Und nicht selten ist es auch die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie und die bittere Enttäuschung in der Gesellschaft, aus der sie kommen, so z. B. im Iran, oder auch einfach nur die Armut, die sie zu uns bringt. Sie scheuen keine Strapazen; auf abenteuerlichsten Wegen gelangen sie nach Europa und dann auch zu uns nach Deutschland. So wie der kleine Hamid aus Afghanistan, der allein seine Flucht über das Mittelmeer überlebte. Die Asylbewohnerheime in Deutschland sind überfüllt mit Flüchtlingen aus der Welt des Islam.
Und nicht wenige von ihnen sind längst im Besitz eines deutschen Passes. Muslime leben unter uns. Ist der Islam in Deutschland zu Hause? Die entsprechende Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff macht an dieser Stelle die Runde. Dieser hatte am Tag der deutschen Einheit im Jahr 2010 gesagt: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Immerhin zeigen sich 44 Prozent der Deutschen mit dieser Aussage des Bundespräsidenten laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa einverstanden. Keine Exotik aus 1001 Nacht, keine Abenteuer von Aladin umranken sie. Nein, sie sind Menschen wie wir alle. Unsere neuen Nachbarn, die zu uns gekommen sind, weil die Lebensumstände in ihrer Heimat unerträglich wurden.
Und doch sind sie anders. Ihre Sitten, ihre Kleider und ihre Kultur verraten eine Lebensweise, die auf einer anderen Religion fußt – und diese Religion nennen sie „Islam“. Dabei ist für sie der Islam weit mehr als religiöse Regeln und Kultgesetze. Er ist ein Lebensstil, eine Weltanschauung, eine Kultur. Und als solcher stellt er eine enorme Herausforderung für den Westen dar.
Für uns Christen sind diese Menschen mehr als Nachbarn. Sie kennen Jesus nicht. Und wir sind aufgerufen, ihnen das Evangelium, die Gute Nachricht unseres Herrn Jesus Christus näher zu bringen. Das ist Gottes Befehl an uns. Aber dieser Auftrag erweist sich für die meisten christlichen Gemeinden in unserem Land als eine fast unüberwindliche Herausforderung. Keine andere Einwohnergruppe in unserem Land ist so evangelisationsresistent wie die Muslime. Aus keiner anderen Einwanderergruppe sind so wenige Menschen für den Glauben an Jesus Christus gewonnen worden. Seit Jahrzehnten bevölkern sie unsere Städte und oft sogar Dörfer. Warum kommt das Evangelium bei ihnen nicht an? Was machen wir falsch? Warum verstehen sie die beste Botschaft nicht? Und wie könnten wir es besser machen?
Freilich geht es nicht nur uns in Deutschland so. Man kann mit Recht behaupten, dass die Resistenz der Muslime gegenüber dem Evangelium ein globales Problem darstellt. Der Bericht der Lausanner Konsultation in Pattaya 1980 macht das unmissverständlich deutlich. Hier heißt es: „Sobald wir beginnen, auf die Muslime einzugehen, und versuchen, ihnen das Evangelium mitzuteilen, wird deutlich, wie schwer es ist, ihnen das Evangelium so zu sagen, dass sie es auch verstehen.“
„Wir sind eine mikroskopisch kleine Minderheit“, sagen die Christen in Bangladesch häufig über sich selbst. Das ist verständlich. Schließlich gibt es in dem Land, das gut 130 Millionen Einwohner zählt, nur 400.000 Christen, das sind 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. 88 Prozent sind Muslime, zehn Prozent Hindus und die restlichen zwei Prozent Buddhisten, Christen und andere. Wie gewinnt man in einem Land wie Bangladesch Menschen für Jesus, die sich bewusst an den Islam halten?
Unsere Fragen sind also auch die Fragen der Christen in Bangladesch. Und in anderen Ländern werden die Christen mit Sicherheit die gleichen Fragen bewegen. In diesem Buch gehe ich solchen Fragen nach.
