Evie Blackwells Fähigkeiten als Ermittlerin haben ihr einen Job in der neuen Task Force für ungelöste Vermisstenfälle eingebracht. Für den Gouverneur hat die Arbeit dieses Teams höchste Priorität. Evie und ihre Kollegen müssen also Ergebnisse liefern – und zwar schnell.
Evies erster Fall ist der einer vermissten Studentin. Doch kann nach so vielen Jahren noch die Wahrheit ans Licht kommen? Und was ist mit den offenen Fragen in Evies Privatleben – zum Beispiel dem unbeantworteten Heiratsantrag ...?
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1. Kapitel
Evie Blackwell
Als Gouverneur Bliss das Podium betrat, vergrub Lieutenant Evie Blackwell die Hände in ihren Manteltaschen. Sie war froh darüber, dass die Januarkälte dafür sorgte, dass diese Pressekonferenz pünktlich beginnen und nur zwanzig Minuten dauern würde. Bei der Amtseinführung von Gouverneur Bliss am Tag zuvor war es sonniger und einige Grad wärmer gewesen. Evie bemühte sich, die Fernsehkameras zu ignorieren, die aufs Podium gerichtet waren.
Doch sie wusste, dass sie gemeinsam mit den anderen Beamten, die neben ihr auf der Bühne standen, jetzt im Bild zu sehen war und dass diese Aufnahme in den abendlichen Lokalnachrichten gesendet werden würde.
Der Gouverneur, der sich im Rampenlicht offensichtlich wohlfühlte, sprach ohne Notizen. „Danke, dass Sie alle heute Nachmittag erschienen sind. Ich freue mich, als erste Amtshandlung in meiner Funktion als Gouverneur die Schaffung der Task Force für Vermisstenfälle bekannt zu geben. Unter der Leitung von Lieutenant Noble vom Polizeidezernat Riverside“, er deutete auf die Beamtin in der Reihe hinter ihm, „werden diese Kriminalbeamten im gesamten Bundesstaat Illinois ungelöste Fälle, bei denen jemand als vermisst gemeldet wurde, erneut unter die Lupe nehmen. Sie werden neue Erkenntnisse, Fragen und Ideen einbringen und mit der Polizei vor Ort zusammenarbeiten, um Antworten zu finden und die Fälle endgültig abzuschließen.
Wenn man auf Neuigkeiten wartet – und das weiß ich aus eigener Erfahrung –, ist jedes Warten zu lang. Meine Schwester Shannon wurde elf Jahre lang vermisst. Ich habe nie aufgehört zu suchen, habe nie die Hoffnung aufgegeben, und Gottes Erbarmen und Shannons Mut haben wir es zu verdanken, dass sie wieder zu Hause ist. Wir brauchen mehr solcher Wunder, um vielen Familien ähnliche Nachrichten überbringen zu können. Und für diejenigen, deren vermisste Eltern, Töchter oder Söhne nicht nach Hause kommen werden, ist es wichtig, dass sie ihre Lieben endlich zur Ruhe betten können. Dies ist ein erster Schritt, ein guter Schritt, um diese Antworten zu finden.
Und jetzt möchte ich Ihnen den Mann vorstellen, der die Polizei von Illinois leitet, Commander Frank Foster – er wird noch einige Worte an Sie richten.“
Damit war es offiziell. In den nächsten zwei Jahren würde Evie ihre Arbeit zwischen ihrem jetzigen Job bei der Illinois State Police und der neuen Task Force aufteilen. Ihr Blick wanderte zu ihrem Freund Rob Turney, der hinter den Presseleuten im Publikum stand, und sie lächelten einander zu. Es war nett von ihm, dass er sich einen Tag freigenommen hatte, um von Chicago nach Springfield zu fliegen und an ihrem großen Tag und bei dieser Pressekonferenz dabei zu sein.
Der Commander beendete sein Grußwort. Evie gab dem Gouverneur die Hand, posierte zusammen mit den anderen Mitgliedern der Task Force für Fotos, dann war der offizielle Teil vorüber.
Evie schob sich durch die Menschenmenge, bis sie bei Rob war. „Möchtest du den Gouverneur begrüßen? Wenn du willst, kann ich ihn bestimmt kurz erwischen, bevor er geht“, bot sie an und schob ihre Hand in seine.
