»Ihr könnt genauso gut in Eure Gemächer zurückkehren, Majestät. Die Herrin Hephzibah sagt, es sei ihre monatliche Zeit.«
»Oh nein.« Das Gefühl tiefer Zufriedenheit, das König Hiskia noch vor wenigen Augenblicken erfüllt hatte, löste sich mit einem Mal in Luft auf - ebenso wie seine Hoffnung auf einen Erben. Er hatte den kurzen Weg zum Harem zurückgelegt und sich an diesem lauen Frühlingsabend auf die Gesellschaft und die Liebe seiner schönen Frau gefreut; er hatte nicht damit gerechnet, an ihrer Tür zurückgewiesen zu werden.
»Wie geht es ihr jetzt, Merab?«
»Wie immer, Herr.«
Hiskia blickte an Merab vorbei ins Zimmer und sah Hephzibah am offenen Fenster sitzen und in die Dunkelheit hinausstarren. Er wusste aus Erfahrung, dass seine Frau jeden Monat trauerte, wenn sie erfuhr, dass sie nicht schwanger geworden war. Und es gelang ihm nur selten, sie zu trösten oder ihre bitteren Tränen zu trocknen, aber er dachte an all die Gelegenheiten, bei denen sie ihn mit ihrer Liebe, ihrem Lachen und ihrem herrlichen Gesang aufgemuntert hatte, und er wollte sie ebenso aufbauen.
»Gib uns ein paar Minuten, Merab.«
Er zog einen kleinen Hocker neben Hephzibah, aber sie wollte ihn nicht ansehen.
»Es ist ein herrlicher Abend«, sagte er.
»Möchtest du mich aufs Dach hinauf begleiten?«
Hephzibah schüttelte den Kopf und starrte weiter in die Dunkelheit.
»Es tut mir leid, dass du immer noch nicht schwanger bist. Ich weiß, dass du sehr enttäuscht sein musst.«
»Weißt du, wie viele Jahre das jetzt schon so geht?«, fragte sie. Der Kummer ließ ihre Stimme scharf klingen.
»Ich weiß. Schon lange.«
»Warum weigerst du dich dann immer noch, die Wahrheit zu akzeptieren?« Jetzt endlich drehte sie sich zu ihm um und ihr schönes Gesicht war nass von Tränen, ihre Augen waren geschwollen. »Ich bin unfruchtbar, Hiskia. Ich werde dir niemals einen Erben schenken.«
»Aber du weißt doch, dass Jahwe versprochen hat
«
»Er hat nicht dir einen Erben versprochen.«
Hiskia versuchte, sanft zu sprechen, aber er musste sie von seinem festen Glauben an Gottes Wort überzeugen. »Doch, Hephzibah. Jahwe hat versprochen, dass immer ein Erbe von König David auf dem Thron des
«
»Du klammerst dich an ein Versprechen, das Gott dir nie gegeben hat.«
»Aber Jahwe hat es mir versprochen.«
»Nein! Er hat es König David versprochen!«
»Das ist dasselbe, Hephzibah. Gott hat zu David gesagt: Ich erwähle einen deiner Söhne zu deinem Nachfolger auf dem Thron!
Und das soll gelten für alle Generationen!« (Psalm 132,11)
Sie hielt sich die Ohren zu. »Lass dieses Zitieren und hör mir zu! Dein Bruder Gedalja ist ein Nachfahre von König David, nicht wahr?«
Bei der Erwähnung seines Bruders wurde es Hiskia mulmig zumute. »Na ja - natürlich.«
»Und Gedalja hat vier Söhne, oder nicht?«
Hiskias Unbehagen wuchs, während sie ihn auf einen Weg führte, den er nicht gehen wollte. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Hocker. »Ja, aber was ändert das
?«
»Sie alle sind Erben von König David. Wenn du keinen Sohn bekommst, kann Gedalja oder einer seiner Söhne deinen Platz einnehmen - und dann hat Jahwe trotzdem sein Versprechen an König David gehalten.«
Hiskia sah sofort, dass sie recht hatte. Er kam sich wie ein Narr vor, weil er die Wahrheit in all den Jahren nicht erkannt hatte. Die Antwort auf ihre Unfruchtbarkeit war ganz einfach - und vollends ungerecht. Er sank neben ihr auf die Fensterbank und überlegte krampfhaft, was er sagen sollte.
»Aber
wie kann das sein?«, murmelte er.
»Willst du, dass dein eigener Sohn deinen Thron erbt, Hiskia? Oder ist es dir gleichgültig, dass dein Bruder oder dein Neffe dir auf den Thron folgt?«
Die Frage machte ihn sprachlos. Natürlich wollte er, dass sein eigener Sohn nach ihm regierte. Sein Bruder duldete Götzenverehrung; und seine Neffen vielleicht auch. Wie könnte ihm das gleichgültig sein?
»Wenn du willst, dass dein eigener Sohn dein Reich erbt«, fuhr sie fort, »dann trennst du dich besser von mir, weil ich unfruchtbar bin.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte so heftig, dass ihr ganzer Körper vor Schluchzen bebte.
