Die Achtjährige trug rote Haarspangen, die perfekt zu ihrem Top und den teuren Jeans passten. Das kleine Mädchen tobte mit einem Dutzend anderer Kinder begeistert über den Spielplatz – von der Wippe zur Schaukel, dann auf das Klettergerüst und wieder zurück auf die Wippe.
Sie ist wunderschön, dachte Kelly, während sie das ausgelassene, braunhaarige Mädchen beobachtete. Von dem Moment an, als Sydney den Park betreten hatte, war Kellys Blick nicht von ihr gewichen. Sie hatte beobachtet, wie die Kleine mit den Füßen trampelte, nachdem sie die Rutsche hinabgezischt war, wie sie übervorsichtig mit nach vorn ausgestreckten Händen herumlief oder wie ein Flummi auf dem weichen, mit Holzschnitzeln bedeckten Boden herumhüpfte, während sie ununterbrochen kicherte und lachte. Ihr braunes Haar glänzte in der Sonne und die ausdrucksvollen braunen Augen in dem sonnengebräunten Gesicht strahlten. Vervollständigt wurde dieser Anblick von unzähligen Sommersprossen, diesen wundervollen Punkten auf Stirn und Wangen.
Genau wie ich in dem Alter, dachte Kelly.
Dem Wetterbericht zum Trotz war es in Malibu ein herrlicher Frühsommernachmittag geworden. Immer wieder schimmerte die kalifornische Sonne durch zarte Schleierwolken hindurch. Der Spielplatz am Rand der Steilküste, die einen guten Ausblick über den Strand bot, lag nicht weit entfernt von Sydneys Grundschule. Die großen California-Bäume, die den Spielplatz umgaben, wirkten sehr exotisch auf einen Menschen, der sein ganzes Leben in Ohio verbracht hatte, und die salzige Luft fühlte sich frisch an. Die übrige Landschaft hingegen sah eher trocken und langweilig aus, woran auch die einzelnen gelben und blauen Wildblumen in der Nähe des Spielplatzes nichts änderten.
Kelly sah auf ihr Handy: 16.20 Uhr. Laut Ernies Bericht folgte Sydneys Mutter einem strengen Plan und erlaubte ihrer Tochter nur selten, länger als dreißig Minuten an einem Ort zu bleiben. Inzwischen waren sie bereits seit zwanzig Minuten auf dem Spielplatz. Kelly wusste, dass die Zeit knapp wurde.
Sie versuchte, sich ihren ersten Schritt vorzustellen. Bei dem Gedanken daran, was alles schiefgehen konnte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Seit ihrem letzten Versuch waren gut vier Wochen vergangen, nur ein läppischer Monat, aber die verstrichene Zeit reichte trotzdem, dass Kelly sich eingerostet und unvorbereitet fühlte.
Deborah Moore, eine blonde Frau mit rundem Gesicht, wies keinerlei Ähnlichkeit mit Sydney auf. Sie trug Riemchensandalen und ein geblümtes blaues Sommerkleid und saß nur wenige Meter von Kelly entfernt auf einer Parkbank. Auch sie war in ihr Smartphone vertieft. Kelly wusste, dass Deborah – geborene Sills – schon immer zur Oberschicht gehört hatte. Sie hatte Jeffrey Moore geheiratet, einen jungen Mann mit der glänzenden Aussicht, einmal die milliardenschwere Exportfirma seines Vaters zu übernehmen, an der Jeffrey bereits jetzt beteiligt war. Die dreiköpfige Familie beschäftigte rund um die Uhr fünf Personen, um ihr Acht-Millionen-Dollar-Anwesen am Strand von Malibu mit Ausblick auf den Ozean zu unterhalten.
Deborah und Sydney verließen nie ohne ihren Bodyguard Bruce Stiles das Haus, einen muskelbepackten Schlägertyp in engen Jeans, lila Seidenshirt und schwarzer Lederjacke. Verborgen hinter seiner dunklen Sonnenbrille saß auch Bruce hier im Park, scheinbar desinteressiert an den Ereignissen um ihn herum. Gleichzeitig hätte er gar nicht auffälliger aussehen können. Aber vielleicht war genau das seine Absicht. Einschüchterung. Wenn ja, dann hatte er auf jeden Fall Erfolg.
