Sie war dermaßen aufgebracht und machte so große Schritte, dass die Nähte ihres engen Rocks zu reißen drohten und die Tournüre über der Schleppe ein wenig aus der Balance geriet. Sie richtete ihre volle Aufmerksamkeit – und ihren ungezügelten Ärger – auf ihren Vater.
»Ich lasse mich doch nicht an den Höchstbietenden verkaufen!«
Ihr Vater runzelte die Stirn und machte die Tür zu. »Sprich leiser!«
»Selbstverständlich.« Sie deutete einen alles andere als ehrerbietigen Knicks an. »Was immer der Rinderkönig gebietet.«
Er kniff die Lippen zusammen. »Ich weiß nicht, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist, Samantha, aber ich erwarte von dir, dass du respektvoll mit mir sprichst.«
»Und im Gegenzug erwarte ich, respektvoll behandelt zu werden.«
Ein bedrohliches Funkeln flackerte in den stahlblauen Augen ihres Vaters auf. »Hat sich einer unserer Gäste unanständig verhalten?« Die Frage war von einem gefährlichen Knurren begleitet.
Sie zügelte sich ein wenig und gab sich Mühe, etwas sanfter aufzutreten. »Nein, Dad. Niemand hat sich unanständig verhalten. Aber die Herren, die du zu dieser kleinen Feier eingeladen hast, haben anscheinend den Eindruck, ich wäre nach Texas zurückgekommen, um einen Ehemann zu finden. Offenbar sind sie alle fest entschlossen, sich für diese Position zu bewerben, denn am laufenden Meter rattern sie ihre Vorzüge herunter, so als wären sie ein Stoff, aus dem mein nächstes Ballkleid geschneidert werden soll: die teure importierte Spitze, die meinen gesellschaftlichen Status verbessern würde. Die weiche, blaue Seide, die perfekt zu meinen Augen passen würde. Der praktische Popelin, der strapazierfähig ist und trotzdem eine gewisse Eleganz verleiht.«
Inzwischen sah ihr Vater sie nicht mehr so angriffslustig an, sondern eher verwirrt. »Warum erzählst du jetzt etwas von Kleiderstoffen? Sag klar, was du meinst, Sam.«
»Du willst also, dass ich klar sage, was ich meine?« In ihren Fingerspitzen kribbelte es und sie spürte eine ungewohnte Energie. So kühn war sie ihrem Vater gegenüber noch nie aufgetreten. In ihr tobte ein Kampf zwischen einem spürbaren Hochgefühl und einer unverkennbaren Angst, aber wenn je eine Situation ihren bedingungslosen Mut erfordert hatte, dann diese. »Ich lasse mich nicht zu einer Ehe zwingen, nur damit du deinen Einflussbereich erweitern kannst.«
Als plötzlich die Augen ihres Vaters finster funkelten, wäre sie beinahe zurückgewichen, aber sie ballte die Fäuste und bot ihm die Stirn. Dad hatte zwar vor einigen Jahren die fünfzig überschritten, aber er war immer noch auf dem Höhepunkt seiner Kraft. Groß. Muskulös. Einschüchternd, wenn er wütend war. Aber nie brutal. Das wusste sie, darum war sie auch mutig genug, sich nicht unterkriegen zu lassen, obwohl sie bei seinem finsteren Blick innerlich zitterte.
»Siehst du ein Gewehr in meinen Händen?« Er hielt ihr seine Handflächen hin, die leer waren. Bei dieser Bewegung kamen seine von der Sonne gebräunten Handgelenke zum Vorschein. Er trug zwar einen eleganten Anzug, aber trotzdem war er ein Mann, der sich viel im Freien aufhielt und hart arbeitete. »Niemand zwingt hier irgendjemanden zu irgendetwas. Das ist lediglich eine Feier.«
Sie sagte kein Wort, sondern hob nur das Kinn.
»Also gut! Vielleicht habe ich meine Bekannten wissen lassen, dass meine Tochter aus Boston zurückkommt und dass ich auf eine gute Partie für sie hoffe. Was ist denn so schlimm daran? Es ist die Aufgabe eines Vaters, sich darum zu kümmern, dass seine Tochter gut versorgt ist.« Er marschierte auf den großen Mahagonischreibtisch zu, an dem er alles Schriftliche erledigte. »Du bist jetzt neunzehn, Samantha. Die meisten Mädchen, die so hübsch sind wie du, sind bereits verheiratet und damit beschäftigt, eine Familie zu gründen.«
Da hatte er nicht unrecht, aber recht hatte er auch nicht.
