Meine Großtante Agatha würde es nicht bemerken, wenn ich ein paar Minuten zu spät kam. Sie war eine alte Jungfer, die nicht weit von unserem Haus entfernt wohnte. Ich hatte die Rolle ihrer Gesellschafterin übertragen bekommen. Sie zu besuchen, hatte vor zwei Jahren, als ich sechzehn war, als Pflichtübung begonnen, aber inzwischen war es eine willkommene Flucht vor dem öden Leben zu Hause. Mein Papa, der während meiner Kindheit verschiedene politische Funktionen innegehabt hatte, war zu dem Zeitpunkt dieses schicksalhaften Frühlingsmorgens Senator des Bundesstaates New York. Er begnügte sich damit, meine zwei älteren Brüder William und John auf eine Zukunft in der Politik vorzubereiten. Papa war entweder ein hoffnungsvoller Optimist oder ein närrischer Träumer, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer meiner langweiligen, fantasielosen Brüder überhaupt irgendetwas Lohnendes erreichen konnte. William, der fünf Jahre älter war als ich, las nie etwas Schwierigeres als die Tageszeitung. Und John, drei Jahre älter als ich, hätte keine Zahlenreihe addieren können, selbst wenn jemand ihm eine Pistole an die Schläfe gehalten hätte. Ich hatte keine Ahnung, womit er sich an der Universität von Yale beschäftigt hatte.
Meine Schwester Mariette, die ein Jahr älter war als ich, hatte sich »Hübschsein« zum Lebensziel auserkoren – meiner Meinung nach ein weiterer hoffnungsloser Fall – und machte sich die zarten kleinen Finger nicht mit irgendwelchen wohltätigen Verpflichtungen schmutzig, wie zum Beispiel Tante Agatha zu besuchen. Das Baby der Familie, meine Schwester Chloe, war zehn Jahre nach mir zur Welt gekommen. Dazwischen hatte meine Mutter mehrere Fehlgeburten gehabt und mehrere Kinder von ihr waren schon im Säuglingsalter gestorben. Chloe war viel zu sehr damit beschäftigt, sich von Mama und unseren beiden Dienstboten verwöhnen zu lassen, um auch nur ans Erwachsenwerden zu denken. Also fiel die Aufgabe, Tante Agatha zu besuchen, mir zu, der unwichtigen Schwester, die eben übrig war.
Zuerst hatte ich es gehasst, in überhitzten, vollgestopften Salons zu sitzen, während Tante Agatha ihre arthritischen Freundinnen besuchte, von denen die meisten so taub waren, dass sie sich bei Tee und Canasta anschreien mussten. Nachmittags half ich meiner Großtante bei ihrer Korrespondenz und las ihr vor, bis sie genauso laut schnarchte wie ihr gemeiner kleiner Schoßhund Tibbles. Aber mit der Zeit entdeckte ich zwei Vorteile meines ansonsten langweiligen Auftrags. Der erste war Tante Agathas Bibliothek, die vorher ihrem Vater und Großvater gehört hatte. Sie war eine wahre Schatztruhe und enthielt Bücher über Geschichte, Literatur, Pflanzen, Geografie und sogar Medizin. Ich verschlang sie alle. Gierig. Der zweite Vorteil war, dass mein Vorlesen Tante Agatha unweigerlich einschläferte, sodass ich Zeit hatte, das zu tun, was ich wollte. Zuerst nutzte ich diese Zeit, um mich in der Bibliothek umzusehen, aber als die Monate vergingen und die meisten ihrer Freundinnen nicht mehr kamen, verließ Tante Agatha kaum noch das Haus. Die arme alte Dame schlief so oft und fest, dass ich mich während ihrer Nickerchen zur Hintertür aus dem Haus schleichen konnte und die Stadt erkundete. Die beiden Bediensteten waren leicht zu bestechen. Sie ignorierten meine Ausflüge und erfanden sogar Ausreden für mein Verschwinden, wenn es nötig war.
Manchmal lief ich bis zum Hafen, in dem Segelschiffe mit hohen Masten und Passagiere und Waren aus aller Herren Länder ankamen. Damit hatte ich eine aufregende Welt außerhalb meines ruhigen New Yorker Viertels entdeckt und ich wollte alles davon sehen.