Rob hatte den damaligen Gouverneur in spe bei der Weihnachtsfeier ihrer Freunde Ann und Paul Falcon getroffen und seitdem oft von der Begegnung gesprochen. Ann hatte Evie den Job in der Task Force beschafft. Die beiden Frauen waren schon seit Jahren in einer engen Freundschaft verbunden und Ann war fest davon überzeugt, dass Evie mit ihren Fähigkeiten als Ermittlerin perfekt in diese Task Force passte.
Rob betrachtete die Menschenmenge um den Gouverneur. „Ich weiß das Angebot zu schätzen, Evie, aber es wird noch genügend Gelegenheiten geben, wenn deine Fälle erfolgreich gelöst sind. Diesem prestigeträchtigen Teil seines Gouverneur-Jobs wird er sicherlich große Aufmerksamkeit widmen. Ich werde ein anderes Mal mit ihm reden.“
Lächelnd drückte sie seine Hand. „Ich liebe deinen Optimismus. Kannst du zum Essen bleiben?“
Er beugte sich hinunter und küsste sie zärtlich. „Danke“, sagte er bedauernd, „aber ich muss zu einer Sitzung zurück. Ihr werdet euch sicher als Team zusammensetzen; da wäre ich ohnehin nur im Weg. Ich fliege mit Ann und Paul zurück. Ruf mich heute Abend an und lass mich wissen, wohin du morgen musst. Wenn es im Norden ist, können wir uns diese Woche zum Essen verabreden.“
Evie umarmte ihn und flüsterte: „Danke“, während seine Arme sie liebevoll festhielten. In diesem einen Wort lag viel Unausgesprochenes. Schon für ihre bisherige Arbeit musste sie kreuz und quer durch den Bundesstaat reisen – und mit der neuen Task Force hatte sie sich gerade zu vierundzwanzig Monaten weiterer Reisetätigkeit verpflichtet.
„Du wirst deine Arbeit großartig machen, Evie, sodass wir beide stolz sein können.“
Sie löste sich aus Robs Armen. Auf sie wartete ein Heiratsantrag, den Rob ihr machen würde, wenn sie bereit war, Ja zu sagen. Er wollte, dass ihre Beziehung durch eine Heirat dauerhaft wurde, doch so weit war sie einfach noch nicht. Aber sie dachte immer häufiger darüber nach. Während Evies Blick über die vielen vertrauten Gesichter bei der Veranstaltung wanderte, wurde ihr erneut bewusst, dass Robs Anwesenheit ihr sehr viel wichtiger war als die der anderen.
Während Rob zu Paul und Ann Falcon ging, sah Evie sich um. Sie wollte wissen, wo ihr Team sich versammelte. David Marshal war der Einzige von ihren Kollegen, der gerade nicht mit einem Vertreter der Presse sprach. Sie gesellte sich zu ihm und musterte ihn – er war ein verlässlicher Typ, dem die Aufmerksamkeit nichts ausmachte und der den ganzen Rummel viel entspannter wegsteckte als sie selbst. Evie war sicher, dass sie gerne mit ihm zusammenarbeiten würde, denn ihm eilte der legendäre Ruf eines New Yorker Polizisten voraus. Er war nur für diese neue Aufgabe in seine alte Heimat Chicago zurückgekehrt.
„Deine bessere Hälfte?“, fragte David mit einer Kinnbewegung in Richtung Rob.
„Ja.“
„Nett. Schön, dass er hier ist, um diese Sache mitzukriegen.“
Evie lächelte. „Hast du auch eine bessere Hälfte?“
David erwiderte das Lächeln und sagte: „Die habe ich. Wir sind jetzt schon ein paar Jahre zusammen. Sie ist noch in New York, aber bald zieht sie wieder nach Chicago.“ Er nickte jemandem in der Menge einen Gruß zu. „Ich habe gehört, du bist heute Abend Gastgeberin?“
„Ich hoffe, du magst dein Chili scharf und deine Jambalaya gut gewürzt“, erwiderte sie. Sie war die Einzige in der Gruppe, die tatsächlich in Springfield, der Hauptstadt von Illinois, lebte. Deshalb hatte sie sich bereit erklärt, ihr Haus und ein Abendessen für ihr erstes Teamtreffen zur Verfügung zu stellen.
