Der Alltag der beliebten Autorin ist reich an Begegnungen mit sehr unterschiedlichen Menschen: Da ist der Sozialhilfeempfänger, der ihr zuliebe mit in den Gottesdienst geht und sie im Gegenzug um Beistand bei einer Gerichtsverhandlung bittet. Oder da trifft sie bei einer ihrer Vortragsreisen eine verzweifelte junge Frau, die über den Selbstmord des Bruders nicht hinwegkommt.
Mit viel Glaubensmut begegnet Lotte Bormuth all diesen Menschen und malt ihnen die Größe Gottes vor Augen. Und wie durch ein Wunder weckt sie dabei in ihnen das Heimweh nach der Liebe Gottes.
Das kleine Lämmchen
Von einem kleinen Jungen las ich, wie sehr er sieh darüber freute, als seine Mutter das selbst gemalte Bild an den Kühlschrank in der Küche hängte. Sein Vater und alle seine Geschwister sollten es sehen und ihn loben. In unserer Erziehung spielt das Lob eine wichtige Rolle. Kinder, die nie Wertschätzung erfuhren, können wie Pflänzchen dahinwelken. Sie entwickeln kein gutes Selbstbewusstsein und sind auch leicht verführbar.
Ich will von Daniel, unserem Jüngsten, erzählen. Eines Tages kam er von der Schule nach Hause und stellte mir ein selbst gebasteltes Lämmchen auf den Tisch. „Für dich, Mama!“ Dieses Geschenk war mir sehr wertvoll. Ich nahm Daniel in den Arm, drückte ihn an mich und gab ihm einen kräftigen Kuss auf die Stirn. „Schön hast du das gemacht. Das Lämmchen ist dir gut gelungen. Da hast du auch viel daran arbeiten müssen. Wunderbar sieht vor allem sein Köpfchen aus. Ich werde dem Lämmchen einen Ehrenplatz auf dem Schrank im Wohnzimmer geben.“
Jahrelang stand es da. Und jedes Mal, wenn ich das Tierchen abstaubte, gingen mir liebe und dankbare Gedanken für mein Kind durch den Sinn. Lotte, klopfte ich mir selbst auf die Schulter, du hast einen lieben, begabten Nachkömmling. Wie gut, dass Daniel noch geboren wurde, war ich doch schon 39 Jahre alt. Ich bewunderte ihn, da ich selbst beim Basteln und Malen nie ein Meister, sondern eine Niete war. Noch heute halte ich dieses erste Geschenk, das Daniel mir für den Muttertag kunstvoll bereitet hat, in Ehren, auch wenn es nur noch ein Öhrchen hat. Jedes Mal, wenn unser Sohn zu Besuch kommt, lacht er mich an und staunt: „Na Mama, das Lämmchen lebt aber lang.“
„Ja, Daniel, von ihm werde ich mich nicht trennen.“
Kinder brauchen, solange sie leben, Zuspruch und Wertschätzung. Und geht es uns nicht genauso? Wir brauchen doch auch im Alter Anerkennung und Würdigung. Als ich meinen Rentenantrag stellte, half mir ein Herr in der Rentenabteilung, die Formulare auszufüllen. Ich brachte ihm die nötigen Unterlagen. Unter anderen wichtigen Papieren hatte ich ihm auch mein Studienbuch auf den Schreibtisch gelegt, denn ich wusste, dass auch die Zeit meines Theologiestudiums in Marburg bei der Rente eine Rolle spielte. Der Beamte blätterte darin, entdeckte dann mein Foto und schaute mich an: „Frau Bormuth, waren Sie aber eine schöne Studentin.“
Ich lächelte etwas verlegen und erwiderte: „Das hat mir aber noch nie jemand gesagt und ich habe mich selbst nie als so attraktiv empfunden.“ Das Schönste an mir waren meine langen Haare. Ich trug sie in zwei Zöpfen an meinem Kopf hochgesteckt. Und doch hatte ich ein großes Problem. Seit meinem 15. Lebensjahr ärgerte ich mich über die vielen Pickel in meinem Gesicht. Sie verdarben mein Aussehen sehr kräftig. Aber auf dem Foto waren sie wegretuschiert.