Samantha verschränkte die Arme, sodass sich ihre langen, weißen Handschuhe über ihren Ellbogen spannten. »Die Entscheidung, mit wem ich mein Leben verbringen will, sollte ich treffen und nicht du.«
Er lehnte sich an seinen Schreibtisch und seufzte laut. »Ich habe nie behauptet, dass du das nicht selbst entscheiden dürftest. Ich tue doch im Grunde genommen nichts anderes, als die Bullen zusammenzutreiben, damit du sie begutachten und dir den aussuchen kannst, der dir gefällt.«
Allein schon diese Vorstellung fand sie widerlich!
»Ja, nun, die Bullen, die du zusammengetrieben hast, haben alle eins gemeinsam: Sie sind reich und auf dem Rindermarkt sehr erfolgreich. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass es dir weniger um mein persönliches Glück geht als darum, welche Vorteile meine Ehe deinem Ranch-Imperium bringen würde.«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Du glaubst wirklich, du würdest alles durchschauen, was? Bin ich denn ein kaltherziger Geschäftsmann, der sich nur für Profit interessiert und bereit ist, seine Tochter dem Höchstbietenden in den Rachen zu werfen?«
Nun … ja. War es nicht so?
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sah plötzlich so alt aus wie noch nie. Sie war verunsichert.
»Ich gebe ja zu, dass ich herzlich wenig Ahnung davon habe, wie man ein Mädchen erzieht. Wahrscheinlich habe ich jede Menge Fehler gemacht, besonders, seit deine Mutter nicht mehr bei uns ist, aber ich habe in meinem ganzen Leben immer nur das Beste für dich gewollt.«
Er deutete mit dem Finger zur Tür. »Dieser Ballsaal ist voll mit Rinderzüchtern und Investoren, weil ich diese Männer in den letzten zwei Jahrzehnten beobachten konnte. Ich weiß, wer ein Ehrenmann ist und wer ein Gauner. Ich weiß, wer in schweren Zeiten Rückgrat zeigt und wer den leichten Weg sucht. Ich weiß, wer Gott nur mit den Lippen bekennt und wer ihn mit seinem Leben ehrt. Ich habe die besten aus der Herde ausgesondert und sie an diesem Abend eingeladen, damit sie die Tochter kennenlernen, die mir wichtiger ist als alle Rinder in Texas, aber sie ist anscheinend zu sehr damit beschäftigt, ein vorschnelles Urteil zu fällen und um sich zu schlagen, anstatt sich auch nur einen von ihnen genauer anzusehen.«
Samantha wich unsicher zurück, als sie seine Enttäuschung spürte. Es war wie ein Stich ins Herz. Sie hatte gedacht, sie hätte ein dickes Fell und wäre an seine ablehnende Haltung gewöhnt, sodass nichts, was er sagte oder tat, sie noch verletzen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen! Die Tränen schossen ihr in die Augen und sie bemühte sich darum, sie zurückzublinzeln.
Hatte sie seine Motive falsch eingeschätzt? Hatte er wirklich nur ihr Bestes im Sinn?
Sein selbstherrliches Verhalten ärgerte sie noch immer. Kein einziges Mal hatte er sie nach ihrer Meinung oder ihren Wünschen gefragt. Trotzdem konnte sie nicht behaupten, dass er bei der Suche nach einem passenden Mann anders vorging als die Väter ihrer Schulkameradinnen im Osten. Arrangierte Ehen waren in gehobenen Kreisen an der Tagesordnung. Sie dienten der Familienzusammenführung, um das Vermögen zu vermehren, den Status aufzuwerten und neue Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Zuneigung war vorteilhaft, aber keine entscheidende Voraussetzung. Und wahre Liebe gab es anscheinend nur in Groschenromanen.
»Daddy, ich …«
Er wartete, aber sie fand nicht die richtigen Worte. Schließlich hatte sie ihn nicht verletzen wollen. Gütiger Himmel, auf diese Idee wäre sie nie gekommen. Aber sie war auch nicht bereit, sich zu entschuldigen. Es war nicht falsch, ihren Standpunkt zu vertreten. Vielleicht hätte sie eine nettere Methode wählen und ihre Worte freundlicher formulieren können, aber …
»Ich habe meine Gäste lange genug vernachlässigt.« Ihr Vater ließ sie in ihrer Unentschlossenheit stehen und ging zur Tür. »Du brauchst dich nicht verpflichtet zu fühlen, zur Feier zurückzukommen. Mir fällt schon ein Vorwand ein, um deine Abwesenheit zu entschuldigen.«
Instinktiv streckte sie die Hand nach ihm aus, als wollte sie ihn zurückhalten, aber da war er schon aus dem Raum gegangen. Das Klicken, als die Tür ins Schloss fiel, löste in ihr ein Erdbeben aus, das die Schlucht, die Vater und Tochter bereits voneinander trennte, noch vertiefte, und es blieb eine tiefe Kluft zurück, die womöglich gar nicht mehr überbrückt werden konnte.
