Der Hinduismus erscheint uns als exotisch-fremde Weltanschauung, doch seine Ideen haben sich auch in unserer Kultur schon weit verbreitet. In unzähligen Formen zeigt diese Religion sich in unserer Gesellschaft. Hinduistische Einflüsse findet man z.B. in transzendentaler Meditation, in Yoga-Schulen oder in der Lehre der Anthroposophie.
Johannes Reimer gibt einen kurzen historischen Überblick über die Entstehung des Hinduismus, benennt verschiedene Richtungen und Ausprägungen und zeigt anhand praktischer Beispiele, wie das Gespräch mit einem Hindu über den christlichen Glauben gelingen kann.
Vorwort
In Band 1 der Serie Evangelisation im interreligiösen Raum haben wir uns grundsätzlich mit den Fragen und Möglichkeiten der Evangelisation der Anhänger nichtchristlicher Religionen beschäftigt. Mit Band 2 – Mit Muslimen über Jesus reden – haben wir das Territorium dieser Religionen betreten. Und in dem vorliegenden Band 3 setzen wir unsere faszinierende Reise in die Welt der Evangelisation fort, die uns in den religiösen Kontext des Hinduismus führt.
Viele von uns werden eigene Erfahrungen – ob bewusst oder unbewusst – mit dieser alten indischen Religion gesammelt haben, die sich seit einigen Jahrzehnten anschickt, auch hier in Europa Fuß zu fassen. Ich habe jedenfalls meine ersten bewussten Erfahrungen mit dem Hinduismus in Deutschland gemacht.
Da standen Menschen inmitten einer deutschen Fußgängerzone und sangen immerfort nur den einen Satz:„Hare Krishna, Hare Krishna, Hare Hare, Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare.“
Es waren junge Leute, Europäer, wie man erkennen konnte. Aber die Kleider, die glatt geschorenen Köpfe, der befremdende Gesang und Tanz – all das passte nicht nach Europa. Es erinnerte an Indien. Und es kam auch tatsächlich aus Indien. Die Anhänger der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein hatten ihren Auftritt, wobei viele von ihnen erst wenige Tage zuvor für die Gruppe gewonnen worden waren. Und ich will es nicht verschweigen: Der Gesang dieser jungen Leute; ihre Bereitschaft, in einer so fremdartigen Verkleidung in die Öffentlichkeit zu gehen; eine gewisse Leidenschaft, die man ihren Gesichtern ablesen konnte, zogen mich magisch an. Zugleich aber spürte ich tief in meinem Herzen eine wachsende Abwehr, ja sogar Angst vor diesem Fremden.
„Die wirken wie besessen“, kommentierte mein Freund, ebenfalls Christ wie ich, der neben mir stand. So weit war ich noch nicht bereit zu gehen, doch da war ein fremder Geist, der auch in mir Abwehr bewirkte.
So begann meine Auseinandersetzung mit dem Hinduismus. Es war eine Begegnung, die sehr bald zur Herausforderung werden sollte. Hunderte von jungen und älteren Leuten habe ich seither kennengelernt, die von der Mystik Indiens angezogen wurden und werden. Und längst beschränkt sich ihre Begeisterung nicht nur auf eine aus Indien selbst stammende Bewegung: Tausende von Yoga-Schulen, Meditationszentren, Bewusstseinserweiterungs-gruppen, Selbsterfahrungszellen existieren mittlerweile in unserem Land. Man trifft sich in Schulen oder Kirchen; viele dieser Gruppen gehören fest zum Programm der Volkshochschulen. Wie keine andere Religion ist der Hinduismus in seiner modernen Gestalt bei uns im Vormarsch. Und viele Zeitgenossen marschieren, nichts Böses ahnend, mit. Doch fragt man sie nach den religiösen Grundlagen ihrer Begeisterung, so erntet man nicht selten langes Schweigen. Die Unkenntnis ist geradezu erschreckend.
