillen, damit Tim diese einfache Wahrheit ergreifen kann: Wo Gott sorgt, da kann kein Mensch sein Lebensglück schmälern und ihn auch nicht daran hindern, seiner Bestimmung zu folgen?
Ein geöffnetes Herz. Silvia würde ihre Seele nicht an den Teufel verkaufen. Sie kann sich aber gut in dem wiederfinden, was Goethes Faust dem Teufel als Gegenleistung abverlangt:
„Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! Du bist so schön!
Dann magst du mich mit Fesseln schlagen,
dann will ich gern zugrunde gehen.“
Silvias Grundgefühl ist eine Unzufriedenheit und ein Unerfülltsein: „Ach, wann ist denn wirklich einmal alles in Ordnung?“
Silvias Durchbruch im Glauben bestand in einer Entdeckung, für die sie nur schwer Worte findet. Wenn es ihr gelingt, sich innerlich mit Gott zu verbinden, sieht sie die Welt und die Menschen um sich herum anders, besser gesagt: Sie spürt alles anders. Ihr Herz öffnet sich für die Schönheit eines Baumes oder des Holztisches, an dem sie gerade sitzt. Sie empfindet eine Liebe für die Menschen um sie herum, sie findet sie einfach liebenswert und spürt auch deren Zuneigung und Wertschätzung. Sie ist dann dankbar, spürt Freude und kann tatsächlich zum Augenblick sagen: „Du bist so schön!“ Auch in solchen Momenten nimmt sie die Schwächen anderer und die Unvollkommenheit ihres Lebens wahr. Aber das raubt ihr nicht das Gefühl einer liebevollen Freude, die sie spüren lässt: „Alles ist gut so.“
Silvia entdeckt immer mehr Möglichkeiten, wie sich ihr Herz in dieser Weise öffnet: Sie versucht, betend durch den Alltag zu gehen. Sie übt das Jesusgebet aus der christlich-orthodoxen Tradition, das sie einmal an einem Wochenendseminar gelernt hat. Spätestens wenn sie eine Unzufriedenheit oder Unerfülltheit spürt, zieht sie sich zurück und versucht, ihre Verbindung mit Gott zu erneuern.
Verlieren und wiederfinden. Arthur hat genug von dem frommen Gesäusel. Genug von überdrehten Christen, die schon darin ein Zeichen Gottes sehen, wenn ihnen die Bibel auf den Boden fällt und sich auf einer bestimmten Seite öffnet. Genug von manipulativen Sprüchen, dass Gott einen freudigen Geber liebt, wenn für ein fragwürdiges Projekt Spenden fehlen. Genug vom vollmundigen Reden von einer „Erweckung“ in einer Gemeinde, deren Veranstaltungen für normale Menschen abschreckend oder schlicht langweilig sind.
Arthur beschließt, ein paar Monate Urlaub von Gott zu machen. Aber er kann es nicht richtig genießen, wenn er am Sonntag mit Kumpels frühstücken oder alleine in die Sauna geht. Es fühlt sich irgendwie falsch an. Oder ist sein Gewissen schon fromm verbogen?
Obwohl Arthur in seinem Leben nie langweilig ist, spürt er da, wo er früher einmal Gott gespürt hat, eine Leere in seinem Inneren. Er bemerkt, wie sich eine Unordnung in seinem Leben ausbreitet. Beinahe hätte er eine Affäre mit einer Arbeitskollegin begonnen, die sexy auftritt, aber ziemlich kaputt ist. Arthur erwischt sich bei Notlügen, macht Bemerkungen, die unter der Gürtellinie liegen, und bleibt beim Fernsehen an Filmen hängen, die er sich früher nie angesehen hätte. „Geht es bergab mit mir?“, fragt sich Arthur.
Er besucht Gottesdienste anderer Gemeinden. Doch als kritischer Beobachter sieht er ganz ähnliche Frömmeleien, Heucheleien und Manipulationen, wie er sie aus der eigenen Kirchengemeinde kennt. Wenn ich mich hier anschließe, denkt sich Arthur, komme ich vom Regen in die Traufe.
