Jerusalem, April 1948: In sechs Wochen werden die Briten endgültig aus Israel abziehen und noch immer ist die Jerusalemer Altstadt von der Außenwelt abgeriegelt. Die Menschen, die dort ausharren, sollen ausgehungert werden. Aber Mosche und seine Mitstreiter geben nicht auf, sondern planen eine nie dagewesene Rettungsaktion. Wird es ihnen gelingen, den Ring der feindlichen Truppen zu durchbrechen?
Derweil werden David und Ellie in geheimer Mission nach Europa geschickt. Ihr Auftrag führt sie nach Italien, wo sie an Bord eines Tankers auf ein riesiges Arsenal an Waffen für den Nahen Osten stoßen. Aber wie sollen sie verhindern, dass diese in die falschen Hände geraten?
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Prolog: 70 n. Chr.
Nathan zog seinen neuen Umhang fester um seine hoch aufgeschossene Gestalt, um sich vor dem kühlen Wind zu schützen, der vom Meer her aufgekommen war. Während er so allein auf dem Felsvorsprung über der Schlucht saß und das Geschehen auf dem schmalen gewundenen Band der Straße unter ihm verfolgte, kam er sich vor wie ein Falke, der von seinem hohen Aussichtsplatz auf die Welt hinabblickt.
Mehrere Tage lang hatten Nathan und sein Vater ihre Schafherde auf den mit jungem Gras bewachsenen Berghängen weiden lassen und dabei die Pilgerströme beobachtet, die sich über den Pass in Richtung Jerusalem wälzten, um dort das Pessachfest zu feiern. Nathans Vater hatte geschätzt, dass allein in der vergangenen Woche über eine Million Menschen durch die Tore der Heiligen Stadt gezogen waren. Nachdem die Flut der Pilger etwas nachgelassen hatte, waren die einjährigen Lämmer aus der Herde ausgesondert und zur Stadt getrieben worden, wo sie zum Fest verkauft werden sollten.
Auch Nathans Familie hatte sich anschließend aufgemacht, um in der Heiligen Stadt am Pessachfest teilzunehmen, und hatte ihm, obwohl er mit seinen fünfzehn Jahren noch nicht erwachsen war, die ganze Last der Verantwortung für die zurückgebliebenen Mutterschafe übertragen. Denn als Erstgeborener der Familie durfte er traditionsgemäß nicht am ersten Pessachmahl teilnehmen.
So hatte sich Nathan an diesem Abend, während die Menschen in der Heiligen Stadt die Psalmen des Großen Hallel sangen und das Mahl der Erinnerung hielten, unter dem Sternenzelt an Gottes machtvolle Taten erinnert und mit Fasten und ehrfürchtigen Gebeten der Erstgeborenen Ägyptens gedacht, die vor so langer Zeit beim ersten Pessach den Tod gefunden hatten.
In dem steinernen Schafstall hinter ihm blökte ein Mutterschaf, weil es sein Lamm vermisste. Nathan sah fröstelnd nach Osten, wo sich der Vollmond langsam hinter den weißen Türmen Jerusalems erhob und die Stadt wie einen schneebedeckten Berg erstrahlen ließ. Die Tore sind geschlossen. Das Fest ist vorüber. Meine Familie schläft und niemand weiß, was der nächste Tag bringen wird.
Auf der anderen Seite der tiefen Schlucht war nun auch der Gipfel des Nebi Samuel in silbrigen Glanz getaucht. Nathan wusste, dass auf diesem Berg einst der Prophet Samuel über die Nation Israel zu Gericht gesessen hatte. War es vielleicht diese Nacht gewesen, die Samuel über die Zeiten hinweg in seinen Visionen gesehen hatte?
Nathan schaute versonnen in den Sternenhimmel und dachte dabei an die Verheißung, die Gott einst Abraham gemacht hatte: Sein Volk werde einmal so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel und der Staub auf der Erde. Abraham hatte dieser Verheißung Glauben geschenkt, und in dieser Nacht begingen nun so viele seiner Nachkommen hinter den verschlossenen Toren Jerusalems das Pessachfest, dass Nathan sie nicht zählen konnte. Von allen Enden der Welt hatten sie sich dort eingefunden und waren nun wie Fische im Netz gefangen.