Wenn sich Menschen wenig bis gar nicht für die Religion interessieren und sich nur nach ihrem äußeren Ausdruck ausstrecken, dann wird religiöse Indoktrinierung zum Kinderspiel und die Menschen selbst werden zur leichten Beute religiöser Führer. Yoga ist eben mehr als Gymnastik. Und Meditation ist weit mehr als eine Übung in Konzentration. Es ist naiv zu glauben, man könne religiöse Übungen ohne religiösen Inhalt übernehmen und dabei keinem spirituellen Einfluss ausgesetzt sein. Die Folgen sind vorprogrammiert: Ignoranz wird zur Verstockung des Herzens in Bezug auf Gott. Irgendwann sind solche Menschen vom Leben mit Gott entfremdet (Eph 4,17-18).
Der missionarische Vormarsch hinduistischer Glaubensinhalte ist der eine Grund, warum wir Christen uns mit der Frage nach der Evangelisation von Menschen mit hinduistischem Gedankengut beschäftigen sollten. Hindus leben unter uns. Allein in Deutschland zählt die Gemeinschaft bekennender Hindus mehr als 120.000 Mitglieder. Der Einfluss des Hinduismus ist allgegenwärtig. Hunderte von Yoga-Lehrenden sind im Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDY) zusammengeschlossen. Der Verband betreibt eine rege Schulungs-, Konferenz- und Publikationstätigkeit. Die hinduistischen Wurzeln werden hier nicht verschwiegen. Auch der Vegetarierbund Deutschland (VEBU) verweist auf seiner Internetseite auf die hinduistischen Wurzeln des deutschen Vegetarismus. Beispiele dieser Art könnten beliebig ergänzt werden. Der Hinduismus gestaltet heute wesentliche Teile der Spiritualität in unserer Gesellschaft. Offen wirbt man auf der Seite www.kirchenaustritt.de für den Hinduismus. Es wäre fahrlässig für Christen, sich nicht mit dem Hinduismus auseinanderzusetzen. Wer in unserem Land Menschen für Jesus gewinnen will, muss sich mit der fernöstlichen Indoktrinierung beschäftigen.
Und dann sollte man den indischen Subkontinent nicht vergessen. Fast eine Milliarde Menschen bekennen sich zum Hinduismus. Indien ist ein ökonomisch aufstrebender Staat. Als Manager von großen Weltunternehmen reist der moderne Hindu in die westliche Welt. Wenn man noch vor wenigen Jahrzehnten glaubte, dass der ökonomische Fortschritt vor allem vom christlichen Glauben profitiere, so beweisen uns heute die Hindus das Gegenteil. Wer diese Menschen erreichen möchte, wird nicht umhin können, sich intensiv mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen und nach Wegen zu suchen, wie man in ihrem religiösen Raum Anknüpfungspunkte für das Evangelium finden kann.
Der Hinduismus ist eine der ältesten heute noch praktizierten Religionen der Welt. In dieser Religion sind über Tausende von Jahren religiöse Erfahrungen und Sehnsüchte der Menschen gesammelt worden und man hat nach Antworten gesucht. Geht man davon aus, dass Gott auch in diesem religiösen Raum nicht abwesend war, dann sollten wir solche Anknüpfungspunkte finden, um sie für die Evangelisation dieser Menschen nutzen zu können. Das ist die Absicht dieses Buches.
Ich bin überaus dankbar für viele Freunde aus Indien, die mir bei der Abfassung des Manuskripts beigestanden haben. Allen anderen voran will ich Dr. Jacob Gideon danken, der sich die Zeit nahm, um das Manuskript zu lesen und mir wertvolle Hinweise aus seiner jahrelangen Evangelisationsarbeit in Indien zu geben.
Johannes Reimer
Bergneustadt, im Herbst 2014
Kapitel 1:
Warum sollte ich den Hinduismus
kennen?
1.1. Eine Religion, so weit wie ein Ozean
Was Hindus glauben, nennen wir Hinduismus. Der Name stammt, so die eine These, aus dem 13. Jahrhundert und wurde eingeführt von den nach Indien drängenden Muslimen, die damit ihre eigene Religion, den Islam, von der Religion der einheimischen Bevölkerung unterscheiden wollten. „Hindu“ stammt nach dieser Theorie vom persischen Wort Hindoo und steht für In der, womit Anhänger einer bestimmten Religion bezeichnet wurden. Da die Muslime damit praktisch jede nicht-islamische Glaubensüberzeugung identifizierten, kann der Begriff auch zu Missverständnissen führen.