Zum ersten Mal verstand Hiskia ihren Kummer und teilte ihre Enttäuschung. Er wollte auch einen Sohn. Es war ungerecht. Aber trotz seines inneren Kampfes wusste er, dass Hephzibahs Leid in diesem Augenblick größer war als sein eigenes. Sie brauchte ihn.
»Ich kann mich nicht von dir scheiden lassen, Hephzibah«, sagte er leise.
»Warum? Weil Jahwe es verbietet?«
»Nein. Weil ich dich liebe.« Hiskia nahm sie in seine Arme - zum ersten Mal ignorierte er das Gesetz, das ihm verbot, sie zu berühren. Er strich ihr über das weiche Haar und flüsterte noch einmal: »Ich liebe dich, Hephzibah. Du bist mir wichtiger als ein Erbe. Ich werde mich nicht von dir trennen.«
»Kannst du dann nicht einen anderen Weg finden? Gibt es nicht doch irgendwo eine Ausnahme, die dir erlaubt, eine zweite Frau zu haben, wenn ich unfruchtbar bin?«
»Ich weiß nicht - ich weiß es wirklich nicht.« Als er an diesem Abend zu Hephzibah gegangen war, hatte Zuversicht für die Zukunft ihn erfüllt. Aber jetzt hatte er das Gefühl, dass Gott ihm die Zukunft entrissen und sie Gedalja übergeben hatte.
»Es ist ungerecht, dass du zwischen der Treue zu mir und einem Sohn wählen sollst«, fuhr sie fort. »Wie kann ein liebender Gott das von dir verlangen?«
»Es gibt vieles, was ich nicht verstehe
«, begann er, aber jetzt, wo Hephzibah ihrer Verbitterung einmal freien Lauf gelassen hatte, schien es kein Halten mehr zu geben.
»Warum verbietet Jahwe dir, ihn morgen anzubeten, nur weil du Mitleid mit mir hattest und mich heute Abend in den Arm genommen hast? Warum ist dein Gott so ungerecht, Hiskia? Nach allem, was du für ihn getan hast, vergilt er es dir auf diese Weise? Indem er dich zwingt, zwischen einer Scheidung von mir und der Übergabe deines Reiches an Gedalja zu wählen?«
Hiskia drückte sie fest an sich. »Schhh, Hephzibah
still.«
Ihre Verbitterung nährte seine eigene und es machte ihm Angst, wie stark dieses Gefühl war. Er wusste, dass Gott nicht ungerecht war. Aber er wusste nicht, wie er seine Verwirrung und Enttäuschung mit seinem Glauben an Gottes Güte vereinbaren sollte. Er musste allein sein, um sich all das gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Er konnte es sich nicht leisten, noch länger Hephzibahs wütenden Groll und ihre Zweifel anzuhören.
»Hör mir erst einmal zu, Hephzibah. Vor ein paar Jahren hat Schebna versucht, mich zu überreden, aus politischen Gründen eine Eheschließung mit einem fremden König auszuhandeln. Er war überzeugt davon, dass das Gesetz nicht verbietet, mehr als eine Frau zu haben, und er hat steif und fest behauptet, die Deutung des Gesetzes, die mein Großvater vertreten hat, sei falsch. Er hat versucht, mir zu sagen, was in der Tora steht, aber ich habe nicht auf ihn gehört.«
»Du meinst, du musst dich vielleicht gar nicht von mir scheiden lassen? Und kannst vielleicht trotzdem einen Sohn haben?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich muss die Wahrheit herausfinden. Du hast meinetwegen viel Kummer gehabt, nicht wahr? Das tut mir leid.«
Ihre Arme hielten ihn ganz fest. »Das macht nichts - solange du nur einen Sohn bekommst.«
»Die Priester und Leviten sind Kenner des Gesetzes, und wenn es eine Lösung für dieses Dilemma gibt, dann werden sie davon wissen. Ich kann nicht glauben, dass Gott uns ungerecht behandeln würde.«
Aber trotz seiner Zusicherungen ließ Hiskias Unbehagen nicht nach. Warum war ihm nicht längst bewusst geworden, dass David ein Erbe versprochen war und nicht ihm? In all den Jahren hatte er Hephzibah in ihrer Enttäuschung getröstet und nie an Gottes Verheißung gezweifelt. Er hatte ihren mangelnden Glauben verurteilt, aber sie hatte die ganze Zeit recht gehabt. Sie würde ihm niemals den Sohn schenken, den er sich ersehnte.
