
Hinter dem Orangenhain
Fourie-Trilogie 2
Südafrika 1938-1968
Die kleine Persomi ist ein tapferes, kluges Mädchen, das als Tochter einer weißen Familie in Südafrika in großer Armut aufwächst. Doch in der Schule macht ihr so schnell keiner etwas vor und so hofft sie, ihrer Herkunft eines Tages entfliehen zu können.
Als Persomi in einem Prozess gegen den Mann aussagen muss, der behauptet, ihr Vater zu sein, stellt sich für sie zum ersten Mal die Frage, ob das Gesetz auch für arme Menschen gilt. In ihr erwacht der Traum, Jura zu studieren. Und sich für ein Land einzusetzen, in dem jeder die gleichen Chancen auf Gerechtigkeit hat. Doch wird sie diesen Traum verwirklichen können? Oder werden enttäuschte Hoffnungen, tragische Missverständnisse und ungeahnte Herausforderungen ihr die Flügel stutzen?
Format: 13,5 x 21,5 cm
Hinsichtlich der Produktsicherheit (GPSR) unbedenklich
Bestellnummer: 331660
ISBN: 978-3-86827-660-2
Erschienen im Mai 2017
Format: ePUB
Bestellnummer: 331753
ISBN: 978-3-86827-753-1
Erschienen im Mai 2017
Preishit
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Leseprobe
1. Kapitel
Juli 1938
„Gerbrand will mit der Schule aufhören und sich eine Arbeit suchen. “
„Und was hat das mit dir zu tun, Jemina?“
„Das ist ein gescheiter Bursche. Der muss unbedingt seinen Schulabschluss machen. “
„Und was willst du jetzt tun?“
„Ich brauche Geld.
Damit ich ihn in der Schule lassen kann. “
„Das hätte ich mir denken können. Von mir bekommst du keinen Cent mehr, hast du verstanden?“
„Aber du hast doch gesagt …“
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich mit deinen anderen Kindern nichts zu schaffen haben möchte. Und jetzt verschwinde! Du weißt genau, was wir besprochen haben. “
Pérsomi ist elf Jahre alt, als Gerbrand an einem Wintermorgen mir nichts dir nichts sagt: „Mama, ich fahre nach Johannesburg und gehe mir eine Arbeit suchen. “
Pérsomi ist draußen in der matten Wintersonne. In der Nähe der Hintertür lehnt sie mit dem Rücken an der Mauer und drückt ihre nackten Zehen in den grauen Sand. Gerbrand steht in der Türöffnung, nur einen Schritt von ihr entfernt. Wenn sie ihre Hand ausstreckt, kann sie ihn berühren. Doch das macht sie nicht, denn Gerbrand kann das Gefummel nicht leiden. Das weiß sie, weil er und Piet sich zum Schlafen eine Matratze teilen müssen. Wenn Piet ihm zufällig zu nahe kommt, versetzt ihm Gerbrand sofort einen kräftigen Tritt. Piet ist zwar älter, aber Gerbrand ist der Stärkere.
„Ach du liebe Güte, Gerbrand, geh lieber Wasser holen und hör auf mit dem Geschwätz“, fordert seine Mutter ihn auf. Das Baby ist heute wieder einmal sehr quengelig und Gertjie hat die ganze Nacht wachgelegen und gehustet. Mutter ist todmüde und hat keine Lust auf irgendwelche Flausen.
Ohne ein Wort zu sagen, dreht Gerbrand sich um, lässt aber den Eimer stehen. Er hat ein orangefarbenes Netz in der Hand, so eines, in dem Herr Fourie seine Apfelsinen verkauft. Darin befinden sich seine Flanellhose, sein weißes Hemd und seine ausgelatschten Schuhe, die er immer zur Schule anzieht. Durch die Maschen kann Pérsomi alles erkennen.
Am liebsten würde sie ihm zurufen: Nimm auch deinen Schulpullover mit, sonst erkältest du dich. Aber sie schweigt lieber und läuft ihm hinterher, den steinigen Fußweg hinab zum Fluss. Dort kommt ihnen Piet entgegen. Er marschiert direkt auf Gerbrand zu und schaut ihn herausfordernd an: Wer wird zuerst ausweichen? Die Schalen von der Mandarine, die er im Laufen schält, lässt er auf den Weg fallen, wo sie hellgelb zwischen den grauen Steinen und den vereinzelten Grasbüscheln glänzen. Wenn das Herr Fourie sehen würde …
Im Winter leiden sie keinen Hunger, denn dann hängt das ganze Baumstück voller Apfelsinen und Mandarinen. Nicht dass sie die pflücken dürften, aber wenn sie ganz dicht am Stamm welche wegnehmen, merkt Herr Fourie das nicht.
Gerbrand geht weiter, bis er kurz vor Piet steht, und schaut ihm geradewegs in die Augen. „Wenn du Pérsomi auch nur ein Haar krümmst, dann schlage ich dich windelweich, wenn ich wieder zurückkomme“, verkündet er. Dann schiebt er ihn mit der Schulter zur Seite und geht weiter auf das Wasser zu. Pérsomi macht einen großen Bogen um Piet.
Als sie beinahe am Fluss angekommen sind, dreht Gerbrand sich um und schaut sie an. „Wenn Vater dich schlagen will oder dir auch nur ein Haar krümmen will, dann rennst du schnell weg, auch wenn es mitten in der Nacht ist. Du kannst schnell laufen, du rennst ihm locker davon. “ Pérsomi nickt. Eigentlich hat sie keine Angst. „Mama kann nicht schnell rennen“, erwidert sie.
Gerbrand zuckt mit den Schultern. „Ich kann hier nicht bleiben, das musst du verstehen. Aber irgendwann komme ich und hole dich. “
„Wann denn?“
„Sobald ich genug Geld habe. Geh jetzt nach Hause zurück. “
„Aber wann kommst du denn wieder?“
Ohne ihr eine Antwort zu geben, wirft er sich sein Apfelsinennetz über die Schulter und überquert den Fluss, indem er von einem Felsen zum anderen springt. So gelangt er trockenen Fußes auf die andere Seite. Zwischen den Orangenbäumen sieht sie nur noch seine kupferbraunen Haare verschwinden.
Nachdenklich sinkt sie auf eine Felsplatte und bleibt mit ausgestreckten Beinen sitzen. Die Sonne zaubert kleine, glitzernde Sternchen auf das plätschernde Wasser zu ihren Füßen. Der plumpe Körper des Berges, ihres Berges, taut in der frühen Morgensonne langsam auf.
Gerbrand ist ihr großer Bruder. Das ist er immer gewesen. Und jetzt geht er weg. Nicht einfach nur ins Wohnheim, so wie in den letzten beiden Jahren. Nein, wirklich weg. Nach Johannesburg.
„Die Bergwerke in Johannesburg fressen einen mit Haut und Haaren“, behauptet Onkel Attie immer. Er ist der Mann von Tante Sus, Mamas älterer Schwester.
Pérsomi hofft jedoch inständig, dass die Bergwerke Gerbrand nicht ganz auffressen.
Nach einer Weile pflückt sie sich zwei Mandarinen vom Baum und schlendert den Weg entlang, immer den Berg hoch. Direkt unter dem Pavianfelsen lässt sich nieder und schält die erste Mandarine. Die Vorfreude auf die saftige, sonnengereifte Frucht lässt ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.
In der Senke zwischen den Gipfeln ihres Berges liegt die Farm von Herrn Fourie. Links von ihr ist eine große Scheune. Es sieht so aus, als klebe sie direkt am Berg. Nicht weit von ihr schlängelt sich das Flüsschen wie ein dünner Strich zwischen den Bäumen hindurch. Hier und da sind ein paar Sandbänke zu sehen, zwischen denen sich das Wasser in ruhigen Tümpeln sammelt. Wenn der Regen eine Zeitlang ausgeblieben ist, können die Menschen den Fluss bequem überqueren, aber in der Regenzeit bildet er eine unüberwindliche Grenze zwischen Pérsomis Familie und den anderen Bewohnern der Farm. Wenn der Fluss viel Wasser führt, müssen sie sogar von der Schule zu Hause bleiben.
Auf der anderen Seite des Flusses, da, wo die Sonne untergeht, liegt der unfruchtbare Brakrand, trockener Boden, den jemand vor Jahren einmal umgepflügt hat, in der Hoffnung, dort etwas anpflanzen zu können. Aber das Land ist kärglich und voller Steine, zudem liegt es am westlichen Abhang des Berges. An manchen Ecken kommt der karge Boden an die Oberfläche, der ansonsten tief unter dem Acker verborgen ist. „Das ist ein wertloses Stück Land, das kannst du vergessen, da verdorrt und verkümmert alles in der heißen Mittagssonne“, grummelt ihr Vater immer unzufrieden. „Und jetzt kann ich mir einen Wolf arbeiten, damit wir davon leben können. “
„Herr Fourie meint es doch nur gut mit uns“, hat ihre Mutter immer wieder dagegengehalten. „Und wohin sollten wir denn gehen, wenn er sagt, dass wir unseren Kram zusammenpacken sollen?“
Ihre Mutter muss ihr Mundwerk im Zaum halten, sonst bekommt sie schnell darübergefahren. Oder noch schlimmer: Sie kriegt es mit dem Gürtel. Denn ihr Vater versteht keinen Spaß, bei einer Frau erst recht nicht und schon gar nicht bei einem Kind.
Auf einer Seite des Brakrandes steht ihr Haus, einsam auf der kahlen Fläche; wenn die Sonne darauf scheint, sehen die beiden Fensterchen wie die Augen eines Blinden aus. Die Gegend um das Haus herum ist felsig, kein Baum und kein Strauch sind zu sehen, selbst Grasbüschel findet man nicht. Der Boden rechts neben dem Haus ist umgegraben; die Erde liegt zu trockenen Klumpen zusammengebacken herum und ist schutzlos der Sonne ausgeliefert.
Pérsomi weiß, wie hart die Erde ist, denn am Ende des Winters muss das Fleckchen Erde wieder umgepflügt werden, damit man Mais anpflanzen kann. Gerbrand muss dann auf dem Pflug stehen, um ihn auf diese Weise in die Erde zu drücken, schließlich ist er der Stärkste. Mutter oder sie selbst müssen dann Jeremia am Kopf festhalten und in den Furchen hin und her führen. Dieser Versuch gelingt nicht immer, denn Jeremia ist so faul und bockig, wie ein Esel es nur sein kann.
Aber jetzt ist Gerbrand ja weg. Dann wird Sussie auf dem Pflug stehen müssen und ihn in die Erde drücken, weil sie die Dickste ist.
Hinter ihrem Haus, ein ganzes Stück den Hang hinauf, ist eine tiefe Bergschlucht, die Braksloot, in der Gerbrand als kleiner Junge mit Boelie und De Wet immer Cowboy und Indianer gespielt hat. Meister Lampbrecht hat ihnen alles über Bergschluchten erzählt. Über die Jahrhunderte sind die Schluchten jedes Jahr etwas tiefer geworden, einen Zentimeter nach dem anderen, hat der Meister erklärt.
Rechts neben ihr sind lauter kleine Felsen, an denen sich der Weg ins Dorf entlangschlängelt. Wo die Erde aufhört und die Sonne aufgeht, ertrinkt der kleine Pfad in einem großen Rückhaltebecken. Und weit hinter den gleißenden Wassermassen liegt das Dorf. Dort ist Pérsomi noch nie gewesen.
Als die Sonne schon hinter dem Berg verschwunden ist und ihr ein eisiger Wind schneidend durch die Jacke fährt, geht Pérsomi wieder zum Haus zurück, in dem es zwei Zimmer gibt. Mitten im vorderen Raum steht ein hölzerner Tisch mit vier Stühlen drum herum. An der Wand neben der Hintertür befindet sich ein Ofen, daneben steht eine Planwagenkiste und in der Ecke eine umgedrehte Teekiste. Darauf ist der Primuskocher und das Emaillebecken, in dem das schmutzige Geschirr liegt.
Unter dem Tisch liegen die Matratzen der Kinder zu einem Stapel zusammengeschoben. Zu sechst schlafen sie im Vorraum: Piet und Gerbrand, Sussie und der kleine Gertjie und auf der dritten Matratze Pérsomi und Hannapat.
„Warum muss ich immer neben Gertjie schlafen? Der hustet die ganze Nacht und pinkelt ins Bett“, jammert Sussie morgens immer wieder. Dann bekommt sie von Vater ein paar hinter die Löffel und hört mit dem Jammern auf.
In dem anderen Zimmer schlafen Vater, Mutter und das Baby. Vater und Mutter haben ein Bett mit einer Matratze darin, das Baby schläft in einer großen Kiste daneben. Ein verschlissener Vorhang trennt das Schlafzimmer der Eltern vom Vorraum.
