Josephina Harris, von allen nur Joey genannt, steht vor dem Aus. Ihr kleines Unternehmen ist unverschuldet in Turbulenzen geraten und das Auftragsbuch ist leer. Und so beschließt Josephina schweren Herzens, ihre Heimatstadt zu verlassen und sich in North Carolina auf einer kleinen Insel als Projektleiterin für die Sanierung eines stillgelegten Leuchtturms zu bewerben.
Bei den Arbeiten an dem maroden Gebäude entdeckt Joey seltsame Notizen, die tief in den Ritzen der alten Steinmauern versteckt sind – Seiten, die aus dem Tagebuch des Leuchtturmwächters herausgerissen wurden und von erschütternden Rettungsaktionen auf See berichten. Sie ahnt nicht, dass sie einer großen Liebesgeschichte auf der Spur ist, die noch auf ihr Happy End wartet.
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Eine halbe Stunde später fuhr Joey auf einen freien Parkplatz vor einem kleinen Imbiss, der ein wenig versteckt hinter einer Reihe von Läden lag, die allesamt in die Jahre gekommen waren.
Sie lehnte sich an die Kopfstütze und schloss die Augen ganz fest. Warum hatte sie sich nur von Sophie zu diesem Unsinn überreden lassen? Sie wusste genau, was nötig war, um den Ablauf eines Festbanketts zu planen, aber den Umfang und die Arbeitsgänge bei einem ausgemusterten Leuchtturm einzuschätzen? Dieser Finnegan O’Hare würde sie sofort durchschauen. Er würde wissen, dass sie keine Fachkraft war, sondern ihre Kenntnisse bei der gemeinsamen Arbeit mit ihrem Vater erworben hatte. Hinter ihrer Fassade würde er die Eventmanagerin sehen mit all dem Tüll und den Blumengestecken und den Dekoideen, die sie in Wirklichkeit ausmachten.
Joey wusste, wie man Dinge einen Abend lang schön aussehen lassen konnte.
Aber etwas zu reparieren, was wirklich kaputt war? Da hatte sie ernsthafte Zweifel.
Sie stieg aus dem Wagen und straffte die Schultern. Sie hatte keine Wohnung und ihre Einkommensquelle war so gut wie versiegt – ihre sprichwörtlichen Brücken waren so was von abgebrochen, dass nichts mehr davon übrig war. Wenn sie selbst nicht glaubte, dass sie dieses Projekt managen konnte, wie sollte sie dann Finnegan O’Hare davon überzeugen, sich für sie zu entscheiden und nicht für ihren Rivalen? Sie musste selbstbewusst auftreten.
Joey warf einen letzten Blick auf das vorläufige Angebot, das sie geschrieben hatte, und ging im Geiste noch einmal durch, wie sie ihre wichtigsten Fähigkeiten präsentieren wollte.
Auf dem Weg in die Gaststätte kam sie an einem Anzugträger vorbei, der neben dem Eingang auf und ab lief und telefonierte. Neben dem schlichten Imbiss mit seiner abblätternden Farbe wirkte er irgendwie fehl am Platz. Es schien so, als führte er gerade ein unangenehmes Telefonat. Vermutlich ein ausgebrannter Chef, den die Arbeit auch im Urlaub nicht in Ruhe ließ.
Joey ging um ihn herum und betrat den Imbiss.
Sie fingerte an dem Saum ihrer Bluse herum und sah sich in dem mäßig besuchten Imbiss um. Außer einer Gruppe Fischer saß nur noch ein älterer Herr an einem Tisch in einer Nische. Er hatte seinen Hut tief in die Stirn gezogen, während er die Speisekarte studierte.
Joey sah auf ihre Uhr. Punkt drei. Sie war doch am vereinbarten Treffpunkt, oder? Sie straffte die Schultern und trat auf den Mann in der Nische zu. Sie räusperte sich und er hob den Kopf.
»Ich suche Finnegan O’Hare. Wissen Sie zufällig, wo ich ihn finden kann?«
»Kommt drauf an.«
»Worauf denn?« Joey trat von einem Fuß auf den anderen und widerstand dem Drang, einfach wieder in ihren Pickup zu steigen und zurückzufahren.
»Wer Sie sind und was Sie von ihm wollen.« Seine Mundwinkel zuckten und seine blauen Augen funkelten.
