Man sieht’s euch beiden ja an. Also ehrlich – ihr braucht doch nur eine gute halbe Stunde für die Fahrt hierher! Könnt ihr euch nicht einmal so lange vertragen?“
„Suzanne und ich sind gekommen, um dir beim Umzug zu helfen, nicht um unsere schmutzige Wäsche bei dir zu waschen.“
„Wenn du die dicken Regenwolken sehen könntest, die sich über euch zusammengebraut haben, meine Liebe, würdest du an Wäsche gar nicht erst denken.“
„Du bildest dir das bloß ein, Mutter.“ Grace lächelte Emma knapp zu und wandte sich dann an Suzanne mit einem Blick, der klar und deutlich sagte: Halt Großmutter da raus.
Suzanne verdrehte die Augen. „Großmama findet das sowieso früher oder später heraus.“ Sie schien ganz entspannt und bewegte sich so sorglos, wie es zu dem überdimensionierten T-Shirt und den verwaschenen Jeans passte, die sie an hatte. Suzanne war inzwischen dreißig, aber sie warf ihre Tasche auf Emmas Sofa und fläzte sich daneben wie ein schmollender Teenager. „Du willst es ihr bloß nicht sagen, weil du genau weißt, dass Großmama auf meiner Seite sein wird.“
„So ein Unsinn.“ Grace lief vor Ärger rot an, und man konnte regelrecht zusehen, wie sich die Wut in ihr ausbreitete – genau wie früher bei ihrem Vater. „Ende der Diskussion, Suzanne. Wir sind schließlich zum Arbeiten hergekommen.“
„Zum Arbeiten?“, wiederholte Emma und nahm ihre Tochter amüsiert näher in Augenschein. Grace trug eine blassblaue Leinenhose und einen Kaschmirpullover, der farblich genau darauf abgestimmt war. Wie üblich schmückte eine dicke Perlenkette ihren Hals. Sie war mit ihren fünfundfünfzig immer noch schlank und betont modisch gekleidet, und ihr tadellos frisiertes rotgoldenes Haar und die frisch lackierten Fingernägel ließen darauf schließen, dass sie gerade erst aus ihrem Schönheitssalon gekommen war. „Aber natürlich, Gracie. Ich bin wirklich froh, dass du dir deine alten Arbeitsklamotten übergeworfen hast.“
„Das sind wirklich Mamas Arbeitsklamotten“, bemerkte Suzanne bissig. „Die Perlen sind falsch.“
Emma lachte, aber als Grace noch genauso verbissen dreinblickte wie vorher, zuckte sie resigniert die Schultern und meinte: „Also gut. Wenn ihr mir nicht sagen wollt, was los ist, nehmt euch doch einfach eine Tasse Kaffee und helft mir packen.“
Grace warf Suzanne die Autoschlüssel zu. „Hol doch bitte die restlichen Umzugskisten aus dem Auto, ja?“ Sie folgte Emma in die Küche und sah sich irritiert um. „Du hast ja noch gar nicht angefangen zu packen! Ich dachte ...“
„Ich weiß, ich weiß, ich hatte versprochen, schon ein bisschen auszusortieren. Aber als es so weit war, habe ich einfach keinen Anfang gefunden. Ich hab schließlich fünfunddreißig Jahre hier gewohnt, und mir sind so viele Dinge wieder in Erinnerung gekommen. Ich bin einfach nicht weiter gekommen.“
„Aber es war doch deine Entscheidung, in dieses Seniorenheim zu ziehen, Mutter. Du hast selbst gesagt, dass du aus der Stadt weg- und mehr in unsere Nähe ziehen wolltest. Das haben wir doch schon vor Monaten abgesprochen.“
Emma nahm Graces Hände in ihre. „Ich hab meine Meinung auch nicht geändert, Schatz. Ich nehme nur Abschied von so vielen Dingen – und den Leuten in der Nachbarschaft – und all meinen Freunden ...“
„Ich will ja keine Phrasen dreschen, aber du wirst sicher innerhalb kürzester Zeit Dutzende von neuen Freunden haben. Du scheinst Leute doch magisch anzuziehen, wohin du auch gehst. Stephen meint immer, du bist ein Leute-Magnet.“
„Naja. Wenn wir nicht bald anfangen, von all diesem Müll hier einiges auszusortieren, wird in meinem Appartement nicht einmal genug Platz für mich sein – von Dutzenden von Freunden ganz zu schweigen.“ Emma öffnete einen ihrer Küchenschränke und starrte auf den Stapel Geschirr, in dem irgendwie kein Teil zu einem anderen zu passen schien. Dann schloss sie ihn wieder. „Ich kann mich einfach nicht entscheiden, was ich mitnehmen und was ich entsorgen soll.“
„Warum nehmen wir nicht einfach alles mit, und du kannst es aussortieren, wenn wir erst einmal dort sind?“
„Oh nein, das kommt gar nicht in Frage“, sagte Emma lachend. „Ich sehe vielleicht aus wie eine Stadtstreicherin, aber ich will nicht zwischen dem ganzen Müll wie eine leben. In Birch Grove wäre für all das nicht einmal Platz, wenn ich dort eine Müllpresse hätte.“
Emma hörte das vertraute Glockenspiel an ihrer Eingangstür, dann das leere, hohle Geräusch eines Stapels Kartons, der auf dem Fußboden abgesetzt wurde. „Wir sind hier drin“, rief sie.