Aber selbst ich war nicht so dumm, mich an diesem idyllischen Junimorgen im Jahre 1849 in die Stadt zu schleichen. Eine Cholerawelle, die im letzten Winter begonnen hatte, war jetzt zu einer tödlichen Epidemie geworden. Experten behaupteten, die Seuche werde von schlechter, abgestandener Luft verursacht, und ich wusste, wie schwer und übelriechend die Luft in den Arbeitervierteln war. Ich wollte Tante Agathas Dienstboten anweisen, alle Fenster zu öffnen und die Frühlingsluft hereinzulassen, sobald ich bei ihr ankam. Außerdem sollten sie die Decken und Federbetten lüften. Aber als ich eine Abkürzung durch die Gasse hinter dem Haus meiner Tante nahm und am Kutschhaus vorbeikam, ließ mich der unverkennbare Klang eines weinenden Babys wie angewurzelt stehenbleiben. Einen Moment lang verharrte ich dort und lauschte. Es bestand kein Zweifel. Im Stall meiner Tante weinte ganz eindeutig ein Säugling.
Ich fragte mich, ob es ein Findelkind war. Verzweifelte Eltern, die nicht für ihre Kinder sorgen konnten, legten sie manchmal vor die Tür reicher Leute, in der Hoffnung, dass die Eigentümer Mitleid hatten. Die Waisenhäuser waren voll mit solchen ausgesetzten Babys. Ich war gerade nähergetreten, um durch das Fenster zu spähen, als eine Stimme hinter mir mich erschreckte.
»Guten Morgen, Miss. Suchen Sie etwas?«
Ich zuckte zusammen und fuhr dann herum. Mir gegenüber stand ein junger Mann, Anfang zwanzig, in ziemlich verschlissener Kleidung. Es dauerte einen Augenblick, bis mir wieder einfiel, dass er der neue Bursche und Kutscher war, den mein Onkel letzte Woche eingestellt hatte. Er war für Tante Agathas alten Diener gekommen. An den Namen des Mannes konnte ich mich nicht erinnern, aber das spielte im Moment auch keine Rolle.
»Im Kutschhaus ist ein Baby«, sagte ich. »Ich habe es weinen hören.«
Der Mann nahm seine Mütze ab, aber nicht aus Respekt vor einer Dame, wie es sich schickte, sondern um sich mit den Fingern durchs Haar zu fahren. Es war dicht und lockig und hatte die Farbe von Mahagoni. »Nee, Miss. Da müssen Sie sich irren. Das war bestimmt ein Vogel, den Sie da gehört haben.«
Von meinen Brüdern hatte ich gelernt, dass es wenig Sinn machte, mit einem Mann zu diskutieren, der unvernünftig widerborstig war. Also ging ich einfach zur Tür an der Seite des Stalls und trat ein. Das Weinen hatte inzwischen aufgehört, aber ich ging weiter durch die Räume zu der Ecke, aus der es meiner Meinung nach gekommen war. Der neue Kutscher schien unnatürlich laute Geräusche zu machen, als er mir folgte, denn er stampfte mit den Stiefeln auf, als wären sie voller Schnee, und redete Unsinn über Eulen und gurrende Tauben. Aber ich wusste, was ich gehört hatte. Und richtig – ganz hinten in einer leeren Box saß eine sehr verängstigte junge Frau mit einem Säugling, den sie an ihre Brust drückte. »Da ist Ihre Turteltaube, Mister …«
»Galloway. Neal Galloway. Verzeihen Sie, dass ich an Ihren Worten gezweifelt habe, Miss De Witt.«
»Mein Name ist Van Buren. Meine Großtante ist Mrs De Witt.«
»Gut, in Ordnung. Ich kümmere mich um das Mädchen und das Kleine, Miss Van Buren. Sie brauchen sich keine Gedanken mehr zu machen.«
Ich ignorierte ihn und ging auf die junge Frau zu. »Wie heißen Sie?«, fragte ich. Sie antwortete nicht, sondern blickte stattdessen zu Mr Galloway auf, so als wartete sie auf Anweisung von ihm. Da wusste ich, dass er keineswegs überrascht war, Mutter und Kind im Kutschhaus zu finden. »Gehören die beiden zu Ihnen, Mr Galloway?«, fragte ich ihn direkt.
