1. Maria
Gott sandte den Engel Gabriel in das galiläische Städtchen Nazareth zu einer unverheirateten jungen Frau mit Namen Maria. Sie war verlobt mit einem Mann namens Joseph aus der Nachkommenschaft Davids. Der Engel sagte zu ihr: „Sei gegrüßt, du mit Gnade Beschenkte! Der Herr ist mit dir!“ Maria erschrak zutiefst bei diesen Worten und fragte sich, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden.
Du wirst schwanger werden und einen Sohn bekommen. Den sollst du Jesus nennen. Er wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden. “ […]
„Wie soll das zugehen?“, fragte Maria. „Ich bin doch noch gar nicht verheiratet!“ Der Engel antwortete: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Kind, das du zur Welt bringst, heilig sein und Gottes Sohn genannt werden. “ […] Da sagte Maria: „Ich bin eine Dienerin des Herrn. Es soll mit mir geschehen, wie du gesagt hast. “ Darauf verließ sie der Engel.
Lukas 1,26-38
Im Gespräch
Das haut dich um, Maria, wie?
Das … das … träume ich? Kneif mich mal!
Du träumst nicht! Es war wirklich ein Engel, ein Bote Gottes, der mit dir geredet hat.
Dass es ein Engel war, kann ich ja noch halbwegs begreifen. Aber was er sagte! Der Bote erschreckt mich nicht so sehr wie seine Botschaft.
Du erlebst nichts weniger als den Höhepunkt der Geschichte Gottes mit den Menschen! Er selbst, der Allmächtige und Ewige, der Schöpfer von Himmel und Erde, kommt als Mensch auf die Erde!
Als Mensch! Sogar als Kind! Warum so?
Wie sonst? Sollte er als erwachsener Mensch vom Himmel herabschweben?
Er könnte doch auch wie dieser Engel einfach von der unsichtbaren Welt in unsere sichtbare Welt treten.
Könnte er sicher, ja. Aber vielleicht will er ein Mensch werden wie alle Menschen, die als Säuglinge anfangen.
Und warum ich? Warum soll ausgerechnet ich die Mutter werden?
Das weiß ich auch nicht.
Ich bin doch nicht frommer als tausend andere Mädchen!
Darum sprach der Engel ja auch von Gottes Gnade. Die große Aufgabe, für die Gott dich ausgewählt hat, ist nicht dein Verdienst.
Was mache ich denn jetzt? Ich weiß gar nicht … Oh Mann!
Ich kann mir vorstellen, dass du ziemlich aufgewühlt bist. Du solltest mit jemandem darüber sprechen, zu dem du Vertrauen hast. Ich bin dafür ungeeignet, ich bin nur eine Fantasiefigur.
Mit Joseph kann ich unmöglich darüber reden! Er muss doch denken, dass ich ihn mit einem anderen Mann betrogen habe! Er muss mich verstoßen! Es wäre eine Schande, nicht nur für mich, auch für ihn. Würdest du es glauben, wenn deine Freundin schwanger ist, aber nicht von dir, und sie würde dir etwas von einem Engel und vom Heiligen Geist erzählen?
Man kann nur hoffen, dass Gott selbst Joseph die Wahrheit erklärt, sodass jeder Zweifel schwindet. Hast du sonst keinen, mit dem du reden kannst?
Elisabeth vielleicht. Eine Verwandte von mir, eine fromme Frau. Sie wohnt aber nicht hier. Oben in den Bergen nahe Jerusalem. Der Engel hat ja auch von ihr gesprochen.
Umso besser. Dann bist du erst mal fort von hier, wo sicher bald das Getuschel anfängt.
Ja, flüchten aus Nazareth ist sicher gut, reden mit Elisabeth ist auch gut. Aber trotzdem … das alles ist so … ich weiß nicht … es macht mich unsicher. Ich habe keine Ahnung, was ich von all dem halten soll. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Nichts!
Nichts? Was redest du! Gott lässt seinen Sohn durch mich geboren werden, aber ich soll …
Nichts tun! Er handelt! Vertraue einfach! Und freu dich! Und lobe Gott, der dich auserwählt hat, ein unwichtiges Mädchen, unwürdig eigentlich, aber für würdig geachtet von Gott. Im Übrigen tu, was du tun würdest, wäre das Kind von deinem Mann. Du musst das göttliche Kind ja versorgen und erziehen.
Auch noch erziehen! Gottes Sohn erziehen! Oh Herr, ich kann das nicht.
Hast du nicht selbst gesagt, du bist Gottes Dienerin? Es soll mit dir geschehen, was er will!