Nur weil sich ein Freund taufen lässt, kommt Arthur nach einigen Monaten wieder in seine frühere Gemeinde. Er fühlt sich im Gottesdienst Gott nahe und hat plötzlich einen Satz im Ohr: „Schau nicht auf die Menschen, sieh auf mich!“
Über diesen Satz denkt Arthur lange nach. Er geht wieder in den Gottesdienst und sieht ihn mit anderen Augen. Wenn Jesus damals im Stall zur Welt gekommen ist, soll ich dann heute erwarten, dass meine Gemeinde perfekt ist? Vielleicht möchte mich Gott zwischen all diesen Rindern und Eseln segnen.
Arthur gelingt es besser, an den Menschen vorbei zu Gott zu sehen. Er merkt auch, wie er auf die unreifen Menschen in seiner Gemeinde fixiert war. Aber es gibt doch auch reife Persönlichkeiten, die ihren Glauben auf eine schöne und authentische Weise leben. „Warum halte ich mich nicht einfach an die, statt mich an den anderen aufzureiben?“, fragt sich Arthur. Erleichtert stellt er fest, dass sich auch in seinem übrigen Leben wieder die Ordnung herstellt, die er verloren hatte.
Die Glaubenswege von Tim, Silvia und Arthur sind nur drei Beispiele für Wege, auf denen Glaubende entdecken: Was Gott gibt, das genügt. Wenn sie einmal diese Erfahrung gemacht haben, sind Sie bereit für den nächsten Schritt.
Sich beheimaten
Besondere Glaubenserfahrungen entzünden ein Feuer, das auch im Alltag weiterbrennen kann. Glaubende müssen allerdings lernen, wie sie dieses Feuer nähren, damit es im Alltag nicht erlischt. Wenn Sie sich mit dem Stachel Abwerten schützen, können folgende Wahrheiten Ihren Glauben nähren.
Die berühmte Geschichte vom verlorenen Sohn, die Jesus erzählt hat, endet mit einem Szenenwechsel, der ebenfalls erhellend ist: Der verlorene Sohn hat zwar sein Erbe verschwendet, ist aber zurückgekommen. Der Vater hat ihn mit offenen Armen empfangen. Nun muss er sich einem zweiten Problem zuwenden: Der ältere Bruder will die Rückkehr des jüngeren nicht mitfeiern: „All die Jahre habe ich schwer für dich gearbeitet und dir nicht ein einziges Mal widersprochen, wenn du mir etwas aufgetragen hast. Und in dieser ganzen Zeit hast du mir nicht einmal eine junge Ziege gegeben, um mit meinen Freunden ein Fest zu feiern. Doch jetzt, wenn dein Sohn daherkommt, nachdem er dein Geld mit Huren durchgebracht hat, feierst du und schlachtest unser bestes Kalb“ (Lk 15,29-30; NLB).
Der ältere Sohn steht sich selbst im Weg. Weil er sich überlegen fühlt, akzeptiert er das Verhalten des Vaters nicht. Es erscheint ihm falsch und ungerecht. Die Antwort des Vaters trifft den Nerv: „Alles, was ich habe, gehört dir“ (Lk 15,31; NLB). Das hat der korrekte, selbstzufriedene Sohn noch nicht entdeckt: Alles, was der Vater aufgebaut hat, was er besitzt und verwaltet, teilt er gerne mit dem Sohn. In den Augen des Vaters gehört dem Sohn schon alles. Das ist die Botschaft, die Jesus mit der Gleichnisgeschichte vermittelt: So sollst du auch Gott sehen. Das Gleiche darfst du von ihm erwarten.
Martin Luther bringt das so auf den Punkt: „Wie du an Gott glaubst, so hast du ihn. Glaubst du, daß er gütig und barmherzig ist, so wirst du ihn so haben.“ Dass auch Luther einen Abwertungsstachel ausfahren konnte, können wir in seinen verhängnisvollen Schriften lesen, die er gegen die Bauern und die Juden gerichtet hat. Umso wichtiger war für ihn die Erkenntnis, dass Gott alles schenkt, was Menschen brauchen, um ihm mit ihrem Glauben und Leben zu genügen.