Im Haus ist es meist sehr dämmrig. Und das Emaillebecken ist immer voll mit schmutzigem Geschirr. Wenn man mit dem Abwasch dran ist, muss man mit dem ganzen Becken an den Fluss laufen und dort in einer der Untiefen die Becher und Teller so lange mit Sand abreiben, bis sie sauber sind.
„Sussie, geh mal abwaschen“, befiehlt ihre Mutter.
„Och, Mama! Warum muss ich das denn immer …?“
Wenn das passiert, rennt Pérsomi lieber schnell weg, denn sonst wird ihr die Arbeit aufgebrummt.
Pérsomi weiß genau, wer sie ist: das Kind von Beiwohnern, das vierte und mittlere Kind von Lewies und Jemima Pieterse, die auf der Farm von Herrn Fourie leben. Sie ist groß und dünn, hat dunkle Augen und dunkles Haar, das absteht. Sie sieht anders aus als Sussie und Piet, die die kleine, etwas gesetzte Figur ihres Vaters geerbt haben und dazu seine wässrigen Augen. Sie unterscheidet sich auch von Gertjie und dem Baby, die wie ihre Mutter rotes, gelocktes Haar haben. Sogar Gerbrand hat seine roten Haare von seiner Mutter geerbt. Pérsomi ist die Einzige, die ganz anders aussieht, sie ähnelt der Mutter ihrer Mutter, die schon vor langer Zeit gestorben ist.
Pérsomi geht in die kleine Schule, die auf der Grenze zwischen der Farm von Herrn Fourie und der von Onkel Freddie le Roux errichtet ist. Irene Fourie, Faansie Els und sie selbst sind die einzigen Kinder in der sechsten Klasse. Sie werden von Meister Lampbrecht unterrichtet, der alle Kinder in den Klassen fünf bis acht unterrichtet. Insgesamt sind sie fünfzehn Schüler. Hannapat geht in die dritte Klasse und Sussie in die siebte, aber wenn Sussie noch einmal sitzenbleibt, dann muss sie die Schule verlassen, hat Meister Lampbrecht gesagt. Sie ist sechzehn und eigentlich schon viel zu groß für die Mittelschule. Wenn es eine Person auf der Welt gibt, die Pérsomi wirklich nicht leiden kann, dann ist das Irene Fourie. Gegen Irenes scharfe Zunge ist kein Kraut gewachsen.
„Kannst du Hannapat von meiner Oma ausrichten, dass sie an der Hintertür klopfen soll, wenn sie um Mehl bettelt?“, ruft Irene laut, kurz bevor die Schulglocke ertönt. „Und mein Vater sagt, dass er euch Geschmeiß sofort von seinem Land jagt, wenn er noch einmal einen von euch in seinem Baumstück erwischt. Zusammen mit eurem lausigen Esel und allem anderen. “
Dann hält Pérsomi lieber ihren Mund; denn was kann sie schon dagegen sagen? Doch nachmittags lernt sie Geschichte und rechnet alle Aufgaben aus dem Buch. Am Ende des Quartals hat sie die besten Noten der ganzen Schule.
Fräulein Rossouw unterrichtet die Kleinen, sie hat dreizehn Kinder in ihrer Klasse.
In der ganzen Schule gibt es nur drei richtige Farmerskinder. Das sind Irene Fourie sowie Pietertjie und Susara Nel, die weiter oben in der Schlucht wohnen. Alle anderen Kinder sind aus Beiwohnerfamilien, und fast alle sind Cousinen und Cousins von Pérsomi: die sechs Elses, die auf der Farm von Onkel Freddie le Roux wohnen, die Willemsens von weiter oben am Fluss, die zwei jüngsten Söhne von Bester und dann noch der ganze Schwarm der anderen Pietersens, die Kinder vom Bruder ihres Vaters. Nur mit Gezina und Maria Pypers und ihrem Zwillingsbruder aus der ersten Klasse ist sie nicht verwandt. „Und das ist auch gut so“, verkündet ihr Vater allezeit. „Das ist ein faules Gesocks, diese ganze Pyperssippe. “
Sussie hat Epilepsie. Jeder muss gut aufpassen, sagt ihre Mutter immer, denn man kann sehen, wenn Sussie kurz vor einem Anfall steht. Dann müsst ihr sie hinlegen, und das Wichtigste - erklärt Mama - ist, dass ihr ihr etwas in den Mund stopft, sonst beißt sie sich noch die Zunge ab, und das soll natürlich nicht passieren. Trotzdem rennen alle schnell weg, wenn Sussie einen Anfall bekommt, weil das so ein entsetzlicher Anblick ist. Mutter ist die Einzige, die Sussie zu Hilfe eilt. Mama gegenüber dürfen sie nie sagen, dass Sussie verrückt wird, wenn sie einen Anfall bekommt, aber Gerbrand nennt sie trotzdem immer „die verrückte Kuh“. Weil sie jedes Mal auf den Kopf fällt, kann Sussie nicht gut lesen. Jedenfalls behauptet das Mutter.
Sussie muss eine Medizin schlucken, damit sie keinen Anfall bekommt, und jeder muss ihr dabei helfen, dass sie nicht vergisst, ihre Arznei zu nehmen. Das Problem ist nur, dass ihre Mutter immer warten muss, bis sie jemand ins Dorf mitnimmt, um dort die Medizin abzuholen, wenn sie bereitliegt. Manchmal wird auch Vater ins Dorf mitgenommen, aber er sagt, dass das Medizin-Abholen Frauensache ist.
Auch in der Schule hat Sussie gelegentlich schon einen Anfall gehabt. Als das zum ersten Mal geschehen ist, ist Pérsomi noch in die Klasse von Fräulein Rossouw gegangen, in die zweite Klasse. Sussie, Gerbrand und Piet waren bei dem Meister. Jeder ist schnell weggerannt, denn Sussie hat wie ein tollwütiger Schakal herumgezuckt und um sich getreten. Piet und Gerbrand haben sich zusammen mit ein paar anderen Jungen aus dem Staub gemacht und keinen Finger krumm gemacht. Pérsomi hat gesehen, dass der Meister und das Fräulein vor lauter Schreck vergessen haben, Sussie etwas zwischen die Zähne zu schieben. Aber Sussie sollte sich ja nicht die Zunge abbeißen, das wäre natürlich furchtbar. Darum hat sie, Pérsomi, dem Meister und dem Fräulein erklärt, dass sie Sussie auf den Rücken drehen und sie festhalten müssen. Und dann hat sie sich einfach den Stock des Meisters genommen und ihn mit viel Mühe zwischen Sussies verkrampfte Kiefer geschoben. Die ganze Zeit über hat Sussie sie mit wilden Augen angeschaut, so als würde sie sie nicht wiedererkennen. Und dabei ist aus ihrem Mund ständig Schaum geflossen.
Nach einer Weile ist sie ganz schlapp geworden und hat angefangen zu weinen. Fräulein Rossouw hat Pérsomi gebeten, Sussie nach Hause zu bringen. Der Meister hat dann bestimmt, dass alle Kinder lieber nach Hause gehen sollten, denn die meisten waren ganz durch den Wind. Sussie konnte aber wirklich nicht laufen und war zu dick, um getragen zu werden. Erst am Nachmittag, als die Schule regulär aus gewesen wäre, konnte sie wieder ein bisschen laufen, aber dabei musste sie sich immer noch auf Pérsomi stützen.
Das ist der Tag gewesen, an dem Pérsomi gemerkt hat, dass Erwachsene manchmal tatsächlich auf Kinder hören.
„Du bist ein kluges Mädchen“, hat der Meister am nächsten Tag zu ihr gesagt. Davon ist sie ganz verlegen geworden, weil sie ihn noch nicht so gut gekannt hat. Aber auch sehr froh.
Seitdem hat sie keine Angst mehr davor, dass Sussie einen Anfall bekommen könnte. Und der Meister ist noch nie böse auf sie gewesen.
Zu Beginn des neuen Schuljahres, im Jahr unseres Herrn 1939, wie es der Meister immer sagt, - ungefähr sechs Monate, nachdem Gerbrand weggegangen ist - kommt ein neues Kind in die Klasse von Pérsomi, Irene und Faansie. Es heißt Gottie Stoltz und sein Vater arbeitet in einem Bohrbetrieb.
„So zu heißen, ist eine Sünde“, verkündet Irene laut. „Das steht in der Bibel. “
Unsicher fummelt der neue Junge an seiner Strickjacke herum und betrachtet sie mit gesenktem Kopf. Seine großen, plumpen Füße stehen unbeholfen weit auseinander und seine Zehen sind nach innen gekehrt.
Seufzend wischt sich der Meister mit seinem großen, grauen Taschentuch die Stirn ab. In dem kleinen Schulgebäude mit seinem Wellblechdach ist es im Januar selbst am frühen Morgen schon glühend heiß. Onkel Attie Els sagt immer, dass das Bosveld von der Hölle nur durch eine Wellblechplatte getrennt ist, und sogar die ist an manchen Stellen durchgerostet.
„Auf welchen Namen wurdest du getauft, junger Mann?“, will der Meister wissen.
„Wie bitte?“, stammelt der Junge.
„Wie heißt du wirklich?“, fragt Irene ungeduldig. „Auf welchen Namen bist du getauft worden? Oder bist du gar nicht getauft?“
„Ach so“, antwortet der neue Junge, während er sich verwirrt umschaut. „Gottlieb. Gottlieb Joachim Stoltz. “
„Dann sollten wir ihn am besten Gottlieb nennen, Meister“, stellt Irene fest. „Das ist auf jeden Fall besser als… als der andere Name. “
Der Meister wischt sich erneut über die Stirn und schaut sich in der Klasse um.
„Gottlieb, setz dich dorthin, neben …“
„Nicht neben mich!“, wehrt sich Irene hastig.
„Äh … Dann setz dich neben Faansie. Pérsomi, und du setz dich neben Irene. “
Mit einem Seufzer schiebt sich Irene von ihrer Bank. „Setz dich dann aber an die Wandseite, ich habe keine Lust ständig über dich drüberzuklettern“, mault sie.
Als sich Pérsomi an Irene vorbeischiebt, denkt sie: Zum Glück bleiben die Kinder der Bohrarbeiter immer nur für eine kurze Zeit, dann gehen sie irgendwo anders Brunnen bohren; hoffentlich gehen sie sogar in einen anderen Bezirk, denn dann müssen die Kinder die Schule wechseln. Wenn es so weit ist, kann sie wieder zu Faansie auf die Bank. Ein ganzes Jahr neben Irene - das hält sie nicht durch.
Sussie geht in diesem Jahr nicht mehr in die Schule. Sie ist schon wieder sitzengeblieben und jetzt ist sie zu alt. Deshalb muss sie ihrer Mutter nun jeden Tag bei der Wäsche helfen oder Wasser holen oder die dürren Bohnenpflanzen und schrumpeligen Pampelmusen gießen oder dabei helfen, das ausgetrocknete Maisfeld neben dem Haus mit der Spitzhacke aufzulockern. Die meiste Zeit jedoch sitzt sie bei der Hintertür an die Wand gelehnt und lässt sich die Sonne auf die ausgestreckten Beine scheinen.
Am Anfang des neuen Jahres ist auch Piet weggegangen, um sich Arbeit in Johannesburg zu suchen. Jetzt darf Sussie allein auf der Matratze von Piet und Gerbrand schlafen, weil sie schon groß ist. Das Baby schläft von nun an bei Gertjie, denn es passt nicht mehr in die Kiste und Vater möchte es auch nicht mehr bei sich im Schlafzimmer haben.
Der Vater von Pérsomi weiß etwas von einem Schatz, der hier in der Gegend irgendwo vergraben ist; hier auf der Farm von Herrn Fourie, vielleicht auch ein bisschen über der Grenze, auf der Farm von Onkel Freddie le Roux. Von dem Schatz hat Pérsomis Vater von seinem Vater erfahren. Aber der ist schon lange tot.
„Schwager, das Problem ist nur“, bemerkt er zu Onkel Attie Els, „dass mein Vater den Löffel abgegeben hat, bevor er mir ganz genau hat sagen können, wo der Schatz nun wirklich vergraben ist. Aber dass er hier liegt, das ist sicher. Mein Vater hat selbst dabei geholfen, die Kiste mit Geld zu vergraben, und das ist noch in der Zeit gewesen, bevor die Khakies im Englischen Krieg hier in die Gegend eingefallen sind. “
„Hat dein Vater dir nicht wenigstens ein paar Anhaltspunkte verraten?“, will Tante Sus wissen, während sie ihr voluminöses Hinterteil ein wenig nach vorn schiebt. Die Teekiste, auf der sie sich niedergelassen hat, ächzt verdächtig.