Nathan beobachtete voller Entsetzen, was unter ihm vor sich ging: Das Netz wurde langsam zusammengezogen! Ein furchtbares Brausen wie von einer gewaltigen Meeresflut stieg die Schlucht herauf, um die Heilige Stadt zu verschlingen, und der Pass war von einem nicht enden wollenden Fackelzug erleuchtet. Der Marschtritt von Soldaten hallte bedrohlich in den Bergen wider und zerriss die Stille der heiligsten Nacht des Jahres. Und Nathan konnte nur hilflos zusehen! Er konnte nicht in die Stadt laufen, um die Menschen zu warnen, denn der Pass im Osten war versperrt. Er konnte auch nicht zum Meer hin, da sich der Zug der römischen Fackeln gnadenlos bis weit in den Westen erstreckte. Wenn Nathans Eltern und Geschwister am Morgen erwachten, würde ihnen der Klang des Schofar zunächst die Freiheit verheißen. Aber nur zu bald würden sie erkennen, dass sie sich in einer Falle befanden: ringsum von römischen Soldaten, römischen Schwertern und römischem Zorn umzingelt. Sie würden sterben. Da war sich Nathan sicher – so sicher, wie es einst der alte Samuel gewesen war, als er auf diesem Berg gesessen und laut die Sünden Israels beklagt hatte. In dieser Nacht war es nicht schwierig, eine Prophezeiung auszusprechen.
Nathan riss sich von dem Schauspiel unter ihm los und schaute wieder zum Himmel empor, wo die Sterne durch das strahlende Licht des aufgehenden Mondes allmählich verblassten. »Erinnerst du dich noch an das, o Ewiger, was du uns einst verheißen hast?«, fragte er laut und erschrak über den Klang seiner eigenen Stimme vor dem Echo des Marschtritts. »Hast du uns nicht zugesagt, dass wir so zahlreich sein würden wie die Lichter am Himmel?«
Der Mond war stetig höher gestiegen und sein Licht überstrahlte nun fast alle Sterne. Es schien, als seien sie in der Tiefe der Schlucht von den Spitzen der römischen Lanzen ausgelöscht worden.
Doch Nathan ängstigte sich im Grunde weder um das Schicksal, dem Jerusalem unausweichlich entgegenging, noch um sein eigenes. Denn seit seiner Kindheit hatte er seinen Vater immer wieder von den Prophezeiungen eines Mannes mit Namen Jeschuah sprechen hören. Ich war damals selbst noch ein Kind, hatte sein Vater ihm erzählt, aber ich erinnere mich noch so deutlich an diesen Mann, als wäre ich ihm erst gestern begegnet. Unser Herr Jeschuah hob seine Augen – so unsagbar traurige Augen – zum großen Tempelgebäude empor und sagte voraus, dass kein Stein auf dem anderen bleiben würde. Stell dir das vor, Nathan! Stell dir vor, dass etwas so Schönes eines Tages dem Erdboden gleichgemacht wird! Und dann hat er uns geraten, uns so schnell wie möglich in den Bergen zu verstecken, wenn die Heilige Stadt eines Tages von einem Heer eingeschlossen würde. Wir sollten alles zurücklassen, uns nicht einmal die Zeit nehmen, einen Mantel zu holen. Aber wir dürfen keine Angst haben, Nathan! Selbst wenn die Grundfeste der Erde erschüttert werden sollte. Denn erst wenn alles geschehen ist, wie es geschrieben steht, wird unser Messias selbst zurückkehren und die Heilige Stadt wieder mit Recht und Gerechtigkeit erfüllen. Und dann wird der Wolf neben dem Lamm liegen!
Nathan berührte versonnen den Saum seines Gewandes und dachte bewegt daran, mit welchem Blick seine Mutter ihm dieses erst vor zwei Tagen übergeben hatte. Da er nicht am Sedermahl teilnehmen durfte, sollte er während seiner einsamen Wache wenigstens etwas Besonderes tragen. Bei dem Gedanken an das sanfte Gesicht seiner Mutter saß ihm ein Kloß im Hals. Wenn seine Familie sterben musste, wollte er mit ihr zusammen sterben!
Er erhob sich langsam, klopfte sich den Staub vom Umhang und blickte dann nach Osten in Richtung Jerusalem. In der Ferne entdeckte er die ersten Lagerfeuer der römischen Legionen.