An vielen Stellen vergleicht Jesus Gott mit einem guten Vater. Mir scheint, er tut es besonders da, wo wir zweifeln, ob Gott bereit und fähig ist, sich uns so zuzuwenden, wie wir es brauchen – ein Zweifel, der hinter dem Stachel Abwerten steht. Jesus holt Zweifelnde hier ab: „(...) würde jemand unter euch seinem Kind einen Stein geben, wenn es ihn um Brot bittet? Würde er ihm eine Schlange geben, wenn es ihn um einen Fisch bittet? Wenn also ihr, die ihr doch böse seid, das nötige Verständnis habt, um euren Kindern gute Dinge zu geben, wie viel mehr wird dann euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn darum bitten.“ So überliefert es Matthäus im 7. Kapitel seines Evangeliums (Mt 7,9-11; NGÜ). Auch Lukas berichtet uns dieses Jesuswort, allerdings mit einem anderen Akzent: Statt vom „Guten“, das der Vater gibt, spricht Lukas vom „Heiligen Geist“, den der Vater denen gibt, die ihn darum bitten (Lk 11,11-12). Beides fügt sich zu einem Bild, das Jesus von seinem Vater im Himmel zeichnet: Gott sorgt für unsere menschlichen Bedürfnisse, indem er uns gibt, was wir brauchen. Doch manchmal führt er auch Wege, die mit Schmerz und Mangel verbunden sind. Dann schenkt sein Geist Trost, Freude und einen inneren Frieden. Damit finden Glaubende selbst in schlimmen Lebensumständen, was ihnen genügt.
Das hat der Jesus-Botschafter Paulus im Extrem erlebt: „Wir erweisen uns als Gottes Diener, ob wir nun geehrt oder geschmäht werden, ob man Schlechtes über uns redet oder Gutes. Wir werden als Betrüger angesehen, aber wir halten uns an die Wahrheit. Wir werden nicht beachtet und sind doch anerkannt. Ständig sind wir vom Tod bedroht, und doch sind wir – wie ihr seht – immer noch am Leben. Wir werden schwer geplagt und kommen doch nicht um. Wir erleben Dinge, die uns traurig machen, und sind doch immer voll Freude. Wir sind arm und machen doch viele reich. Wir besitzen nichts, und doch gehört uns alles“ (2. Kor 6,8-10; NGÜ). Mit diesen Worten beschreibt Paulus das souveräne Lebensgefühl dessen, der entdeckt: Was Gott gibt, das genügt.
Glaubende werden barmherzig gegenüber den Schwächen anderer, wenn sie wissen: Was ich brauche, kommt von Gott – vieles schenkt er mir durch Menschen, die sich mir zuwenden. Doch wenn Menschen versagen, findet Gott andere Wege, für mich zu sorgen. Er wendet sich mir auf übernatürliche Weise zu.
Es ist das Gefühl, dem Unvermögen anderer Menschen ausgeliefert zu sein, das den Stachel Abwerten hervorgebracht hat. Wo der Glaube dieses Gefühl überwindet, wird der Stachel entbehrlich, sowohl Menschen als auch Gott gegenüber. In dieser Wirklichkeit des Glaubens dürfen Sie sich beheimaten, wenn das Abwerten der Stachel Ihres Glaubens ist. Dabei helfen Ihnen Zugänge, die die christliche Tradition gefunden hat. Vier davon stelle ich Ihnen hier vor.
Aufmerksam sein – mit den Augen des Glaubens sehen. „Dass unsere Sinnen wir noch brauchen können und Händ und Füße, Zung und Lippen regen, das haben wir zu danken seinem Segen. Lobe den Herren!“, dichtete Paul Gerhardt in einem Kirchenlied (Gotteslob, 81; Evangelisches Gesangbuch, 447). Überall erblickt der Glaube Gottes liebevolles Handeln.
Ob wir die Welt so wahrnehmen, wie sie uns vor Augen tritt, oder ob wir in ihr Gottes Wirken wahrnehmen, macht für unser Leben einen Unterschied: Die Augen des Glaubens entdecken immer einen Grund zur Freude. Sie nehmen einen tröstlichen Lichtblick wahr. Sie sehen, wie sich Gottes Fürsorge in jedem Moment des Lebens zeigt. Darauf lenken Glaubende ihre Aufmerksamkeit immer neu. So nehmen sie wahr, was ihnen leicht entgangen wäre.