»Nicht so, wie Sie denken, Miss. Die Kleine ist meine Nichte und ihre Mutter ist die Frau von meinem Bruder Gavin.«
»Und was machen die beiden im Kutschhaus meiner Tante?«
Er kratzte sich am Kopf und setzte sich dann die Mütze wieder auf, so als wollte er Zeit schinden. »Kennen Sie die Geschichte von dem Jesuskind, das sein Leben in einem Stall angefangen hat, weil es keinen Raum in der Herberge gab? Und wie es später auf der Flucht war, als die Soldaten von Herodes hinter ihm her waren?«
»Sie wollen mir doch wohl nicht weismachen, dass es sich hier um eine weitere göttliche Erscheinung handelt, oder?«
»Nee«, sagte Galloway lachend. »Bei dem Vergleich ging es lediglich um den Raum in der Herberge. Und um die Gefahr. Da, wo Gavin und Meara leben, liegt überall Cholera in der Luft. Davor wollte ich sie und das kleine Ding schützen.«
»Indem sie in unseren Pferdestall ziehen?«
»Aye. Ist für sie schon eine Verbesserung. Und es ist auch nur solange, bis die Luft wieder rein ist.« Etwas an seinem melodischen Akzent und dem Lächeln in seiner Stimme und in seinen braunen Augen machte es mir schwer, mich über Mr Galloway zu ärgern. Er hatte jede Menge Charme, was man von keinem der Männer in meinem Bekanntenkreis behaupten konnte. Trotzdem war es anmaßend von ihm, seine Angehörigen in unserem Stall unterzubringen, nachdem er erst vor einer Woche angeheuert worden war.
»Und wie lange sollte dieses … Arrangement … dauern?«
Er zuckte mit den breiten Schultern. »Bis das Sterben aufhört. Also, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Es ist ein bisschen spät, meine Erlaubnis einzuholen, oder?«
»Hm. Ich verstehe, was Sie meinen.« Mr Galloway grinste und mir stockte der Atem. Er war der attraktivste Mann, dem ich jemals begegnet war. Die jungen Männer in meiner Welt waren alle von Kopf bis Fuß in hochgeknöpfte Kragen, steife Hemden, Westen, Fracks, Mäntel und Handschuhe gehüllt, bis kein Zentimeter Haut mehr zu sehen war außer ihrem Gesicht, selbst an einem warmen Junitag wie diesem. Aber Mr Galloway – du liebe Güte! Rötliches Haar und gebräunte Haut lugten unter seinem Hemd hervor, von dem er die beiden oberen Knöpfe offen gelassen hatte. Seine Ärmel waren hochgekrempelt und zeigten noch mehr gebräunte Haut. Er hatte Armmuskeln, die ich bislang nur bei Marmorstatuen gesehen hatte. Ich wusste, dass es unhöflich war, jemanden anzustarren, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich wollte ihm böse sein, aber auch das gelang mir nicht.
»Ich werde ein Auge zudrücken, bis die Epidemie vorbei ist«, sagte ich und war mir der Ironie meiner Worte angesichts meiner Unfähigkeit, den Blick von Mr Galloway loszureißen, sehr wohl bewusst. »Aber wenn mein Onkel, Mrs De Witts Sohn, Sie erwischt, werde ich jede Kenntnis über diese Abmachung leugnen.«
»Einverstanden. Gott segne Sie für Ihre Freundlichkeit, Miss Van Buren.« Ich hätte es so gern gehabt, wenn er mich Junietta genannt hätte. Mich hätte interessiert, wie ihm mein Name im Singsang seines schottischen Akzents über die Lippen kam. Aber natürlich wäre das ganz und gar unerhört gewesen.