»So ist der Tag, von dem Jeschuah gesprochen hat, also schließlich gekommen«, sinnierte er. »Wenn es geschieht, wie er gesagt hat, dann werden wir wie Lämmer zur Schlachtbank geführt und der Tempel wird zerstört werden. Aber dann muss schließlich auch in Erfüllung gehen, dass er eines Tages zurückkehrt, um uns wieder zu einer Nation zu machen.« Nathan rief mit lauter Stimme zum Himmel:
»Ich glaube daran, Herr! Du wirst diesen Ort nicht vergessen! Selbst wenn dein Tempel im Staub liegt, wirst du uns nicht vergessen!«
Mit der Entschlossenheit eines Soldaten zog Nathan sein Messer aus der Scheide und wandte den Blick von der römischen Horde unter ihm. Dann stieg er bedächtig über den felsigen Hang auf einen Vorsprung im Kalkgestein, unter dem er mit seinem Vater oft Schutz vor dem Regen gesucht hatte. Beim fahlen Schein des Mondes, der die glatten Felswände beleuchtete, versuchte er, mit seiner Messerklinge etwas in den Stein zu ritzen.
Auch wenn der Tempel und unsere Gebeine zu Staub zerfallen oder das heilige Licht der Menorah und unser Lebenslicht verloschen sind, du wirst unser Volk nicht vergessen! Eines Tages wird die Welt unser Licht wiedersehen und wissen, dass wir auf ewig dein Volk, deine Nation und dein Licht sind.
In der Tiefe löste sich ein schmales Band römischer Fackeln von der Truppe und wand sich langsam zu Nathans kaltem trostlosem Standort herauf. Doch der Junge achtete seiner nicht, sondern fuhr unermüdlich fort, eine Nachricht in den weichen Stein zu ritzen, die die Zeit überdauern würde, auch wenn die Sterne ins Meer stürzten.
1. Davids Rückkehr
Während sich David, von schweren Träumen gequält, im Roten Haus unruhig auf einem quietschenden Doppelbett hin und her wälzte, döste Ellie neben ihm in einem Schaukelstuhl, den man aus dem Wohnzimmer für sie herbeigeholt hatte. Vor dem Haus schlugen die mächtigen Wellen gegen die Kaimauer und bildeten mit ihrem an das Grollen von Artilleriefeuer erinnernden Getöse den unheilvollen Auftakt zu der Schlacht, die bald in den Bergen toben würde.
Im Zimmer selbst war es dunkel und still. Nur durch einen Spalt unter der Tür schimmerte etwas Licht und aus der unteren Etage drangen gehetzte Stimmen herauf. Von dieser Nacht würde das Schicksal des jüdischen Jerusalem, ja, vielleicht sogar das der gesamten zukünftigen jüdischen Nation abhängen. Dennoch hatte Ellie nur das Bedürfnis, auf Davids stoßweise Atemzüge zu horchen. Es gab kein schöneres Geräusch auf Erden! Er lebte! Diese wunderbare Erleichterung war das Einzige, was ihr Herz in dieser Nacht empfinden konnte.
Doch er würde zunächst noch schwere seelische Belastungen auszustehen haben, bevor er all das verkraftet hatte, was ihm an Schrecklichem widerfahren war. Er wand sich unruhig im Schlaf und schrie auf:
»Michael!« Ellie wusste, dass ihn ein Albtraum quälte: Brennende Motoren und verbogenes Metall. Eine geronnene Lache von Michaels Blut zu seinen Füßen. Und diese Frau – Montgomery! Bei dem Gedanken an den schlaffen blutüberströmten Körper, der vor zwei Stunden aus dem Flugzeug gehoben worden war, schloss Ellie schaudernd die Augen:
Diese gesichtslose Puppe hatte keine Ähnlichkeit mehr mit der ehemaligen Studienkollegin Angela St. Martain gehabt, die sie so sehr bewundert hatte. Es hieß, als Dienerin des Muftis sei sie nicht nur für Michaels, sondern auch für den Tod anderer Menschen und die Zerstörung des Flugzeugs verantwortlich gewesen.
Aber David lebt zum Glück! Oh Gott, ich danke dir, dass du meine Gebete erhört hast! Aber bitte behüte ihn nun auch weiter, Herr! Bitte hilf ihm zu vergessen!
Aus dem daruntergelegenen Zimmer drangen wieder Stimmen herauf. Ein Telefon klingelte. Dann waren eilige Schritte und die Stimme desjenigen zu hören, der ans Telefon gegangen war. Wenngleich Ellie nichts verstehen konnte, hörte sie doch aus dem Tonfall Sorge, Aufregung und Dringlichkeit heraus. Der Kampf, den David gegen Zeit, Wetter und diese abscheuliche Frau geführt hatte, um Waffen illegal nach Palästina zu bringen, war zwar erfolgreich beendet, aber nun hing das Schicksal Jerusalems und seiner jüdischen Bewohner davon ab, was die Haganahkämpfer mit den geschmuggelten Waffen auszurichten vermochten.
