Es begeistert mich, Menschen aus aller Herren Länder in meiner unmittelbaren Nachbarschaft zu entdecken. Neulich traf ich zum Beispiel in der Bäckerei, in der ich meine Brötchen kaufe, eine dunkelhäutige Frau, die tief in ein Tuch gehüllt war und Brot kaufte. Sie sprach gutes Deutsch, kam aus Nordafrika, bekannte sich zum Islam und war erst vor Kurzem in ein Hochhaus in unserem Stadtteil gezogen. In diesem Stadtteil leben immer mehr Ausländer. Viele von ihnen sind bereits seit Jahren in Deutschland, und manch einer zeigt auch schon mal stolz seinen deutschen Pass.
Unsere Gesellschaft wird multikulturell und multireligiös. Wie ein bunter Strauß wird der soziale Raum immer farbenfroher. Ich liebe diese Vielfalt, die Gott geschaffen hat. Ich liebe diese neuen Deutschen. Und zugleich erfüllen sie mein Herz mit tiefer Trauer, denn sie kennen Jesus, unseren Herrn und Erlöser, nicht.
Wir Christen, unsere Kirchen und Gemeinden haben eine Verantwortung für den Glauben in der Gesellschaft, auch und gerade da, wo diese Gesellschaft zu einem kulturell und religiös bunten Blumenstrauß geworden ist. Das Bewusstsein dafür scheint in der Kirche seit Langem vorhanden zu sein und sogar zu wachsen. Wenn wir aber den missionarischen Erfolg der christlichen Gemeinden daran messen würden, wie viele Andersgläubige konvertieren, dann wäre das Ergebnis niederschmetternd. Menschen, die bei uns in Deutschland einer nicht-christlichen Religion nacheifern, bleiben der Kirche und damit auch dem christlichen Glauben fern.
Woran liegt das? Überzeugt unser Glaube nicht mehr durch theologische Schärfe? Ist unser Glaubensleben nicht attraktiv genug? Sieht man an uns Christen so wenig von dem herrlichen Glauben an den Erlöser der Welt? Oder sind wir sprachunfähig geworden? Wissen wir nicht, wie man Menschen aus anderen Religionen zum Glauben führt?
Vielleicht ist die Antwort ein bunter Mix aus all dem Gesagten. Jedenfalls ist es nur schwer hinzunehmen, dass diese bunte Schar an Menschen, die in unser Land gekommen ist, nur geringe Chancen hat, zum Glauben an Jesus Christus zu kommen. Dabei ist das Evangelium global gesehen in allen Kulturen und religiösen Räumen erfolgreich gewesen. Stephen Neill schreibt:
„Allein das Christentum hat es erreicht, eine universale Religion zu werden. Das heißt nicht, alle Menschen seien Christen geworden. Es ist aber Tatsache, dass diese ursprünglich vorderasiatische Religion - von ihrem Ursprungsland deutlich geprägt - heute in beinahe allen Ländern der Welt ihren Platz hat; sie hat Anhänger in allen menschlichen Rassen, von zivilisierten Gebildeten bis zu den Ureinwohnern der unwirtlichen Wüste Australiens. Es gibt keine Religion in der ganzen Welt, die nicht eine gewisse Zahl von Konvertiten an das Christentum abgegeben hätte. “
Was steht also der erfolgreichen Evangelisation Andersgläubiger in unserem Land entgegen? Politisch werden wir ja keineswegs bedrängt. Diese Menschen leben in unserer Nachbarschaft und wir haben alle Möglichkeiten, sie auf Christus anzusprechen. Das tun wir vielleicht hier und da sogar, doch leider ohne sichtbaren Erfolg.