Die Einsichten, die ich weitergebe, kommen zum einen aus intensiven Studien des Islam und der Gemeindearbeit im islamischen Raum, aber auch aus persönlichen Erfahrungen mit Muslimen, die Gott durch mich zu Jesus führte. Viele von ihnen sind persönliche Freunde geworden. Sie haben wesentlich zu diesem Manuskript beigetragen. Und ich bedanke mich hiermit von Herzen für ihre Mitarbeit. Ohne euch wäre das Buch nie fertig geworden. Und diesen MBBs widme ich auch das Buch. Ich hoffe sehr, es hilft Christen im missionarischen Bemühen, Muslimen das Evangelium ans Herz zu legen.
Johannes Reimer
Bergneustadt, im Sommer 2015
Kapitel 1:
Muslime – unsere Nachbarn
1. Der Islam – eine Religion der Unterwerfung
Die Muslime nennen ihre Religion Islam. Dieser Begriff ist vom arabischen Verb aslama („übergeben, sich ergeben, sich hingeben“) abgeleitet und bedeutet „Unterwerfung (unter Gott)“, „völlige Hingabe (an Gott)“. Immer wieder behaupten Muslime, dass die Bezeichnung ihrer Religion vom Begriff Salam, was Friede bedeutet, abstamme. So schreibt Dr. Abdul Al-Sheha: „Islam ist eine Ableitung aus dem Wort ,Der Frieden‘ (As-Salam); er bedeutet die seelische und körperliche Hingabe und Unterwerfung an den Besitzer allen Reichtums, Allah, den Herrn der Welten.“ Dies ist eine Behauptung, die so weder im Koran noch in den Kommentarwerken islamischer Gelehrter nachweisbar ist. Zwar ist einer der Namen von Allah As-Salam (Sure 59,23) und die Anhänger des Islam werden verpflichtet, sich mit der Friedensformel Salam zu grüßen (Sure 6,127), und ihnen wird im Paradies eine Wohnstätte des Friedens versprochen (Sure 33,44); davon aber die Bedeutung, ja gar das Wesen der Religion abzuleiten, ist mehr als gewagt. Al-Sheha schreibt: „Der Islam ist die Religion des umfassenden Friedens im vollkommenen Sinne des Wortes, ob es sich auf die interne Ebene der islamischen Gemeinschaft oder auf die externe, globale Ebene bezieht.“ Worte, die zwar großartig klingen, allerdings weder mit der Theorie noch der Praxis des Islam übereinstimmen. Der Islam ist eine Religion der Unterwerfung, „... ein Glaube, eine Lebensweise und eine Bewegung zur Aufrichtung der islamischen Ordnung in der Welt“, so definiert der Islamrat für Europa seine Religion. Damit ist der Islam als eine Lebensanschauung beschrieben, die Exklusivität in Fragen des Glaubens und der rechten Lebensart beansprucht und diese auf alle Menschen ausdehnen möchte.
Das Heilige Buch des Islam, der Koran, bestätigt das. In Sure 3,19a heißt es: „Als (einzig wahre) Religion gilt bei Gott der Islam.“ Folgerichtig ist ein Muslim jemand, der sich rücksichtslos der Lebensweise des Islam unterworfen hat. Das arabische Wort Muslim heißt „sich Ergebender oder Unterwerfender“. Und wie treu Muslime ihrem Glauben bleiben, kann man mittlerweile überall in Europa sehen. Wie keine andere religiöse Gemeinschaft leisten sie sowohl den Bekehrungsversuchen der Christen, als auch dem Säkularismus Widerstand. Überall in Europa entstehen Parallelwelten der Muslime, die einheitlich-kulturelle Gemeinwesen infrage stellen und vor neue Herausforderungen bringen.