Unter scheinbarer Anstrengung erhob sich Kelly, den einen Arm stützend unter ihren Bauch geschoben, während sie sich mit dem anderen von der Bank nach oben drückte. Sie wandte sich in Richtung von Deborahs Bank, die im Schatten einer Palme stand, und stützte sich schließlich mit der Hand an der Rückenlehne ab, während sie mit einem übertriebenen Seufzer ausatmete. „Du meine Güte, ist das warm in der Sonne.“
Deborah nahm kaum Notiz von ihr.
„Ist das in Ordnung, wenn ich mich kurz hinsetze?“, fragte Kelly, während sie sich neben Deborah auf die Bank sinken ließ.
Deborah warf ihr ein höfliches Lächeln zu, während Kelly ihr Gesicht der Sonne entgegenstreckte. Sollte sie noch mehr sagen? Sie spürte bereits die prüfenden Augen von Bruce auf sich gerichtet, der ihr Verhalten analysierte und interpretierte.
Einige Minuten verstrichen, bis Deborah ihr einen Blick zuwarf, um gleich darauf noch einen weiteren Blick folgen zu lassen. „Ich liebe diese Farbe.“
Kelly lächelte. Das weiß ich doch. Sie strich über ihr Kleid. „Ich auch.“
„Wann ist Ihr Entbindungstermin?“
„Jeden Augenblick“, sagte Kelly und schnitt eine Grimasse, während sie über ihren runden Bauch strich.
Deborah ließ ihr Handy in ihre Tasche gleiten und musterte Kelly voller Interesse.
Hab ich dich, dachte Kelly.
Sie warf einen flüchtigen Blick in Sydneys Richtung. „War es sehr anstrengend für Sie?“
Deborah zuckte mit den Achseln, offensichtlich nicht bereit zuzugeben, dass sie selbst noch nie ein Kind auf die Welt gebracht hatte.
„An einem Tag wie heute“, fügte Kelly hinzu, „vermute ich, es wird mein erstes und mein letztes Mal sein.“
Deborah lächelte. In den nächsten Minuten drehte sich ihre Unterhaltung darum, wie es war, ein Kind großzuziehen. Während der gesamten Zeit gab Kelly vor, nicht zu merken, dass Bruce immer näher und näher rückte. Falls sie ihm nur den Hauch eines Hinweises gab, dass sie wusste, welche Funktion er in Deborahs Leben übernahm, würde sie sich in seinen Augen nur noch verdächtiger machen.
Kelly ignorierte das ansteigende Gefühl der Beklemmung, dass sich in ihr ausbreitete, und lenkte Deborah allmählich behutsam in Richtung der sorgfältig vorbereiteten Falle: Kellys vermeintliche frühere Tätigkeit als Assistentin eines Zauberers. So abgedroschen das auch klingen mochte – es funktionierte immer.
Vielleicht entsprach Kelly dem Bild, das sich die meisten Menschen von der Mitarbeiterin eines Zauberers machten. Oder sich eine jetzt hochschwangere Frau als knapp bekleidete Assistentin vorzustellen, war einfach zu bizarr, um die Geschichte nicht zu glauben.
„Wie war es?“, fragte Deborah, offensichtlich amüsiert.
„Um ehrlich zu sein, war ich es leid, immer in zwei Teile gesägt zu werden.“
Deborah lachte.
„Am Ende habe ich sogar selbst ein paar Sachen gelernt“, sagte Kelly. „Kartentricks, eine Münze verschwinden lassen – solche Sachen.“
Als Deborahs Augenbrauen sich fragend hoben, begann Kelly damit, ihre Geldbörse zum Schein nach einem Vierteldollar zu durchsuchen.
„Warten Sie, ich habe einen“, sagte Deborah, während sie nach ihrer eigenen Tasche griff, ihr Blick voll gespannter Erwartung. Sie nahm einen Vierteldollar heraus und reichte ihn Kelly.