„Nein, er hat nur gesagt, dass er hier irgendwo liegt, so viel ist sicher“, seufzt Pérsomis Vater. „Alle Naselang hat er mir davon erzählt. “
„Warum ist Opa dann nicht selbst hingegangen und hat ihn ausgegraben?“, möchte Gerbrand jedes Mal aufs Neue wissen. Man konnte ihm ansehen, dass er kein Wort davon glaubte. Und jedes Mal hat Papa geantwortet: „Halt deine blöde Fresse, Gerbrand, sonst setzt’s was. “
„Wir können doch unmöglich die ganze Gegend hier umgraben“, erwidert Onkel Attie kopfschüttelnd und spuckt den Kautabak, auf dem er herumsabbert, vor sich auf den Boden.
„Vielleicht sollte ich mal einen von diesen malaysischen Zauberern hierherholen“, wirft Pérsomis Vater in die Runde.
„Die kannst du doch gar nicht bezahlen“, wirft Tante Sus ein.
„Halt die Klappe, Sus“, entgegnet Vater.
„Und du hältst auch deinen Rand, Lewies Pieterse!“, blafft ihn Tante Sus an. Sie hat keine Angst vor ihm.
„Wir können unmöglich die ganze Gegend hier umgraben“, wiederholt sich Onkel Attie.
„Dann hol doch so einen Zauberdoktor“, schlägt Tante Sus vor. „Ich habe gehört, dass diese braunen Affen schon für einen halben Sack Maismehl den Mund aufmachen. “
„Einen halben Sack Maismehl!“, ruft Vater aus. „Und wo willst du den hernehmen?“
„Ach du liebe Güte“, sagt Mama.
Wenn wir den Schatz finden, hat sich Pérsomi immer gedacht, dann sind wir reich und ich bekomme auch Schuhe. Und eine Schultasche für meine Bücher, so eine, wie Irene sie hat. In der letzten Zeit wachsen allerdings ihre Zweifel an dem geheimnisvollen Schatz immer mehr.
Seitdem Gerbrand vor sechs Monaten weggegangen ist, hat sich ihr Zuhause verändert. Jetzt ist alles anders und es gibt niemanden mehr, mit dem Pérsomi reden könnte. „Ach du liebe Güte, Pérsomi, feg den Vorraum aus und hör auf mit diesem Geschwätz“, sagt Mutter und steckt sich ihr rotes Haar hinter die Ohren.
Das kleine Aschenputtel schläft auf dem Boden vor dem erloschenen Ofen mit der kaputten Ofentür. Es achtet darauf, dass es so dicht wie möglich an der Hintertür schläft, damit es wegrennen kann.
Denn nachts schleicht der Wolf herum und dann weint Sussie.
Dann rennt das kleine Aschenputtel weg.
Bevor die Sonne aufgeht, kommt es wieder zurück. Der Wolf ist dann nicht mehr da.
Und dann schläft es wieder auf der Matratze neben Hannapat, so als ob es nie weg gewesen wäre.
Erst am nächsten Tag, als sie ihre Rechenaufgaben macht und darauf wartet, dass der Meister den Kindern der siebten Klasse neue Hausaufgaben aufgibt, fällt ihr ein, dass in der Geschichte von Aschenputtel gar kein Wolf vorkommt.
Seit Gerbrand weg ist, achtet sie darauf, dass sie jede Nacht, wenn es ans Schlafen geht, so dicht wie möglich an der Hintertür liegt.
Einmal in der Woche muss jemand zum Haus von Herrn Fourie gehen, um alle Zeitungen abzuholen. Sie nennen es das „Große Haus“. Neben dem Großen Haus wohnen die Großeltern Fourie, ihr Haus wird das „Alte Haus“ genannt.
Weil Opa Fourie ein mürrischer Mann ist, machen alle Kinder am liebsten einen großen Bogen um ihn. Oma Fourie ist netter, aber von Beiwohnerkindern hält sie nichts. Die wissen nämlich nicht, wo ihr Platz ist. Auf keinen Fall dürfen sie „Tante“ zu ihr sagen, die richtige Anrede ist „Frau Fourie“. Pérsomi gehört zu den Kindern, die sie ganz und gar nicht leiden kann, das hat sie sie von frühester Kindheit an spüren lassen. Wenn also irgendetwas im Alten Haus abgeholt werden muss, dann muss Hannapat das immer übernehmen. „Vergiss nicht, dir vorher die Nase zu putzen“, ermahnt Pérsomi sie dann, denn es gibt noch etwas, was Frau Fourie auf den Tod nicht ausstehen kann: eine Rotznase.
Wenn die Zeitungen bei ihnen zu Hause sind, müssen die drei Mädchen sie für das Plumpsklo in rechteckige Stücke reißen. Die Stücke dürfen nicht zu groß sein, denn wenn es keine Zeitungen mehr gibt, die man auf dem Plumpsklo auslegen könnte, dann nennt Vater das … nun ja, eine Riesenschweinerei.
Während sie die Zeitungen zerreißen, betrachten sie die Fotos und Zeichnungen darauf, vor allem die von jungen Frauen mit ihren schönen, neuen Kleidern, festlichen Schuhen und ordentlich gekämmten Haaren.
Die herbeigebrachten Zeitungen lesen, das tut niemand. Eigentlich kann auch nur Pérsomi wirklich lesen, und Gerbrand. Aber so interessant sind sie nun auch wieder nicht, darum liest Pérsomi sie nicht.
Manchmal, ganz manchmal, liegt auch eine Zeitschrift unter dem Stapel. Der Kerkbode („Kirchenbote“) ist furchtbar langweilig, darin sind auch nur Bilder von alten Männern mit strengen Augen und noch strenger aussehenden Schnurrbärten. Die Brandwag („Feuerwache“) und der Huisgenoot („Hausgenosse“) werden dagegen sorgfältig aufbewahrt. Darin stehen Geschichten, die Pérsomi der ganzen Familie vorlesen muss. Meistens sind es Schauergeschichten, die ihr Vater sehr gerne hört, Sussie und Hannapat bekommen davon allerdings furchtbare Angst. Die Frauen mögen am liebsten die Liebesgeschichten, aber die hält Vater für einen Riesenhaufen Unsinn; er benutzt dafür allerdings ein anderes Wort, nicht „Unsinn“.
Das Lesen haben Vater und Mutter nie gelernt, denn sie sind nicht einen Tag in die Schule gegangen.
In den Zeitschriften sind auch immer Bilder von leckerem Essen. Und daneben steht, wie man dieses Essen zubereitet.
Wenn Herr Fourie geschlachtet hat, bekommen sie auch immer eine Fleischmahlzeit. An solchen Tagen müssen sie alle mit anpacken, doch Tante Lulu, Irenes Mutter, hat gesagt, dass Sussie nicht mithelfen muss, sie solle stattdessen lieber auf Gertjie und das Baby aufpassen. Gerbrand muss dabei helfen, die Knochen klein zu sägen und den Fleischwolf zu drehen, weil er so stark ist. Er kann auch geschickt mit dem Messer umgehen und hilft dabei, große Fleischlappen abzuschneiden und auf den langen Tisch zu legen. Dort werden sie von Frau Fourie und Tante Lulu übernommen, die sie in kleine Stücke schneiden. Pérsomi muss die ganze Zeit zur Küche und wieder zurück rennen. Einmal muss sie Salz holen, dann kochendes Wasser, schließlich Tücher, um das frische Fleisch damit abzudecken. Sie muss auch die Därme mit einem Schermesser sauber kratzen und dann für die Wurst in Salzwasser einlegen. Wenn sie Wurst machen, müssen sie die gesalzenen Wurstdärme wieder aus dem Wasser herausfischen und sie aufblasen, damit sie sich öffnen. Wenn Pérsomi, ihre Eltern und Gerbrand fleißig mithelfen, bekommen sie hinterher die Knochen geschenkt, die sie auskochen können. Piet hilft meistens nur am Anfang wirklich mit. Sobald er meint, niemand bemerke es, macht er sich aus dem Staub.
Beim Schlachten hilft Pérsomi gern mit. Tante Lulu ist nett, und wenn die Erwachsenen Kaffee trinken gehen, bringt sie Pérsomi immer ein Glas kühle Orangenlimonade.
Gerbrand kann jetzt natürlich nicht mehr mithelfen, denn er ist ja weg, zum Arbeiten im Bergwerk.
Herr Fourie hat zwei erwachsene Söhne, Boelie und De Wet, und eine Tochter, die so alt ist wie Gerbrand. Sie heißt Klara. Sie sind alle sehr nett und waren immer mit Gerbrand befreundet. Damit unterscheiden sie sich sehr von ihrer Schwester Irene.
Im Winter erlegen Herr Fourie oder einer seiner Söhne gelegentlich einen Springbock und dann machen sie Biltong. Bei Pérsomi zu Hause gibt es die Füße, die ihre Mutter in dem gusseisernen Topf sehr lange auskochen muss. Manchmal bekommen sie auch den Magen, dann essen sie Magen und Füße. An solchen Tagen kommt die Familie Els immer zum Essen vorbei. Und andersherum, wenn es einmal bei ihnen Fleisch gibt, gehen die Pietersens dorthin. „Ja, so helfen wir einander, lieber Schwager“, sagt Vater, während er Onkel Attie um den Hals fällt. „Komm, lass uns noch ein Tröpfchen trinken. “
Wenn es so läuft, dann weiß Pérsomi, dass sie auf der Hut sein muss.
Und dass sie dicht an der Tür liegen sollte.
Die Mutter der sieben Geißlein ist weg
oder schläft vielleicht nur.
Da kommt der Wolf.
Das eine Geißlein rennt schnell weg,
denn es möchte das Weinen nicht hören.
In den Herbstferien desselben Jahres kommt Gerbrand zum ersten Mal zu Besuch nach Hause. Er ist volle neun Monate weg gewesen, und auf einmal schläft er völlig überraschend wieder im Haus, als es dunkel wird. „Ich bin mit De Wet und den anderen mitgefahren“, erklärt er. „Aus Pretoria. “ Dort studieren Boelie und De Wet momentan an der Universität. Pérsomi steht mucksmäuschenstill bei der Hintertür an die Wand gelehnt. Sie kann ihre Augen einfach nicht von Gerbrand abwenden, weil sie immer noch nicht fassen kann, dass er wirklich hier ist.
„Wenn du vorher Bescheid gesagt hättest“, behauptet Vater, „dann hätten wir dir einen Happen Essen aufheben können. “
Wenn sie ihn nur anfassen könnte! Aber sie weiß, dass das nicht geht.
Gerbrand hebt den Deckel des Topfes hoch, der auf dem Kocher steht. Pérsomi weiß, dass darin noch ein kleiner Rest dicker Brei ist. Sie wünschte, es wäre auch noch ein Bissen Fleisch für Gerbrand übrig.
„Wie ich sehe, hat sich hier nichts verändert“, brummt Gerbrand grimmig und nimmt den Löffel, um die angebrannten Reste aus dem Topf zu kratzen. „Was stellt ihr eigentlich mit dem Geld an, das ich euch jeden Monat schicke?“
Das steckt Vater sich ein, würde Pérsomi am liebsten sagen, aber sie hält besser den Mund.
„Ich habe doch gesagt, du hättest uns Bescheid sagen müssen, dass du kommst!“, erwidert Vater mit einem bösen Stirnrunzeln. „Dann hätten wir einen Happen Essen für dich aufgehoben. Mit dem Geld müssen wir sparsam umgehen, schließlich kann ich es mir nicht aus den Rippen schneiden!“
Gerbrand wirft Pérsomi einen Blick zu. „Was habt ihr denn heute Abend gegessen?“, will er wissen.
„Brei“, antwortet Pérsomi.
„Das dachte ich mir“, entgegnet er. „Mach dich dünne, Hannapat, damit ich mich auf den Stuhl setzen kann. Und das ist meine Matratze, Sussie, weg mit deinem dicken Hintern. “
„Mama!“, schreit Sussie schrill. „Hast du gehört, was Gerbrand gesagt hat? Er sagt, dass das seine Matratze ist! Aber solange er weg ist …“
„Halt die Klappe, Sussie“, entgegnet Vater und droht ihr mit dem Zeigefinger. „Gerbrand schläft auf seiner eigenen Matratze und jetzt will ich kein Gemecker mehr hören. “
Heute Nacht braucht sie nicht an der Tür zu schlafen, denkt Pérsomi, denn jetzt ist Gerbrand ja da. Heute Abend wird sie Hannapats und ihre Matratze neben die von Gerbrand legen, dann liegt sie die ganze Nacht ganz dicht bei ihm.
Am Freitagmorgen hört Pérsomi, dass Gerbrand schon in aller Frühe aufsteht. Er lässt seine Matratze und seine Decke einfach auf dem Küchenboden liegen, steigt über die Matratze von ihr und Hannapat und geht zur schief hängenden Hintertür. Er öffnet sie und verschwindet nach draußen.
