„Ja, super! Das ist ja jetzt schon fast ein richtiger Zirkel gewesen, nicht mehr ein angebissenes Osterei!“
Kat musste lachen, und augenblicklich fiel der Haflingermix Otto aus dem Trab in den Schritt zurück. Anne, die Reitlehrerin, schüttelte den Kopf. „Also, der nutzt aber auch wirklich jede Gelegenheit aus. Bloß keinen Schritt zu viel. Treib ihn mal wieder an, der darf damit jetzt nicht durchkommen, und wenn es noch so heiß ist.“
Kat drückte gehorsam die Beine an Ottos runden Bauch, und nach einem Moment des Zögerns begann das Pony tatsächlich wieder zu traben, während Kat versuchte, möglichst weich mitzugehen und ihm nicht in den Rücken zu plumpsen.
„So – weil das mit dem Aussitzen so gut klappt und weil er offensichtlich ein bisschen mehr Schwung braucht, werden wir es gleich mal mit dem Galopp probieren.“
Galopp! Endlich! Kat strahlte.
Sie ritt nun schon seit fast vier Monaten, aber die schnellste Gangart hatte sie noch nie ausprobieren dürfen. Anne sagte immer, sie hielte es für besser, sich von unten nach oben zu arbeiten. Wenn das Reiten im Schritt gut klappte, wurde getrabt, und erst wenn das lief, kam der Galopp.
Anne nahm die Hände aus den Taschen ihrer Jeans und stieß sich von der Hallenwand ab, an die sie sich gerade noch gelehnt hatte. „Okay. Dann trab ihn mal weiter um die kurze Seite der Halle herum. Direkt bevor die lange Seite anfängt, nimmst du auf der Biegung das äußere Bein, also das, was Richtung Wand zeigt, nach hinten, gibst die Zügel nach vorne frei, treibst und machst mit dem Mund so ein Kussgeräusch. Das kennt er inzwischen schon recht gut. Und dann galoppierst du die lange Seite runter. Anhalten wird er danach sowieso von selber, wie ich ihn kenne. Versuch einfach nur, gerade sitzen zu bleiben und in der Hüfte mitzuschwingen, und neige den Oberkörper lieber ein bisschen zu weit nach hinten als nach vorne.“
Kat brummte zustimmend, mehr brachte sie vor lauter Konzentration und Aufregung nicht heraus. Und da war auch schon die kurze Seite vorbei. Sie schob ihr Bein zurück, ließ die Zügel ein Stück durch die Hand rutschen und versuchte sich an einem Luftkuss, wobei sie sich etwas albern vorkam.
„Treiben nicht vergessen!“, rief Anne. Kat drückte die Beine an, woraufhin Otto so schnell zu traben anfing, dass sie auf seinem Rücken auf- und abgeworfen wurde.
„Trab wieder leicht“, hörte sie Anne rufen. „Einmal ganze Bahn, und dann versuchen wir das hier gleich noch mal.“
Erleichtert hob sich Kat wieder bei jedem zweiten Schritt aus dem Sattel. Das war doch deutlich schonender für den Hintern!
Als Otto wieder langsamer wurde, sagte Anne: „So, und jetzt wieder aussitzen … gut … und jetzt Bein zurück, treiben und Küsschen!“
Kat gehorchte, Anne half mit einer Longierpeitsche hinter Ottos Po nach, und dann veränderte sich das schnelle Auf und Ab des Trabes und wurde zu einer weichen, völlig anderen und schnelleren Bewegung – so anders, dass Kat gar nicht mehr wusste, wie sie dabei sitzen bleiben sollte. Ihre Füße rutschten aus den breiten Steigbügeln des baumlosen Westernsattels, und sie selbst hatte das Gefühl, nach rechts wegzurutschen. Erschrocken hielt sie sich am Sattelhorn fest – aber da stoppte Otto auch schon ab und schlurfte im Schritt weiter durch die Halle. Kat richtete sich wieder auf, angelte mit den Füßen nach den Steigbügeln und bat atemlos: „Noch mal?“
Anne lachte. „Aber sicher doch. Diesmal weißt du ja wenigstens schon ungefähr, wie es sich anfühlt. Lehn dich ruhig zuerst etwas weiter zurück, das macht es leichter für dich. Dann trab ihn mal an.“
Diesmal klappte es schon viel besser. Kat verlor nur den linken Bügel, und am Horn musste sie sich auch nur ganz kurz festhalten. Die Seitenwand der Reithalle huschte an ihr vorbei, und schon war Otto an der gegenüberliegenden Seite angekommen. Auf der Biegung wurde er langsamer, trabte ein paar Meter und ging dann wieder Schritt. Kat setzte sich richtig hin, steckte den Fuß in den Steigbügel und strahlte. „Das war absolut grenzgenial!“
„‚Grenzgenial‘? Den Ausdruck habe ich ja noch nie gehört … aber da ich aus deinem Gesichtsausdruck schließe, dass das Wort so viel wie ‚großartig‘ bedeuten soll, machen wir doch der Vollständigkeit halber auch noch einen Galopp auf der anderen Hand.“
Kat lenkte Otto quer durch die Halle, um die Richtung zu wechseln. Mit dem Lenken klappte es eher mittelprächtig, aber das würde schon auch noch kommen. Linksherum war das Galoppieren genauso aufregend schnell und genauso seltsam, aber es wurde schon besser – immerhin behielt sie diesmal gerade so beide Füße in den Steigbügeln.