Bruces Miene gefror. Mit zusammengepressten Lippen kam er wieder einige Schritte näher. Falls er den Abstand noch weiter verkleinerte, würden sie seinen Atem in ihren Nacken spüren. Kelly konnte den Blick seiner Augen hinter den Brillengläsern spüren und seine Bereitschaft, sich beim geringsten Anzeichen von Gefahr auf sie zu stürzen.
Kelly ließ die Münze durch ihre Finger gleiten, vor und zurück, vor und zurück – ein Trick, für den sie sechs Monate gebraucht hatte. Und dann … voilà! Unvermittelt ließ sie die Münze verschwinden. Sie hielt ihre Hände nach oben und drehte sie hin und her, sodass man sowohl die Handfläche als auch den Handrücken sehen konnte.
Deborahs Augen weiteten sich. „Nicht schlecht.“
Als Nächstes griff Kelly hinter Deborahs Ohr und holte dort – sehr zum Erstaunen von Deborah – die Münze wieder hervor. Als Kelly den Vierteldollar zurückgeben wollte, lehnte Deborah ab. „Mein kleines Mädchen wäre begeistert von diesem Trick.“
Sie rief nach ihrer Tochter, die im Schatten eines Kletterfelsens flüsternd mit ihren Freunden zusammenstand.
„Ich komme, Mom.“
Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem Bruce alle Täuschungsmanöver aufgab, direkt neben Deborah trat, sich über die Lehne beugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Ohne Zweifel war er äußerst besorgt um diese merkwürdige Frau.
Deutlich zeichnete sich sein Bizeps unter der Lederjacke ab. Sogar von ihrem Platz aus konnte Kelly sein aufdringliches Alpha-Männchen-Rasierwasser riechen. Sie sah die leichte Ausbuchtung unter seinem Arm. Offensichtlich hatte Ernie recht mit seiner Bemerkung, dass Bruce das Haus niemals ohne seine Glock verließ.
Doch Deborah wischte seine Einwände, scheinbar verärgert, mit einer Handbewegung beiseite. Nur widerstrebend trat Bruce ein paar Schritte zurück, richtete aber nach wie vor seinen eisigen Blick auf Kelly.
Deborah verdrehte die Augen und erklärte flüsternd: „Das ist unser Bodyguard Bruce – einfach nur lästig, aber mein Mann besteht darauf.“
Kelly tat, als bemerke sie Bruce zum ersten Mal, und musterte ihn flüchtig von Kopf bis Fuß. „Ich bin mir sicher, Ihr Mann hat gute Gründe dafür“, antwortete sie schließlich leise. „Die Welt ist gefährlich.“
„Sie haben recht“, stimmte Deborah zu.
Sydney war in der Zwischenzeit anscheinend abgelenkt worden und konnte sich nicht von ihren Freunden losreißen.
„Liebes, komm, wir wollen nach Hause“, rief Deborah.
Kelly hielt frustriert den Atem an. Sollte sie etwa so nah herangekommen sein, nur um dann ihre Chance zu verpassen?
Nach einem kurzen Wortwechsel kam Sydney schließlich herbeigerannt. „Sorry, Mom! Taylor hat ein riesengroßes Geheimnis!“
Kelly musste bei diesen Worten und bei der Erinnerung an ihre eigene glückliche Kindheit unwillkürlich lächeln.
„Du musst dir unbedingt diesen Zaubertrick ansehen“, sagte Deborah und wies mit dem Kopf in Kellys Richtung. „Das ist Mrs …“ Sie hielt inne.
„Michaels“, log Kelly und streckte Sydney ihre Hand entgegen.
„Schön, Sie kennenzulernen“, erwiderte Sydney mit einem höflichen Lächeln und schüttelte Kellys Hand. Sie setzte sich zwischen Kelly und ihre Mutter und lehnte ihre Wange an Deborahs Schulter, den Blick erwartungsvoll auf Kelly gerichtet.