Als ich zu Hause war, suchte ich auf unserem Dachboden nach der Truhe mit Babysachen, die alle Säuglinge in unserer Familie getragen hatten. Dann schmuggelte ich die Babyausstattung in einem Korb zu Meara und der kleinen Regan, damit niemand es mitbekam. Ich hob die Reste der Mahlzeiten auf, von denen Tante Agatha kaum etwas gegessen hatte, und brachte sie in den Pferdestall. Meara ließ mich die kleine Regan auf den Arm nehmen und ihren süßlichen Milchgeruch einatmen.
Als es wärmer wurde, sah ich in zweierlei Hinsicht mehr von Mr Galloway. Erstens bekam ich mehr von seiner gebräunten Haut und den kräftigen Muskeln zu Gesicht, wenn er sein Hemd auszog, um Heu in den Heuschober zu schaufeln oder das Dach zu reparieren oder im Garten zu arbeiten. Und zweitens lief er mir immer häufiger im Alltag über den Weg und wir wurden Freunde. Aufgrund der Choleraepidemie hatten meine Ausflüge in die Stadt ein jähes Ende gefunden, deshalb hatte ich jede Menge freie Zeit. Tante Agathas Köchin und Haushälterin, die sich seit Langem in der ständig gleichen Routine der alten Dame langweilte und genau wie ich Mr Galloways endlosem Charme erlegen war, gewöhnte sich schnell an die Tatsache, dass eine Mutter mit ihrem Baby in unserem Kutschhaus wohnte, und freundete sich ebenfalls mit den dreien an.
An einem besonders schönen Tag, etwa eine Woche, nachdem Meara und Regan hergekommen waren, nahm ich mittags ein Picknick für Mr Galloway und seine Schwägerin mit nach draußen. Wir setzten uns vor das Kutschhaus in den Schatten und ließen es uns schmecken. »Das ist ausgesprochen freundlich von Ihnen, Miss Van Buren, vielen Dank«, sagte Mr Galloway, während er in ein Butterbrot biss.
»Es ist mir ein Vergnügen, Mr Galloway«, erwiderte ich formvollendet, um mich über seine steife Förmlichkeit lustig zu machen. Er grinste.
»Es wäre mir lieber, wenn Sie mich mit Vornamen anreden, Miss van Buren. Ich heiße Neal. Mit Mr Galloway wurde immer mein Vater angeredet.«
»Also gut – Neal.« Wie gerne hätte ich gesagt, er solle mich Junietta nennen, aber das wagte ich noch immer nicht. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Akzent schottisch ist?«
»Aye. Ich bin vor zwei Jahren mit meinem Bruder nach Amerika gekommen, wir wollten uns was aufbauen. Unser Hof hat nicht mehr genug abgeworfen und andere Arbeit gab es nicht. Als mein Vater dann starb, haben wir beschlossen, hierher zu kommen. Unsere Mum war schon ein paar Jahre tot.«
»Und sind Sie auch mit Neal und Gavin hergekommen?«, fragte ich Meara.
Sie schüttelte den Kopf. »Gavin habe ich kurz nach seiner Ankunft kennengelernt. Ich habe in dem Gasthaus, in dem er gewohnt hat, geputzt und so.«
»Mein Bruder hat sich Hals über Kopf in Meara verliebt, so wahr ich hier sitze«, erklärte Neal lachend. »Wenn er den ganzen Tag am Hafen Schiffe entlädt und dann am Abend nach Hause kommt, ist Meara ein lieblicher Anblick. Ich freue mich für die beiden.«
»Warum arbeiten Sie nicht mit ihm zusammen am Hafen? Das wird doch sicher gut bezahlt. Jedenfalls besser als die Arbeit bei meinem Onkel, oder?«
Neal musterte mich einen Moment lang, als überlegte er etwas, dann stand er auf.
»Kommen Sie, Miss. Ich werde Ihnen noch ein Geheimnis zeigen, das ich vor Ihnen versteckt habe.« Mein Herz hämmerte wie verrückt, während ich mich erhob und Neal ins Kutschhaus folgte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber jedenfalls nicht den hübschen kleinen Eichenholztisch mit elegant zulaufenden Beinen. Ich verstand zuerst nicht, warum er mir das Möbelstück zeigte, und fragte mich, ob er es vielleicht gestohlen hatte. Dann sah ich das Werkzeug auf der Arbeitsplatte liegen und die Hobelspäne überall auf dem Boden. Die Luft roch nach Sägemehl und Terpentin.