Jetzt bin ich alt geworden. Die Pickel belasten mich schon lange nicht mehr. Seit meiner Hochzeit sind die Übeltäter verschwunden. Aber nun gibt es andere lästige Dinge im Gesicht. Viele Falten sind mit der Zeit entstanden und auch meine schönen, ehemals blonden Haare sind ganz grau geworden. Jetzt muss ich darüber lächeln, wenn jemand zu mir sagt: „Frau Bormuth, jetzt kommt es auf Ihre innere Schönheit an.“ Nun werden auch die Fotos nicht mehr retuschiert. Ich darf mich einer guten Gesundheit erfreuen und dafür danke ich meinem Herrn. Ich mache mir keine Gedanken über meine grauen Haare und Falten. Ich weiß mich geliebt von meinem Mann und meinen Kindern und den 18 Enkeln. Wenn wir uns zu einem Familienfest treffen, erhalte ich mindestens 28 Küsse und alle drücken mich fest in ihre Arme.
Vor einigen Wochen war ich nach fast vierzig Jahren auf einem Schulfest und begegnete einer Klassenkameradin. Sie begrüßte mich recht sonderbar: „Ach Lotte, was bist du dick geworden.“ Dabei brachte ich gerade mal 63 Kilogramm auf die Waage, nachdem ich zuvor zehn Pfund abgenommen hatte. Ich wusste ihr kein einziges Wort darauf zu antworten. Im Stillen dachte ich: Ich wünschte, du hättest bessere Manieren und hättest mich umarmt und gesagt: „Wie schön, Lotte, dein fröhliches Lachen hast du noch nicht verlernt.“ Ein gutes freundliches Wort trennt nicht, sondern schafft Wärme und Herzlichkeit.
Diese Erfahrung machte ich auch bei meiner Mutter. Fast zwei Jahre wohnte sie bei uns, als sie mit 85 Jahren schwach und hilfsbedürftig wurde. Wir hatten für sie ein Pflegebett besorgt, das an der Seite ein Gitter hatte. Es sollte sie schützen, denn es war gefährlich, wenn sie in der Nacht allein aufstand, um zur Toilette zu gehen. Sie litt auch unter einem starken Schwindelgefühl und hätte leicht stürzen können.
An einem Morgen hörte ich plötzlich Schritte auf dem Flur und war völlig überrascht, als Mutter mir entgegenkam. „Ja, sag mal, Mama, wie hast du das geschafft?“, kam es mir über die Lippen.
Freudestrahlend antwortete sie mir: „Du siehst, ich kann noch ganz allein aus dem Bett steigen, auch wenn du mich eingesperrt hast. Über den Tisch, der am Kopfende steht, bin ich gekrabbelt und habe mich dann herunterrutschen lassen. Siehst du, Lotte, ich habe noch Kraft.“
Ihr strahlendes Lächeln zeigte mir ihr Können. Ja, Mama, ich weiß, du bist noch stark, aber lieber wäre es mir schon, wenn du nicht ohne fremde Hilfe aus den Kissen steigen würdest, dachte ich im Stillen.
Am liebsten hätte ich in dieser Situation ein mahnendes Wort gesagt und vielleicht auch mit ihr geschimpft, aber stattdessen lobte ich sie. „Ja, Mama, du bist schon immer eine kräftige und geschickte Frau gewesen, das weiß ich. Dazu bist du auch noch mutig und waghalsig. Aber bitte, ruf mich das nächste Mal. Wir wollen doch alles gemeinsam machen.“
In meinem langen Leben habe ich gelernt, schwierige Situationen positiv zu sehen. Diese Art habe ich an Jesus entdeckt. Er kennt unser Unvermögen und unsere Nöte und ruft uns zu: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ In seinen Armen bin ich geborgen.