Mit leiser, sanfter Stimme führte Kelly ihr Kunststück vor und bewegte die Münze zwischen den Fingern. Mit weit aufgerissenen Augen rückte Sydney zentimeterweise in ihre Richtung. Als der Vierteldollar schließlich verschwand, nur um kurz darauf hinter dem Ohr ihrer Mutter wieder aufzutauchen, brach Sydney in lautes Lachen aus und klatschte begeistert in die Hände. „Noch mal!“
Noch mal – dieser universelle Refrain aller Kinder. Und wie süß Sydney war! Kelly wiederholte den Trick und das kleine Mädchen klatschte noch lauter. Als der Vierteldollar wieder verschwand, griff Sydney nach Kellys Händen und drehte sie aufgeregt hin und her. „Wo ist er hin?“
Die unerwartete Berührung durchfuhr Kelly wie ein Stromstoß. Voll Besorgnis, ihre Reaktion könne sie verraten, zwang sie sich mit aller Kraft, Ruhe in ihre Stimme und Bewegungen zu legen. Sie atmete tief ein und aus. Als sie die Münze hinter Sydneys Ohr hervorholte, kicherte das Mädchen entzückt.
„Möchtest du noch einen anderen Trick sehen?“, fragte Kelly und suchte Deborahs Blick. Diese nickte zustimmend.
Bruce, offensichtlich verärgert, trat unruhig von einem Bein auf das andere.
Jetzt begann Kelly mit dem allerwichtigsten Trick, dem alles entscheidenden Streich, dem „Wie platziere ich ein Wattestäbchen im Inneren des Mundes“-Trick. Dabei sah das, was sie Sydney in den Mund stecken wollte, nicht aus wie ein Wattestäbchen, sondern ähnelte vielmehr einem roten Lolli. Kelly holte ihn aus ihrer Tasche und entfernte die Plastikhülle. Und noch bevor Bruce irgendetwas einwenden konnte – obwohl er protestierend die Hand hob –, bot sie den Lutscher Sydney an, die ihn sofort in den Mund steckte.
Zu spät, dachte Kelly. Der frühe Vogel fängt den Wurm, Bruce.
Dann bat Kelly die Kleine, den Lutscher aus dem Mund zu nehmen, strich mit ihrer Hand in der Luft darüber und „Simsalabim!“ – plötzlich war der Lolli blau. Sydney und Deborah stießen begeisterte Ohs und Ahs aus.
Kelly gab Sydney den Lutscher zurück, die ihn sofort wieder in den Mund steckte. Der Trick war vollkommen reibungslos über die Bühne gegangen. Natürlich war es nicht derselbe Lolli. Kelly hatte den roten schnell beiseitegeschafft.
„Stell dir vor, wir wären heute nicht in den Park gekommen“, murmelte Deborah.
„Ja, ich weiß!“, rief Sydney und griff erneut nach Kellys Arm. Ihr zarter Kinderduft rührte Kellys Herz. „Zeig uns noch einen Trick!“
Wie gerne wäre sie länger geblieben! Kelly hätte noch Stunden dort verbringen können, aber sie wollte ihr Glück nicht überstrapazieren – vor allem nicht mit Bruce in der Nähe, der sie weiterhin mit Argusaugen betrachtete.
Also täuschte sie ein krampfhaftes Ziehen in ihrem „schwangeren“ Bauch vor, sodass Deborah sofort voller Besorgnis meinte: „Sie sollten längst zu Hause sein und sich ausruhen.“
Kelly erwiderte, sie sei so aufgeregt über ihre Schwangerschaft und voll Vorfreude darauf, Mutter zu werden, dass sie manchmal Stunden damit verbrächte, andere Kinder zu beobachten.
„Oh, Sie werden schon noch auf Ihre Kosten kommen, glauben Sie mir.“ Deborah lachte und wuschelte Sydney durchs Haar.
Nach einigen weiteren Nettigkeiten verabschiedeten sie sich schließlich voneinander. Bruce schien etwas entspannter zu atmen.
„Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder“, sagte Deborah und winkte, während sie Sydney folgte, die davonhüpfte.
Kelly winkte zurück. „Ganz bestimmt!“ Sie riskierte ein Kopfnicken zu Bruce hinüber, der nach wie vor misstrauisch aussah. Ich werde wiederkommen, dachte sie. Und ihr werdet nicht glücklich darüber sein.