1.2. Nachbarschaft bewusst leben
Die wachsende Anzahl muslimischer Nachbarn versetzt nicht von ungefähr gerade die christlichen Gemeinden in Unruhe. Wie sollen wir Christen mit diesem so anders geprägten Glauben umgehen? Wie sollen wir den Muslimen begegnen? Und wie können wir ihnen schließlich das Evangelium so verkündigen, dass sie es verstehen und annehmen? Im Rahmen dieser Darstellung ist die Frage berechtigt, wie wir christliche Gemeinden in Lebensräumen mit einer starken islamischen Präsenz bauen können. In wieweit lassen sich Menschen mit muslimischem Hintergrund in den Strukturen christlicher Gemeinden auffangen? Oder ist es eher angebracht, an völlig andere Strukturen zu denken, wenn man Muslime mit dem Evangelium erreichen und sie in christliche Gemeinden integrieren möchte? Wie gewinnt man Menschen für Jesus, die uns fremd sind, uns Angst machen und sich kaum an unsere Lebensweise anpassen wollen?
Bei der Beantwortung dieser Fragen kann es weder darum gehen, den Islam zu verteufeln, noch ihn zu beschönigen. Menschen müssen so, wie sie sind, und da, wo sie sich befinden, ernst genommen und geliebt werden, wenn wir sie für das Reich Gottes gewinnen wollen. So und nicht anders hat es Jesus getan. Wer einmal einen wahren Freund unter den Muslimen gefunden hat, der kann mir nur recht geben. Ihre Gastfreundschaft wird nicht von ungefähr als eine der besonderen, orientalischen Tugenden gepriesen. Freilich gibt es auch die anderen Muslime. Die Militanten. Den IS und ähnliche Gruppen. Doch alle Muslime in dieses Schema zu pressen, ist grundlegend falsch. Genauso wenig kann man einen einheitlichen islamischen Glaubens- und Lebensraum postulieren. Die Lektüre dieses Buches wird zeigen, wie bunt die Welt des Islam ist. Jede Verallgemeinerung kommt daher einer potenziellen Verunglimpfung aller gleich. Und davon sollten wir Christen uns bewusst und entschieden distanzieren.
Muslime kommen aus einer anderen Kultur. Und dieses Anderssein macht es uns oft schwer, sie zu verstehen. Doch wenn man einmal verstanden hat, warum sie so und nicht anders denken und handeln, dann kann ein Dialog beginnen, der zur Freundschaft führt und schließlich auch ein Gespräch über den Glauben möglich macht. Setzt doch gerade Evangelisation ein Vertrauensverhältnis voraus.
Die Evangelisation muslimischer Nachbarn kann gelingen. Aber sicher nicht in Konfrontation, sondern in bewusster und gewollter Nachbarschaft. Wo Menschen, die selbst großen Wert auf Gastfreundschaft legen, es erleben, dass sie in der neuen Heimat willkommen sind, wo man ihnen nicht mit Vorwürfen, sondern mit Liebe entgegentritt, da ist sehr vieles möglich. Dieses Buch will dazu beitragen.
1.3. Aber der Glaube der Muslime ist doch antichristlich
Ich höre schon die Kritiker rufen: „Und der Glaube? Der Islam? Handelt es sich hier nicht um ein antichristliches religiöses Gebilde? Ist der Islam nicht etwa die Brutstätte des antichristlichen Reiches der Endzeit, wie man es heute so oft hören und lesen kann?“
Sicher wird das gesagt. Und sicher gibt es auch unter uns Christen solche, die sich weniger für Mission und Evangelisation einsetzen, sondern die mit der Endzeit und ihren möglichen Gefahren beschäftigt sind. Ich will ja gar nicht bestreiten, dass auch diese Fragen wichtig und wert sind beantwortet zu werden. Nur nicht hier. In diesem Buch geht es primär um die Frage nach der effektiven Kommunikation des Evangeliums und nicht um Entschuldigungen, warum man sich damit nicht beschäftigen will.