Menschen mögen unseren Zorn wecken, doch das Auge des Glaubens sieht im anderen das geliebte Kind Gottes, das unverdient Geduld und eine zärtliche Ansprache findet.
Wir mögen uns leer und frustriert fühlen, der Glaube nimmt wahr, womit uns Gott überrascht, um uns auf andere Gedanken zu bringen.
Ein wichtiges Ziel scheint verbaut zu sein, doch der Glaube sieht schon den Weg, den Gott bahnt.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit schulen, sehen wir immer deutlicher, wie Gott uns in unserem Alltag aufsucht und beschenkt. Das gelingt umso besser, je mehr wir von der Wirklichkeit Gottes wissen. Dabei hilft der zweite Zugang.
Betrachten (Kontemplation). Dabei betrachten Glaubende einen Bibeltext so lange, bis sich die Wirklichkeit zeigt, auf die das Wort verweist. Sie ziehen sich zurück und schirmen sich von Ablenkungen ab. Sie konzentrieren sich betend auf ein Bibelwort, versuchen aber nicht, das Wort mit dem Verstand zu erfassen. Stattdessen setzen sie sich dem Wort vertrauensvoll aus, um sich von diesem erfassen zu lassen.
Manchmal hilft dabei unsere Fähigkeit, uns Dinge bildlich vorzustellen und uns in diese Vorstellung zu vertiefen. So könnten Sie sich vor Augen führen, wie Gott Sie zum Freudenfest einlädt, das er für eine Schwester oder einen Bruder feiert, die nach schweren Fehlern wieder neu zu Gott finden. Oder Sie stellen sich vor, wie Sie Gott um Brot oder einen Fisch bitten. Bei solchen Bildern verweilen Glaubende dann betend. Sie lassen zu, dass sich die Bilder vor ihrem inneren Auge ein wenig verändern. So könnte Ihnen Gott statt einem Fisch ein neues Herz voller Liebe geben oder einen Hirtenstab, mit dem Sie Menschen leiten, die Ihnen anvertraut sind. Dabei offenbart der Geist Gottes tiefere Wahrheiten. Er hilft auch, dass Wahrheiten vom Kopf ins Herz finden.
Manchmal schweift die Fantasie allerdings ab. Sie zieht uns in bizarre Bilder hinein, wie es auch in unseren Träumen geschieht. Glaubende, die sich in der Kontemplation üben, folgen solchen Bildern nicht. Sie ergründen auch nicht deren unbewusste, symbolische Bedeutung, sondern lenken ihre Aufmerksamkeit einfach wieder zu dem Bild zurück, wie es das Bibelwort nahelegt.
Kontemplation ist gleichermaßen aktiv und passiv. Aktiv ist sie, wo sie sich von anderen Reizen abschirmt und sich auf ein Bibelwort konzentriert. Passiv ist sie im Hinblick darauf, was in der Begegnung mit dem Wort geschieht und auf welche Weise sie in die Wirklichkeit hi-
neingezogen wird, die das Wort ausdrücken will.
Was Glaubende erkannt haben, müssen sie in ihrem Alltag manchmal behaupten. Denn dieser konfrontiert sie mit seinen eigenen Wirklichkeiten. Dabei hilft der dritte Zugang.
Bekennen (Proklamation). Ein Bekenntnis ruft die Wirklichkeit Gottes aus, auch wenn meine menschliche Wirklichkeit das Gegenteil dessen ist, was die Einladung von Jesus verspricht. Wo sich das Unvermögen von Menschen gegen mich verschworen hat, da spreche ich aus: „Dich, Vater im Himmel, darf ich bitten, wenn ich etwas brauche, und du gibst es mir.“ Wo ich mich unter Druck fühle, bekenne ich: „Gott gibt mir in jeder Situation, was nötig ist. Das reicht, für mich, für andere und auch für dich, Gott – selbst wenn es meinen Maßstäben gerade nicht genügt.“
In einem Bekenntnis drückt sich der Glaube aus, dass die unsichtbare Wirklichkeit des Glaubens stärker ist als die Realität unserer Lebensumstände. Viele Glaubende erleben genau das, wenn sie sich zu einer Wirklichkeit bekennen, für die sich Jesus verbürgt hat. Plötzlich verspüren sie eine Freude mitten in frustrierenden Umständen. Unerwartet entdecken sie eine beglückende Gemeinschaft, die alles vergessen lässt, was nicht in Ordnung ist.