Kelly schob sich scheinbar schwerfällig in ihr Auto und sank auf den Vordersitz. Sie schloss die Augen. Noch immer sah sie Sydneys kleines Gesicht deutlich vor sich.
Endlich, dachte Kelly und schob die Erinnerung an acht Jahre voller Sackgassen und Dutzende von Lutscher-Kunststückchen beiseite, denen ebenso viele negative Laborergebnisse gefolgt waren.
Kelly startete den Mietwagen und fuhr los, während sie sich nach Kräften bemühte, Bruces anhaltenden, prüfenden Blick ebenso zu ignorieren wie ihren eigenen unvernünftigen Wunsch, ihm ein strahlendes „Hab ich dich!“-Grinsen zum Abschied zuzuwerfen.
Er ahnt etwas, dachte sie. Später wird er sich die Haare raufen vor Wut.
Anstatt auf der Autobahn in Richtung Osten zurück zu ihrem billigen Hotel zu fahren, steuerte Kelly den Wagen auf direktem Weg zur nächsten Post. An der ersten Ampel entfernte sie das unbequeme Schwangerschaftspolster und warf es auf den Rücksitz.
Als Kelly auf dem Parkplatz der Post ankam, stellte sie den Motor aus und holte den roten Lutscher aus ihrer Tasche. Sie legte ihn in einen vorbereiteten Behälter und packte alles zusammen in einen Labor-Versandumschlag, dann betrat sie das Gebäude.
Ein junger Mann mit blauen Strähnchen in seinem blonden Haar nahm ihr das Päckchen ab, versah es mit dem entsprechenden Klebeetikett und legte es für den Versand an das Labor in Akron, Ohio, beiseite. Dann druckte er ihre Quittung aus und deutete auf eine Zahlenfolge auf dem Zettel. „Das ist Ihre Vorgangsnummer, mit der Sie die Sendung verfolgen können.“
Meine Nachverfolgungs-Nummer, dachte Kelly, die angesichts der Ironie unwillkürlich grinsen musste. Der Angestellte registrierte ihre Erheiterung und schenkte ihr ein freundliches Lächeln.
Auf dem Rückweg ins Hotel kämpfte Kelly die aufsteigenden Tränen nieder. „Auftrag erfüllt“, sagte sie zu sich selbst.
Trotz des einlullenden Geräuschs der Wellen schlief sie unruhig.
Am nächsten Morgen checkte Kelly aus dem Hotel aus und fuhr den kurzen Weg zum Flughafen von Los Angeles. Hier nahm sie den Vormittagsflug nach Atlanta, von dort einen weiteren nach Akron in Ohio.
Im Flugzeug saß sie neben einer weißhaarigen Frau in einem hübschen schwarz-weiß gepunkteten Kleid, die sich ihr als „Doris aus Minnesota“ vorstellte und aus ihrem Portemonnaie ein Bündel Fotos hervorholte. Sie zeigte Kelly die Aufnahmen aller fünf Enkelkinder – wie es das Schicksal so wollte, alle braunhaarig.
„Sie erinnern mich an meine Tochter“, sagte Doris. „Sie ist so dünn, genau wie Sie. Wirklich, viel zu dünn.“
Kelly lächelte. In den folgenden dreißig Minuten ließ sie das anhaltende, freundliche Kleinstadtgeplauder der Dame über sich ergehen, während sie an dem üblichen Bordessen herumknabberte – ein paar Brezeln, die Kelly mit etwas Orangensaft herunterspülte.
„Möchten Sie meine Brezeln auch noch haben?“, fragte Doris. „Ich habe noch weitere kleine Snacks in meiner Tasche. Wenn Sie möchten …?“
Kelly bedankte sich höflich, doch sie war froh, als die gesprächige Dame schließlich einschlummerte.