Andere Kenner des Hinduismus führen den Begriff „Hindu“ auf das altindische Wort Sindhu zurück, womit sowohl der Fluss Indus als auch die Landschaft und die Menschen am unteren Lauf des Indus gemeint waren. Die Inder selbst nennen ihren Glauben Sanatana Dharma, was so viel wie „ewiges Gesetz“ oder auch „ewige Lehre“ heißt.
Wie wenig es sich dabei um religiöse Gesetze handelt, wird die Darstellung dieser überaus komplexen Religion zeigen. Wie ein bunter Teppich fügen sich im Hinduismus recht unterschiedliche Glaubensvorstellungen aneinander und zusammen. Was der eine Hindu glaubt, muss der andere noch lange nicht glauben. Was dem einen heilig ist, ist dem anderen unter Umständen völlig gleichgültig. Während die einen jeden Fleischgenuss aus Gründen der Achtung vor dem Leben verbieten, sehen die anderen darin nichts Verkehrtes und opfern und verspeisen Tiere. Nicht selten unterscheiden sich die Glaubensvorstellungen eines Dorfes wesentlich von denen ihrer unmittelbaren Nachbarn.
„Im Denken des Hinduismus ist Platz für alles, nicht nur für die gut formulierten Philosophien. Sogar die einfachsten und gröbsten Formen des Gottesdienstes sind akzeptiert, weil manche Menschen eben hier beginnen. Hinduismus lehnt niemals irgendetwas oder irgendjemand ab. Es ist ein großer Ozean. Es könnte Sindhuism genannt werden. ,Sindhu‘ meint in einigen indischen Sprachen ,Ozean‘. Es sagt niemals: ,Nur Ganges oder Godavari kann eintreten, Missouri oder Mississippi müssen draußen bleiben.‘ Nein, sie fließen alle hinein. [...] Sogar Atheismus ist akzeptiert. Ein Hindu weiß, dass in dem Moment, wo du sagst: ‚Ich glaube nicht an Gott!‘ du die Existenz eines Gottes bereits anzunehmen scheinst. Gäbe es keinen Gott, wozu würdest du dann nicht glauben wollen? ... Ein wahrer Hindu wird keinerlei Probleme haben, andere Glaubensvorstellungen anzunehmen. Er wird niemals sagen: ,Oh, ich bin ausschließlich Hindu. Ich bin kein Katholik. Ich bin kein Buddhist. Ich bin kein Muslim.‘ Sie sind alle auf der Verehrung, der Bhakti Yoga aufgebaut. Der Ozean wird niemals irgendein Wasser ablehnen; es umarmt alles.“
Eine so weite Definition, eine solche Vielfalt an Glaubensvorstellungen und -praktiken scheint nur schwer unter ein gemeinsames religiöses Dach zu passen. Nicht zuletzt deshalb hat man immer wieder behauptet, dass der Hinduismus weniger ein Glaubensbekenntnis als vielmehr eine Kultur darstelle, die sich in unterschiedlichen religiösen Vorstellungen wiederfinde. Andere schlugen vor, den Glauben der großen Mehrheit der Hindus eher als Animismus zu bezeichnen. Doch diese Sicht wird dem Phänomen „Hinduismus“ ebensowenig gerecht wie der Versuch, ein einheitliches religiöses Gebilde aus dem bunten Religionsmix am Ganges zu zaubern.