„Klingt perfekt an einem kalten Tag wie diesem.“
Die anderen aus dem Team kamen nach und nach zu ihnen, sobald sie die Journalisten abgewimmelt hatten. Evie sah sich in der Runde um. Sie würde die Ehre haben, mit einigen der besten Kriminalbeamten des Bundesstaates zusammenzuarbeiten. Sharon Noble hatte die Leitung, Theodore Lincoln kam aus Chicago, Taylor Aims aus St. Louis, David Marshal war aus New York zurück. Evie hoffte, sie würde mithalten und ihren Beitrag leisten können, wenn sie die Polizeibehörde von Illinois vertrat.
„Sag uns, wie wir zu deinem Haus finden, dann treffen wir uns dort“, schlug Sharon vor. „Abgesehen von einem leckeren Essen können wir heute sogar etwas schaffen. Ich bin gespannt!“ Aufgeregt rieb sie ihre kalten Hände aneinander. Alle lachten über ihren Enthusiasmus.
Evie beschrieb den anderen den Weg und erklärte: „Meine Hunde Apollo und Zeus tun nichts lieber, als mit Besuchern herumzutoben. Wenn ihr Freunde fürs Leben haben wollt, werft ein paar Tennisbälle und seht zu, wie die beiden sich in jede Schneewehe stürzen, um den Ball zu fangen. Die Nachbarn auf beiden Seiten sind während des Winters in Florida, also könnt ihr parken, wo immer die Schneepflüge etwas freigeschaufelt haben.“ Sie sah ihre neue Chefin an. „Bring doch John mit, Sharon. Da euer Polizeidezernat für den Papierkram der Task Force zuständig ist, sollte er am besten in die anfänglichen Entscheidungen eingebunden sein, oder was denkst du? Es gibt auf jeden Fall genug zu essen.“
„Er muss erst zu Commander Foster, aber ich sage ihm, dass er anschließend zu uns kommen soll“, stimmte Sharon zu.
John Graham, der stellvertretende Leiter des Polizeidezernats Riverside, würde mit ihrer Arbeit zu tun haben, auch wenn er nicht offiziell zum Team gehörte. An Sharons Hand funkelte Johns Verlobungsring und wie man hörte, waren die Hochzeitsvorbereitungen bereits im Gang. Evie hoffte, sie würde eine Gelegenheit finden, John nach Ideen für ein Hochzeitsgeschenk zu fragen.
„Ich glaube, deine Hunde folgen mir, Evie.“
Evie stellte den Krug mit Eistee ab und drehte sich um. David hatte recht. Die Schäferhunde folgten ihm in gut einem Meter Abstand, beide in Jagdhaltung, den Blick fest auf ihn gerichtet. Evie grinste. Wenn sie nah genug herankamen, würden sie seine Schnürsenkel angreifen. „Im Winter wird ihnen langweilig.“ Sie ging zu den Tieren und unterbrach ihre Jagd, indem sie sich bückte und die Hunde hinter den Ohren kraulte. „Entspannt euch, Jungs. Er ist für eine Beute zu groß. Spielt mit eurem Seil oder sucht eure Enten.“
David lachte, als die Hunde widerwillig die Küche verließen. „Man muss ihnen lassen, dass sie ein gutes Team sind.“ Er nahm sich noch einen Nachschlag von dem Chili und fügte geriebenen Käse und Kräcker hinzu. „Tolles Chili übrigens.“
„Danke – das Rezept meiner Großmutter. Wirf alle Zutaten in einen Schongarer, dann kannst du es essen, wann immer du willst.“ Evie nahm sich etwas von dem Meeresfrüchteeintopf und trug den Teller zusammen mit einem Glas Eistee zum Tisch, dann sah sie zu Sharon hinüber, die ihren fragenden Blick mit einem Nicken beantwortete.