Ellie hörte jetzt deutlich, wie die zornige Stimme Ben-Gurions dröhnend die anderen übertönte: »Mosche Sachar wird dort oben auf dem Trockenen sitzen, wenn die in Ramle ihren Auftrag nicht ausführen!«
Es stand offenbar nicht alles zum Besten mit den Männern, die darum kämpften, den Weg nach Jerusalem zu öffnen!
David stöhnte im Schlaf und murmelte heiser: »Hassida! Mama, hier spricht Hassida ...«
»David?« Ellie strich ihm liebevoll über die Stirn. »David, Liebster. Du bist in Sicherheit. Ich bin’s, Schatz, Ellie.«
»Ellie?«, wiederholte er schlaftrunken.
»Ja. Du träumst nur, David. Schlaf ruhig weiter!«, sagte sie mit dem beruhigenden Tonfall einer Mutter, die mit ihrem von Albträumen geängstigten Kind spricht.
Er drückte ihr mit einem Seufzer die Hand und murmelte ihren Namen wie durch einen dichten Nebel der Erschöpfung.
In dieser Nacht war David der Einzige, der schlief. Luke Thomas befand sich irgendwo auf den felsigen Hängen bei Ramle und traf Vorbereitungen für die Schlacht gegen die Jihad-Moqhaden, die vom Dorf Kastel aus den Pass Bab el Wad, die einzige Verbindung zwischen Tel Aviv und Jerusalem, bewachten. Seine Aufgabe war es, die Araber so lange von dem winzigen Dorf abzulenken, bis es Mosche und seine Männer geschafft hatten, sich diesem strategisch wichtigen Ort unbemerkt zu nähern und ihn einzunehmen. Ehud dagegen streifte sicher zwischen den Lagerfeuern der dreihundert Lastwagenfahrer umher, die den Lebensmittelkonvoi über den Pass ins hungernde Jerusalem bringen sollten. In dieser Nacht würde die Entscheidung fallen: entweder würde sich das Blatt zugunsten einer jüdischen Nation wenden oder der noch ungeborene jüdische Staat einen vorzeitigen Tod sterben.
»Michael! Vogelscheuche!«, schrie David aus den Tiefen seines Traumes, in denen er noch einmal den Tod seines Freundes durchmachte.
»Ach, David!«, flüsterte Ellie schmerzlich. »Du bist doch in Sicherheit. Ich bin’s, Ellie! Ich bin ja ganz nah bei dir!«
Heftig umklammerte er ihre Hand. »Bin ich noch rechtzeitig gekommen?«, fragte er eindringlich. Sie wusste nicht, ob er schlief oder wachte.
»Ja. Das bist du. Du bist wunderbar!« Ihre Worte übten offenbar eine beruhigende Wirkung auf ihn aus, denn er entspannte sich und murmelte wieder erleichtert ihren Namen.
Ellie blieb noch einige Minuten neben ihm und horchte dabei angespannt auf die hektische Geschäftigkeit in der unteren Etage. Obwohl selbst erschöpft, fand sie doch nicht die innere Ruhe, um schlafen zu können. Sie hatte noch nicht einmal ihre Hose und die Bluse gewechselt, die sie den ganzen Tag über bis in diese furchtbare Nacht hinein getragen hatte, in der sie Stunde um Stunde auf Davids Flugzeug gewartet und Gott angefleht hatte, ihn lebend zurückkehren zu lassen. Die Manschetten der Bluse waren noch feucht. Denn vor einer Stunde hatte sie mit Ehud den völlig verschwitzten und erschöpften David gebadet. Seine Kleider und Stiefel waren blutbespritzt gewesen und Ehud hatte sie nach unten getragen, um sie im Ofen zu verbrennen. Danach hatten sie von verschiedenen Männern, die im Tel Aviver Hauptquartier der Jewish Agency arbeiteten, frische Kleidung zusammengesucht. Ben-Gurion hatte David sogar persönlich einen dicken handgestrickten Wollpullover ans Fußende seines Bettes gelegt.