Es wäre vermessen zu glauben, im Rahmen einer so kurzen Einführung wie dieser den Hinduismus als Phänomen im Detail beschreiben zu können. Eine Religion, die weder über einen Gründer, ein einheitliches heiliges Buch, eine klar strukturierte Lehre und eine deutlich erkennbare Führung verfügt, lässt sich in kein einfaches Schema pressen. Und wer es trotzdem versucht, tut ihr Unrecht. Was ich anbiete, ist ein Überblick auf der einen und impulsartige Einblicke auf der anderen Seite. Die so entstandene Kurzinformation soll helfen, ins Gespräch zu kommen; soll die Richtung andeuten, in die man halbwegs informierte Fragen stellen kann. Sie soll uns Christen zu interessierten Gesprächspartnern für den Hindu machen und somit die ersten Bausteine für das Fundament einer stabilen Vertrauensbeziehung legen, denn nichts begünstigt die Evangelisation so sehr wie Vertrauen.
1.2. Hinduismus und Hindutum
Es ist wichtig, zwischen der Religion (Hinduismus) und der Kultur (Hindutum) Indiens zu unterscheiden. Die Vielfalt des Hinduismus kann sich nur deshalb als einheitliche Ideologie präsentieren, weil radikal-hinduistische Kräfte im Land versuchen, die Religion auf eine gemeinsame Lebensart zu fixieren, vor allem politisch. Wortführer dieser Bewegung sind zum Beispiel die Bharatiya Janata Partei (BJP; Indische Volkspartei) und der Visva Hindu Parishad (VHP; Welt-Hindu-Rat) sowie andere rechtsradikale Parteien und Gruppierungen. Sie alle fördern das gesellschaftliche Ideal des Hindutva, das wir als „Hindutum“ übersetzen, welches von Vinayak Damodar Savarkar, einem indischen Politiker, in der Zeit der Befreiungsbewegung von der britischen Kolonialmacht etabliert wurde.
Im Konzept des Hindutums wird das religiöse Indien mit seiner reichen Geschichte und Kultur zu einem politischen und sozialen Raum, zum „heiligen Land“ hochstilisiert, in dem fremde religiöse und politische Gedanken keinen Platz haben. Als solche gelten vor allem der Islam und das mit dem Westen gleichgesetzte Christentum. Wir tun gut daran, uns deshalb nicht nur mit der Religion des Hinduismus, sondern auch mit der auf der Religion bauenden Kultur näher zu befassen.
1.3. Alt, bunt und zunehmend attraktiv
Woher kommt sie also und wie gibt sich diese vielschichtige Religion, die wir Hinduismus nennen, auf dem indischen Subkontinent? Klaus Hoppenworth hat sie mit einem Religionsmuseum verglichen, in dem verschiedene Epochen der Religionsgeschichte Indiens nebeneinander existieren. Wer unter Hindus evangelisieren will, der sollte auf diese Frage eine Antwort finden und in der Beantwortung der Frage zugleich Spuren Gottes entdecken, die uns Anknüpfungspunkte zum Glaubensgespräch und zur Weitergabe des Evangeliums geben.
Evangelisation unter Hindus in Europa kann heute ohne entsprechende Kenntnis des Hinduismus auch noch aus einem anderen Grund kaum geschehen: Hinduistische Glaubensvorstellungen sind zunehmend attrativ! Seit Jahrzehnten zieht es die zivilisationsmüden Europäer nach Indien und umgekehrt überfluten hinduistische Heilslehren in regelmäßigen Abständen den Westen. Was finden Menschen im nachchristlichen Europa so attraktiv an dieser Religion – oder besser: an den Religionen am Ganges? Welche Inhalte werden vom Hinduismus angesprochen, die im zivilisierten Europa keinen Ausdruck finden? Welches Vakuum decken sie ab?
Offensichtlich bietet das Christentum, wie es heute bei uns gelebt wird, kein entsprechendes spirituelles Angebot. Die Attraktivität des Hinduismus ist somit auch eine Anfrage an das praktizierte Christentum. Irgendetwas machen wir im Gemeindebau falsch, sonst würden uns die Menschen nicht in Richtung Indien weglaufen. Aber was? Die Antwort könnte in der Kenntnis des religiösen Phänomens am Ganges liegen.