»Ich bin Josephina Harris und bin hier, um mir sein Leuchtturmprojekt anzusehen.«
Der Kopf des Mannes zuckte ein kleines bisschen zurück und er blinzelte sie an. »Josephina Harris, auch bekannt als Joey Harris?«
Joeys Gesicht wurde warm. Den Bruchteil einer Sekunde lang stockte ihr professionelles Lächeln, als er ihren Spitznamen sagte. »Ja, Sir. Genau die.«
Der Mann stieß ein kurzes, heiseres Lachen aus. »Ich werd’ nicht mehr.« Er streckte eine wettergegerbte Hand aus. »Ich bin Finnegan O’Hare. Es ist mir ein riesiges Vergnügen, Sie kennenzulernen. Mehr, als Sie ahnen.« Aber warum hatte er so verblüfft gewirkt, als sie sich vorgestellt hatte?
Joey trat einen Schritt vor, um dem Mann die Hand zu geben. »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, und ich kann es kaum erwarten, meine Sanierungsideen mit Ihnen durchzugehen und die Immobilie zu sehen, damit ich mir ein besseres Bild davon machen kann, welche Arbeiten durchgeführt werden müssen.« Sie griff in ihre Tasche und zog Notizbuch und Druckbleistift heraus, dazu einige Notizen und Fragen, die sie klären musste, bevor sie den Job offiziell annahm.
O’Hare lächelte. »Immer mit der Ruhe. Sie warten besser …«
Die Eingangstür öffnete sich und der überarbeitete Geschäftsführer, der vor dem Imbiss telefoniert hatte, kam auf sie zu. »Der andere Projektleiter hat gerade abgesagt«, sagte er, als er die Nische erreicht hatte. »Jetzt habe ich nur noch diesen Joey, der viel weniger Erfahrung hat. Und zu spät ist er auch.«
Joeys Herz hämmerte wie eine Basstrommel. Er hatte sie ebenfalls Joey genannt. »Em … entschuldigen Sie …« Sie hob die Hand und winkte verlegen. Hatte sie in der Bewerbung versehentlich ihren Spitznamen angegeben? Das konnte doch nicht sein.
Der ältere der beiden Männer hob eine Hand. »Finn. Finn, warte.« Er zeigte auf Joey. Darf ich dir Joey Harris vorstellen?«
Dem anderen Mann fiel die Kinnlade herunter. »Joey Harris? Der Joey Harris, der sich für die Sanierung von Bleakpoint Light beworben hat? Pops, ich bin nicht in der Stimmung für einen deiner Späße.«
Joey zwang sich zu lächeln. »Genau genommen heiße ich Josephina Harris, aber ich …« Ein nervöses Lachen begleitete ihre Worte.
Die Blicke ihres Gegenübers huschten in einer Nanosekunde von Joeys Gesicht zu ihren Füßen und wieder zurück. »Auf Ihrer Bewerbung stand Joey Harris.«
Sie presste die Lippen aufeinander und richtete sich so weit auf, wie sie konnte, während sie die Hand ausstreckte. Augen zu und durch. »Ja, Sir. So nennen meine Freunde mich. Und Sie sind?« Joey hielt die Hand ausgestreckt, während sie darauf wartete, dass er sie ergriff.
»Finn O’Hare.«
Sie drückte seine Hand fest und widerstand der Versuchung, den Blickkontakt abzubrechen. Er hatte also einen kräftigen Kerl namens Joey erwartet. Keine zierliche weibliche Fassung. Es war nicht ihre Schuld, dass er zum falschen Schluss gekommen war – sie zog innerlich eine Grimasse –, abgesehen von der Kleinigkeit, dass sie bei der Bewerbung nicht ihren offiziellen Vornamen angegeben hatte. Sie erwiderte seinen prüfenden Blick und tat so, als würde auch sie ihn mustern und abschätzen, ob er ein würdiger Auftraggeber war.
Einen Vorteil hatte sie allerdings – sie war die einzige Option für die beiden Männer. Sie unterdrückte einen Seufzer. Dann wandte sie sich wieder an den älteren Mann. »Ich dachte, Sie wären Finnegan O’Hare.«
Er tippte sich an den Kopf. »Ich bin Finnegan O’Hare. Senior.« Seine blauen Augen funkelten im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel. » Er rückte seine Kappe zurecht und grinste sie verschmitzt an. »Wenn Sie meinen Enkel hier meinen« – er deutete mit dem Daumen auf den jüngeren Mann – »sollten Sie nach Finn fragen, damit es keine Verwirrung gibt. Mich nennen die Leute hier Walt.«
»Walt?« Joeys Blick huschte zwischen den beiden Männern hin und her. Finns Miene war immer noch mürrisch. Seinem Großvater, der lebhaft und voller Elan war, schien die Wendung der Ereignisse Vergnügen zu bereiten. Aber welcher von beiden war jetzt für sie der Ansprechpartner?