Als in ihrer Erinnerung Bilder von der süßen kleinen Sydney aufstiegen, schloss auch Kelly ihre Augen. Während sie immer tiefer in ihre Traumbilder versank, betete sie im Stillen, voll Dankbarkeit, dass alles so gut gelaufen war. Die Luft aus der Düse über ihrem Sitz wehte angenehm kühl über ihr Gesicht, während die Landschaft 10.000 Meter unter ihr unbemerkt vorüberzog.
Könnte sie es am Ende wirklich sein?, dachte Kelly noch, bevor sie endgültig einschlief.
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24.10.2016Susanne Enttäuschend...
Kelly Maines ist schon seit acht Jahren auf der Suche nach ihrer Tochter, welche als Baby entführt worden ist. Während fast alle um sie herum die Hoffnung längst aufgegeben haben, glaubt Kelly weiter daran, dass sie sie wiederfinden wird. Wieder erfährt sie von einem Mädchen, das genau in das Profil passt: Sie lernt Nattie und ihren Adoptivvater Jack kennen
und auf einmal weiß sie nicht mehr so genau, ob sie die Wahrheit überhaupt wissen will.
Ich muss zugeben, dass ich es kaum geschafft habe, dieses Buch bis zum Ende durchzulesen. Den zweiten Teil habe ich wohl viel mehr überflogen als wirklich gelesen. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass ich nichts Wesentliches verpasst habe. Denn in diesem Buch ergeht die Autorin sich in Kleinigkeiten und Belanglosigkeiten, dass man fast meinen möchte, ihr würde sonst nichts einfallen, um die Seiten zu füllen. Ich möchte als Leser nicht von jeder Person wissen, was genau sie gerade anhat und welche Farbe die einzelnen Kleidungsstücke haben. Genauso wenig interessiert es mich, wer sich wann ein Glas Wasser einschenkt und Ähnliches. Es spricht nichts dagegen, an der einen oder anderen Stelle so ausführlich zu werden, aber doch bitte nicht das ganze Buch hindurch. Das ist sehr schnell sehr nervig und das wiederum ist sehr schade. Für solche Feinheiten ist das Medium Buch einfach ungeeignet. Dagegen hatte ich an den entscheidenden Stellen auf einmal das Gefühl, dass überhaupt nichts gesagt wird, und so wird auf einmal geheiratet.
Dazu sind auch an anderen Stellen die Formulierungen hölzern, wirken zwar wohldurchdacht und ausgefeilt, aber bestehen letzten Endes nur aus klischeehaften Komplimenten und hohlen Phrasen.
Die Idee für die Story fand ich gelungen, allerdings war ich auch allgemein von der Umsetzung enttäuscht. Die Auflösung des Rätsels wurde am Ende fast ein wenig hineingequetscht und bekam nicht genügend Raum, um seine Auswirkung auf die Protagonistin zu entfalten, die immerhin acht Jahre lang mit der Suche nach ihrer Tochter verbracht hat.
Insgesamt kann ich das Buch leider nicht weiterempfehlen, obwohl es mit Sicherheit auch Leser gibt, denen der Stil eher zusagen wird.
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18.08.2016B. Gregor Wenn alles grau und trübselig aussieht, betrachte es als eine Chance. Jeder kann im Licht des Tages glauben, aber nur wenige harren unter dem drückenden Mantel der Dunkelheit aus. Vergiss nie: Der Glaube ist ein Licht, das man am besten in der Dunkelheit sehen kann. (Seite 60)
Meine Meinung
Wenn ich den Autorennamen Beverly Lewis höre, denke ich automatisch an Amish-Romane.
Um so verwunderter war ich, als ich die Inhaltsangabe zu diesem ihrem neuen Buch las. Da war von Amish gar keine Rede, sondern von einem Buch in der "ganz normalen Welt". Sollte die Autorin ihr Genre gewechselt haben" Neugierig habe ich es denn auch gleich gelesen.