In manchen Traditionen glaubt man, dass ein Bekenntnis mehr bewirkt, wenn es vor anderen Menschen ausgesprochen wird. Warum sollten Glaubende nicht zu dem stehen, wovon sie überzeugt sind? In manchen Situationen würde ein Bekenntnis aber aufdringlich oder befremdend wirken. Wer dann fürchtet, dass sein Festhalten an Gott nichts gilt, wenn er es nicht kundtut, der setzt sich selbst unter Druck. Wo geistliche Hilfen zur Methode werden, von der man nicht abweichen darf, ist man dem magischen Denken näher als einem lebendigen Gottvertrauen.
Aufmerksam-Sein, Betrachten und Bekennen öffnet unseren Alltag für die Wirklichkeit Gottes. Ein vierter Zugang fehlt noch: das Aufbrechen – ein Handeln im Glauben, das im Vertrauen auf Gott etwas wagt und dadurch in seine Wirklichkeit hineintritt.
(Die Anfangsbuchstaben der vier Zugänge – Aufmerksam-Sein, Betrachten, Bekennen und Aufbrechen – verbinden sich zu ABBA, einem aramäischen Kosewort für ‚Vater‘, das Jesus für Gott verwendet hat. Diese Merkhilfe können Sie einsetzen, wenn Sie sich die vier Zugänge in Erinnerung rufen wollen.)
Die Wahrheiten dieses Kapitels können Sie mit Bibelstellen vertiefen, die ich im Folgenden aufliste. Für mein Empfinden erschließt sich in ihnen besonders gut, dass genügt, was Gott uns gibt. Vielleicht entdecken Sie aber noch weitere Worte, die diese Wahrheit in Ihrem Herzen und Ihrem Alltag verankern.
Joh 16,16-24 – Jesus sieht sein Sterben kommen und stimmt seine Schüler auf den Abschied ein: für sie ist nach seinem Tod vollkommen gesorgt;
Joh 19,26-27; Lk 23,39-43; Lk 7,2-10 – betrachten Sie ein Panorama kurzer Begegnungen, in denen Jesus einfühlsam für Menschen sorgt;
Ps 30 – ein Beter beschreibt in starken Bildern, dass Gott letztlich für alles gesorgt hat;
2. Kor 9,8 – wenn das nicht genug ist ...;
Röm 8,28-39 – ein wortgewaltiges Bekenntnis: Gottes Liebe setzt sich gegen jede Widrigkeit durch, gedeckt von der persönlichen Erfahrung des Jesus-Botschafters Paulus;
Jakobus 1,12-18 – für Fortgeschrittene: eine Betrachtung Gottes, von dem nur Gutes kommt.
Aufbrechen
Die Wirklichkeit mancher Lebenssituationen steht im Gegensatz zur Wirklichkeit des Glaubens. Oft erfordert es daher einen Vertrauensschritt, um von einer Wirklichkeit in die andere zu gelangen. Auch folgende Schritte helfen Ihnen, in die Glaubenswirklichkeit dieses Kapitels einzutreten.
Sie müssen jemanden korrigieren? Dann tun Sie das im Glauben: Vor Ihnen steht jemand, der vielleicht total danebenliegt, den Gott aber genauso liebt wie Sie. Gehen Sie nicht in ein Gespräch, bevor Sie nicht ein wenig dieser Liebe Gottes nachempfinden können. Führen Sie sich das Beste des anderen vor Augen. Vertrauen Sie dem Besten im anderen, auch wenn es sich vielleicht nicht sofort zeigt. Sprechen Sie keine Wertungen und Urteile aus. Argumentieren Sie von Ihren Bedürfnissen und Wünschen her oder erinnern Sie an zwischenmenschliche Spielregeln oder gemeinsame Ziele. Wenn Sie im Glauben in die Situation eintreten, ist Gott dabei. Erwarten Sie vertrauensvoll, was geschieht.