Die folgende Einführung soll einen ersten Einblick in die Welt des Hinduismus ermöglichen. Natürlich können in einem solchen Rahmen die Entwicklungen dieser komplexen Religion nur angetippt werden. Eine tiefer gehende Untersuchung würde eine eigene Darstellung über den Hinduismus verlangen. Das Format dieses Buches erlaubt eine solche nicht. Dem interessierten Leser steht jedoch genug Literatur zur Verfügung.
1.4. Wir schulden ihnen eine Antwort
Hindus kennen Christus nicht. Wir Christen schulden den Menschen im Hinduismus und all denen, die sich von dieser großen und alten Weltreligion angezogen fühlen, eine Antwort. Wer, wenn nicht wir, soll ihnen von den großen Taten Gottes erzählen? Wer, wenn nicht wir, soll ihnen die Botschaft von der Versöhnung der Welt mit Gott, die durch Jesus Christus geschehen ist, weiterreichen? Wir sind Botschafter an Christi statt (2. Kor 5,20). Wir sind gefragt. Wir schulden den Hindus das Evangelium.
Motiviert durch diesen Auftrag stellen wir nun die Frage nach der Evangelisation im hinduistischen Glaubensraum. Wie können wir mit Hindus in ein missionarisches Gespräch eintreten? Was ist für sie die Gute Nachricht, die auch ihr Herz dem Glauben und damit dem Heil in Jesus Christus näherbringt? Gibt es Chancen und Möglichkeiten, hinduistisches Denken und Kultur für die Evangelisation der Hindus zu nutzen? Und wenn ja, wo liegen diese Chancen?
Das sind die Fragen, die mein Herz bewegen, wenn ich nun mein kleines Forscherboot in den mächtigen Ozean des Hinduismus setze. Und ich bin mir bewusst, dass meine Gedanken nicht mehr als Anregungen und Impulse weitergeben werden. Die wenigsten dieser Impulse stammen von mir selbst. Vielmehr werte ich die Arbeit anderer aus und nutze die Ergebnisse für meine und Ihre Weiterarbeit an den Themen.
Meine eigene Erfahrung mit Menschen hinduistischen Glaubens beschränkt sich größtenteils auf die Erfahrungen mit hinduistischen Tamilen in Deutschland und regelmäßigen Besuchen in Südostasien. Ich habe viele Fehler in meiner Evangelisation dieser Menschen gemacht. Rajasilva, so nenne ich den lieben Mann aus Sri Lanka, ist einer der Menschen, der mir eines Tages meine Fehler vorwarf. Wir kannten uns bereits mehr als zehn Jahre. Zwischen unseren Familien hatte sich sogar so etwas wie Freundschaft entwickelt. Wir besuchten uns gegenseitig und Raja nahm jede Einladung an, auch zum Gottesdienst in unsere Gemeinde zu kommen. Viele Tamilen entschieden sich damals in unserer evangelischen Freikirche in Ostwestfallen für Jesus. Nur Raja blieb dem christlichen Glauben fern, bis eines Tages ein persönliches Leid seine Familie traf. Er bat uns, für die Familie zu beten. Und Gott tat ein Wunder. Bald danach kam Raja zur Gemeinde und übergab Jesus sein Leben. Ich fragte ihn, warum er so lange gezögert habe. Seine Antwort tut mir heute noch weh.
„Ihr wart immer gut zu uns, Johannes. Ich habe nie an deiner Liebe zu mir und meiner Familie gezweifelt. Aber in den ganzen Jahren habe ich kein einziges positives Wort über den Glauben, die Geschichte und Kultur meines Volkes gehört. Das tat mir sehr weh. Ich hatte schon lange verstanden, dass Jesus Christus mehr sein muss als Krishna, Shiva und die vielen anderen Götter meines Volkes. Wenn du nur auch mal etwas Wertschätzendes gesagt hättest in Bezug auf unsere uralte Geschichte und Religion, ich hätte wahrscheinlich bald anders zugehört. So aber hat mich deine Arroganz geärgert. Und mein Ärger hielt mich von Jesus fern.“
Rajas Worte klingen mir noch heute im Ohr. Und sie haben mich seither immer wieder motiviert, nach Gottes Spuren im Hinduismus und nach menschlichen Leistungen in der hinduistischen Kultur zu fragen und zu suchen. Ich lade Sie ein, liebe Leser, liebe Leserinnen, mit mir zusammen in diese so ganz andere und zum Teil für uns Christen nur sehr schwer verständliche Welt einzusteigen. Wagen Sie es! Sie müssen keine Angst vor Verführung haben. Wer im Gebet zu Gott und unter der Führung des Heiligen Geistes nach Antworten auf Fragen effektiver Evangelisation sucht, hat nichts zu befürchten.