* * *
Asher Ellis spähte unter dem Sofa hindurch und betete inständig, dass sein Blick nicht auf ein Paar Füße fiel. Nun, Füße sah er keine, aber das lag nur daran, dass das elegante blaue Kleid von Miss Dearing bis zum Teppich reichte und alles andere darunter verbarg. Asher verkniff sich ein Stöhnen. Seine einzige Chance, den Beweis zu finden, den er brauchte, um das Zuhause seiner Familie zurückfordern zu können, wurde durch eine zickige Prinzessin zunichte gemacht, die zur falschen Zeit am falschen Ort eine Schimpftirade von sich gab.
Bitte geh. Bitte geh. Bitte geh.
Ein leises Schniefen ertönte in dem stillen Raum. Es kam ihm so laut vor wie der Schuss aus einer Waffe. Asher verzog das Gesicht und hielt die Luft an. Fing sie jetzt auch noch an zu weinen? Weinen war nicht gut. Weinen bedeutete, dass sie sich vor den Gästen versteckte und das Arbeitszimmer vorerst nicht verließ. Ein weiteres Schniefen war zu hören. Gefolgt von einem leisen Rascheln. Griff sie zu einem Taschentuch? Wischte sie sich die Tränen aus den Augen? Rückte sie ihr Kleid zurecht? Das ließ sich unmöglich sagen, da er außer den unteren fünf Zentimetern ihres Rocks nichts sehen konnte.
Geh einfach wieder! Anders als ich kannst du hier drinnen keines deiner Probleme lösen. Geh woanders hin, du verwöhnte Prinzessin, und heul dich aus.
Er konnte es kaum glauben, aber sie kam seiner stummen Bitte tatsächlich nach. Ihr Rock bewegte sich schaukelnd und raschelnd zur Tür. Der Griff knackte. Ein tiefes Einatmen war zu hören. Scharniere quietschten. Dann rauschte Miss Samantha Dearing aus dem Zimmer, im Gepäck ihr tragisches Schicksal, zu viele Verehrer zu haben. Asher war allein im Raum und atmete erleichtert auf.
Endlich.
Danke, Gott.
Wenn man in das Haus eines anderen Mannes einbrach, bewegte man sich geistlich gesehen auf dünnem Eis, aber er verfolgte ein gerechtes Anliegen. Eli Dearing hatte Ashers Stiefmutter und Brüder zu Unrecht aus ihrem Haus geworfen. Er hatte sie eiskalt auf die Straße gesetzt und ihnen die Möglichkeit genommen, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Immerhin hatte Gott auch früher schon die Arbeit von Spionen unterstützt. Er hatte den Männern, die Jericho ausgekundschaftet hatten, sogar zur Flucht verholfen. Was Asher hier tat, war nicht viel anders.
Er war nicht hier, um etwas zu stehlen oder jemandem Schaden zuzufügen. Er suchte nur den Beweis, dass Mama Bess ihre Zahlungen pünktlich geleistet hatte. Wenn er die nötigen Beweise hatte, hätte er ein Druckmittel, um Dearing zu zwingen, sie wieder in ihr Haus ziehen zu lassen oder wenigstens eine Art Wiedergutmachung zu zahlen, damit sie auf die Beine kam. Asher wusste, dass die Miete regelmäßig gezahlt worden war. Schließlich schickte er Mama Bess jeden Monat seinen Lohn. Das machte er, seit sein Vater vor sechs Jahren gestorben war. Sie konnte unmöglich mit der Zahlung im Rückstand gewesen sein. Dearing hatte sie einfach aus einer Laune heraus von seinem Land vertrieben. Und nur weil er so reich und einflussreich war, stellte niemand sein Tun infrage.
Da Asher nicht das Risiko eingehen wollte, erneut ungebetenen Besuch zu bekommen, schloss er die Tür ab, bevor er seine Suche wiederaufnahm.
Schließlich fand er die Einträge, die er suchte. Pächterin Elizabeth Ellis. Er fuhr mit dem Finger über die aufgelisteten Zahlen und runzelte die Stirn, als die Zahlen nicht seinen Erwartungen entsprachen. Hier konnte etwas nicht stimmen.
Als plötzlich am Türgriff gerüttelt wurde, zuckte Asher erschrocken zusammen.
Mit hämmerndem Herzen schob er das Kassenbuch an seinen Platz im Regal zurück.
»Samantha? Bist du da drinnen? Mach die Tür auf, Liebes.«
Eli Dearing. Ausgerechnet der Mann im Haus, der einen Schlüssel hatte!
»Sam?«
Wieder rüttelte er an der Klinke. Dann hämmerte er gegen die Tür.
Ashers panischer Blick raste zum Sofa, aber dieses Mal ergab es keinen Sinn, sich zu verstecken, da ein besorgter Vater auf der Suche nach seiner Tochter überall nachsehen würde.
Das Fenster.