„Ich bin dafür, dass wir mit den bedrückendsten Fällen anfangen“, schlug Evie vor. „In Douglas County werden drei Siebenjährige vermisst, außerdem eine Schulleiterin und eine Großmutter.“
„Dieses County muss eindeutig auf unsere Prioritätenliste“, stimmte Theo zu und schrieb den Namen auf das große Whiteboard, das sie für das Treffen mitgebracht hatte. Sie hatten bereits beschlossen, die Countys nacheinander abzuarbeiten und sich die jeweiligen ungelösten Fälle vorzunehmen, die zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt waren. Evie hatte diese Strategie in einer Testphase in Carin County ausprobiert und sie hatte gut funktioniert. Jetzt diskutierten sie die Frage, welches County sie sich zuerst vornehmen sollten.
„In den ersten Monaten werden wir verstärktes Medieninteresse haben“, gab Taylor zu bedenken. „Das können wir nutzen, um bei bestimmten Fällen die Bevölkerung um Mithilfe zu bitten. Die Vermisstenfälle in Briar County decken zum Beispiel die ganze Bandbreite ab“, fügte er nach einem Blick auf seine Unterlagen hinzu. „Eine Ehefrau und zwei Töchter. Eine Collegestudentin. Ein Geschäftsmann um die fünfzig. Ein Junge im Teenageralter. Ein Privatdetektiv. Das sind eine Menge Anknüpfungspunkte für die Bevölkerung, sodass Aufrufe in den Nachrichten viel Wirkung zeigen würden.“
„Ich will ja nicht zu politisch werden, aber wollen wir bei unserer Entscheidung auch berücksichtigen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir die Fälle aufklären?“, fragte David, während er seinen Teller mit Chili abstellte und auf einem Stuhl neben Evie Platz nahm. „Manche Fälle bekamen großes Medieninteresse und es wurde schon mehr Arbeitszeit für sie investiert. Clark County hat zwei vermisste Frauen, beide mit einer Vergangenheit in der Prostitution. Tatsache ist, dass daran sicher nicht so intensiv gearbeitet worden ist wie an den Fällen der vermissten Siebenjährigen. Und wenn wir diese beiden Fälle lösen könnten, dann würde uns das sicher auch in den benachbarten Countys gelingen, da diese Art Vermisste in der Regel Teil eines größeren Systems sind.“
„Wenn wir die bearbeiten, könnte es Verhaftungen geben“, sagte Sharon. „Setz das County auch auf unsere Prioritätenliste, Theo. Mir gefällt der Gedanke, dort anzufangen, wo es größere Zusammenhänge gibt. Was ist der Konsens? Sollen wir beim ersten Aufschlag einen Homerun versuchen?“
„Wenn man das macht, schlägt man meist nur in die Luft“, gab Theo zu bedenken.
„Wie stehen die Kollegen vor Ort dazu?“, wollte Taylor wissen. „In manchen Countys werden die Behörden unsere Hilfe wollen, andere sind vielleicht weniger begeistert. Wir brauchen auf jeden Fall einheimische Unterstützung. Die Kollegen vor Ort kennen die Gegend und die Menschen, die dort leben, und diese Art Wissen brauchen wir, um Spuren zu verfolgen. Ich würde sagen, wir gehen zuerst dorthin, wo man uns haben will.“
Zustimmendes Murmeln ertönte rund um den Tisch.