Von den Strapazen auf dem Flugplatz und der langen Wache waren Ellies Glieder steif geworden und ihre verspannten Muskeln sehnten sich nach einem warmen Bad. Doch obwohl sich David inzwischen beruhigt hatte, blieb sie noch geraume Zeit über ihn gebeugt stehen. Schließlich glaubte sie jedoch, ihn allein lassen zu können, ohne dass er aufwachen oder nach ihr rufen würde.
Sie ging ins Badezimmer, knipste aber aus Rücksicht auf David das Licht erst an, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. In der weißen Emaillebadewanne stand noch Davids Badewasser. Es hatte die rötlichbraune Farbe von verdünntem Blut. Ellie empfand bei diesem Anblick Ekel. Sie zog mit geschlossenen Augen den Stöpsel heraus und atmete erleichtert auf, als das Wasser gurgelnd im Abfluss verschwand. Vor ihrem geistigen Auge sah sie wieder Michaels Leiche unter der Persenning liegen. Was für einen Albtraum hatte David nur durchlebt? Und wie viele weitere würden noch folgen, bevor dies alles zu Ende war?
Müde putzte sie die Badewanne, ließ Wasser einlaufen und sah in Hockstellung zu, wie das heiße Wasser aus dem Hahn sprudelte. Heißer Dampf stieg auf, schlug sich am Spiegel nieder und kondensierte an den hellgrünen Wänden des Badezimmers. Sie zog sich langsam aus und ließ ihre Kleider auf die feuchten Fliesen fallen. Wohlig empfand sie die Wärme, mit der der Dampf sie einhüllte. Dann stieg sie in die Wanne, legte ihren schmerzenden Kopf zurück und ließ ihr langes lockiges Haar vom Wasser umspülen.
»Ich muss mich jetzt entspannen«, suggerierte sie sich murmelnd, »und darf nicht daran denken, dass ich beinahe schon Witwe geworden wäre, bevor ich überhaupt die Möglichkeit hatte, Ehefrau zu sein.« Sie schloss die Augen und spürte wohlig, wie das heiße Wasser ihr Kinn umspielte. »Ich darf jetzt nicht darüber nachdenken, was dort draußen passiert. Ich muss den Krieg für eine Weile vergessen! Ich muss mich entspannen. Immerhin hat ein Terroranschlag unsere ohnehin schon knapp bemessenen Flitterwochen zunichtegemacht und mein Mann wäre beinahe einem Mordanschlag zum Opfer gefallen.«
Sie spürte, wie sich ihre verspannten Schultermuskeln lockerten, und tauchte noch etwas tiefer ins Wasser. Dann öffnete sie die Augen wieder und stellte mit den Zehen den Hahn ab. Hier in der Badewanne wollte sie nicht darüber nachdenken, dass Luke in Ramle und Mosche in Kastel kämpfte. Sie wollte sich auch nicht vorstellen, wie Rachel, Onkel Howard, Jakov und der Großvater betend und mit hungrigen Gesichtern darauf warteten, dass Ehuds Lebensmittelkonvoi den Pass nach Jerusalem überwand. All das wollte sie für eine Weile versuchen zu vergessen – nur nicht die Tatsache, dass ihr Mann lebte und ihr fast greifbar nahe war. Einen Augenblick lang wollte sie so tun, als befände sie sich an irgendeinem friedlichen Ort in der Welt – in Paris oder London oder auch in Santa Monica –, nur nicht am Kriegsschauplatz Tel Aviv. Sie wusch sich die Haare. David ist hier, Ellie! rief sie sich wieder ins Bewusstsein. Jetzt schläft er friedlich. Aber wenn er aufwacht, wird er dich brauchen, um vergessen zu können. Denk jetzt an David! Du kannst nicht allen helfen. Das kann nur Gott.
Sie tauchte unter und spülte ihre Haare aus. Weiße Schaumblasen schwammen auf dem Wasser. Sie verteilte den Schaum auf den Armen und genoss das Gefühl der Entspannung.
Plötzlich klopfte es.
»Wer ist da?«, rief Ellie.
Eine schlaftrunkene Stimme echote verwirrt: »Wer ist da?«
»David?«
»Wo bin ich? Ist das hier das Badezimmer?«, fragte David kläglich wie ein verlorenes Kind.