»Sie haben den Tisch gebaut?«, fragte ich wenig intelligent.
»Aye. Ich arbeite gern mit den Händen. Schon immer. Ich habe überlegt, wenn ich in meiner Freizeit genügend Möbel und solche Dinge baue, kann ich irgendwann meine eigene Tischlerei haben. Hat unser Herr und Heiland nicht auch als Zimmermann angefangen?« Angesichts seiner Unverfrorenheit starrte ich ihn mit offenem Mund an. Dann zwinkerte er und ich musste lachen.
»Also, Sie leisten sehr gute Arbeit, Neal, wenn ich mir diesen Tisch betrachte.«
»Danke.«
»Und wenn Sie beschließen, dem Beispiel unseres Herrn und Heilandes zu folgen, und übers Wasser laufen, bin ich hoffentlich dabei, um Ihnen dabei zuzusehen.« Sein gutmütiges Lachen folgte mir aus der Werkstatt ins Freie.
Als die Frühlingstage länger wurden, kam mir der Gedanke, jeden Tag mit Tante Agatha eine Ausfahrt zu machen. Ich sagte ihr, dass es dabei um die frische Luft ging, mit der ich die Cholera auf Abstand halten wollte. Und mir selbst redete ich das auch ein. Aber in Wahrheit genoss ich die Gesellschaft ihres fröhlichen Kutschers. »Ich habe noch nicht viel von den schickeren Gegenden der Stadt gesehen«, sagte Neal zu mir. »Ich hatte Angst, dass mich die Menschen dort für einen Obdachlosen oder Dieb halten, wenn ich ohne ein konkretes Ziel durch die Straßen schlendere.« Er war ebenso fasziniert von unserer Art zu leben, wie ich es vom Hafen und den ärmeren Vierteln der Stadt gewesen war.
»Sehen Sie mal, Miss!«, sagte er gelegentlich und zeigte auf Dinge, die für mich selbstverständlich waren. Dadurch sah ich plötzlich meine Welt mit seinen Augen. Er fuhr langsamer, um eine Gruppe Fußgänger auf dem hölzernen Gehweg zu beobachten, und sagte: »Die Kleider, die Sie und die anderen feinen Damen tragen, sind so bunt und leuchtend wie ein Blumengarten, nicht wahr?« Manchmal hielt er die Kutsche an, nur um sich alles genau einzuprägen. Und genau das tat er eines Tages, als wir zu der Häuserfront mit neuen Geschäften in der Park Row kamen, die John Jacob Astor gerade hatte errichten lassen. Das Gebäude war vier Stockwerke hoch und hatte die Größe eines ganzen Häuserblocks, mit Läden, in denen es einfach alles zu kaufen gab: von Stiefeln und Büchern bis hin zu Seide und Briefpapier. »Haben Sie diesen herrlichen Ort schon einmal gesehen? Ich glaube, da werde ich irgendwann mein Möbelgeschäft aufmachen.« Da ich gesehen hatte, welche Fähigkeiten er als Schreiner hatte, und wusste, wie ehrgeizig und charmant er war, fiel es mir nicht schwer, ihm zu glauben.
Auf dem Heimweg stimmte Neal ein Lied an und sang von schönen Mädchen und vom blauen Himmel über den schottischen Highlands. Er hatte eine gute Stimme, aber ich war noch nie einem singenden Kutscher begegnet und war mir nicht sicher, wie Tante Agatha darauf reagieren würde. Auch wenn sie allmählich taub wurde, musste sie den Gesang doch gehört haben.
»Ist er es, der da gesungen hat? Der Kutscher?«, fragte sie mit ihrer kratzigen Stimme, als das Lied endete.
»Ja. Sein Name ist Galloway, Tante Agatha.« Ich hielt die Luft an.
»Dann sag ihm, er soll noch ein Lied singen. Aber diesmal ein bisschen lauter.«