„Diese drei Countys würden alle unseren Einsatz zu schätzen wissen“, erklärte Sharon. „David, du hast die größte Entfernung zurückgelegt, um bei der Task Force mitzumachen, also überlasse ich dir die Entscheidung. Welches County sollen wir uns als Erstes vornehmen? Und welchen Fall dort willst du übernehmen?“
„Fangen wir mit Briar County an. Um alle amtlichen Informationen zu erhalten, muss ich meinen Wohnsitz verlegen und ich wollte mir dort in der Nähe etwas kaufen. Und mir gefällt die Idee, nach dem vermissten Privatdetektiv zu suchen. Das dürfte interessant werden.“
Sharon nickte und wandte sich an die anderen in der Runde. „Evie, welchen Fall möchtest du?“
Evie warf einen Blick auf ihre Unterlagen. Es war eine einfache Entscheidung. „Die Collegestudentin.“
„Theo?“
„Den Teenager.“
„Taylor?“
„Ich nehme den Geschäftsmann.“
Sharon notierte sich die jeweiligen Wünsche. „Ist gut, dann übernehme ich die vermisste Frau mit den beiden Töchtern. Okay. Wir haben unseren Einstiegsplan. Bearbeiten werden wir die Fälle individuell und im Team. Sobald ein Fall gelöst ist, werden die anderen personell verstärkt.“ Sie sah die Landkarten in ihrer Aktentasche durch und holte eine von Briar County heraus, um sie auf dem Tisch auszubreiten. Die Orte, an denen die Personen vermisst wurden, waren bereits markiert. „Wir verteilen uns über das ganze Gebiet. Evie und David, ihr könntet euch ein gemeinsames Quartier in Ellis suchen und euch gegenseitig helfen. Theo und ich gehen nach Park Heights. Taylor ist in Juno. Dann planen wir ein Treffen in Juno am …“ Sharon konsultierte ihren Kalender. „Am Mittwoch, achtundzwanzigsten Januar, um unsere Fortschritte zu besprechen.“
„Fahren oder fliegen?“ David sah Evie fragend an.
„Ich nehme lieber mein eigenes Auto statt eines Mietwagens“, erwiderte sie. „Die Straßen sind zwar verschneit, aber wenn wir noch heute Abend fahren, könnten wir gegen ein Uhr da sein.“
„Ja, lass uns heute noch fahren und morgen ausschlafen“, stimmte er zu.
Sharon faltete die Karte zusammen. „Das Budget für die Reisekosten wird uns mit allem versorgen, was wir brauchen, auch mit anständigen Hotels. Ich werde morgen früh mit John und Theo in den Norden fliegen. Es ist schneller, wenn jeder selbst bucht und die Kosten einreicht. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr auch der Behörde von Illinois sagen, dass sie die Organisation übernehmen sollen – die Nummer ist in euren Unterlagen. Im Moment dauert es etwa neunzig Tage, bis Ausgaben erstattet werden.“
„Manche Dinge ändern sich nie“, bemerkte Taylor achselzuckend. „Ich fahre morgen.“
„Gut. Abgesehen von David haben wir alle noch einen anderen Job, um den wir uns zusätzlich kümmern müssen. Wenn ihr wegmüsst, macht bitte eine Übergabe. David, kannst du Befragungen übernehmen, wenn jemand dienstlichen Verpflichtungen nachgehen muss?“
„Kein Problem.“
Evie erhob sich, um die Kuchen anzuschneiden – sie hatte Apfelkuchen, Kirschkuchen und Zitronenbaisertorte gekauft. „Wegen der Akten, Sharon“, sagte sie über die Schulter. „Sollen wir heute Abend anrufen, damit die Kollegen vor Ort alles raussuchen?“
„Briar County ist eines von einer Handvoll Countys, die ihre Unterlagen schon aus dem Archiv geholt haben. Die Kisten befinden sich bei den Beamten, die jeweils als Letzte an dem Fall gearbeitet haben, dort könnt ihr sie abholen. Ich erledige heute Abend noch ein paar Anrufe und organisiere Räume für uns in den jeweiligen Orten – wahrscheinlich Besprechungszimmer in der Polizeiwache oder leer stehende Büros. Ich will nicht, dass ihr vom Hotelzimmer aus arbeiten müsst, es sei denn, das ist euch lieber.“ Sharon blickte in die Runde. „Habe ich etwas vergessen?“
„Du übernimmst die Presse?“
„Nur, wenn ich keinen Freiwilligen dafür finde.“
„Wir sind einstimmig der Meinung, dass du das machen solltest“, grinste Theo im Namen aller anderen.
„Das hatte ich befürchtet. Was noch?“
Alle schwiegen für einen Moment und überlegten.
„Ich denke, das ist alles. Kommt, nehmt euch von dem Kuchen“, schlug Evie schließlich vor und holte die Teller. „Wir wollen doch den Auftakt unserer Task Force stilvoll begehen.“
Sharon Noble
Sharon blickte sich im Zimmer um. Die anderen Beamten aßen ihren Kuchen und unterhielten sich, um einander besser kennenzulernen. Sie lächelte in die Runde. Die Task Force für Vermisstenfälle des Bundesstaates Illinois würde im Laufe der nächsten beiden Jahre gute Arbeit leisten. Ihrer Meinung nach war nirgendwo anders so viel Ermittler-Talent auf einmal versammelt. Dies war jetzt ihr Team für die kommenden beiden Jahre, allesamt Profis. Sie würden die Arbeit hervorragend erledigen.