Pérsomi kriecht aus der rauen Decke heraus, ganz langsam, damit Hannapat nicht aufwacht. Dann ist sie ebenfalls draußen.
Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen ist, ist es schon einigermaßen hell. Gerbrand geht einige Schritte vor ihr her, den Weg entlang in Richtung Fluss. Gerbrand hat sich verändert, es ist so, als wäre er erwachsen geworden, denkt Pérsomi. Groß ist er schon immer gewesen, aber jetzt kommt er ihr noch größer vor. Seine dichte, rote Mähne ist ordentlich geschnitten. „Morgen gehe ich Schildkröten suchen“, hat er gestern Abend verkündet. „In dieser Jahreszeit liegen sie morgens früh in der Sonne. “
„Nun, so eine leckere Schildkröte wäre schon was Feines. Es ist ein Weilchen her, dass wir Fleisch auf dem Tisch hatten“, hat Vater geantwortet und seinen Kautabak in einem goldgelben Bogen in die Ecke gespuckt. Vater kann wirklich weit spucken. „Bei so einer Schildkröte sage ich nicht Nein, auch nicht bei einem Hasen, Springhasen oder Klippdachs, aber ein Iltis, eine Schlange oder ein Luchs? Damit kannst du mich jagen!“
„Schau doch mal, ob du nicht vielleicht irgendwo eine Honigwabe finden kannst“, hat er danach noch hinzugefügt.
Vielleicht darf ich mitgehen, wenn Gerbrand den Berg hinaufgeht, überlegt Pérsomi, während sie ihm in einigem Abstand folgt. Vielleicht dreht er sich am Fluss ja zu ihr um und sagt: „Hey, Pérsomi, hast du Lust mitzugehen? Dann kannst du die Honigwabe tragen und ich die Schildkröte. “ Und dann überqueren sie den Fluss gemeinsam.
Das wird aber nicht passieren. Gerbrand hat sie noch nie gefragt, ob sie etwas mit ihm zusammen unternehmen möchte.
Als sie sieht, dass er auf der anderen Seite des Flusses auf den Feldweg einbiegt, der quer durch das Baumstück zum Großen Haus führt, setzt sie sich auf einen flachen Felsen. Wahrscheinlich wird er Boelie und De Wet abholen wollen. Gerbrand macht sich nichts aus nervigen Mädchen.
Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als Gerbrand zurückkommt. Er trägt eine Schildkröte. Besonders groß ist sie nicht, aber Fleisch ist Fleisch, und wer nichts besitzt, hat auch keine Wahl, sagt Vater immer.
Eine Honigwabe hat Gerbrand nicht dabei.
„Gerbrand, du stellst den Topf aufs Feuer“, befiehlt Mutter, während sie sich das Baby auf die andere Hüfte setzt. „Pérsomi, du holst Wasser. Los, Sussie, nimm mal das Baby. “
„Ach, Mama, warum muss ich denn immer …“, fängt Sussie an.
In Windeseile verschwindet Pérsomi mit dem Eimer in der Hand in Richtung Fluss.
Als das Feuer brennt, marschiert Gerbrand erneut zum Berg. In sicherem Abstand folgt Pérsomi ihm und setzt sich auf eine kleine Bodenunebenheit im Schatten eines wilden Obstbaumes. Um diese Zeit des Jahres findet man an ihm keine leckeren, sauren Früchte, denn die werden erst in der Weihnachtszeit reif. Um wirklich satt zu werden, muss man immer eine Menge dieser Früchte essen, weil sie nur wenig Fruchtfleisch haben, dafür aber sehr viele Kerne.
Von ihrem Sitzplatz auf dem platten Stein unter dem Baum hat Pérsomi eine gute Aussicht. Gerbrand kann sie nicht mehr sehen, er ist sicher schon den Berg hinaufgestiegen. Aber sie sieht ein glänzendes, schwarzes Auto vor dem Großen Haus anhalten, und sie sieht Christine, die Tochter von Herrn Freddie, zusammen mit einer Freundin aussteigen.
Onkel Freddie ist der netteste von allen echten Buren, aber seine Frau, Tante Anne, ist die unfreundlichste. Um keinen Preis möchte sie jemals ein Beiwohnerkind auf ihrem Hof sehen. Sollte das einmal passieren, lässt sie einfach die Hunde auf einen los. Das jedenfalls behaupten die Elskinder, und die müssen es wissen, denn das sind schließlich die Beiwohner von Herrn Freddie.
Christine ist auch nett und obendrein sehr hübsch. Manchmal gibt sie ihnen ein paar abgelegte Kleider, doch davon weiß ihre Mutter nichts, da ist Pérsomi sich sicher. Die Kleider passen Pérsomi schon lange nicht mehr, denn Christine ist sehr klein und Pérsomi einfach nur groß. Sussie passen sie auch nicht, denn die ist dick, und Christine ist schlank. Also werden all die schönen Kleider an Hannapat weitergereicht
Nach einer Weile kommen Christine und ihre Freundin wieder aus dem Großen Haus, zusammen mit Klara, Boelie und De Wet. Sie schlagen den Fußweg ein, der in die Schlucht führt. Irene und ihre beiden Hunde sind auch dabei.
Als sie sie nicht mehr sehen kann, steht Pérsomi auf. Über einen Umweg steigt sie den Berg hinauf, den sie wie ihre Westentasche kennt. Sie weiß genau, wohin die Gruppe unterwegs ist.
Weiter oben in der Schlucht hat der Fluss einen kleinen Wasserfall gebildet. Unter dem Wasserfall gibt es einen kleinen Teich; nicht groß, aber so tief, dass man den Boden nicht sehen kann. Um diese Zeit ist er bis zum Rand mit Wasser gefüllt.
Auf einem Trampelpfad geht Pérsomi um den Berg herum und klettert dann ein Stückchen hinauf, bis sie weit unter sich den kleinen Teich sehen kann. Dort setzt sie sich auf den Boden und lehnt sich mit dem Rücken gegen einen Felsblock.
Auch Gerbrand ist jetzt dabei. Sie tollen im Wasser herum.
Pérsomi beugt sich etwas vor, um besser sehen zu können. Die jungen Frauen haben Badeanzüge an, die so aussehen wie die auf den Werbeanzeigen in der Brandwag. Es sind alles sehr gut aussehende junge Frauen, vor allem die Freundin, die mit Christine gekommen ist. Sie hat langes, dunkles Haar, lange Beine und sie trägt eine große Sonnenbrille. Sie sieht genauso aus wie die jungen Frauen auf den Bildern.
Plötzlich hört Pérsomi, wie Gerbrand laut lacht. Übermütig kreischen die jungen Frauen und das Wasser spritzt in alle Richtungen, während sie versuchen, vor ihm Reißaus zu nehmen.
Gerbrand vergnügt sich einfach so mit ihnen, als wäre er einer von ihnen.
Alles sieht so wunderbar leicht aus. Was wäre, wenn Gerbrand jetzt hochschauen würde und sie hier oben sehen könnte! Wenn er ihr doch einfach zulachen würde, so wie er mit diesen jungen Frauen dort am Lachen ist! Wenn er ihr zurufen würde: „Hey, Pérsomi! Komm doch herunter und mach mit!“ Wenn er doch …
Plötzlich schaut Klara in ihre Richtung. Pérsomi macht keine Bewegung, aber sie ist sich sicher, dass Klara sie bemerkt hat. „Komm doch auch schwimmen, Pérsomi!“, ruft sie freundlich.
Mit einem Mal spürt Pérsomi auch die Augen von Irene auf sich gerichtet. Langsam schiebt sie sich nach hinten. Als sie den kleinen Teich und die fröhliche Gesellschaft nicht mehr sehen kann, steht sie auf und geht auf demselben Weg, auf dem sie gekommen ist, wieder zurück nach Hause.
Abends sagt Gerbrand zu ihr: „Schleich dich nicht einfach heimlich hinter mir her, so als wärst du ein Schakal. Wenn du mitgehen möchtest, dann geh einfach mit. Wenn du zu Hause bleiben willst, dann bleib zu Hause. Du hast selbst einen Kopf und der ist nicht nur dazu da, damit die Ohren nicht runterfallen. “
Am Dienstag muss Gerbrand wieder zurück nach Johannesburg. Wenn ich es ihm erzählen möchte, dann muss ich es jetzt tun, denkt Pérsomi am Montagnachmittag. Und ich habe einen eigenen Kopf bekommen, also weiß ich genau, dass ich es ihm erzählen muss.
Es gibt keinen anderen, mit dem sie reden könnte, denn ihre Mutter hört ihr nicht zu.
Schließlich findet sie Gerbrand bei den Sandbänken am Fluss. In dieser Jahreszeit führt der Fluss nur noch sehr wenig Wasser, nur ein paar tiefere Wasserpfützen hier und da zwischen den Sandbänken. Wenn der Winter zu Ende ist, werden diese Pfützen nur noch Schlammflächen sein, in denen Flussbarben in Todesangst herumzucken und nach Luft schnappen.
Gerbrand hält einen Rohrstock mit einer Schnur daran in der Hand. Der Wind bewegt das Wasser, sodass sich kleine Wellen auf der Oberfläche bilden, auf denen der Korken tapfer auf und nieder wippt. Er versucht eine Flussbarbe zu angeln, vielleicht sogar einen Karpfen, vermutet sie. Sie ist mucksmäuschenstill und setzt sich neben ihn, in gebührendem Abstand, damit sie ihn nicht zufällig berührt.
Er sagt zwar nichts, aber er weiß, dass sie da ist. Da ist sie sich ganz sicher.
„Ich bin schnell weggerannt“, beginnt sie nach einer Weile das Gespräch. „In sehr vielen Nächten. “
Dass in dem Märchen von Aschenputtel kein Wolf vorkommt, erwähnt sie nicht.
Er nickt. „Gut so“, erwidert er, während er den auf dem Wasser dahintreibenden Korken nicht eine Sekunde lang aus den Augen lässt. Dann dreht er sich plötzlich um und schaut sie direkt an. „Pérsomi, ich muss dir etwas erzählen, aber das darfst du nie, nie irgendjemandem weitererzählen. “
„Gut. “ Noch nie zuvor hat er ihr ein Geheimnis anvertraut.
„Du musst erst schwören. “
Sie spuckt sich auf die Fingerspitzen, kreuzt Zeige- und Mittelfinger, legt beide Hände übereinander auf die Brust und sagt: „Ehrenwort. “
Erst schweigt er noch eine ganze Weile, sodass sie schon denkt, er werde ihr das Geheimnis doch nicht verraten, dann allerdings verkündet er plötzlich: „Papa ist gar nicht dein Vater. “
Mit einem Ruck schaut sie zur Seite. Er blickt nicht in ihre Richtung, sondern seine Augen fixieren immer noch den Schimmer aus Kork.
Das versteht sie nicht, aber er bleibt ganz ruhig und lässt sie auf eine Erklärung warten.
Dann schaut er sie geradewegs an und erklärt: „Lewies Pieterse ist ein Schwein. Es ist wichtig, dass du weißt: Er ist nicht dein Vater. “
Seine Worte dringen zunächst nicht weiter als bis an ihre Ohren, langsam allerdings dringt ihre Bedeutung zu ihr durch. Der Mann bei ihnen zu Hause, der Mann, der ihr Vater ist, ist nicht ihr Vater. Darüber ist sie weder traurig noch froh, sondern ein bisschen verwirrt und beinahe fühlt sie sich erleichtert. Vielleicht fühlt sie sich sogar … gut.
„Ist er auch nicht dein Vater?“, fragt sie mit einem Mal.
„Nein“, antwortet er. „Mein Vater ist tot. Piet und Sussie sind Kinder von Papa, ihre Mutter ist schon tot. Du und ich, wir sind Mamas Kinder. Hannapat, Gertjie und das Baby sind die Kinder von Mama und Papa. “
Einen Augenblick überlegt sie. „Haben wir beide denn denselben Vater?“, fragt sie dann.
„Nein“, entgegnet er wieder. „Mein Vater ist schon tot und der ist kein Schwein gewesen. “
Ruhelos sitzt sie da und versucht seine Worte zu verdauen. Lewies Pieterse ist nicht ihr Vater. Und ihr Vater ist nicht tot. „Weißt du denn wenigstens, wer mein Vater ist?“, will sie wissen.
„Nein. “
Dann ist ihr Vater vielleicht auch schon tot. Vielleicht aber auch nicht.