Die Frage nach dem Grad der Dämonisierung des Islam ist wichtig, darf uns aber nicht davon abhalten, nach Wegen zu fragen, wie wir Muslime für Jesus gewinnen. Zumal wir keine Weltreligion und damit auch nicht den Islam als gänzlich korrumpiert und vom Bösen durchdrungen ansehen. Wir orientieren uns an der tripolaren Natur aller Religionen, wie in der Einführung zu dieser Serie diskutiert. Danach finden sich im Islam sowohl Spuren göttlichen Wirkens (theonome Dimension), menschlichen Handelns (anthropologische Dimension) als auch Zeichen dämonischen Wirkens (dämonologische Dimension). Wir können und wir werden okkulte Seiten des Islam nicht verschweigen, genauso wenig wie die Tatsache, dass auch im Islam nach Spuren göttlichen Wirkens gefragt werden kann.
Wer Muslime zu Jesus führen will, der hat an erster Stelle die Muslime als Menschen im Blick. Sie sind ohne Jesus verloren und ermangeln der Herrlichkeit, die sie bei ihm haben könnten. Und Gott will, dass auch sie gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1Tim. 2,4). Und wenn wir sie zum Glauben an Jesus führen wollen und unter ihnen Gemeinde Jesu bauen wollen, dann sollten wir lernen, sie zu verstehen und zu lieben. Nur so kann Vertrauen zwischen uns entstehen. Und nur so werden wir fähig, sie auf ihrem Weg mit Gott zur vollen Erkenntnis der Wahrheit zu führen, die Jesus Christus allein ist (Joh. 14,6).
1.4. Learning by doing
Der bekannte Islamkenner Kenneth Gragg schrieb: „Um in den Islam eingeführt zu werden, ist es besser, eine Moschee aufzusuchen, als zu einem Lexikon zu greifen.“ Wer auch nur kurz mit Muslimen in Kontakt gekommen ist, weiß, wie wahr dieser Satz ist. Muslime können nur dann wirklich verstanden werden, wenn man sich auf sie einlässt. Nicht zuletzt deshalb möchte ich die Leser dieses Buches ermutigen, nicht bei den hier vorgefundenen Informationen stehen zu bleiben, sondern diese durch das Gespräch mit Muslimen zu ergänzen. Sie werden erstaunt entdecken, wie gern diese Menschen über ihren Glauben und ihre Kultur reden, sobald sie merken, dass unser Interesse echt ist. Und wenn sie sich erst einmal verstanden fühlen, so wird auch ihr Interesse uns gegenüber wachsen. Erst so wird eine Beziehung möglich, die allein den Grund für echte Evangelisation und Gemeindebau bietet. Wir sollten den Mut aufbringen, auf Muslime zuzugehen, sie kennenzulernen, sie nach ihrer Geschichte, ihrem Glauben und ihrem Erleben zu fragen. So werden wir die Grundlage für ein echtes Vertrauensverhältnis zu ihnen legen und auf dieser Basis können wir sie dann für Jesus gewinnen.
In diesem Buch finden Sie Anregungen, Impulse und allgemeine Informationen, die das Gespräch mit Muslimen vertiefen und kompetenter machen sollen. Achten Sie dabei auf beides: (a) Hinweise auf mögliche Anknüpfungspunkte in der Geschichte des Islam und im Koran und (b) auf Gefahren, synkretistische Fallen, die der Islam aufstellt. Die positiven Impulse sind mit einem Ausrufezeichen! markiert, während die Gefahren mit einem Fragezeichen? gekennzeichnet sind. Am Ende eines jeden Kapitels können Sie sich persönliche Eindrücke, Erkenntnisse und Fragen zur Weiterarbeit notieren. Falls Sie sich dazu entschließen, das Buch parallel zu einer sich entwickelnden Freundschaft zu Muslimen zu lesen, notieren Sie sich potenzielle Einwände Ihrer Gesprächspartner. So wird Ihr Lernen intensiviert und Sie gewinnen das meiste aus der Lektüre dieser Handreichung.