Seit acht Jahren arbeitete Sharon jetzt beim Polizeidezernat Riverside an Vermisstenfällen und sie liebte ihren Job. Sie war ein optimistischer Mensch – vermisste Personen konnten gefunden werden oder zumindest konnten die Fälle aufgeklärt werden. Dass die Regierung sie gebeten hatte, diese Task Force zu leiten, war ein Geschenk, das sie genießen würde.
John Graham, der stellvertretende Polizeichef ihrer Behörde und der Mann, dessen Verlobungsring an ihrer linken Hand funkelte, war inzwischen erschienen und unterhielt sich angeregt mit Theo. Sharon würde die Hochzeitspläne irgendwie mit ihrer Arbeit vereinbaren müssen, aber sie hatte schon größere Schwierigkeiten bewältigt. John hatte sie ermutigt, diese Stelle anzunehmen. Jetzt mussten sie nur noch ihr Versprechen einlösen und die Vermissten finden.
„Wann ist die Hochzeit, Sharon?“, fragte Evie, die sich zu ihr gesellt hatte.
„Wir haben uns für den siebenundzwanzigsten April entschieden.“
„Eine Frühlingshochzeit. Schön.“
„John will drei Wochen Hochzeitsreise, aber ich denke noch darüber nach. Ich hätte lieber zwei Wochen und dann noch eine Woche, um mich in seinem Haus einzurichten. Reisen ist nicht so mein Ding und an jedem Tag, an dem ich fort bin, werden die Stapel auf unseren beiden Schreibtischen wieder ein Stück höher.“
Evie lachte. „Eine kleiner Konflikt zwischen Romantik und Pragmatismus.“
„Gouverneur Bliss hat mich ausdrücklich gebeten, dir noch einmal dafür zu danken, dass du das Team unterstützt. Ich brauche dir nicht zu sagen, dass unser Erfolg für ihn eine sehr persönliche Angelegenheit ist.“
„Ich weiß. Mir wird die Arbeit gefallen.“
„Mir auch. Bei dem Gedanken, aufklären zu können, was mit einer Mutter und zwei Töchtern geschehen ist, juckt es mich schon in den Fingern, die Akten aufzuschlagen“, gab Sharon lächelnd zu. „Ann hat gesagt, du sollst sie anrufen, wenn du irgendetwas brauchst. Sie ist jetzt als ehemalige Kriminalbeamtin der Mordkommission offiziell beim FBI angestellt, um die Beamten dort zu beraten. Wir können also ihre Hilfe bei unseren Ermittlungen in Anspruch nehmen, während die Task Force Fuß fasst.“
„Gut. Als Erstes will ich sie fragen, ob sie mit mir zusammen eine Runde über den Collegecampus dreht.“
„Sie wird uns allen eine Hilfe sein. Ist es für deine Hunde okay, wenn du länger weg bist?“
Evie wandte sich um und sah, wie die beiden Schäferhunde vom Treppenabsatz aus ihre Gäste beobachteten. „In letzter Zeit kümmern sich ein paar Militärs im Ruhestand um sie, wenn ich unterwegs bin – im Wesentlichen machen sie mit ihnen militärischen Drill, um sie auszupowern. Wenn ich zu Hause bin, gebe ich dann die Mutti, die ihre Kleinen verwöhnt.“ Am Tag zuvor hatte sie die beiden gebadet, sodass sie an diesem Abend wie Gentlemen aussahen. „Ich versuche, die Lebensmittel loszuwerden, die sich nicht lange halten, weil ich nicht weiß, wann ich wieder herkomme. Möchtest du ein paar Orangen mit ins Hotel nehmen und Bagels fürs Frühstück?“
„Gerne.“
„Wie wäre es mit einem Stück Kuchen oder zwei?“
Sharon blickte zu John hinüber, um zu sehen, welche Sorte er gewählt hatte. „Er mag am liebsten Kirsch, wenn davon noch etwas da ist. Wahrscheinlich bezeichnet er das als Obst und isst es zum Frühstück.“ Sie lachten. Evie ging in die Küche, um die Sachen einzupacken.