1.5. Wie arbeiten Sie mit diesem Buch?
Dieses Buch will an erster Stelle informieren. Sie können es deshalb wie jedes andere Buch lesen und das, was Sie interessiert, behalten. Allerdings möchte ich Ihnen damit auch die Augen für das Besondere, für mögliche Parallelen zu unserem christlichen Glauben öffnen und somit jene Anknüpfungspunkte und Brücken andeuten, die Sie im Gespräch mit Hindus nutzen können.
Sie finden solche Impulse zum Weiterdenken mit einem Ausrufezeichen ! deutlich markiert. Halten Sie an solchen Stellen inne. Wagen Sie es, das Fremde in der Religion in Ihr eigenes Bild einzuordnen. Fragen Sie weiter, suchen Sie nach der Spur Gottes in der Glaubenswelt der Hindus. So werden Sie Übertragungen für ein missionarisches Gespräch finden.
Religionen sind aber auch Leistungen der Menschen. In allen Religionen menschelt es. Und auch solche von Menschen geschaffenen Konstrukte, die für das Gespräch mit dem Hindu von Interesse wären, werde ich mit ! markieren.
An den Stellen, wo dämonische Korruption deutlich wird, Okkultismus im Vormarsch ist, werde ich einen Marker mit einem Fragezeichen ? setzen. Nicht um Ihnen Angst zu machen, sondern um die Perspektive zu schärfen für potenzielle Probleme im Umgang mit bekennenden Hindus.
Es wäre selbstverständlich eine große Hilfe, wenn Sie selber eigene Notizen zur Lektüre machen. Formulieren Sie Ihre Fragen, benennen Sie die unklar gebliebenen Perspektiven, setzen Sie eigene Ausrufe- und Fragezeichen.
Sie werden schnell feststellen, dass im Buch die grundlegenden Begriffe wie Evangelisation, Mission oder auch Fragen nach Kontextualisierung nicht angesprochen werden. Da diese Klärungen im ersten Band der Serie vorgenommen wurden, werden sie hier vorausgesetzt und nicht neu aufgenommen. Es empfiehlt sich daher, das Buch erst nach der Lektüre des Einführungsbandes zu lesen.
Prof. Dr. Johannes Reimer
Johannes Reimer wurde in einem sowjetischen Internierungsdorf für die deutsche Minderheit geboren. Als Schüler und Student wuchs er zunächst atheistisch auf und gehörte zu den leitenden Kadern der kommunistischen Jugendorganisation seiner Schule. Nach Diskussionen mit Christen, die er von ihrem Glauben abbringen sollte, wandte er sich selbst dem christlichen Glauben zu.
Nach seinem Technik-Studium wurde Reimer zum Militärdienst eingezogen, wo er jedoch den Dienst an der Waffe verweigerte. Nach verschiedenen Misshandlungen durfte er 1976 endlich mit seiner Familie nach Deutschland ausreisen. Reimer besuchte die Bibelschule Wiedenest, studierte Theologie am Theologischen Seminar in Hamburg und am MBBS in Fresno (USA). 1995 promovierte Reimer zum Doktor der Theologie an der staatlichen Universität von Südafrika in Pretoria, die ihn 1997 auf den Lehrstuhl für Missiologie berief.
Er ist Vorsitzender der Gesellschaft für Bildung und Forschung in Europa und unterrichtet (GBFE) u.a. im Studienprogramm Gesellschaftstransformation am Marburger Bildungs- und Studienzentrum (mbs) und am Theologischen Seminar Ewersbach.