„Gerbrand“, fragt sie nach einer Weile, „kommst du noch einmal wieder und nimmst mich dann mit?“
Wieder schaut er sie direkt an. Seine Augen sind braun, so wie das Wasser zwischen den Sandbänken am Ende des Winters. „Irgendwann komme ich dich holen, Pérsomi, das schwöre ich dir“, antwortet er. „Aber zuerst musst du dein Bestes in der Schule geben, damit du einmal eine gute Arbeit findest. Dann komme ich dich holen. “
Er steht auf und geht ins Feld hinein.
Von diesem Augenblick an macht sie sich Gedanken darüber, wer ihr richtiger Vater sein könnte. Ihre Mutter darf sie nicht fragen, denn sie hat es mit der Hand auf dem Herzen geschworen. Und niemals im Leben wird sie Lewies Pieterse noch als ihren Vater betrachten.
„Kinder, an dieses Datum müsst ihr euch für alle Zeiten erinnern: den 1. September 1939“, eröffnet ihnen Meister Lampbrecht am Dienstagmorgen nach dem Frühlingstag, an dem schulfrei war. „Letzte Woche Freitag, also am 1. September, ist Deutschland in Polen einmarschiert. “
„Das ist eine alte Geschichte“, erwidert Irene schnippisch. „Wir haben das alles schon im Radio gehört, das ganze Wochenende haben sie nichts anderes gebracht. Jetzt ist Krieg. “
Krieg? Pérsomi schreckt auf. So wie damals, als die Engländer die Frauen und Kinder der Buren in Konzentrationslager gesperrt haben?
„Irene, halt doch wenigstens einmal deinen Mund“, ermahnt sie der Meister müde. „Und melde dich bitte, wenn du etwas sagen möchtest. “
Dann geht er zu der Weltkarte, die über den Schulbänken der siebten Klasse an der Wand hängt. Er zeigt ihnen, wo Südafrika liegt. Das weiß die ganze Klasse schon lange, sogar die fünfjährigen Kinder wissen das. Dann zeigt er ihnen, wo England liegt. Auch das weiß schon jeder.
„Dieses Land hier ist Polen und das ist Deutschland“, bedeutet ihnen der Meister mit seinem Stock. „Und vergangenen Freitag“ - er deutet mit seinem Stock in das Zentrum von Deutschland und lässt die Spitze langsam nach Polen gleiten - „ist Deutschland in Polen einmarschiert. “
„Und jetzt wollen die Khakies gegen die Deutschen kämpfen“, plaudert Irene wieder aus dem Nähkästchen. „Mein Bruder Boelie sagt …“
„Irene Fourie!“, verwarnt sie der Meister böse.
„Ich finde es halt interessant, was so in der Welt passiert“, entgegnet Irene scheinheilig.
Daraufhin wirft ihr der Meister einen Blick zu, vor dem Pérsomi vor Scham am liebsten unter die Bank gekrochen wäre. Irene aber macht sich nichts daraus, sie reckt einfach die Nase nach oben und erwidert seinen Blick. Pérsomi sollte es nur einmal wagen, so mit Lewies zu reden …
„England hat Deutschland tatsächlich ein Ultimatum gestellt“, fährt der Meister fort, während er mit seinem Stock auf England deutet.
„Was ist das?“, fragt Lettie Els und zieht dabei geräuschvoll die Nase hoch.
„Das ist eine Botschaft, eine Warnung. Wenn sich Deutschland nicht sofort aus Polen zurückzieht, dann wird England gegen Deutschland Krieg führen. “
Pérsomi stockt der Atem. Das hört sich so an, als sei es allen todernst mit dem Krieg.
Der Meister wendet sich wieder der ganzen Klasse zu. „Bis Sonntag haben sich die Deutschen nicht um die Engländer geschert. Das bedeutet, dass sich beide Großmächte jetzt im Kriegszustand befinden. “
Mit ausgestrecktem Arm springt Irene plötzlich von ihrer Bank auf. Dabei schnipsen ihre Finger in der Luft. Noch bevor der Meister sie drannehmen kann, schreit sie die Nachricht durch die Klasse: „Und dann hat sich Smuts gegen Hertzog durchgesetzt und jetzt ist die Südafrikanische Union auch in den Krieg geschlittert und mein Bruder Boelie sagt, dass er damit nichts zu tun haben will …“
„Irene Fourie, setz dich hin und halt den Mund“, entgegnet der Meister müde.
Dabei streicht er sich mit seiner Hand, die voller Sommersprossen ist, durch sein dünnes Haar. „Die Union befindet sich jetzt auch im Krieg, das stimmt, aber zum Glück werden wir hier im Bosveld nicht viel davon mitbekommen. Und jetzt packt eure Rechenbücher aus. “
„Wollen Sie uns nicht zuerst noch eine biblische Geschichte erzählen?“, fragt Irene unschuldig.
Den Meister macht Irene entsetzlich müde, denkt Pérsomi. Er ist aber auch schon sehr alt.
Am Nachmittag versucht Pérsomi ihrer Mutter vom Krieg zu erzählen, doch die erwidert nur: „Ach, Pérsomi, hör doch auf mit diesem Geschwätz. Geh lieber einen Eimer Wasser holen. “
„Du auch immer mit deinen Schauergeschichten“, ärgert Sussie sie, während sie mit einem Eimer in der Hand den Weg zum Fluss einschlägt.
Am Abend kommt Lewies erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause. Als er fast die Kerze auf dem Tisch umwirft, schaut Pérsomi erschrocken auf.
„Ich komme gerade von Attie“, erklärt er mit dicker Zunge. „Es ist Krieg. Die Khakies haben schon wieder Krieg angefangen. Und es sieht so aus, als ob dieser Dummkopf Smuts auch bei der Keilerei dabei sein möchte, dieser elende Khakiefreund. “
„Smuts?“, fragt Mutter verwirrt.
„Der General und der Ministerpräsident, du Schwachkopf“, antwortet Lewies ungeduldig. „Bekomme ich hier noch was zu beißen oder soll ich heute hungrig ins Bett?“
Hastig macht sich Mutter am Kocher zu schaffen. „Oh, aber ich dachte, dass Hertzog …“ Ängstlich hält sie lieber den Mund.
„Euereins kann doch gar nicht denken, dafür seid ihr doch viel zu schwer von Begriff. “
„Ich bin nicht schwer von Begriff!“, keift Mutter zurück. Da bekommt sie sofort einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf. „Halt die Klappe, Mann“, schimpft Lewies.
Dann fängt er an, in seinen Taschen herumzuwühlen. „Komm mal her zu deinem Papa, Sussi, mein liebes Mädchen, schau mal, was ich dir mitgebracht habe. “
Jetzt bekommt Sussie ein paar Süßigkeiten. Das weiß Pérsomi.
In der Nacht schlafen die drei kleinen Schweinchen in dem Haus aus Stein, das dem schlausten Schweinchen gehört.
Der Wolf kommt und schnaubt und bläst.
Dann fängt Sussie an zu weinen
und das schnellste Schweinchen rennt schnell weg.
„Schwein!“, denkt Pérsomi am nächsten Tag, aber sie sagt nichts, weil sie keine Ahnung hat, was genau geschehen ist. Allerdings: Ihr Kopf weiß es, aber das Wissen friert ein, bevor es in Worte gefasst werden könnte.
Als Pérsomi eines Morgens aufwacht, spürt sie mit einem Mal, dass etwas furchtbar falsch ist. Und sie sieht es auch.
„Mama!“, schreit Sussie schrill. „Pérsomi hat Oma zu Besuch!“
„Auch das noch!“, erwidert ihre Mutter, während sie sich den Pullover über den Kopf zieht. „Sussie, zeig Pérsomi, was sie machen muss. Ach du liebe Güte, eine Frau zu sein, ist schon ein Elend. “ Mutter dreht Pérsomi zu sich hin und schaut sie sehr ernst an. „Von heute an machst du einen Bogen um die jungen Kerle und die Männer. Einen großen Bogen! Hast du mich verstanden?“
„Ja, Mama“, antwortet Pérsomi und dann folgt sie Sussie zum Fluss. Hinter ihren Augen fühlt sich ihr Kopf immer noch vor Schreck wie taub an.
Am Fluss betrachtet sie das ganze Ritual. Sie kommt sich furchtbar unnütz vor; es ist dasselbe Gefühl, wie wenn sie nachts aufwacht und die Hintertür nicht finden kann.
„Aber … warum denn?“, will sie wissen.
„Wenn das nicht mehr kommt, bekommst du ein Baby“, antwortet Sussie.
„Und woher weißt du das?“, fragt Pérsomi ungläubig.
„Ich weiß es einfach, und jetzt hör auf herumzujammern“, antwortet Sussie.
Erst der Krieg und jetzt auch noch das, denkt Pérsomi, während sie hinter Sussie wieder nach Hause zurückgeht.
Es ist Krieg. Schon in der ersten Woche sieht Pérsomi sämtliche Berichte darüber in der Zeitung. Mit Fotos und allem.
Mit einem Mal ist die Zeitung interessant geworden. Sie kann es kaum erwarten, bis es Montag ist und sie die Zeitungen der vergangenen Woche abholen kann. Mit dem ganzen Stapel unter dem Arm geht sie dann zur dritten Reihe der Apfelsinenbäume. Dort setzt sie sich auf den flachen Boden und sortiert die Zeitungen zuerst nach Datum, sonst kommen die Berichte durcheinander.
Dann fängt sie an zu lesen. Eine neue Welt tut sich vor ihr auf.
Die Khakies sind immer noch an allem schuld, das versteht sie sehr gut. Und General Smuts ist ein echter Burenverräter, ein wahrer Khakiefreund, das wird ihr auch schnell klar. Jeder, der sich diesem Krieg anschließt, jeder, der dem größten Feind der Buren, dem britischen Empire, zu Hilfe kommt, ist ein Landesverräter.
Zu Hause dürfen sie nicht über die Landesverräter reden, denn dann wird Lewies furchtbar wütend.
Der Transvaler sagt noch hässlichere Dinge über Smuts als das Vaderland, obwohl dort die Berichte über den Krieg exakt dieselben sind.
Innerhalb weniger Wochen werden die Berichte langsam weniger, so als ob der Krieg schon zu Ende wäre. „Warte nur ab“, antwortet der Meister, als sie ihn danach fragt. „Deutschland ist dabei, sich gründlich einzugraben. Danach zaubern sie ihr Kaninchen aus dem Hut und dann werden sie uns zeigen, wer der Chef ist. “
Der Meister mag zwar schon sehr alt sein, aber er ist sehr klug. Auf Pérsomis Fragen hat er immer eine Antwort parat. Allerdings gibt es auch Dinge, die sie ihn nicht fragen kann. Bei ihnen zu Hause, wo die Finsternis wie eine Decke über allem liegt, ist es auch noch nicht vorbei.
Und Rotkäppchen ist auch nur ein Märchen
und es kommt nie ein Holzfäller vorbei, um den Wolf zu töten.
Gerbrand kommt auch nicht zurück. „Ich wünschte mir so, dass er einmal für ein paar Tage nach Hause kommt“, sagt Pérsomi, während sie ihrer Mutter am Fluss mit der Wäsche hilft.
„Gerbrand wird irgendwann schon wieder bei uns aufkreuzen, hör also auf zu jammern“, erwidert ihre Mutter. „Vielleicht schon an Weihnachten. Du weißt doch, wie er ist. “
Ja, sie weiß, wie er ist, ihr großer Bruder. Eines Abends taucht er vermutlich wieder einfach so auf, wenn sie wie üblich draußen sitzt und nach den Sternen schaut.
Weihnachten kommt und geht.
Aber Gerbrand kommt nicht.
Lewies redet weiter über den Schatz, der irgendwo an der Grenze zwischen der Farm von Herrn Fourie und der von Herrn Freddie le Roux vergraben sein muss.
Als die Schule im Jahr unseres Herrn 1940 wieder beginnt, ist Gottlieb Joachim Stoltz ebenfalls verschwunden. Vielleicht sucht er sich eine Arbeit, vielleicht bohrt auch sein Vater jetzt woanders seine Löcher.
Auch Faansie Els ist nicht mehr in ihrer Klasse. Er ist im fünften Schuljahr sitzengeblieben. Jetzt geht er nicht mehr länger auf die Schule, verkündet Onkel Attie, sondern soll auf der Farm helfen.
Ich weiß nicht, was er da arbeiten muss, denkt Pérsomi. Das Stückchen Land, das die Familie Els auf der Farm von Onkel Freddie le Roux bewirtschaftet, ist auch nicht besser als ihr eigener wertloser Grund und Boden.
Das bedeutet aber, dass Pérsomi und Irene nun die einzigen Kinder in der achten Klasse sind. Und es bedeutet, dass sie beide jeweils wieder eine Bank für sich allein haben.