Was sollte ich auch sonst sagen, als der Engel vor mir stand! Versteh mich recht - es war trotzdem ehrlich gemeint …
Na, siehst du! Dann lass ihn doch machen! Und vergiss deine Sorgen! Gott hat einen Plan, einen großen, heiligen Plan, um die ganze Menschheit zu retten. Meinst du, Gottes großer Rettungsplan könnte scheitern, weil du einen Fehler machst? Warte gelassen ab! Vertrau ihm! Er handelt.
Ein Gedanke
Nein, der Sohn Gottes soll nicht in die „bessere Gesellschaft“ hineingeboren, sondern von einem unscheinbaren Mädchen in armen Verhältnissen zur Welt gebracht werden. Denn die „bessere Gesellschaft“ ist gar nicht besser. Der Gottessohn will erst alles besser machen. Nicht in Reichtum soll er zur Welt kommen, nicht bei denen von Adel, denn edel und hochgestellt ist vor Gott sowieso niemand. Erheben und innerlich reich machen wird erst Jesus die, die zu ihm gehören.
Der Abstieg des Gottessohnes aus der ewigen Herrlichkeit des Himmels auf diese Erde ist so ein gewaltiges Ereignis, dass es da nun wirklich keinen Unterschied mehr macht, ob er dann als Säugling in einem Königspalast in einer Wiege aus Ebenholz und Elfenbein liegt oder in einem Viehstall in einer Futterkrippe.
Aber für uns Menschen macht es einen Unterschied. Weil uns so besonders deutlich wird, dass Gott uns ganz nahekommt. Tiefer geht es nicht. Und das hat seinen Sinn: Niemand soll je sagen können, Jesus sei zu groß oder zu abgehoben für ihn. Er sei ihm nicht nahe genug.
Nicht nahe genug ist er höchstens für den, der sich selbst für groß und edel und wichtig hält. Der zu denen gehört, von denen Jesus sagte: Die Gesunden brauchen keinen Arzt. Wer aber geistlich gesehen arm ist und seine Armut und Schuld erkennt und zugibt, dem gehört das Himmelreich, dem kommt der Erlöser ganz nah.
Es ist diese Umwertung aller Werte, die das Kommen Jesu zu einer Revolution macht. Alle menschlichen Maßstäbe verlieren ihre Gültigkeit. Aller vordergründige Reichtum wird zur Armut. Alles stolze Wissen und Können ist nichts mehr wert. Was allein unser Leben reich und wertvoll macht, das ist die Gemeinschaft mit Jesus. Dass er uns liebt, gibt uns Erfüllung, dass er uns nahe ist, gibt uns Würde, dass er uns in seine Gemeinschaft hineinnimmt, gibt uns ewiges Leben.
Maria muss, auch wenn sie zunächst vieles noch nicht wusste, diese Umwälzung begriffen haben. Sie sprach das aus in den Worten, die wir das „Magnifikat“ nennen, als sie zu ihrer Verwandten Elisabeth kam. Alles wird völlig anders. Gott krempelt die Welt um. Auch wenn sich das in der Welt noch nicht überall herumgesprochen hat, weil die dafür noch blind ist. Aber verstehen kann es, wer diesen Wertewandel bei sich selbst erlebt. Der lobt dann Gott dafür, wie Maria es damals tat.
Meine Seele erhebet mit Freude den Herrn,
meinen Heiland erhebet mein Sinn,
und mein Geist lobt mit diesem Liede ihn gern.
Er sieht nicht, dass ich unwichtig bin.
Meine Kinder und Enkel, die werden einst sagen,
dass ich glücklich mich schätzen kann.
Und sie werden mich preisen in kommenden Tagen,
denn an mir hat Gott Großes getan.
Denn sein Name ist heilig, und er hat die Macht.
Die ihn fürchten und handeln stets recht,
über denen seine Barmherzigkeit wacht.
Denn sie währt von Geschlecht zu Geschlecht.
Er übet Gewalt aus mit mächtigen Armen.
Und der Fall ist der Hochmüt’gen Lohn.
Mit den Schwachen und Niedrigen hat er Erbarmen,
doch Gewaltige stößt er vom Thron.
Alle Armen und Hungrigen macht er nun satt,
er gibt, was sie brauchen, und mehr.
Mancher Reiche verliert durch ihn, was er hat,
er wird arm und sein Leben bleibt leer.
Und so, wie er es damals den Vätern gesagt,
dass er stets seines Volkes gedenkt,
so erfüllt es sich nun. Er beweist seiner Magd,
dass er uns viel Barmherzigkeit schenkt.
(Nach Lukas 1,46-55)