Suzanne kam in die Küche und ließ sich auf einen Stuhl fallen, als hätte sie schon einen ganzen Arbeitstag hinter sich gebracht. Für gewöhnlich war sie lebhaft, und wenn sie redete, blitzten ihre blauen Augen, und sie untermalte jedes ihrer Worte mit ausdrucksstarken Gebärden. Sie war eine Karrierefrau, die eine Zeitschrift für Karrierefrauen herausbrachte, und normalerweise stand sie im Mittelpunkt jeder beliebigen Ansammlung von Menschen, mit der sie es zu tun bekam. Sie war entschlossen, effizient und selbstbewusst – manche Leute, die sie nicht so gut kannten wie Emma, würden sie sogar als hart und rücksichtslos bezeichnen. Aber irgendetwas hatte Suzannes Lebhaftigkeit gedämpft. Das dunkle Haar fiel ihr über die Augen, als wollte sie sich dahinter verstecken.
Kundenstimmen
Eine Echtheits-Überprüfung der Bewertungen hat vor deren Veröffentlichung nicht stattgefunden. Die Bewertungen könnten von Verbrauchern stammen, die die Ware oder Dienstleistung gar nicht erworben oder genutzt haben.
14.01.2021ötti interessante und spannende geschichte über 4 frauen/generationen einer familie. nicht sentimental. gut gemacht, geschichte schön miteinander verwoben - nicht 4 einzelne geschichten. es geht um verzweiflung, freude, glaube, hoffnung, falsche entscheidungen, vergebung und natürlich liebe. nicht von den 500 seiten abschrecken lassen. die lohnen sich wirklich. sehr nettes buch. wenn man einmal angefangen hat, kann man das buch nur
sehr schwer aus der hand legen...
› mehr...
14.01.2021Schmidt R. Bravo Lynn Austin! Ein sehr interessanter Handlungsstrang. Gut geschriebene Personen, die interessieren. Das Buch ist von Anfang an sehr gut
14.01.2021mimaus dies war mein erstes buch von lynn austin und ich bin hellauf begeistert. habe mir nach dem ich dieses gelesen habe (verschlungen wäre besser ausgedrückt) gleich noch welche von ihr besorgt.sie versteht es einfach die leser zu fesseln von der ersten bis zur letzten seite.
14.01.2021meike Luisas Tochter ist eine wunderschöne Geschichte mehrerer Generationen einer Familie, die so hinreißend erzählt ist dass man das Buch kaum noch aus der Hand gibt.
14.01.2021Buchfreund Ich habe immer einen Stapel noch zu lesender Bücher liegen. Dazu gehörte bis eben dieser Roman. Schade, dass ich es nicht eher geschafft habe! Eine wunderbare, sehr schön verwobene Geschichte über Generationen hinweg und mit jeweils passend aktuellen Zeitbezügen. Glaubhaft die Emotionen und überzeugend das Geschehen. (Einziger Nachteil, wenn man nachts noch im Bett schmökert, dann wird das umfangreiche
Werk ziemlich schwer - aber man legt es dennoch nicht aus der Hand!!!) Tolle Lektüre. Sehr zu empfehlen.
› mehr...
25.07.2019Emily-Sophie Es war eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe! Es ist einfach extrem spannend und interessant! Dieses Buch würde ich definitiv weiterempfehlen! Ich kriege es gar nicht mehr aus dem Kopf und denke ständig über die Geschichte nach...
04.11.2017Hanne / Lesegenuss Die Geschichte um Luisa und den nachfolgenden Generationen, es sind vier Frauen, um die es in diesem Buch geht, vier Generationen, ist wirklich ganz toll. Ich war absolut fasziniert, wie authentisch die Autorin ihre Charaktere, die damaligen Lebensumstände geschrieben hat. Und dazu gehört auch die ausdrucksstarke Beschreibung von Gefühlen. Der Roman liest sich von Beginn an wie von selbst.
Da fällt es schon schwer, mal eben zu unterbrechen.
Eine Geschichte, die zu Herzen geht, und damit meine ich nicht nur Luisas Leben.
› mehr...
08.02.2016Sonnenwind Ein Frauenroman mit viel Tiefe
Eigentlich bin ich nicht so der Typ für Frauenbücher. Sie sind mir leicht zu seicht oder in der neueren Strömung zu oberflächlich. Dieses Buch habe ich vor Weihnachten gewonnen und habe einfach damit einen Versuch gewagt, weil ich die Autorin noch gar nicht kannte. Zwar habe ich einige ihrer Bücher, weil sie mir empfohlen wurden,
aber sie warten noch auf dem SuB.
Und ich bin ja so begeistert! "Luisas Töchter" beschreibt die Geschichte von vier Generationen von Frauen, mit ihren speziellen Sorgen und Problemen, und beschreibt nebenbei, wie jede Tochter mit den Entscheidungen ihrer Mutter leben muß. Und mit ihren eigenen und deren Folgen.
Am Ende verbindet die Autorin die verschiedenen Erzählstränge auf beispielhafte Weise und mit außerordentlicher inhaltlicher Tiefe. Die einzelnen Personen in ihrer jeweiligen Umgebung werden so lebendig, als wäre man sein Leben lang mit ihnen zusammengewesen. Die Vorstellung, sie seien nur Romanfiguren, ist fast undenkbar. Alle vier sind mir richtig ans Herz gewachsen, ihr Ergehen hat mich berührt und ich habe aufgrund dessen viel über mein eigenes Leben nachdenken müssen. Ein hervorragendes Buch, das ich am liebsten gleich nochmal lesen möchte, nachdem ich jetzt die Auflösung kenne (die nicht nur die Identität von Graces Vater bedeutet; so flach ist das Buch nicht).
Jedem zu empfehlen! Das wird nicht mein letztes Buch der Autorin bleiben.
› mehr...