»Sie nennen mich Walt, weil ich mit zweitem Namen Walter heiße. Finnegan hat mir noch nie gefallen. Klingt mir zu hochnäsig.« Er warf einen Blick auf die elegante Erscheinung seines Enkels, als wäre der das perfekte Gegenbeispiel.
Joey lächelte höflich und sagte: »Walt, Finn, es freut mich, Sie kennenzulernen, und ich freue mich darauf, mehr über Ihre Erwartungen und Pläne für den Leuchtturm zu hören und darüber, wie ich Sie als Projektleiterin am besten unterstützen kann. Und ich würde gerne Ihre Fragen beantworten, die Sie haben, was meine Erfahrungen mit der Sanierung und dem Erhalt historischer Gebäude betrifft.«
Walt nickte begeistert. »Ich mag sie, Finn. Sie ist die Richtige. Außerdem ist es ja mein Leuchtturm, oder? Ich stimme für Joey.«
»Ich überlege es mir, Pops.« Finn zeigte auf die Tür. » Haben Sie etwas dagegen, mit mir nach draußen zu kommen, um über die Einzelheiten zu reden?«
Er sprach ohne jegliche Wärme in der Stimme. Joey kannte diesen Tonfall. Sobald sie durch die Tür getreten waren, würde er sie abservieren. Sie zog eine Grimasse und widerstand dem Drang, die Schultern hängen zu lassen. »Natürlich, Sir.«
Sie warf Walt einen letzten Blick zu. Er fuhr mit den Fingerspitzen über eine knubbelige Narbe an seiner Hand, während er vor sich hinstarrte, als würde er noch einmal die Ereignisse durchleben, die diese Narbe verursacht hatten. Aber es lag nicht nur Schmerz in seinen Augen. Seine Miene hatte auch etwas Wehmütiges an sich. Anstatt durch die Tür zu treten, wäre Joey viel lieber geblieben, um herauszufinden, an welchen Kummer Walt gerade dachte.
* * *
Die junge Frau folgte Finn nach draußen und ihre selbstbewusste Haltung war jetzt ein bisschen weniger aufrecht. Walt war sich sicher, dass Joey viel Mumm hatte, aber etwas musste ihrem Selbstwertgefühl einen Dämpfer verpasst haben. Er würde Finns Entscheidung respektieren, wie er es versprochen hatte. Solange Finn sie ablehnte, weil sie nicht in der Lage war, die Restaurierung angemessen zu betreuen. Nicht, weil er einen Mann erwartet hatte.
Er behielt Finn und Joey genau im Blick.
Sie entfernte sich einen Schritt von ihm und Röte stieg ihr ins Gesicht. Würde sie gleich weinen? Vielleicht. Aber ausgehend von ihren geballten Fäusten würden es wohl eher Tränen der Wut als der Niedergeschlagenheit sein.
Finn gestikulierte entschuldigend, aber seine Miene war entschlossen. Walt schüttelte den Kopf. Er hatte diesen Jungen großgezogen, seit er fünf Jahre alt gewesen war, und obwohl er jetzt ein kantiges Kinn und Bartstoppeln hatte und keinen Babyspeck mehr, hatte diese eigensinnige Miene, wenn er einen Entschluss gefasst hatte, sich kein bisschen verändert.
Walt legte genug Bargeld für seinen Kaffee und ein großzügiges Trinkgeld auf den Tisch und machte sich auf den Weg nach draußen. Er trat näher und das Gespräch zwischen Finn und Joey erstarb. »Seid ihr bereit?«
Finn wandte sich zu ihm um. »Wofür?«
Joey drehte sich einen Moment lang weg, als wollte sie nach dem Meer suchen, von dem die salzige Brise herüberwehte, die ihr die Haare ins Gesicht schlug. Während sie Finn und Walt den Rücken zugekehrt hatte, nahm sie ein Taschentuch zur Hand und tat so, als würde sie sich die Nase putzen, bevor sie sich wieder umdrehte und die Gefühle aus ihrem Gesichtsausdruck verschwunden waren.