»Ich bin in der Wanne, Schatz«, rief Ellie. »Bin gleich fertig.«
Auf der anderen Seite der Tür blieb es zunächst still. Dann erklang wieder Davids flehende Stimme: »Kann ich nicht reinkommen? Ich finde keinen Lichtschalter, und es ist so dunkel.«
Ellie musste über sich selbst lächeln. Das ist doch dein Mann, der da draußen steht, ermahnte sie sich. So rief sie heiter zurück: »Aber natürlich!«
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Davids Gesicht erschien in der Öffnung. Er schaute blinzelnd ins Licht und versuchte, den Dampf mit der Hand zu zerteilen. Schließlich entdeckte er Ellie und flüsterte ungläubig: »Bist du es wirklich?«
»Das letzte Mal, als ich nachgesehen hab’, war ich’s noch«, erwiderte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. »Hast du dich ein bisschen erholt? Komm schnell herein und schließ die Tür! Sonst wird es kalt hier.«
Er rieb sich verschlafen das Gesicht und zwängte sich herein. Mit der linken Hand hielt er die zu große Schlafanzughose fest, mit der rechten schloss er die Tür hinter sich. Er sah sie befangen an. »Mir war, als träumte ich. Ich hatte einen Albtraum«, fügte er hinzu und blickte sie verstört an. »Michael. Angela. Das Flugzeug.« Er suchte Ellies Augen. »Das war doch nur ein Albtraum?«
Sie schüttelte zögernd den Kopf. »Nein! Aber das ist jetzt vorbei, David. Und du bist noch am Leben.«
David starrte auf die Wassertropfen, die den Spiegel hinunterrannen. »Vogelscheuche«, sagte er dumpf.
Ellie verharrte in regungslosem Schweigen. Ein Gefühl abgrundtiefen Verlorenseins erfasste sie. Was für einen Sinn hatte es, sich noch etwas vorzumachen? Dies war weder Paris noch Santa Monica. Es war Tel Aviv! Und in diesem Augenblick fanden Menschen, die sie kannte und liebte, in einem Krieg den Tod! … »David?«
Gequält sah er sie an und seine Augen füllten sich mit Tränen. »Ach, Ellie!«, schluchzte er und sank vor der Badewanne auf die Knie. Mit einer heftigen Bewegung schlang er die Arme um sie und zog sie an sich. Dabei schwappte das Badewasser über. Doch er merkte es nicht und barg sein Gesicht an ihrem Hals. »Oh, Ellie! Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen! Ich dachte …« Er war zu aufgewühlt, um weitersprechen zu können.
Ellie strich ihm über das Haar. Dass er durch ihre Liebkosung fast genauso nass wurde wie sie, beachtete sie nicht. »Ich weiß, David.« Ein Schauer lief ihr über den Rücken. »Ich weiß, Liebster.«
Sie spürte, wie er sich anspannte, als er versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen. »Quäl dich nicht, Liebster! Lass deinen Gefühlen freien Lauf! Ich bin’s doch nur, deine Ellie.«
Er ächzte, als habe er einen Schlag in den Magen bekommen, und dann brach er unter haltlosem Schluchzen zusammen. »Ich hatte solche Angst, dass ich dich nie wiedersehen würde«, weinte er. »Nie wieder!«
Dann weinte auch sie. Ihr war nun vollends klar geworden, dass sie nicht den Kopf in den Sand stecken konnte. Wir sind in Palästina, mitten im schlimmsten Geschehen. Solange der Kampf dauert, werden Menschen sterben und es hat keinen Sinn, sich Illusionen hinzugeben.
* * *
Ram Kadar starrte aus dem Wagenfenster auf die Reihe der leeren Lastwagen, die am Flughafen von Damaskus warteten. Zum ersten Mal, seit er Isabel Montgomery kannte, hatte sie versagt. Nachdem er mit Haj Amin zwei Stunden vergeblich auf das angekündigte Flugzeug gewartet hatte, war Kadar überzeugt, dass sie tot war. Denn nur ihr Tod konnte der Grund für ihr Versagen sein. Das jüdische Flugzeug musste in Flammen über den Golanhöhen abgestürzt sein – es sei denn ...
In diesem Augenblick trat ein hochgewachsener syrischer Offizier zu Haj Amin, der im Scheinwerferlicht von Kadars Fahrzeug stand, und sprach ihn an. Der Mufti nickte gleichmütig. Trotz der bitteren Enttäuschung, die ihm diese Nacht gebracht hatte, verriet sein Gesicht keinerlei Emotionen. Er trat aus dem Lichtkegel und der Offizier folgte ihm mit geöffneter Hand, um die Belohnung entgegenzunehmen, die ihm seine Nachricht erfahrungsgemäß einbringen würde.