»Jetzt weine nicht mehr; alles wird gut«, tröstete er seine Frau. »Ich werde morgen früh mit den Priestern und Leviten reden, und wenn ich morgen Abend wiederkomme, habe ich vielleicht schon ihre Antwort.« Er drückte sie fest an sich. »Ich könnte dich niemals aufgeben, Hephzibah. Niemals.«
Nachdem Hiskia gegangen war, blieb Hephzibah am Fenster sitzen und konnte nicht aufhören zu weinen. Als ihre Zofe zurückkam, eilte sie zu Hephzibah. »Ach, meine arme Herrin. Ich habe den König gebeten, nicht herzukommen. Ich wusste, dass es dich traurig machen würde.«
Hephzibah schüttelte den Kopf und lächelte, während sie sich über die Augen fuhr. »Nein, Merab. Ich weine vor Freude. Er hat mich heute Abend in den Arm genommen. Richtig in den Arm genommen.«
»Aber im Gesetz steht doch
«
»Ich weiß! Heute hat er endlich erkannt, wie ungerecht Jahwes Regeln sind. Er hat mir gesagt, dass er einen Weg finden will, das Gesetz zu brechen, damit er einen Sohn bekommen kann, ohne sich von mir scheiden zu lassen.«
»Das hat der König gesagt?«
»Ja! Weißt du, wie lange ich dafür gebetet habe, Merab? Wie lange ich die Göttin angefleht habe, seine Meinung zu ändern?«
»Sehr lange, Herrin.«
»Und heute Abend ist es geschehen. Das verdanke ich nur Aschera!«
Hiskia kramte in seiner Sammlung aus Schriftrollen, die er in seinen Gemächern aufbewahrte, bis er den Text »Anweisungen für die Könige« fand. Dann zog er eine Lampe näher und setzte sich, um zu lesen.
»Der König soll auch nicht zu viele Frauen haben, damit sie sein Herz nicht vom Herrn abwenden.« (5. Mose 17,17)
Als Hiskia vor Jahren diese Anweisungen gelesen hatte, hatte sein Großvater zu ihm gesagt, wenn er diese Gesetze befolgte, würde er nie den drei größten Versuchungen eines Königs erliegen: Macht, Stolz und Lust. Aber Hiskia wusste, dass er sich nicht aus Lust eine zweite Frau nehmen würde. Er wollte nur einen Erben.
Seinem Verstand schien die Lösung, eine zweite Frau zu ehelichen, vernünftig, aber der Gedanke verursachte bei ihm ein mulmiges Gefühl. Er wusste, dass er niemals eine zweite Frau so lieben konnte, wie er Hephzibah liebte, und im tiefsten Innern wünschte er sich noch immer, dass irgendwann Hephzibahs Sohn den Thron bestieg.
Während er mit diesen Gedanken rang, fragte er sich, wie Hephzibah wohl darauf reagieren würde. Würden seine Neuigkeiten sie aufmuntern und ihr Hoffnung geben oder ihre Verbitterung und Eifersucht anfachen? Es gab für sie viel zu bedenken und Hiskia musste alles mit ihr besprechen, bevor er eine endgültige Entscheidung traf.
Aber warum sollte er bis morgen Abend warten? Er würde zu ihren Gemächern zurückgehen und es ihr noch heute sagen.
Schnell legte er den kurzen Weg zum Harem zurück und sah unter ihrer Tür Licht hervorscheinen. Er klopfte leise, wartete aber nicht, bis die Magd aufmachte, sondern öffnete die Tür und trat ein.
»Hephzibah, ich
«
Aber Hiskia beendete den Satz nicht. Hephzibah kniete anbetend vor einer goldenen Statue der Aschera.
Der Boden schwankte unter Hiskias Füßen, als er langsam auf seine Frau zuging. Er wollte nicht glauben, was er da sah. Dies war nicht seine Frau, die da vor einem Götzenbild kniete. Sie konnte es nicht sein. Hiskia spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Mit zitternden Händen packte er seine Tunika und riss sie in der Mitte durch. Dann zerfetzte er den Stoff und schrie voller Qual auf. »Wie konntest du mir das antun, einen Götzen anbeten?«
»E-es tut mir leid«, stammelte sie. »I-ich kann das erklären
«
Mit aller Kraft schleuderte Hiskia das goldene Götzenbild zu Boden und stieß dabei eine brennende Fackel um. Bevor er reagieren konnte, ging der Teppich in Flammen auf. Das Feuer verschlang einen Stapel Reetmatten, bevor es auf die seidenen Bodenkissen übergriff.
Er hörte ein Rauschen, als getrocknete Palmzweige in einem Tonkrug von den Flammen erfasst wurden, und dann das wütende Knistern des Feuers, das den Wandteppich über dem Krug entzündete. Der Brand geriet außer Kontrolle und Hiskia musste etwas unternehmen.
Er riss sich sein Obergewand vom Leib und benutzte es, um das sich rasend schnell ausbreitende Feuer zu bekämpfen. Heißer Rauch machte ihm das Atmen schwer, als er mit dem Umhang auf die Flammen schlug, immer wieder, mit der Kraft der Verzweiflung.
Aber das Feuer breitete sich schneller aus, als er es zurückdrängen konnte. Eine Mauer aus Flammen umgab Hiskia. Die Hitze brannte auf seiner Brust, wo er die Tunika zerrissen hatte; fliegende Funken versengten seine Arme und sein Gesicht. Doch er ignorierte den Schmerz und kämpfte weiter.
Plötzlich hörte er Hephzibah aufschreien. Sie war in eine Ecke neben dem brennenden Bett zurückgewichen und war gefangen. Er riss die lodernden Vorhänge herunter, um den Weg für sie frei zu machen, und schrie: »Lauf, Hephzibah! Du musst hier raus!« Doch sie rührte sich nicht.