So ist’s recht, Mädchen. Gib nicht auf. Noch ist die Sache nicht entschieden. »Um der jungen Frau hier meinen Leuchtturm zu zeigen, was denn sonst?«
»Pops, wir sollten Miss Harris’ Zeit nicht vergeuden.«
Walt blickte weiterhin Joey an. »Miss Harris, würden Sie gerne meinen Leuchtturm sehen? Ich glaube, er ist noch zu retten. Sind Sie jemand, der sich vorstellen kann, was einmal sein könnte, wenn er sieht, was ist? Ich habe das Gefühl, Sie können das.«
Joey nickte und trat einen Schritt näher. »Ich …«
»Pops …« Finn funkelte ihn warnend an, aber Walt ignorierte ihn fröhlich.
»Gut, dachte ich mir.« Er unterdrückte das Grinsen, das sich einen Weg in sein Gesicht bahnen wollte, als er den zunehmenden Frust seines Enkels sah. Er verstand Finns Sorgen ja durchaus. Walt hatte sein komplettes Vermögen in ein altes Segelboot und eine verlassene Insel mit einem verfallenen Leuchtturm investiert. Und er war kein junger Hüpfer mehr.
Finn schnaubte. »Wir haben gerade darüber gesprochen, dass diese Arbeit vielleicht nicht …«
Walt machte eine wegwerfende Handbewegung und schnitt Finn damit das Wort ab. »Ich dachte, du wolltest nicht Miss Harris’ Zeit verschwenden. Dann hören wir besser auf zu palavern und legen los.« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter auf Finns Audi. »Sie können uns einfach zum Hafen folgen. Um zu Bleakpoint zu kommen, müssen wir natürlich das Boot nehmen.« Er sah sich auf dem Parkplatz um und grinste. »Der da gehört bestimmt Ihnen. Ich glaube, ich habe noch nie einen Toyota in der Farbe gesehen.«
Joey errötete und zog ein bisschen den Kopf ein. »Tja, das ist meiner.«
Während Joey zu ihrem Pickup ging, schlenderte Walt zum schwarzen Audi seines Enkels. Hinter ihm murmelte Finn etwas Unverständliches. Als sie im Wagen saßen, fragte Finn. »Ist dein Boot überhaupt schon seetüchtig, Pops? Was machen wir denn, wenn wir ablegen und Miss Harris im Sund versenken?«
Walt wurde wütend. »Natürlich ist es seetüchtig. Wie kannst du mein Boot so beleidigen?« Obwohl Walt gerade ein größeres Leck geflickt hatte, als Finn das letzte Mal zu Besuch gewesen war. Und ein Loch im Segel. Aber ein junger Bursche, der im Winter auf der Suche nach Arbeit gewesen war, hatte es geschafft, das Boot wieder flottzumachen.
Walt sah Finn mit seinem besten elterlichen Blick an. »Und warum bist du so gegen Miss Harris? Bevor sie erschienen ist, warst du doch ganz Feuer und Flamme.«
Finn fuhr die menschenleere Straße entlang und sein ungläubiger Blick war starr nach vorne gerichtet. »Ich dachte, das müsste ich nicht erklären. Aber ich verstehe nicht, warum du ihr falsche Hoffnungen machst.«
»Ich mache ihr keine falschen Hoffnungen. Das nennt man Manieren, mein Junge.« Walt schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht fassen, dass du sie einfach so abservierst, nachdem sie die lange Fahrt hierher gemacht hat. So habe ich dich wirklich nicht erzogen. Außerdem glaube ich, dass sie genau die Richtige ist, um den Leuchtturm zu restaurieren.« Walt spürte bis in seine alten Knochen, dass Joey Harris für diesen Auftrag wie geschaffen war.