Kadar öffnete das Fenster einen Spalt, um die leise Unterredung zwischen dem Mufti und dem syrischen Offizier mitverfolgen zu können.
»Und du bist ganz sicher, dass das Flugzeug wirklich nicht abgestürzt ist?«
»Es ist auf jeden Fall nicht in Syrien abgestürzt. Unser Agent in Nazareth berichtet, dass er vor zwei Stunden ein Dröhnen über sich gehört hat. Als er aufsah, flog ein Flugzeug gefährlich niedrig über dem Tal her. Aber die Meldung von einem abgestürzten Flugzeug ist nicht eingegangen. Auch von keiner Explosion. Ich kann nur vermuten, dass es Nazareth überflogen hat und dann vielleicht doch noch sicher gelandet ist.«
Haj Amin dachte nach und erwiderte dann: »Wenn das der Fall ist, werden die Juden inzwischen haben, was sie brauchen.« Mit einem nachdenklichen Blick auf die leeren Lastwagen fuhr er fort: »Und Kadar wird mit leeren Händen nach Palästina und zu seinen Truppen zurückkehren.«
»Aber Sie dürfen das Schiff nicht vergessen, Haj Amin! Die Trina. Die Arabische Liga hat Ihnen doch die gesamte Ladung des Schiffes zugesagt.«
»Leere Versprechungen!«, brauste Haj Amin auf und hob bei dem Gedanken an den Verrat der Arabischen Liga ärgerlich das Kinn. »Ich glaube nicht länger, dass die Liga uns die so wichtigen Waffen und Munition schicken wird. Nein! Wir sollen in Palästina versagen, damit sie einen Vorwand haben, einzugreifen und die Herrschaft zu übernehmen. Aber erst sollen wir die Arbeit geleistet haben! Transjordanien, Ägypten, Syrien und der Irak – sie alle werden Palästina unter sich aufteilen. Sie sind gar nicht an einem unabhängigen arabischen Staat in Palästina interessiert!«
Der Mufti legte eine Pause ein und funkelte den Syrer an. »Du hältst mich doch wohl nicht für einen solchen Narren, dass ich das glaube! Nein, eure Regierung möchte mich aus dem Weg haben! Darum haben sie auch das jüdische Flugzeug abgeschossen, in dem sich meine Agentin Isabel Montgomery befand. Darum versprechen sie mir jetzt eine Schiffsladung Waffen, die sie dann später allesamt bis zur letzten Kugel unter sich aufteilen werden. Ich traue keinem! Außer denen, die ich gut genug bezahle.« Mit diesen Worten steckte er dem Syrer einen Briefumschlag zu. »Du wirst mir also«, fuhr er dann ruhiger fort, »eine Liste beschaffen, auf der nicht nur die Häfen verzeichnet sind, die das Schiff auf seiner Reise anläuft, sondern auch die Reisedauer und seine tatsächliche Ladung.«
Der Syrer sah sich verstohlen um und händigte Haj Amin dann einen Stoß Papiere aus. »Hier ist alles – alles, was Sie wünschen. Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten, und nun müssen Sie auch den Ihren einhalten.«
»Natürlich. Natürlich. Wir werden deine Dienste nicht vergessen. Und auch nicht den Lohn, um den du gebeten hast.« Der Mufti deutete mit einem leichten Kopfnicken das Ende der Besprechung an.
Kadar ließ sich in den Sitz zurücksinken und starrte ungeduldig vor sich hin, während der Syrer verschwand. Haj Amin ging zielstrebig auf Kadars Wagen zu und klopfte ans Fenster. »Hast du gehört?«, fragte er.