„Das ist mein letztes Jahr auf dieser blöden Schule“, hat Irene schon am ersten Tag verkündet. „Im nächsten Jahr gehe ich im Dorf auf die Schule. “
Ich weiß noch nicht, was ich im nächsten Jahr mache, denkt Pérsomi im Stillen. Gerbrand hatte von der Sozialkasse ein Stipendium bekommen, damit er auf die Dorfschule gehen konnte. Und ihre Noten sind besser, als seine es jemals waren, das weiß sie genau. Aber er ist auch ein Junge und sie ein Mädchen. Lewies sagt die ganze Zeit, dass sie im nächsten Jahr auch nach Johannesburg gehen soll. Das Geld, das sie dort verdienen wird, kann sie dann nach Hause schicken, denn ihre Mutter könnte es gut gebrauchen. Piet und Gerbrand sollen die Augen aufhalten, damit sie eine passende Stelle für sie finden, sagt Lewies.
Gerbrand schickt immer noch jeden Monat Geld, aber er sagt nicht, wann er wieder einmal zu Besuch kommen wird. Wenn sie einen Brief beim Großen Haus abgeholt hat, gibt sie ihn sofort ihrer Mutter. Zusammen halten sie ihn über heißen Wasserdampf, holen das Geld heraus, kleben ihn wieder zu und geben ihn dann Lewies. Meistens sorgt er jedoch dafür, dass er selbst die Post holt.
Und wer hat Angst vor dem großen, bösen Wolf?
Das ist kein Kinderspiel.
Zum Glück kann sie schnell rennen.
Der Wolf wird sie niemals zu fassen bekommen.
Erst im Herbst des Jahres 1940, als die Blätter an den Bäumen anfangen, gelb und rot zu werden, flammt der Krieg in Europa wieder auf. Am 10. April ist Deutschland in Dänemark und Norwegen einmarschiert, liest Pérsomi in einer der Zeitungen der letzten Woche. Deutschland hat diesen Ländern ein Ultimatum gestellt, in dem es gefordert hat, sie sollten sich unverzüglich in die Obhut des Deutschen Reiches begeben.
Ein Ultimatum ist eine Botschaft, das weiß sie noch. „Ein Ultimatum gestellt“, das sind schöne Worte, findet sie, das klingt gut. Dann schlägt sie die Zeitung des darauffolgenden Tages auf, in der geschrieben steht, dass sich Dänemark ohne den geringsten Widerstand - ohne dass auch nur ein Schuss gefallen ist - ergeben hat. Auch das ist schön gesagt, „ohne den geringsten Widerstand“. Der Autor passt seine Worte dem Krieg an.
Norwegen leistet Widerstand, liest sie weiter, doch alle seine Häfen, Flughäfen, Regierungsgebäude, Radiostationen und Bahnhöfe werden jetzt durch die Nazis besetzt.
Wer die Nazis sind, weiß sie nicht so genau. Sie betrachtet sich die Fotos. Darunter steht: „Wie Raupen kriechen Hitlers Panzereinheiten über die Ebenen Norddeutschlands nach Westen. “ Sie faltet die beiden Teile des Artikels sorgfältig zusammen und versteckt sie im Apfelsinenbaum. Morgen früh wird sie sie wieder herausholen und in die Schule mitnehmen. Dort will sie den Meister fragen, wer die Nazis sind, und ihm auch zeigen, wie schön der Herr von der Zeitung schreiben kann.
Am 10. Mai fällt Deutschland auch in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg ein. Der Meister erzählt es ihnen am darauffolgenden Tag und zeigt ihnen auf der Karte, wo diese Länder genau liegen.
„Gestern Abend haben sie im Radio gesagt, dass das das Ende des ‚Sitzkrieges‘ sei, in dem sich Deutschland acht Monate lang ziemlich passiv verhalten hat“, erzählt der Meister, als spräche er mit sich selbst. „Sie sagen jetzt, dass nun der ‚Blitzkrieg‘ beginnt und dass das deutsche Heer jetzt zuschlagen wird. “
Zwar versteht Pérsomi nicht, was er damit meint, aber sie lässt es sich nicht anmerken.
„Und was wird dann aus uns, Meister?“, fasst sie ihre nächtlichen Sorgen in Worte.
„Was soll schon mit uns werden, wir sind viel zu weit davon entfernt. Der Krieg kann hier nicht herkommen“, antwortet er mit seiner gebrochenen Stimme.
Als Irene nach der Pause wieder den Klassenraum betritt, will sie umgehend wissen: „Na, hast du dich wieder schön bei dem Meister eingeschleimt? Bekommst du so die besten Noten von allen?“
Zu dieser Zeit entdeckt Pérsomi, dass mit Sussie irgendetwas nicht in Ordnung ist. Mit Epilepsie hat es nichts zu tun, es ist etwas anderes. Sie beobachtet sie eine Woche lang ganz genau, und dann weiß sie es mit Sicherheit: Irgendetwas ist ganz und gar nicht in Ordnung und so geht sie zu ihrer Mutter, die am Fluss die Wäsche wäscht, und kniet sich neben sie. Sie greift nach dem erstbesten Wäschestück und knetet den sauberen Flusssand in Hannapats blaue Schürze. „Schau einmal, da an der Vorderseite, der Fleck muss raus“, weist ihre Mutter sie an.
„Mama, was ist mit Sussie los?“, fragt Pérsomi unvermittelt.
Ihre Mutter schreckt auf, ihre Augen sind voller Entsetzen. „Ach du liebe Güte, Pérsomi, mit Sussie ist gar nichts. Was sind das jetzt wieder für Hirngespinnste? Hast du denn nichts Besseres zu tun, als hier irgendeinen Unsinn zu verzapfen?“
Wütend reibt Pérsomi auf dem Fleck auf Hannapats Schürze herum. Nach einer Weile erwidert sie: „Sussie bekommt ein Baby, so viel ist mir schon klar. “
Wieder schnellt der Kopf ihrer Mutter mit einem Ruck in die Höhe. „Ach du liebe Güte, Pérsomi, was ist das denn für ein dummes Geschwätz …?“
„Ich bin doch nicht schwer von Begriff. Und meinen Kopf habe ich nicht nur, damit die Ohren nicht herunterfallen“, entgegnet Pérsomi trotzig. „Ich weiß doch, wie du ausgesehen hast, kurz bevor Gertjie und das Baby geboren wurden, und wie Tante Sus ausgesehen hat, bevor der kleine Hessie geboren wurde, der später gestorben ist. “
Ihre Mutter lässt sich auf den Boden sacken und schließt die Augen. „Ach du liebe Güte, Kind“, erwidert sie. „Hast du mit irgendjemandem darüber gesprochen?“
Mit wem hätte ich denn darüber sprechen sollen?, fragt Pérsomi sich selbst. „Nein, Mama, ich wollte zuerst mit dir darüber reden. Hast du denn gewusst, dass Sussie ein Baby bekommt?“
Ihre Mutter lässt den Kopf hängen und streicht sich mit ihren nassen Händen durchs Haar. „Ja, Pérsomi, ich habe es die ganze Zeit gewusst“, antwortet sie nach einer Weile. „Aber wir dürfen auf keinen Fall darüber reden. Wenn Herr Fourie das mitbekommt, jagt er uns von seinem Land. Und wo sollen wir dann hingehen?“
Pérsomi schrubbt den Kragen von Hannapats blauer Schürze. „Warum sollte Herr Fourie uns wegjagen, nur weil Sussie ein Baby bekommt?“, fragt sie.
„Ach du liebe Güte, Kind, jetzt hör doch auf, davon zu reden. Halt einfach den Mund“, entgegnet ihre Mutter, während sie das Hemd äußerst kraftvoll auf einen Felsblock schlägt. „Kapiert?“
„Ja, Mama. “
Als sie die blaue Schürze aus dem Wasser zieht; sieht sie wieder einigermaßen sauber aus.
„Wir Frauen sind für dieses harte Leben nicht geschaffen“, behauptet ihre Mutter und nimmt sich eine der Babywindeln. „Es ist hart. Das kannst du mir glauben!“
Pérsomi hört nur noch mit halbem Ohr hin. Sie nimmt Lewies’ Khakihose und reibt sie langsam mit Sand ein. „Mama, wie geht das, dass Sussie jetzt ein Baby bekommt, wenn …“
„Halt die Klappe, Pérsomi!“, entgegnet ihre Mutter barsch. „Ich will kein Wort mehr darüber hören, sonst sage ich es deinem Vater und dann setzt es was mit dem Gürtel, hast du kapiert?“
Und deshalb erzählt sie niemandem von der Sache mit Sussie. Nicht wegen des Gürtels, sondern weil Herr Fourie sie sonst von seinem Hof jagt.
Denn ein anderes Zuhause haben sie ja nicht.
Noch bevor die Junikälte über das Bosveld kriecht, sind die Raupenschwärme der Nazis in die gesamten Niederlande und nach Belgien hineingerollt, bis an die französische Grenze. Am Montag bringt der Meister selbst eine Zeitung für Pérsomi mit. Englische, französische und belgische Truppen sitzen in der Nähe des Hafens von Dünkirchen in der Falle, liest sie. Hunderttausende von Soldaten. Gestrandet. Ohne Vorräte.
Zwei Tage später berichtet ihnen der Meister, was er im Radio gehört hat: In der vergangenen Nacht hätten Boote und Schiffe aller Größen und Sorten in einer beinahe übermenschlichen Anstrengung rund eine Viertelmillion englische Soldaten gerettet. Einfache Fischerboote seien aus England über die große, raue See nach Frankreich hinübergefahren, um die Menschen zu retten.
„Das war doch sehr mutig von ihnen, nicht wahr, Meister?“, will Pérsomi wissen.
„Sicher“, antwortet der Meister. „Es heißt nicht umsonst: Britannia rules the waves - Britannien regiert die Wellen. Und doch bleiben sie unsere Feinde, Pérsomi. “
Zwei Wochen später liest sie in einer der Zeitungen aus dem Großen Haus, dass die ersten südafrikanischen Truppen nach Britisch-Ostafrika verlegt worden sind, nach Kenia. Von dort aus sollen sie gegen die Italiener in Abessinien kämpfen.
Am nächsten Tag sucht sie auf der Karte an der Wand des Klassenzimmers die entsprechenden Länder. „Sind wir jetzt auch am Krieg beteiligt, Meister?“, fragt sie besorgt.
„Das sind nicht unsere Leute, Pérsomi“, antwortet der Meister ruhig, während er sich durch das schüttere Haar streicht. „Nur Engländer werden Rotlitzen. “
„Was sind denn Rotlitzen, Meister?“, fragt sie mit gerunzelter Stirn.
„Die jungen Männer, die sich der Armee anschließen, oder eigentlich nur die Soldaten, die auch wirklich an die Front gehen, die haben alle eine rote Litze auf ihren Schultern, auf den Schulterklappen“, erklärt der Meister. „Aber Sorgen brauchst du dir wirklich keine zu machen, hörst du? Unsere Leute sind davon nicht betroffen. “
In der zweiten Woche der Juliferien verkündet Lewies eines Morgens: „Heute müssen die Frauen das noch einmal aufhacken. Ich kann hier schließlich nicht alles allein machen, und Herr Fourie hat gesagt, dass ich in dieser Woche schauen soll, ob die Zäune alle in Ordnung sind. “
Jeremia liegt schon lange knietief unter der Erde, gleich neben der Schlucht; bis zum bitteren Ende ist er faul und bockig geblieben. „Jetzt kann ich mir wegen diesem blöden Esel auch noch einen krummen Rücken graben“, hat Vater geschimpft, als Herr Fourie ihnen aufgetragen hat, den Esel zu begraben.
Das Stück Land, das sie bearbeiten müssen, ist steinhart und knochentrocken. Zuerst haben sie es mit dem Pflug probiert. Pérsomi und Hannapat haben ihn von vorn gezogen, während Mutter versucht hat, die einzige Pflugschar in den Boden zu drücken. Aber das hat gar nicht geklappt. Jetzt haben Pérsomi und ihre Mutter jede eine Schaufel in der Hand und Hannapat arbeitet mit der Heugabel. Mit ihrem ganzen Gewicht lehnt sie sich darauf, um die beiden Zinken in die Erde zu bekommen.
Wenn nur Gerbrand hier wäre … Aber der arbeitet nun einmal in den Bergwerken von Johannesburg.
Sussie sitzt an die Rückwand gelehnt in der Sonne, die Beine lang ausgestreckt und die Füße weit auseinander. Dort sitzt sie schon fast einen Monat lang. Bald ist es so weit.
Aber darüber spricht niemand, weil es niemand wissen darf.
Als sich die Sonne hoch an den Mittagshimmel gearbeitet hat, ist der Flecken knochentrockener Erdklumpen zur Hälfte umgepflügt und das Weiche des Ackers liegt der Sonne zugewandt. In diesem Augenblick hört Pérsomi etwas an der Vorderseite des Hauses. Sie legt die Schaufel hin und rennt zum Haus. Dort bleibt sie stocksteif stehen. An der Vordertür steht Klara. Sie hat Semesterferien und ist im Augenblick zu Hause, genauso wie Boelie und De Wet. Aber Klara kommt sonst nie hierher!