Ein besonderes Vermächtnis
Welch ein Vermächtnis wird uns in 2. Timotheus 2,3-7 anvertraut. Der Apostel Paulus sitzt im Gefängnis und hat den Tod vor Augen. Um des Glaubens an Jesus Christus willen muss er leiden, ja er rechnet sogar mit seiner Hinrichtung. In dieser Situation nimmt er noch einmal seine Verantwortung wahr, um Timotheus diesen Brief zu schreiben. Es ist sein letztes Zeugnis, das von diesem Helden des Glaubens an seinen geistlichen Sohn gerichtet wird. Letzte Worte sind meist immer bedeutsam und deshalb sollten wir sie auch beachten und sie uns tief einprägen.
Ich denke an die letzten Worte meines Vaters, die er an uns Kinder richtete. Als auf dem Standesamt sein Testament vorgelesen wurde, hörte ich sie zum ersten Mal und war tief von ihnen beeindruckt. Auch dem Beamten waren sie unter die Haut gegangen und er wandte sich an mich: „Noch nie habe ich solche verantwortungsvollen Ratschläge von Eltern an ihre Kinder wahrgenommen. Und ich bin schon lange auf diesem Amt. Sie müssen sehr liebe, verständnisvolle und gütige Eltern gehabt haben, dass sie Ihnen solche Worte für Ihren weiteren Lebensweg mitgegeben haben.“
So hatte er uns in seinem Testament Folgendes vermacht: „Es ist unser größter und innigster Wunsch, dass ihr in euern Familien in Eintracht und Frieden miteinander lebt. Lasst keinen Zank unter euch aufkommen, sondern helft euch, wo ihr nur könnt. Wenn ihr so handelt, werdet ihr immer unter dem Segen Gottes stehen.“ Auch ich war von Vaters Worten beeindruckt und habe in schwierigen Situationen immer an sie gedacht.
Paulus spricht nun von Timotheus als von seinem lieben Sohn. Solche Worte, die aus Fürsorge und Herzlichkeit geboren sind, werden auch für uns zu rechten Wegweisern in unserem Leben.
Das Vermächtnis des Paulus zeigt sich uns in diesem Brief in drei Bildern. Er will darin die Haltung eines Christen deutlich machen. Der Christ wird verglichen mit einem Soldaten, einem Sportler und einem Landwirt.
Wie ein Soldat soll er in Hingabe seinem Volk und seinem Land dienen. So steht auch ein Christ in seinem Ringen um Gottes Herrschaft in dieser Welt und soll eine Gemeinde Jesu aufbauen. Für die Soldaten gab es in jener Zeit keine allgemeine Wehrpflicht, wie das heute vielfach der Fall ist, sondern Soldaten wurden für diesen hohen Auftrag angeworben. Sie folgten freiwillig dem Ruf ihres Herrschers. Genauso ergeht Gottes Ruf auch an uns. Es ist ein liebender, werbender, einzigartiger Ruf und kein strenger Befehl. Gott, der eigentlich befehlen könnte, wirbt um uns in heiliger Liebe. Er hat uns einen Weg bereitet, der uns in seine völlige Gemeinschaft hineinzieht und auf dem wir unter seiner vertrauensvollen Allmacht und Liebe stehen. Dafür hat er ein großes Opfer gebracht. Er ließ seinen Sohn für uns am Kreuz sterben, damit wir in seine Nachfolge treten können. Wie ein Bräutigam um eine Braut wirbt, so will auch Gott uns an sein Herz ziehen, ja er will sich mit uns verloben, wie es in Hosea 2,22 steht: „Im Glauben will ich mich mit dir verloben und du wirst den Herrn erkennen.“ Sind wir untreu, so bleibt Gott doch treu, er kann sich selbst nicht verleugnen. Das zeigt sich auch in unserer Lebensführung, sodass wir uns nicht sorgen müssen, wenn dunkle Wolken aufziehen und schreckliche Weltereignisse uns bedrohen. Ein Soldat muss sich nicht den Kopf um eine geeignete Wohnung zermartern. Er zieht in eine Kaserne ein, die schon für ihn erbaut ist. Auch seine Uniform, sein Sold und seine Ausrüstung werden ihm zugesichert.
Genauso habe ich auch Gott erlebt.