Entschuldigen Sie sich, wenn Sie übermäßig oder im scharfen Ton kritisiert haben. Nehmen Sie eine Haltung wie diese ein: „Die Beziehung zum anderen ist mir wichtig, vielleicht sogar wichtiger als die Sache, um die es ging. Ich möchte mit dem anderen so gut wie möglich auskommen und nicht mehr Distanz aufbauen als nötig.“ So stellen Sie nicht nur die Beziehung, sondern auch Ihren Einklang mit Gott wieder her.
Lassen Sie sich einmal auf ein Team ein, in dem sehr unvollkommene Menschen sind, vielleicht nur für eine begrenzte Zeit. Nehmen Sie die anderen im Namen Jesu an und spüren Sie die Freude, die Jesus an jedem Einzelnen hat. Machen Sie es sich zu einer Übung des Glaubens, sich an folgenden Verhaltensweisen nicht zu stören: schlechtem Benehmen, Zeit- und Ressourcenverschwendung, Irrtümer oder mangelhafte Ergebnisse. Spüren Sie, wie sich Ihre Verbindung zu Gott vertieft, wenn Sie eine Haltung der Annahme, Geduld und Barmherzigkeit einüben. Sie geht viele Umwege mit, um den anderen ja nicht zu verlieren.
Wenn eine Situation frustrierend oder ärgerlich ist: Halten Sie Ausschau, wo Gott in dieser Situation gegenwärtig ist. Was hat er hier vielleicht vor? Was bewirkt er gerade in Ihrem Inneren, wenn Sie das zulassen? Entdecken Sie die Wirklichkeit des Glaubens, wenn die Wirklichkeit einer Lebenssituation quer zu Ihren Bedürfnissen steht. Versuchen Sie wahrzunehmen, wie Gott einfühlsam und unterstützend an Ihrer Seite ist. Reagieren Sie dann so vertrauensvoll und gelassen, als ob Sie sich Gottes Gegenwart ganz sicher wären.
Gehen Sie durch Leid und kommt es Ihnen so vor, als sei Gott unfähig, Ihnen zu helfen? Wir können unser Leben nur rückwärts – vom Ende her – verstehen, müssen es aber vorwärts leben. Wenn Ihnen im Großen die Güte Gottes verborgen ist, drücken Sie Ihr Vertrauen im Kleinen aus: Wo sorgt Gott am heutigen Tag für Sie? Welchen Trost, welche Freude, welche kleine Erleichterung finden Sie, die Sie als Zuwendung von Gott verstehen können?
Sind Sie in einem Team, das Sie nicht versteht? Dann halten Sie das Vertrauen aufrecht, dass Gott Sie nicht alleine lässt. Gott wird Ihnen andere Menschen schicken, die Ihnen in seinem Auftrag das bringen, was Sie brauchen. Verzeihen Sie die Unzulänglichkeiten, auf die Sie in Ihrem Team stoßen. Machen Sie sich vertrauensvoll auf die Suche, um woanders zu finden, was Sie an Wissen, Unterstützung oder Ermutigung brauchen.
Solche Glaubensschritte führen Sie in einen Kreislauf des Vertrauens. Sie machen Erfahrungen mit Gott, die Ihnen die Glaubenswahrheiten dieses Kapitels noch tiefer erschließen. Und umgekehrt: Je tiefer Sie diese Glaubenswahrheiten erfassen, desto mehr neue Glaubenserfahrungen bahnen sich den Weg in Ihren Alltag.
Der Stachel Abwerten schützt vor der Unvollkommenheit anderer. Der Stachel Selbstdarstellung dagegen, von dem das nächste Kapitel handelt, fürchtet sich vor der eigenen Unvollkommenheit.
Jörg Berger
Jörg Berger ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut und hat schon vielen Menschen geholfen, einen Weg mit schwierigen Zeitgenossen zu finden. Seine Bücher und Zeitschriftenartikel haben über 100.000 Menschen erreicht. Als gefragter Sprecher ist er mit Themen rund um schöne und schwierige Beziehungen unterwegs.
Webseite: www.psychotherapie-berger.de
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