Und Sussie sitzt dort ganz und gar unverborgen auf der anderen Seite …
„Hallo, Pérsomi, ist deine Mutter hinter dem Haus?“, fragt Klara und beginnt, um das Haus herum zu gehen. Langsam läuft Pérsomi hinter ihr her. Sie merkt, dass Klara Sussie sieht und bei ihrem Anblick erschrickt. Und sie merkt auch, dass ihre Mutter erschrickt.
Nur Sussie sitzt weiterhin da, als ginge sie das alles nichts an.
Dann hört sie Klara sagen: „Guten Morgen, Tante Jemima. “
„Ja, Klara?“, antwortet Mama und bewegt sich dabei kein bisschen.
Klara scheint sich nicht wohlzufühlen. „Es ist schön, von der Universität wieder zu Hause zu sein“, sagt sie.
„Ja“, entgegnet Pérsomis Mutter.
Schweigen. Dann sagt Klara: „Es ist schön hier auf der Farm. “
„Ja“, erwidert Pérsomis Mutter.
Eine Taube beginnt zu gurren. Sehr laut.
„Ich habe einen Brief dabei, er ist von Gerbrand“, verkündet Klara.
„Vielen Dank“, entgegnet Pérsomis Mutter und hält ihre Hand hin. Den Umschlag macht sie aber nicht auf, sondern stopft ihn sich in die Schürzentasche.
„Ich habe auch noch eine Nachricht von Gerbrand“, ergänzt Klara und fährt sich dabei mit der Zunge über die Lippen, so als ob sie trocken wären.
Die Taube gurrt immer weiter.
„Was hat Gerbrand denn gesagt?“, will Pérsomi wissen. „Kommt er bald wieder zu Besuch?“
„Irgendwann schon, aber noch nicht so bald“, antwortet Klara. „Gerbrand lässt ausrichten, dass es ihm sehr gut geht. Inzwischen arbeitet er gar nicht mehr in einem Bergwerk. Das tut ihm sehr gut, denn die Minengänge haben ihm sehr zu schaffen gemacht. “
Pérsomis Mutter schlägt sich die Hand vor den Mund. „Dann hat er seinen Job verloren?“
„Nein, er hat immer noch Arbeit, Tante Jemima“, erwidert Klara, während sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert.
Pérsomi merkt, wie sich ihr Bauch zusammenzieht. Zuerst hat Klara Sussie gesehen und jetzt sieht es so aus, als hätte sie schlechte Nachrichten für sie. „Wo arbeitet er denn jetzt?“, fragt sie geradeheraus.
Klara wirft ihr einen Blick zu. „Er hat sich freiwillig gemeldet … er ist in die Armee eingetreten und ist Soldat geworden, Pérsomi. “
Sofort tauchen die Raupenschwärme, die sie auf den Zeitungsfotos gesehen hat, vor Pérsomis geistigem Auge auf. Sie sieht die gebückten, schreienden Soldaten mit den Gewehren in den Händen und den runden Stahlhelmen auf dem Kopf, sie sieht die Bomben … „Er ist was?“, fragt ihr Mund von ganz allein.
Klara schaut wieder Pérsomis Mutter an. „Er ist nun in der Armee, Tante Jemima. Er … findet das wunderbar, sehr viel besser als die Bergwerke. Der Sold ist auch …“
Inzwischen ist Pérsomis Mund staubtrocken. In der Armee? Zusammen mit dem Feind? „Und wo ist er jetzt?“, will sie wissen.
„Er hat gesagt, dass ihr euch keine Sorgen machen sollt. Und er lässt euch schön grüßen. “
Die Taube ist verstummt und Hannapat starrt bewegungslos die Zinken ihrer Heugabel an, die nackten Füße zwischen den trockenen Klumpen. Sussie sitzt regungslos an die Wand gelehnt, ihre plumpen Füße vor sich ausgestreckt. Nur der trockene Husten von Gertjie unterbricht die Stille.
„Aber wo ist er jetzt?“, fragt Pérsomis Mutter mit einer seltsamen Stimme.
„Ich soll euch von ihm ausrichten“ - Klara holt tief Luft - „dass er in dieser Woche nach Kenia verschifft wird. Zusammen mit den übrigen Truppen. “
Diese Worte treffen Pérsomi wie ein Schlag ins Gesicht. Sie sausen ihr durch die Ohren und durchlöchern ihren Körper. Gerbrand … Kenia …
Dann rennt sie weg. Ihre Füße fliegen über die umgegrabenen Klumpen, über die vertrockneten Grasstoppeln, die losen Kieselsteine und dicken Sandklumpen. Sie rennt vor den erschrockenen Augen ihrer Mutter davon, vor den verständnislosen Blicken Hannapats und vor Sussie, die einfach nur dasitzt. Sie rennt weg von dem Haus mit der schief hängenden Hintertür, weg von dem ausgemergelten Hund, der scharrt und leckt, weg von Gertjie, der an der Hintertür steht und hustet.
Sie rennt vor Klaras Stimme davon.
Doch die Worte kommen mit.
Sie rennt ihren Berg hinauf, den steilen Abhang entlang und über das felsige Plateau. Sie rennt um den Pavianfelsen herum, an dem wilden Feigenbaum vorbei, der sich so verzweifelt an dem kleinen bisschen Erde festklammert, durch die kleine Schlucht hindurch, in der Gerbrand immer Honig gefunden hat.
Doch die Worte rennen mit.
Die Sonne brennt ihr auf die nackten Arme, ihr Atem brennt ihr in den Lungen, ihre Zunge brennt vor Durst in ihrem ausgetrockneten Mund, ihre Fußsohlen brennen wegen der Steine und Dornen.
Aber die Worte gehen mit. Sie brennen ihr ein Loch in den Körper, bis ihr Herz bloßliegt.
Unter einem überhängenden Felsen sackt sie in sich zusammen. Sie kann nicht mehr.
Die Worte werden zu Zeitungsfotos.
Nach einer ganzen Weile legt sie sich auf den Rücken. Die Sonne sinkt tiefer und tiefer und erwärmt die Erde und die Steine um sie herum. Der Himmel ist blau und durch die Zweige des wilden Feigenbaums ist nur ein einziges, kleines Schleierwölkchen zu erkennen. Klaras Worte und die Fotos in der Zeitung des Meisters fließen zu einem großen Bild zusammen mit Gerbrand in der Mitte.
Gerbrand, ihrem großen Bruder.
Ein Mal, vor langer, langer Zeit, hat Gerbrand sie getröstet. Er hat ihr die ganze Zeit übers Haar gestrichen und dabei gesagt, sie solle nicht weinen, weil er nicht wüsste, was er mit einem weinenden Mädchen anfangen solle. Dann hat sie damit aufgehört, und er hat ihr noch ein weiteres Mal über den Kopf gestrichen. „Nicht mehr weinen, hörst du!“, hat er ihr eingeschärft und ist aufgestanden.
„Gut“, hat sie geantwortet. „Streichelst du mir noch einmal den Kopf?“
„Nein“, hat er entgegnet. „Jetzt ist alles in Ordnung. “ Und dann ist er weggegangen.
Noch Tage später hätte sie am liebsten geweint, nur damit er sie wieder berührt, doch das hat sie nicht getan, weil sie es ja versprochen hatte.
Seitdem hat er sie nie wieder berührt.
Und jetzt ist er in den Krieg gezogen. Diese Worte lassen sie nicht mehr los.
Als die Sonne schon tief steht, geht Pérsomi zur Quelle und trinkt genügend Wasser. Dann sucht sie sich einen flachen Stein und gräbt damit eine flache Mulde in den warmen Sand unter dem überhängenden Felsen. So kriecht sie in den Berg hinein.
Das Bild aus Worten und Fotos schiebt sich vor die Sonne, verfinstert den blauen Himmel und bleibt als gebrochener Mond in den Zweigen des Baumes hängen. Zusammen mit der Dunkelheit kommt auch die Kälte und sie hat nichts, um sich davor zu schützen. Doch selbst die eisige Kälte kurz vor Sonnenaufgang kann die Worte nicht aus ihr vertreiben.
Sie sieht, dass es hell wird. Sie hört, wie die ersten Paviane wach werden. Erst als die Sonne wieder vom Himmel brennt, legt sich der Schlaf wie eine warme Decke um sie.
Als sie aufwacht, sieht sie ihn auf einem flachen Stein sitzen. Ganz in der Nähe. Regungslos.
Sie weiß, wer er ist. Schließlich kennt sie ihn, schon so lange sie sich erinnern kann. Das ist der älteste Sohn von Herrn Fourie.
Er hat sie mit seiner Jacke zugedeckt und sitzt nun mit dem Rücken zu ihr.
„Boelie?“, sagt sie leise.
Er dreht sich nicht um, sondern starrt weiter in die Ferne zum Horizont. „Hast du Hunger?“, will er dann wissen.
Hunger? Sie hat keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man keinen Hunger hat.
„Ja. “
Aus seiner Hosentasche holt er zwei Stücke Bauernzwieback. „Hier“, sagt er und reicht den Zwieback nach hinten. Immer noch würdigt er sie keines Blickes.
Plötzlich sind Klaras Worte wieder da und sorgen dafür, dass ihr der trockene Zwieback in der Kehle stecken bleibt.
„Gerbrand zieht in den Krieg“, eröffnet sie ihm nach einer Weile.
„Ja“, erwidert er.
Sie betrachtet seinen Rücken. Er hat einen breiten Rücken, genau wie Gerbrand. Sein Khakihemd spannt sich darüber.
„Der Meister hat gesagt, dass unsere Leute nicht mitkämpfen werden“, erklärt sie.
„Der Meister hat recht. “
Sie schweigt eine ganze Weile. Schließlich will sie wissen: „Boelie, warum ist Gerbrand dann gegangen?“
Er dreht sich um. Zum ersten Mal schaut er sie an. Er hat dunkle Augen, ihre Farbe erinnern sie an die Farbe des Wassers zwischen den Sandbänken im Spätsommer. „Hast du heute Nacht gefroren?“, fragt er.
Die Kälte der Nacht steckt ihr immer noch in den Knochen. „Klara hat gesagt, dass er es da besser hat als in den Bergwerken, stimmt das?“, will sie in fragendem Ton wissen.
Wieder wendet er ihr den Rücken zu und starrt über die Ebene weit unter ihnen. „Diese Scheißkhakies mit ihrem Scheißkrieg“, brummt er dann.
„Scheißkhakies“, wiederholt sie.
Er steht auf. „Du darfst nicht solche hässlichen Worte sagen, du bist ein Mädchen“, weist er sie zurecht. „Gehst du jetzt nach Hause? Deine Mutter macht sich Sorgen. “
„Gleich. “
„Gut“, erwidert er und läuft langsam den Berg hinunter.
Dabei vergisst er seine Jacke. Sie rollt sich zu einem kleinen Bündel zusammen und der raue Stoff liegt warm und tröstend auf ihr.

Autor/in
Irma Joubert
KURZ:
Irma Joubert ist Historikerin und lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehrerin. Nach ihrer Pensionierung fing sie mit dem Schreiben an. Über ihre Heimat hinaus haben sich ihre Romane auch in den Niederlanden, den USA und in Deutschland zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
LANG:
Irma Joubert lebt in Südafrika. Sie studierte Geschichte an der Universität von Pretoria und war fünfunddreißig Jahre lang Lehrerin an einem Gymnasium. Nach ihrer Pensionierung begann sie mit dem Schreiben. Die Historikerin liebt es, gründlich zu recherchieren und ihre Romane mit detailreichen Fakten zu untermauern. In ihrer Heimat und den Niederlanden haben sich ihre historischen Romane zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
Kundenstimmen
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Das ist eine, die weiß, was sie tut
"Ich werde etwas aus meinem Leben machen. Ich werde später auch in einem richtigen Haus wohnen und gut kochen und die weichen Körper von meinen Kindern in einer warmen Badewanne mit einer gut riechenden Seife waschen. Ich werde mir später einen guten Beruf suchen und einen Mann heiraten, der gut für mich
Das große, dünne Beiwohnerkind Pérsomi Pieterse aus Bosveld, Südafrika, weiß bereits in sehr jungen Jahren ganz genau, was sie möchte. Und sie besitzt die Hartnäckigkeit, den notwendigen Ehrgeiz und eine große Intelligenz, um ihre hoch gesetzten Ziele zu erreichen. Aufgewachsen in bitterster Armut in einer ärmlichen Hütte ist sie bereits in sehr jungen Jahren gezwungen, vor Gericht gegen ihren Stiefvater auszusagen, der ihre kleine Schwester mehrfach vergewaltigt und geschwängert hat. Bereits zu diesem Zeitpunkt schwört sich Pérsomi, Rechtsanwältin zu werden und als Erwachsene dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Durch die jahrelange finanzielle Unterstützung ihres leiblichen Vaters, dessen Identität Pérsomis Mutter unter keinen Umständen preiszugeben bereit ist, erhält das zielstrebige kleine Mädchen die Möglichkeit, Schulbildung zu erfahren. Pérsomis Fleiß und ihre harte Arbeit machen sich bezahlt und als ausgezeichnete Schülerin kann sie bald mit den besten Noten der gesamten Schule aufweisen. Durch ein Stipendium eröffnet sich ihr schließlich auch die Möglichkeit, ihr Jurastudium zu absolvieren, das sie als Beste ihres gesamten Jahrgangs abschließt. Nach dem Praktikum in der Kanzlei von Bartel De Vos übernimmt die zielstrebige junge Anwältin einen aussichtslos erscheinenden Fall, der für große Unruhe sorgt und die Bewohner des Bosvelds in zwei Fronten teilt.