Als wir mit unserer kinderreichen Familie auf der Flucht waren und im Winter kein Dach über dem Kopf hatten, machte der Herr eine Familie bereit, uns in ihr Haus aufzunehmen. Diese Christen gaben uns eine Küche und eine Kammer dazu. Sie schenkten uns aber noch mehr, nämlich ihre herzliche Liebe und Fürsorge. Wenn sie ein Schwein schlachteten, dann durften wir uns eine Kanne Fleischbrühe holen, in der noch eine Wurst schwamm. Wenn Opa Becker Kochkäse zubereitete, stellte er auch immer eine Schüssel voll vor unsere Tür. Wie oft landete ein Kopf Salat, ein Bund Mohrrüben oder ein Korb mit Birnen auf unserem Küchentisch. Sogar Zuckerrüben und ein halber Sack mit Kartoffeln standen bei uns gelegentlich im Flur. Und dann dachte diese Familie auch an das Wichtigste, wie wir Gottes Wort hören konnten. Sie luden uns jede Woche in ihre Hausversammlung ein.
Nun könnte ich fortfahren und noch von vielen Wohltaten meines Gottes berichten. Als ich als Kind z. B. einmal an einer schweren Bronchitis litt, kam Schwester Luise, eine Gemeindeschwester, zu uns ins Haus. Wir hätten nicht zu einem Arzt gehen können, denn wir waren nicht krankenversichert und es fehlte uns Flüchtlingen auch das nötige Geld. Schwester Luise war eine erfahrene Krankenschwester und gab meiner Mutter gute Ratschläge, wie sie mich versorgen sollte, und händigte ihr heilende Medizin aus.
Am 4. Dezember 1946 wurde meine kleine Schwester geboren. Gott setzte Nachbarn und Freunde in Bewegung, die uns alte Bettlaken schenkten, aus denen meine Mutter Windeln und Hemdchen nähen konnte.
Nach dem verlorenen Krieg folgten notvolle Jahre. Ich weiß um Hunger und war froh, wenn ich in meiner Schultasche zwei kleine Pellkartoffeln fand. Im Sommer 1947 starben in unserem Ort sieben Säuglinge an Magen- und Darmstörungen. Auch wir bangten um unser Geschwisterchen, denn in dieser Zeit gab es noch keine Kühlaggregate. Wenn die Milch erst gegen Mittag im Geschäft angeliefert wurde, war sie meist schon sauer. Für Säuglinge ist saure Milch sehr gefährlich. In meiner Angst um die kleine Lilli, die wir nicht wieder verlieren wollten wie unsere Erika – sie wurde auf der Flucht geboren und musste doch wieder verhungern – machte ich mich mit einem Kännchen jeden Tag auf den Weg, um Milch von den Bauern zu erbetteln. Ich wurde nie aus ihrem Kuhstall verjagt, sondern durfte mein Kännchen vollgefüllt meiner Mutter bringen. Dabei fühlte ich mich so glücklich. Gott will also für uns Menschen sorgen, die er in herzlicher Liebe angeworben hat. Heute erfüllt mich ein Staunen, wie uns der Herr seinen Reichtum zukommen lässt.
Unsere Supermärkte quellen über vor guten Waren. Das sollte unsere Herzen dankbar stimmen und uns zum Teilen mit Bedürftigen ermutigen.
Das zweite Bild in unserem Text spricht von einem Sportler. Was muss er tun, um seinem Auftrag nachzukommen? Das Wichtigste ist, dass er sein Ziel fest im Auge behält und alles daransetzt, es auch zu erreichen. Dazu gehören Beharrlichkeit, Einsatz und Hingabe. In Griechenland war damals der Sport zu Hause. Dort wurden auch die Olympischen Spiele eingeführt, die heute in aller Welt verbreitet sind. Jeder gibt sein Bestes, um das Ziel zu erreichen, und doch drohen dem Sportler auch Gefahren. Paulus sagt: „Wenn jemand auch kämpft, erhält er doch keinen Siegespreis, er kämpfe denn recht.“ Schon damals gab es gemeine Menschen, die versuchten, die Läufer auf der Sprintstrecke in Versuchung zu führen und sie zu schädigen, damit ihr Favorit die Medaille erringen konnte. Diese bösen Kerle standen am Spielfeldrand und hatten kleine goldene Kugeln in den Händen, die sie auf die Bahn warfen. Ließ sich ein Sportler davon ablenken und bückte sich nach diesem goldenen Schatz, dann verlor er wertvolle Zeit und konnte das Ziel nicht mehr als Erster erreichen. Die Ehrung blieb ihm versagt. Mit leeren Händen musste er die Kampfbahn verlassen.