Ganz konnte sie von ihrem Stammthema aber doch nicht lassen, denn Laura, das Kindermädchen, ist eine Amish. Erstaunt hat mich jedoch, daß die harten Seiten der Amish-Kultur thematisiert werden. Laura wurde wegen einer Sünde gebannt und lebt nun bei einem entfernten Verwandten, der einer recht moderaten Amish-Gemeinde angehört, weswegen sie auch Auto wie Handy besitzt. Einige Stellen im Buch könnte man durchaus als Kritik an den Amish verstehen. Über Laura hätte ich am Ende auch gerne noch etwas mehr erfahren, aber da sie nur eine Nebenfigur ist, war wohl nicht mehr Platz für sie vorhanden.
Im Buch gibt es zwei Handlungsstränge, die immer mehr zusammenlaufen. Da ist zum Einen die Geschichte um Kelly Maines und ihr entführtes Baby, das sie seit rund acht Jahren, auch mit mehr oder weniger zweifelhaften, Methoden sucht. Diese Suche bestimmt ihr ganzes Denken und Leben und zieht sie immer weiter hinunter.
Zum Anderen gibt es Jack und seine Adoptivtochter Nattie mit dem Kindermädchen Laura. Jack wird von seiner Schwester San gedrängt, endlich eine Frau bzw. Mutter für Nattie zu finden und macht erste zaghafte Versuche in diese Richtung.
Die Figuren konnte ich mir gut vorstellen, ich fand sie mehr als ausreichend gezeichnet. Über Laura hätte ich, wie erwähnt, gerne noch etwas mehr erfahren, während San, Jacks Schwester, mir das ganze Buch hindurch etwas fremd blieb. Das liegt aber nicht an einer etwa unzureichenden Beschreibung, sondern an ihrer (zu) direkten, manchmal auch rücksichtslosen, Art. Nattie ist ein sehr aufgewecktes Kind, von der ich bisweilen das Gefühl hatte, daß sie entwicklungsmäßig älter ist als neun Jahre. Kelly macht im Verlauf des Buches eine recht große Entwicklung durch, die ich allerdings glaubwürdig und nachvollziehbar empfand. Bei den Erfahrungen, die sie macht, bleibt eine solche Entwicklung nicht aus.
Knapp die Hälfte des Buches laufen beide Geschichten parallel, bis endlich die auf dem Buchrückentext erwähnte Entwicklung einsetzt. Diesen "Vorspann" fand ich etwas (zu) lang, auch wenn so die Figuren sehr ausführlich eingeführt werden konnten. Recht bald wird dem Leser klar, daß es im Weiteren nicht ohne Probleme vonstatten gehen wird, denn als Kelly auf Jack trifft, läuft es völlig anders, als sie es geplant hatte.
Es entwickelt sich eine Beziehung, von der man sich als Leser wohl wünscht, daß sie zum Erfolg führen möge. Das Verhalten der beiden fand ich nachvollziehbar und in sich schlüssig, auch wenn man als Leser natürlich sieht, auf welche Bahn das gerät und sich fragt, wie die Autorin das immer größer werdende Knäuel am Ende auflösen will. Hierin liegt dann meiner Meinung nach auch eine der Stärken des Buches, das mehr ist als nur ein bloßer Unterhaltungsroman. Je weiter die Handlung voran schreitet, um so deutlicher wird, daß manche Dinge nicht mit Gewalt zu zwingen sind. Inneren Frieden kann man nicht kaufen; über Jahre Groll verinnerlichen und pflegen macht das Leben auch nicht gerade leichter. Die Vergangenheit loslassen können, Ballast abwerfen, Menschen verzeihen führen zu einer klareren Sicht, innerer Ruhe und Frieden und eröffnen schließlich die Möglichkeit zu einem besseren, wenn nicht gar neuen Leben.
Nicht nur die Figuren, auch dem Leser blühen im Verlauf der 428 Seiten einige Überraschungen. Am Ende sind dann alle Geheimnisse gelüftet und die offenen Fäden verknüpft, so daß ich das Buch zufrieden zugeklappt habe; an die Figuren und wie es ihnen wohl weiter ergehen wird jedoch sicherlich noch eine ganze Zeitlang denken werde.
Mein Fazit
Eine gut geschriebene und lesenswerte Geschichte, in der die Amish nur am Rande auftauchen und Themen wie Vergebung, Loslassen, Neu beginnen eine Rolle spielen.
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