Finn schnaubte verächtlich. »Wir haben doch vereinbart, dass ich den Projektleiter aussuche, und sie wird es definitiv nicht.«
Walt runzelte die Stirn. »Sexismus und Altersdiskriminierung in einem Atemzug. Du solltest dich besser zurückhalten, bevor du einen Fehler machst.«
»Wie bitte?«
»Du hast mein Leuchtturmprojekt an dich gerissen, weil du denkst, ich wäre zu alt und trottelig, um damit fertigzuwerden. Und du tust Joey ab, weil sie eine Frau ist.«
Finn konzentrierte sich wieder auf die Straße und schüttelte den Kopf. »Es ist zu gefährlich für sie, allein da draußen auf der Insel zu sein. Grottiger Handyempfang. Kein Internet. Du bezeichnest es vielleicht als sexistisch, aber ich sage dir, es ist nur offen und ehrlich. Die Bautrupps werden höchstwahrscheinlich nur aus Männern bestehen und du weißt, was das bedeuten kann.«
»Sollte es nicht ihre eigene Entscheidung sein, ob sie sich das zumuten will? Außerdem bin ich mir sicher, dass sie auf sich selbst aufpassen kann, nachdem ich ihren Lebenslauf gelesen habe.«
Wieder schnaubte Finn spöttisch. »Die Frau fährt einen rosafarbenen Pickup mit der Aufschrift Josephinas Eventschmiede. Sie hat bei der Bewerbung nicht mal ihren richtigen Namen genannt. Sie ist Eventmanagerin, keine Projektleiterin. Das hat in ihrem kurzgehaltenen Lebenslauf nicht gestanden.«
Walt wiegte den Kopf hin und her. »Ich würde sagen, das war ihr einziger Fehltritt.«
Finn nickte heftig und sah erleichtert aus, weil sie endlich einer Meinung waren.
Walt unterdrückte ein Grinsen. »Mich wundert es, dass sie das Eventmanagement nicht als relevante Berufserfahrung betrachtet. Ich würde sagen, es qualifiziert sie mindestens genauso für diesen Job wie ihre Erfahrung mit Häuserrenovierungen. Vielleicht sogar noch mehr.«
»Was?«
»Wenn du wählen müsstest, ob du Ingenieure, Architekten und Bauarbeiter organisieren willst, damit die Arbeiten effizient laufen, oder eine hysterische Braut, eine gefühlsduselige Brautmutter, die eine Traumhochzeit für ihre Tochter will – ganz zu schweigen von fünfzehn Brautjungfern, Cateringdiensten, Musikern, Floristinnen und einer Sitzordnung für fünfhundert Personen und tausend andere Details, die ich mir nicht einmal vorstellen kann –, was meinst du, wäre einfacher? Und überleg dir gut, was du antwortest. Deine Grandma Martha, Gott hab sie selig, hat Veranstaltungen organisiert, bevor du geboren wurdest. Ich weiß, was für logistische Albträume diese Frau gemeistert hat.«
Finns angespannte Schultern lockerten sich etwas und der Anflug eines Lächelns machte seine Züge weicher. Er war ein guter Junge, wenn er nicht so verkrampft war vor lauter Sorgen. »Dich hat Gandma jedenfalls gut im Griff gehabt.« Finn warf Walt einen Blick zu. »Diese Rolle finde ich deutlich anstrengender, als ich ursprünglich dachte.«
Walt grunzte. »Ach was, ich brauche kein Kindermädchen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Wenn ich den Schmerz verkraften musste, deine Grandma zu verlieren, kann ich mich doch wohl ein bisschen daran erfreuen, Dinge zu tun, die mir in den Sinn kommen, solange mein alter Körper es noch kann.«
»Und deshalb hast du beschlossen, ein heruntergekommenes Segelboot und einen baufälligen Leuchtturm zu adoptieren?« Finn grinste.
Sie bogen auf den Parkplatz am Yachthafen ein. Finn stellte den Wagen ab. Dann wandte er sich seinem Großvater zu und jetzt war seine Miene wieder besorgt. »Aber im Ernst, Pops, warum bedeutet dir dieses Leuchtturmprojekt eigentlich so viel? Es ist doch mehr als ein Hobby für dich. Da ist irgendwas, wovon du mir nichts erzählt hast.«
Walt gab seinem Enkel einen Klaps auf die Schulter und löste dann seinen Sicherheitsgurt. »Das, mein Junge, ist eine ziemlich lange Geschichte, und Miss Harris wartet auf uns.«
Amanda Cox
Amanda Cox ist Theologin und Seelsorgerin. In der langjährigen Beratung und Begleitung von Menschen hat sie Erfahrungen gesammelt, die sie zur Entwicklung der vielschichtigen, facettenreichen und emotional anrührenden Charaktere ihrer Romane inspirierten. Mit ihrem Mann und drei Kindern lebt sie in Tennessee.
Webseite: www.amandacoxwrites.com
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