Auch wir, die wir zum Glauben berufen sind, können solchen Versuchungen erliegen. Sie sind zahlreich und keiner ist gefeit gegen die listigen Anläufe des Teufels. Welches sind für uns die goldenen Kugeln, die uns der Feind vor die Füße rollt und nach denen wir greifen? Ist es die Ehrsucht, die Arroganz, der Geiz, das Lügen, die Herrschsucht, der Stolz? Nicht umsonst hat Jesus in seinem Herrengebet die Bitte eingefügt: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Oft sind es die kleinen Füchse, die den Weinberg verderben. Mit einer Sünde, von der wir meinen, sie sei nicht so gefährlich, können wir Dämme losbrechen, die eine Flut von Verderben über uns bringen. Ein ständiger begehrlicher Blick zum anderen Geschlecht oder Gedanken für einen Menschen, der unsere Sinne verzaubert, können uns zum Ehebrecher machen. Hernach stehen wir oft da und sagen: „Das habe ich so nicht gewollt. Meine Ehe wollte ich nicht aufs Spiel setzen.“
Es gibt eine böse Kettenreaktion der Sünde. Deshalb ist es mir ein inneres Bedürfnis, darum zu beten, dass ich nicht in Versuchung gerate. Ich kann mich nie selbst vor Schuld bewahren, sondern brauche die Weisung meines Erlösers, wie ich mich verhalten soll. Manchmal meine ich, durch einen angeblichen Gewinn meine Schuld herunterzuspielen, und merke, wie ich dadurch alles verliere. So bin ich Jesus dankbar, wenn er mich vor Sünde warnt und ich ihm auch gehorche.
An meinem Geburtstag bin ich immer sehr gespannt, welches Wort mir Gott für mein neues Lebensjahr zugedacht hat. So las ich am 3. Januar Psalm 119,36: „Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Geiz.“ Darüber war ich sehr erschrocken, denn ich kenne das Verlangen, immer zuerst meinen Kindern größere Gaben zuzustecken, als den Kollektenbeutel reichlich zu bedienen. Uns ist aber in der Bibel ein klares Wort dazu gesagt: „Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus und prüfet mich hierin, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.“ Weil mir durch meine Geburtstagslosung diese Versuchung bewusst wurde, habe ich beschlossen, gleich zu Beginn des neuen Jahres mein Sparbuch zu nehmen und den Zehnten oder auch mehr von meinem Jahresopfer Gott zur Verfügung zu stellen. So kann ich der Versuchung wehren.
Ich weiß um die Macht der Sünde und will Jesus bitten, mich nicht schuldig werden zu lassen. Gerade wenn man in seinem Leben Armut und Entbehrungen in reichem Maße kennengelernt hat, breitet sich später leicht die Geldgier aus. Jesus mahnt uns, dass wir aus großer Dankbarkeit heraus für all das, was er uns zukommen lässt, auch opferbereit werden. Nach goldenen Kugeln will ich nicht greifen, denn ich will alles daransetzen, das Ziel meines Lebens zu erreichen.
Staunen will ich lernen, welch wunderbare Geschenke mir schon zugedacht worden sind. Ein Beispiel soll das deutlich machen.