Die missionarisch gesonnenen Vertreter der Weltreligionen haben da schon mehr Erfolg. Man sollte sich nur einmal die rasante Ausbreitung fernöstlicher Spiritualität in unserem Land ansehen. Da fragt man sich schon, warum die Nachkommen Martin Luthers eine Religion vom Ganges mit ihrem Götterpantheon von mehr als drei Millionen Göttern in ihr Herz schließen, wohl wissend, dass unter anderem auch die Kuh oder der Elefant als Gott verehrt wird, während sich gleichzeitig nur wenige dieser Menschen dem Christentum, dem Glauben eines Martin Luther, zuwenden. Oder: Es muss uns doch nachdenklich machen, dass junge Deutsche sich extrem konservativen und militanten Gruppen im Islam anschließen und sogar bereit sind, für Allah in den Heiligen Krieg zu ziehen und ihr Leben zu lassen.
Sollte man angesichts solcher Entwicklungen als Christ nicht neu nach Vollmacht und Überzeugungskraft suchen? Das sind wir doch unseren Kindern und den Einwanderern, die zu uns kommen, schuldig. Christen sollten die allgemeine Lähmung und die um sich greifende Unfähigkeit zur Evangelisation Andersgläubiger überwinden. Aber wie kommen wir aus dieser Erstarrung heraus?
Ich halte es da mit Jesus. Er hat einmal gesagt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8,32). Die Befreiung aus der Umklammerung der Erfolglosigkeit ist demnach nur möglich durch die Erkenntnis der Wahrheit. Und Wahrheit ist immer umfassend. Kann es sein, dass unser evangelistischer Misserfolg damit zusammenhängt, dass wir die Wahrheit über den Glauben und das Leben der Menschen, die wir für den Glauben an Jesus gewinnen wollen, gar nicht wirklich kennen? Kann es sein, dass sich unser Misserfolg vor allem aus Voreingenommenheit und Ignoranz speist? Kann es sein, dass der Satz des Apostels Paulus bezogen auf das Leben der Heiden auch für unsere Mission der Andersgläubigen gilt: „Sie sind dem Leben aus Gott entfremdet aufgrund ihrer Ignoranz und der Verhärtung ihrer Herzen“ (Eph. 4. 17-18)?
Nun, an Gott liegt es sicher nicht. Er hat uns verheißen, Evangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes zu gestalten. Seitdem sein Geist auf der Erde ist, steht es fest, dass wir seine Zeugen sein können, bis an das Ende der Erde (Apg. 1,8). Nicht dass dieses Zeugnis immer mit evangelistischem Erfolg gekrönt wurde. Auch die Apostel erfuhren Ablehnung. Aber Ablehnung bedeutete nirgendwo Stagnation und geistliche Starre, wie wir sie heute beobachten. Das Zeugnis der Jünger Jesu war höchst dynamisch und vom Leben in Gott durchdrungen, selbst da, wo sie abgelehnt und verfolgt wurden. Wenn wir dieser Dynamik des Lebens aus Gott entfremdet sind, dann nur „aufgrund unserer Ignoranz und der Verhärtung unser Herzen“. Es ist klar, wenn man die Menschen nicht wirklich kennt, wie will man dann erfolgreich mit ihnen kommunizieren? Unkenntnis führt automatisch zu einer pathologischen Kommunikation.
Dieses Buch basiert auf dem Grundsatz: Wer kommunizieren will, der sollte seinen Kommunikationspartner kennen. Alle Kommunikation, die nicht auf einer gemeinsamen Ebene der Gesprächspartner verläuft, ist bereits gescheitert, bevor sie begonnen hat. Deshalb werde ich zunächst das Phänomen Religion an sich und dann im ersten Durchgang jeweils jede Religion in ihrer Geschichte und ihren Grundsätzen vorstellen. Dabei kann es nicht um eine umfassende Darstellung der Weltreligionen gehen. Zu komplex sind diese Erscheinungen. Darüber hinaus gibt es ja bereits eine Fülle hervorragender religionswissenschaftlicher Veröffentlichungen zu jeder in diesem Buch diskutierten Religion. Die grundsätzlichen Einführungen sind jedoch notwendig, damit man den danach gewählten evangelistischen Ansatz versteht und entsprechend einordnen kann.