Irma Jouberts Neuerscheinung wartet mit stattlichen sechshundert Buchseiten auf und beeindruckte mich mit einer höchst interessanten Geschichte um das Leben in Südafrika Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Leben der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten wurde ebenso detailliert gezeichnet wie die politische Situation, man liest von den Auswirkungen des Einmarsches Deutschlands in Polen im Jahre 1939, vom japanischen Angriff auf Pearl Harbour und der darauffolgenden Vergeltungsaktion - dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Eine zentrale Rolle nimmt die Apartheidpolitik in Südafrika ein, die Irma Joubert geschickt mit der Geschichte der Protagonistin verwoben hat. Pérsomi setzt sich in ihrer Funktion als Anwältin für ihre in Bedrängnis geratenen indischen Freunde ein, übernimmt deren Rechtsvertretung und weicht trotz Widerstände in ihrem familiären Umfeld und im Freundeskreis keinen Millimeter von ihren Überzeugungen ab. Obgleich Pérsomi schulische und später auch berufliche Erfolge zu verzeichnen hat, erlebt sie in der Liebe einige Enttäuschungen.
Die Autorin hat mit Pérsomi Pieterse eine hervorragende Protagonistin erschaffen, die sie nicht nur ausgezeichnet dargestellt hat, sondern der sie zudem auch beeindruckende Nebenfiguren zur Seite stellt. Die gelungenen Charakterzeichnungen und der einnehmende Schreibstil Irma Jouberts sorgten dafür, mich regelrecht an das Buch zu fesseln und mich mit den handelnden Figuren zu identifizieren. Pérsomis Leben war niemals einfach, ihren langen und oftmals steinigen Weg zu ihrem beruflichen und privaten Glück empfand ich als vortrefflich dokumentiert. Einzig die für meinen Lesegeschmack zu starke Gewichtung auf politische Themen und dadurch entstandene Längen im Buch stellen einen winzigen Kritikpunkt meinerseits dar.
Fazit: Ich empfand den Roman "Hinter dem Orangenhain" als höchst imposantes Leseerlebnis, das mich tief in seinen Bann gezogen hat und das ich sehr gerne weiterempfehle.

Dieses Buch hat meine Erwartungen weit übertroffen. Es ist die Geschichte eines jungen armen Mädchens aus Südafrika im Jahre 1938.
Über 30 Jahre entwickelt Joubert die Geschichte dieses Mädchens. Daneben erfährt man vieles aus der Geschichte Südafrikas in diesen Jahren. Die Entstehung der Apartheid, die Vormachtstellung der Buren. Dazwischen eingebettet ist die Geschichte von Persomi.
Ich bin eingetaucht in
Persomi kennt nicht ihren Vater. Der hat die Mutter sitzen lassen, als sie schwanger wurde. Deswegen warnt die Mutter sie vor den „reichen Buren“.
Da gibt es zwei junge Männer in ihrem Leben: Reinier, der Schulfreund, mit dem sie sich in der Schule misst und der Zeit ihres Lebens ein großer Bruder ist.
Und da ist Boelie, der sie tröstet, als ihr geliebter Bruder bei El Alamein getötet wird.
Es ist eine bittersüße Liebesgeschichte.
Ich habe dieses Buch sehr bewusst langsam gelesen, damit ich nichts verpasse und kann nur sagen: Wer dieses Buch nicht liest und empfiehlt, der ist selbst schuld.

Die Handlung beginnt im Jahre 1938, Pérsomi ist zu dem Zeitpunkt elf Jahre alt. Sie lebt gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern als Beiwohner auf einer Farm im südafrikanischen Bosveld. Es ist ein ärmliches Leben in einer Blechhütte, in der es kein fließendes Wasser, geschweige denn eine Toilette gibt. Pérsomi möchte diesem tristen Leben entfliehen. »Irgendwann wird der Tag
Ihre Antriebskraft ist ihr Ehrgeiz. Sie nimmt sich keine Zeit für Träume. Stattdessen lernt sie fleißig, bekommt Stipendien und kann später sogar studieren. Sie fühlt sich dazu berufen Rechtsanwältin zu werden, um für andere, ebenso schlecht behandelte Menschen, einzutreten.
Als Leser begleitet man Pérsomi über 30 Jahre hinweg, durchlebt mit ihr vom fernen Südafrika aus, was nun in unseren Geschichtsbüchern steht: Den zweiten Weltkrieg, die Antikriegsbewegung, die Isolierung der schwarzen, fremdländischen Bevölkerung, Nationalismus... Einzig »ihr Berg«, auf dem sie groß geworden ist, ist ein Ruhepol, der Ort, der für sie Heimat bedeutet.
Von allen vier bisher erschienen Büchern von Irma Joubert war dieses für mich am schwierigsten zu lesen. Bei den anderen drei konnte ich mich nach kurzer Zeit gut einlesen, bei diesem dauerte es ein wenig länger. Es fließen sehr viele geschichtliche und politische Fakten in die Handlung, gegen Ende auch juristische. Generell mag ich solche Hintergründe, doch es uferte für mich manchmal zu sehr aus. Viele Zeitsprünge führten dazu, dass ich immer eine gewisse Distanz zur Protagonistin empfand.
Ein Lichtblick war die Liebesgeschichte, die sich mit der Zeit entwickelte. In wen sich Pérsomi verliebt verrate ich nicht, denn zu Beginn kann man das nicht direkt erahnen. Aber auch hier muss Pérsomi einiges aushalten.
Die Romanfiguren haben alle ihre Ecken und Macken und die Autorin scheut sich nicht, die Charaktere mitsamt ihren Schwächen darzustellen. Pérsomis Mutter bspw. sagt meist nur »Du liebe Güte« und ist etwas wirr, hält aber eisern daran fest ihrer Tochter nicht zu verraten, wer ihr leiblicher Vater ist. Das macht das Buch zusätzlich geheimnisvoll...
Der Glaube an Gott ist mal stärker, mal schwächer vertreten. Während Pérsomis Schulzeit kommt durch eine gläubige Mitschülerin einiges zur Sprache, später sind es Kirchgänge oder sittsames Verhalten.
Nach 607 Seiten hatte ich nun nicht das Gefühl einen schlechten Roman gelesen zu haben, allerdings wären ein paar 100 Seiten weniger vielleicht ganz gut gewesen. Solide 4 Sterne!

Spannende Entwicklung eines Mädchens und eines Landes
Dieses Buch erzählt von einem armen südafrikanischen Mädchen, das in einer bewegenden Zeit zu einer Frau heranwächst.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1938, als Persomi 11 Jahre alt ist. Ihr älterer Bruder verlässt das gemeinsame Zuhause, um in der Stadt arbeiten zu gehen. Ohne ihn fühlt sich Persomi schutzlos und allein. Dazu offenbart ihr
Persomi erlebt den nächtlichen Missbrauch ihrer Schwester mit, und durch die Aussage dieses kleinen Kindes muss ihr Stiefvater ins Gefängnis. Allmählich öffnet sich für Persomi eine neue Welt. Sie darf auf die weiterführende Schule gehen, und sogar dort wohnen. Endlich kann sie sich satt essen, und durch ihre guten Leistungen in der Schule und beim Sport wird der Abstand zwischen ihr und den wohlhabenderen Kindern immer geringer.
Das Buch beschreibt ihr Leben und Aufblühen im Laufe der nächsten 30 Jahre. Dabei erfährt der Leser auch sehr viel über die politischen Ereignisse und die Stimmung in Südafrika in der Mitte des letzten Jahrhunderts.
Der Leser wird auf eine fesselnde Reise mitgenommen. Trotz der Länge des Buchs, wollte ich schnell weiterlesen, da ich mich gut mit Persomi identifizieren konnte, und gerne wissen wollte wie es weitergeht. Da ich selbst schon oft in Südafrika war, fand ich es sehr interessant mehr über die Geschichte des Landes zu erfahren. Ein Schwerpunkt in diesem Buch ist die Entwicklung der Apartheid. Interessant war auch die Begründung der Apartheid-Anhänger, die meinten eine Rassentrennung wäre im Sinne Gottes. Persomi stand jedoch mutig und vorbildhaft zu ihren Überzeugungen, die ebenfalls ihrem Glauben entsprangen.
Eine ausführliche und spannende Erzählung, die Persomis Entwicklung von einem armen, ängstlichen Kind zu einer mutigen, selbstbewussten Frau erzählt. Dieses Buch wird besonders diejenigen interessieren, die mehr über die geschichtliche Entwicklung in Südafrika erfahren möchten.

(1)
Und zwar aus einer ganz besonders schwierigen Lage: Pérsomi lebt in Südafrika in ärmlichsten Verhältnissen und hat oft genug nicht ausreichend zu essen. Wir begleiten sie von Kindheit an und erleben ihr Schicksal als eines von vielen Kindern einer Beiwohnerfamilie, die bei reicheren Gutsbesitzern auf dem Grundstück lebt und für diese arbeitet. Leider will ihr Vater
In ganz jungen Jahren sagt Pérsomi vor Gericht gegen den Willen ihrer Mutter gegen ihn aus, nachdem sie erfahren hat, dass er gar nicht ihr leiblicher Vater ist und macht so von sich reden. Bald darauf hat sie die Möglichkeit, in die örtliche Schule zu kommen, wo sie in einem Internat hat. Im Gegensatz zur Heldin Hildegard aus dem Vorgängerroman "Sehnsuchtsland", in dem sich der Protagonistin wenig Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bieten, bietet sich Pérsomi die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen, die Schule mit Auszeichnung abzuschließen und Jura zu studieren. Unterwegs begegnen ihr Menschen, die ihr zeigen, was Freundschaft und Wertschätzung ist und auch ihr starker Glaube nicht nur an Gott, sondern vor allem an die Gerechtigkeit hilft ihr, so manche Situation durchzustehen.
Privat läuft es nicht ganz so glatt - hier muss sich Pérsomi schon früh mit Verlusten auseinandersetzen, die nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass ihre Mutter ihr den Namen ihres wahren Vaters nicht nennen will. Aber auch die schwierigen Bedingungen - der Roman spielt während und nach dem Zweiten Weltkrieg - tragen das ihre dazu bei und Pérsomi muss sich häufig in politischen Angelegenheiten gegen diejenigen, die ihr die Liebsten sind, stellen.
Eine Frau, die in vielerlei Hinsicht etwas erreichen will - ob es ihr gelingt, das können Sie erlesen. Dabei erfahren Sie eine Menge über die politischen Entwicklungen gerade in den Jahren, in denen die Apartheid-Politik am stärksten zum Tragen kam.
Ein Frauenschicksal in Deutschland in der Mitte und der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie ich es so bislang noch nicht gelesen habe. Die Autorin Irma Joubert eröffnet neue Perspektiven, Blickwinkel und Aspekte. Manches wird nicht so vertieft, wie ich es mir gewünscht hätte, dennoch habe ich dieses fesselnde Buch nicht aus der Hand legen können. Mitreißend, aufwühlend, ab und an auch überraschend: ein historischer Roman über den Lebensweg einer besonderen Frau, der lesenswert ist!

Eine wunderbare Lebensgeschichte eines Mädchens aus der untersten Arbeiterschicht,das allen Widrigkeiten zum Trotz Bildung nicht nur erlangt, sondern auch noch mit Auszeichungen alle Prüfungen besteht und letztendlich als Juristin arbeitet.
Der Roman spiegelt die Zeit 1936-1968 mit allen Vorkommnissen, berührt auch das Thema Apartheid, das kontrovers diskutiert wird.
Irma Jouberts Romane gehen tief zu Herzen. Darum kann ich auch
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