In Reutlingen war ich zu einem Vortrag eingeladen. Eine Marktfrau hatte mich nach meinem Dienst zum Intercity nach Stuttgart gebracht. Als ich aus dem Auto stieg und nach meinen beiden leeren Koffern griff – denn die Bücher, die ich darin transportiert hatte, waren alle verkauft – füllte sie sie mit herrlichem Obst und Gemüse. Dann holte sie noch zwei Kofferwagen, die auf dem Bahnsteig standen, und belud die mit all den Früchten, die sie an diesem Tag auf dem Markt nicht hatte verkaufen können. Das Abteil im Zug war ganz voll gestellt und ich war dankbar, dass der Schaffner keinen Anstoß daran nahm und ich bis Marburg auch nicht umsteigen musste.
Zu Hause war natürlich die Freude groß. Melonen, Orangen, Äpfel und Birnen erfreuten meine Kinder. Außerdem wusste ich für die nächsten Tage, welches Gemüse ich auf den Tisch stellen konnte. Bei einer großen Familie ist das schon ein wunderbares Geschenk und eine große Hilfe.
Nichts darf mich in meiner Nachfolge Christi von meinem wichtigen Ziel abbringen, auch nicht der Geiz. Jeder von uns kennt seine eigenen goldenen Kugeln und wir brauchen die Ermutigung durch das Evangelium, das wir täglich lesen sollten.
Das dritte Bild weist uns auf den Landwirt hin. Er muss in seiner Arbeit beständig und fleißig sein. Seinen Kühen und Schweinen muss man es ansehen, dass sie immer ordentlich versorgt werden und in den Ställen frisches Stroh liegt. Auf den Feldern darf er das Ackern und Säen nicht hinausschieben. Wer nicht rechtzeitig sät, wird auch nichts ernten können. Müdigkeit und Faulheit im Frühling können ihm seinen Ertrag mächtig schmälern. Dies gilt auch im Dienst für das Reich Gottes. Sind wir in unserem Auftrag für Gott müde geworden, dann dürfen wir uns von unseren Geschwistern im Glauben neue Ermutigung zusprechen lassen.
Mitunter gibt es auch Krisen in der Nachfolge Jesu und der Teufel will uns goldene Kugeln in den Weg werfen. Diese Versuchung hat sicher schon jeder erlebt. Dann wollen wir uns nach ihnen bücken und verfehlen den Sieg auf unserer Lebensbahn. Wir können im Dienst fallen, dann aber gilt es wieder aufzustehen und das Ziel neu ins Auge zu fassen.
Paulus schreibt in Philipper 3,13-14: „Ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich’s schon ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.“ Die Größe und Schönheit des Ziels will ich immer vor Augen haben und mich an der Gnade freuen, die mich zur Herrlichkeit bei Gott führt.
Lotte Bormuth
Lotte Bormuth wurde als Lotte Hannemann im Jahr 1934 in Sophiental in Bessarabien (heutige Ukraine) geboren. Im Krieg wurde die Familie von dort nach Polen umgesiedelt. 1945 machte sie die große Flucht nach Westen mit, auf der eine ihrer Schwestern verhungerte. In Marburg lernte sie beim Theologiestudium Karl-Heinz Bormuth kennen und lieben. 1957 haben sie geheiratet, fünf Kinder wurden geboren.
Neben dem Haushalt arbeitete sie in der Telefonseelsorge mit und übersetzte über 50 Bücher aus dem Englischen ins Deutsche. Das Erfahren und Verarbeiten großen Leides im engsten Familienkreis war ein starker Impuls für sie, mit dem Schreiben zu beginnen. Zuerst entstanden Artikel und Erzählungen für verschiedene Zeitschriften. Seit 1981 veröffentlicht sie ihre Bücher im Francke-Buch Verlag. Ihren letzten öffentlichen Auftritt hatte sie 2018 zum 100. Jubiläums ihres Verlags.
Sie ist eine der erfolgreichsten christlichen Autorinnen des deutschsprachigen Raumes. Viele tausend Exemplare ihres bald 100 Titel umfassenden Werkes haben mit Lebensbildern, Berichten und selbst erlebten Begebenheiten unzähligen Menschen Trost, Mut und Freude am Glauben vermittelt.
Seit 2020 ist sie verwitwet. Sie hat 15 Enkelkinder und 7 Urenkel und lebt in einem Pflegeheim in Marburg/Lahn.