„Na bitte! Du machst das wirklich prima, Kat. Das wird kein größeres Problem mit dir und dem Galopp!“
„Dabei hab ich doch dauernd die Bügel verloren! Oder zumindest fast verloren …“
„Das geht so ziemlich jedem beim ersten Galopp so, da mach dir keine Gedanken. Es ist einfach ein ganz anderes Sitzgefühl. Weißt du auch, woran das liegt?“
„Äh“, machte Kat. „Am Tempo? Nee, Quark. Daran, wie die Hufe aufsetzen!“
„Richtig. Der Schritt ist ein Vierertakt, alle vier Hufe setzen nacheinander auf. Im Trab fußen immer die beiden gegenüberliegenden Hufe gleichzeitig auf, das ergibt einen Zweiertakt mit einer kleinen Schwebephase dazwischen, es sei denn, es ist Western-Jog, dann fällt die Schwebephase weg. Ja, und der Galopp ist eben ein Dreiertakt mit einer richtig starken Schwebephase, in der kein Huf den Boden berührt. Es ist eher eine Serie von kleinen Sprüngen, deshalb fühlt es sich völlig anders an als Schritt oder Trab. – Und mit diesen weisen Worten beenden wir die Reitstunde für heute. Lass ihn noch zwei oder drei Runden Schritt gehen. Ich reche so lange den Hufschlag, der sieht ja schon wieder aus wie der Marianengraben. Wenn man da einmal drin ist, kommt man wahrscheinlich nicht wieder raus.“
Während Kat Otto mit hängenden Zügeln Schritt gehen ließ und nur aufpassen musste, dass sie Anne mit der Harke nicht über den Haufen ritt, dachte sie darüber nach, wie sich manchmal Dinge in kürzester Zeit komplett verändern konnten. Noch vor vier Monaten hätte sie sich niemals vorstellen können, dass sie einmal so glücklich grinsend auf dem Rücken von Moms wenig beeindruckendem Pony sitzen würde, weil sie ein paar Meter mit ihm durch die Reithalle gehoppelt und dabei nur fast heruntergefallen wäre. Damals hatte sie Mom noch einen Vogel gezeigt, wenn die einen ihrer zahlreichen Versuche unternommen hatte, sie fürs Reiten zu begeistern. Damals hatte sie auch Moms Pferdebegeisterung ziemlich peinlich gefunden. Aber damals hatte es auch noch keinen Otto gegeben … Kat beugte sich vor, kraulte den Ansatz der weißblonden Wuschelmähne und streichelte über das rötlich-goldene Fell darunter. Inzwischen war es kein dicker Pelz mehr wie im Frühling, als ihre Mutter ihn gekauft hatte, sondern das Fell war kurz und glänzend. Jedenfalls, wenn es gerade nicht von Dreck und Pferdeäpfeln verklebt war.
Nein, ein Leben ohne Otto und ohne das Reiten konnte sich Kat gar nicht mehr vorstellen.
„Na, ihr zwei?“, sagte Anne. „Pferdeliebe?“
„Hmm“, machte Kat. „Pferdeliebe und Galopp, Sonnenschein und Sommerferien. Was will man mehr?“