»Alles. Das Flugzeug ist also nicht zerstört? Das bedeutet, dass die Juden angreifen werden. Wenn sie über Waffen verfügen, werden sie auch angreifen.«
»Darüber kann kein Zweifel bestehen. Außer natürlich, wenn das Flugzeug vorher den Briten in die Hände fällt und sie den amerikanischen Piloten gefangen nehmen. Wie heißt er noch gleich, dieser Amerikaner, von dem Montgomery gesprochen hat?«
»Michael Cohen. Und ein gewisser Captain Meyer. Meyer trägt offensichtlich die Verantwortung für die amerikanischen Unternehmungen der Juden.«
»Montgomery hat uns gute Dienste geleistet, uns Namen, Orte und die illegale jüdische Fracht genannt. All dies wird für die britische Regierung von großem Interesse sein. Wir werden mit ihr Kontakt aufnehmen. Was immer sich die Juden von dieser Fracht erhoffen, wir werden sie ihnen abjagen.«
»Aber wenn die Engländer Meyer und Cohen schnappen, wird ihnen dann nicht auch Montgomery in die Hände fallen?«
Der Mufti musterte ihn kalt. »Du weißt genauso gut wie ich, dass sie nicht mehr am Leben sein kann. Spätestens in dem Augenblick, in dem sie das Flugzeug nach Damaskus leitete, wussten die Juden, wer sie war. Sie werden sie inzwischen getötet haben, Kadar. Wir haben nun einen weiteren Märtyrer unseres Jihad. Und du hast eine Geliebte verloren.«
Kadar wusste, dass der Mufti recht hatte. Doch merkwürdigerweise empfand er nichts bei diesem Gedanken. – Er überdachte kühl die neue Situation: Montgomery war tot; die Juden verfügten über Waffen und Munition, und Haj Amin hatte die Gunst der verschiedenen Parteien der arabischen Koalition verloren.
»Was sollen wir jetzt tun?«
»Nach Palästina zurückkehren! Dort werden die Juden bestimmt heute Nacht angreifen. Wenn wir erfahren, wo, benachrichtigen wir über Funk die Kontrollpunkte und diese leiten die Informationen dann an dich weiter. Geh also jetzt und übernimm wieder das Kommando!«
Er reichte Kadar die Papiere. »Und denk daran, dass dies unsere Rettung sein wird.«
Kadar versuchte, mit zusammengekniffenen Augen etwas zu entziffern, was ihm jedoch in der Dunkelheit nicht gelang. »Was ist das?«
»Es handelt sich um ein Schiff namens Trina. Seine Fracht ist für den Libanon bestimmt und soll von dort, wie vereinbart, weiter zu uns nach Damaskus transportiert werden. Aber ich traue diesem Versprechen nicht. Deshalb möchte ich, dass du eine zuverlässige Person suchst, die in Jugoslawien an Bord dieses Schiffes geht und es nach Palästina umleitet. Wenn man uns nicht freiwillig gibt, was für uns bestimmt ist, werden wir es uns eben selbst nehmen!«
»Aber werden die Engländer die Fracht nicht konfiszieren? Da werden sie zwischen uns und den Juden keinen Unterschied machen.«
»Sie werden natürlich nichts von der wahren Fracht wissen, Kadar. Dafür ist gesorgt. Aber sie wird ausreichen, um unsere Armee auszurüsten. Sechstausend Gewehre – nicht für die syrische oder die ägyptische Armee, sondern für eine Armee, die für Palästina und für das Haus Husseini kämpft!« Auch wenn seine Stimme keinerlei Erregung verriet, so sprachen aus seinen Augen ein Zorn und eine Verzweiflung, wie Kadar sie selten bei seinem sonst so kaltblütigen Führer erlebt hatte.
»Wie Sie wünschen, Haj Amin.«
»Und was Gerhardt betrifft«, fügte Haj Amin noch hinzu, »so sind Gerüchte an unser Ohr gedrungen, dass er sich die Manieren eines Generals zugelegt hat. Ja, man munkelt sogar, dass er uns gegenüber unloyal werden könnte.« Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, bevor er sein Gift ausspie: »Erledige ihn, Kadar! Benutze ihn für deine Ziele und dann erledige ihn! In unserer Regierung wird es keinen Platz für unloyale Leute geben. Erledige ihn!«
Bodie & Brock Thoene
Ein Ehepaar - zahllose Bestseller. Fast 30 Bücher zum Thema ZION entwerfen das detaillierte Bild einer wichtigen Wegstrecke Gottes mit seinem Volk. Für diese beispiellose Leistung (6 Mio. verkaufte Bücher) wurden sie mit acht Goldmedaillen der Evangelical Christian Publishers ausgezeichnet.
Bodie und Brock Thoene (ausgesprochen: Täinie) haben vier erwachsene Kinder und (z.Zt.) fünf Enkel, wobei ihre Söhne Jake und Luke die Tradition des Bücherschreibens fortsetzen. Einen Teil des Jahres verbringen sie am Lake Tahoe in Nevada und den anderen in London.
Bodie Thoene hat mit ihren Zion Chroniken ein Millionenpublikum in der ganzen Welt erreicht. Sie war zunächst als Drehbuchautorin tätig, bevor sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane widmete. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann Brock am Lake Tahoe in Nevada. Das Paar hat vier erwachsene Kinder.
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