Noch eine Stunde, um letzte Dinge zu regeln, überlegte Sharon, während sie in Gedanken die unmittelbar anstehenden Aufgaben durchging. Evie und David auf den Weg bringen, wegen der Büroräume herumtelefonieren und dann eine kurze Nachricht an den Gouverneur – um ihn auf dem Laufenden zu halten, worum er gebeten hat. John sah zu ihr herüber und sie erwiderte sein Lächeln. Er war ihre wichtigste Unterstützung bei dieser neuen Herausforderung. Gott, du hast mir wirklich einen guten Mann geschenkt, wandte sie sich dankbar nach oben.
Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bringen, wenn man bei der Polizei war, erforderte ungewöhnlich viel Weisheit. Sharon wusste, dass Evie auch gerade dabei war, das für ihr eigenes Leben auf die Reihe zu bekommen. Eine junge, begabte Ermittlerin, die dazu prädestiniert war, Ann in Bereichen zu ersetzen, die dem Gouverneur am Herzen lagen. Evie war auch deshalb Mitglied der Task Force, weil Sharon ihr dadurch helfen konnte, sich auf diese Rolle vorzubereiten; sie selbst würde diese Rolle als Mentorin genießen. Evie und David als Team zusammenzubringen, war der erste Schritt in diese Richtung gewesen. David war ein hervorragender Ermittler und ein wunderbarer Mensch. Er führte schon seit einigen Jahren eine ernsthafte Beziehung. Die Herausforderung, Arbeit und Privates miteinander zu vereinen, war eine weitere Gemeinsamkeit im Team und konnte zu hilfreichen Gesprächen führen.
Theo war Single, aber älter als die anderen Anwesenden. Er ging mit interessanten Frauen aus, hatte aber nicht vor, in absehbarer Zukunft zu heiraten und eine Familie zu gründen. Er war ein zuverlässiger Polizist, arbeitete ruhig und beständig und hatte sich in seinem bisherigen beruflichen Werdegang auf ungelöste Fälle spezialisiert. Sharon wusste, dass sie von Glück sagen konnte, dass er zu ihrem Team gestoßen war. So wie sie es einschätzte, könnte Theo der natürliche Mittelpunkt ihres Teams werden und die anderen konnten ihn um Rat fragen, wenn ihr Fall in eine Sackgasse geriet. Sie würde es jedenfalls tun.
Taylor, der verheiratet war und zwei Söhne im College hatte, ließ sich eigentlich in kein typisches Beamtenmuster einordnen. Er hatte die Arbeit bei der Streife geliebt, hatte undercover gearbeitet, aber auch einen Verwaltungsposten gehabt und war schließlich Kriminalbeamter geworden. Wo immer er gewesen war, hatte sich die jeweilige Behörde zum Positiven entwickelt – mehr Engagement, schnellere Reaktionszeiten, weniger Beschwerden aus der Bevölkerung, sinkende Kriminalitätsraten. Nachdem Sharon Taylor einige Male getroffen hatte, war ihr bewusst geworden, dass er für die Menschen um sich herum betete – es gehörte einfach zu seiner Art des Arbeitens und er tat es so zuverlässig, dass er eine Spur aus Frieden und Gerechtigkeit hinterließ.
Sharon lächelte, als sie überlegte, dass alle hier Anwesenden ihre Arbeit liebten. Rätsel im wahren Leben zu lösen, war wichtig, und keiner von ihnen ließ sich schnell entmutigen, wenn ein Fall ins Stocken geriet. Sie alle brachten jede Menge Erfahrung mit, wenn es um das Finden von Lösungen und Antworten ging. Es würden zwei gute Jahre werden.
Dee Henderson
Seit 1996 hat sich Dee Henderson mit nur zwei Romanserien in die Spitze der christlichen Schriftsteller in den USA geschrieben. Dem Erfolg entsprechend hat die Tochter eines Pfarrers ihren Beruf als Finanzbeamtin an den Nagel gehängt und lebt als Schriftstellerin bei Chicago.
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